Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.12.1999, Az.: 7 Sa 568/99

Berücksichtigung eines hypothetischen Bewährungsaufstiegs bei der Bemessung der persönlichen Zulage für die vorübergehende Ausübung einer höherwertigen Tätigkeit; Statische Verweisung auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Übertragung der Tätigkeit; Neuberechnung der persönlichen Zulage unter Zugrundelegung der sich aus der höheren Lebensaltersstufe bzw. Stufe ergebenden Grundvergütungen der Vergütungsgruppe; Bedeutung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anrechnung von Vertretungszeiten beim Fallgruppenbewährungsaufstieg

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
07.12.1999
Aktenzeichen
7 Sa 568/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 19958
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1999:1207.7SA568.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 20.01.1999 - AZ: 3 Ca 405/98

Fundstellen

  • BB 2000, 2527 (amtl. Leitsatz)
  • ZTR 2000, 124-125

Amtlicher Leitsatz

Bei der Bemessung der persönlichen Zulage für die vorübergehende Ausübung einer höherwertigen Tätigkeit ist gemäß § 24 Abs. 3 BAT auch ein - hypothetischer - Bewährungsaufstieg des Vertretenden zu berücksichtigen.

In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung
vom 07.12.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 20.01.1999, 3 Ca 405/98, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob bei der Bemessung der persönlichen Zulage für die vorübergehende Ausübung einer höherwertigen Tätigkeit gemäß § 24 BAT ein - hypothetischer - Bewährungsaufstieg zu berücksichtigen ist.

2

Der Kläger ist seit Oktober 1987 bei der Beklagten als medizinisch-technischer Assistent im Bundeswehrkrankenhaus ... beschäftigt. Seit 1992 bezieht er als stellvertretender leitender Assistent eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe V c BAT. Der BAT findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

3

Mit Wirkung vom 13.02.1996 wurde dem Kläger vertretungsweise die Tätigkeit eines leitenden medizinisch-technischen Assistenten im Sinne der Vergütungsgruppe V b, Fallgruppe 24, Teil II, Abschnitt D der Anlage 1 a zum BATübertragen, weil der Dienstposteninhaber langfristig erkrankt war. Dem Kläger ist zwischenzeitlich im Jahre 1999 der Dienstposten endgültig übertragen worden.

4

Die Beklagte zahlte an den Kläger eine persönliche Zulage in Höhe des Unterschieds zwischen der Vergütungsgruppe V c und der Vergütungsgruppe V b BAT.

5

Aus der Vergütungsgruppe V b BAT Fallgruppe 24 des Teils II, Abschnitt D der Anlage 1 a ist nach 2-jähriger Bewährung in dieser Tätigkeit ein Bewährungsaufstieg in die Vergütungsgruppe IV b BAT Fallgruppe 15 möglich. Mit Schreiben vom 04.02.1998 (Bl. 6 - 8 d. A.) machte der Kläger gegenüber der Beklagten eine Zulage in Höhe der Differenz zwischen den Vergütungsgruppen V c BAT und IV b BAT geltend mit der Begründung, gemäß § 24 Abs. 3 BAT bemesse sich die persönliche Zulage aus dem Unterschied zwischen der Vergütung, die ihm zustehen würde, wenn er in der höheren Vergütungsgruppe eingruppiert wäre, und der Vergütung der Vergütungsgruppe, in der er eingruppiert sei. Wäre er aufgrund der ausgeübten Tätigkeit in der Vergütungsgruppe V b ab 13.02.1996 eingruppiert, stände ihm aufgrund des Bewährungsaufstiegs ein Anspruch auf eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT zu.

6

Die Beklagte lehnte eine Erhöhung der persönlichen Zulage mit Schreiben vom 12.06.1998 ab (Bl. 9, 10 d. A.).

7

Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 25.02.1999 zugestelltes Urteil vom 20.01.1999, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 36 - 39 d. A.), festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 13.02.1998 die persönliche Zulage im Sinne des § 24 Abs. 2 BAT in der Höhe des Unterschiedes zwischen der Vergütung der Vergütungsgruppe IV b BAT und der Vergütung der Vergütungsgruppe V c BAT zu zahlen und die rückständigen Nettodifferenzbeträge ab dem 04.07.1998 jeweils mit 4 % zu verzinsen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, § 24 Abs. 3 BAT verlange eine hypothetische Betrachtungsweise. Der Angestellte solle so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn ihm die Tätigkeit auf Dauer übertragen worden wäre. Wenn dem Kläger die vertretungsweise übertragene Aufgabe auf Dauer übertragen worden wäre, wäre er in der Vergütungsgruppe V b BAT eingruppiert gewesen. Aus dieser Vergütungsgruppe sei der Fallgruppenbewährungsaufstieg nach der Vergütungsgruppe IV b BAT eröffnet. Unstreitig habe er diese Tätigkeit für die geforderte Bewährungsdauer von 2 Jahren ausgeübt. Auch sei nicht ersichtlich, dass er sich innerhalb dieser Zeit nicht bewährt habe. Dementsprechend stünde ihm die höhere Vergütung zu.

8

Dieses Ergebnis sei auch sinnvoll. Der Fallgruppenbewährungsaufstieg führe zu einer höheren Vergütung, ohne dass sich an der Art der übertragenen Aufgabe etwas geändert habe. Gleichwohl erhalte der Angestellte, dem diese Tätigkeit übertragen worden sei, ein höheres Gehalt. Dies rechtfertige sich, weil nach der Sichtweise der Tarifvertragsparteien der Angestellte durch die Dauer der Aufgabenerledigung ein Mehr an Erfahrung gewonnen habe, weshalb seine Tätigkeit "wertvoller" geworden sei. Dies gelte aber gleichermaßen auch für die hier zu entscheidende Fallkonstellation.

9

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Anrechnung von Vertretungszeiten beim Fallgruppenbewährungsaufstieg stehe nicht entgegen. Zwar könnten nach dieser Rechtsprechung für einen Fallgruppenbewährungsaufstieg nur die Zeiten berücksichtigt werden, in denen der Angestellte tatsächlich in die maßgebliche Fallgruppe eingruppiert gewesen sei. Diese Frage stelle sich hier indes nicht, da § 24 Abs. 3 BAT ausschließlich auf die hypothetische Eingruppierung abstelle.

10

Hiergegen richtet sich die am 24.03.1999 eingelegte und am Montag, den 26.04.1999 begründete Berufung der Beklagten.

11

Die Beklagte ist der Auffassung, § 24 Abs. 3 BAT enthalte nur eine Berechnungsvorschrift für die Höhe der persönlichen Zulage und sei keine Eingruppierungsvorschrift, die die Möglichkeit des Bewährungsaufstieges enthalte. Maßgeblich für die Bemessung sei dabei, wie § 24 Abs. 2 BAT zeige, die Wertigkeit der Tätigkeit im Zeitpunkt der Übertragung. Die Möglichkeit eines Wechsels der "höheren Vergütungsgruppe" während der vertretungsweisen Aufgabenwahrnehmung sehe § 24 Abs. 3 BAT dagegen nicht vor. Einen hypothetischen Bewährungsaufstieg schließe § 24 Abs. 3 BAT gerade nicht mit ein.

12

Im übrigen führe die Auslegung des Arbeitsgerichts zu einem Wertungswiderspruch. Wenn die Beklagte dem Kläger nach 2 Jahren die vertretungsweise zugewiesene Tätigkeit dauerhaft übertragen hätte, hätte ihm unzweifelhaft nur ein Anspruch auf eine Vergütung der Vergütungsgruppe V b BAT zugestanden. Bei einer Fortdauer der vertretungsweisen Übertragung erhielte der Kläger demgegenüber nach seiner Auffassung eine Vergütung in Höhe der Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b BAT. Er bekäme also bei gleicher Tätigkeit und gleicher Erfahrung in dieser Tätigkeit mehr Geld. Hierfür gäbe es keine Rechtfertigung.

13

Die Beklagte beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

15

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes seiner Prozessbevollmächtigten vom 03.06.1999 (Bl. 54 - 57 d. A.).

Entscheidungsgründe

16

Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG.

17

Sie ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht ist nämlich zu Recht und mit zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger ab dem 13.02.1998 eine Zulage in Höhe der Differenz zwischen den Vergütungsgruppen V c und IV b BAT zusteht. Das Berufungsgericht macht sich die Begründung des Arbeitsgerichts zu eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.

18

Zusammenfassend und ergänzend im Hinblick auf die Berufungsbegründung wird folgendes ausgeführt:

19

Maßgeblich für die Höhe der im Streit stehenden Zulage ist die Vorschrift des § 24 Abs. 3 BAT. Hiernach bemisst sich die persönliche Zulage aus dem Unterschied zwischen der Vergütung, die dem Angestellten zustehen würde, wenn er in der höheren Vergütungsgruppe eingruppiert wäre und der Vergütung der Vergütungsgruppe, in der er eingruppiert ist. Der Wortlaut des Tarifvertrages stellt mithin der tatsächlichen Eingruppierung die hypothetische Eingruppierung in der höherwertigen Tätigkeit gegenüber. Dies bedeutet nicht, dass bei der Bemessung der persönlichen Zulage die Vergütungsgruppe des Vertretenen zu berücksichtigen ist, die dieser im Wege eines Bewährungsaufstieges erreicht hat. Maßgeblich sind vielmehr die Verhältnisse, wie sie in der Person des Vertretenden vorliegen. Denn § 24 Abs. 3 stellt auf die Vergütung ab, die dem Vertretenden bei einer entsprechenden Eingruppierung zustehen würde.

20

Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung handelt es sich hier nicht um eine statische Verweisung auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Übertragung der Tätigkeit. Für eine derartige Betrachtungsweise sind Anhaltspunkte im Tarifvertrag selbst nicht ersichtlich.

21

§ 24 Abs. 2 BAT kann nicht entnommen werden, dass die Wertigkeit der Tätigkeit im Zeitpunkt der Übertragung maßgeblich sein soll. § 24 Abs. 2 BAT besagt lediglich, dass nach Ablauf von 3 Monaten die persönliche Zulage für den letzten Kalendermonat der Frist und für jeden folgenden vollen Kalendermonat der weiteren Vertretung zu zahlen ist.

22

Es ist zudem allgemein anerkannt, dass dann, wenn sich innerhalb des Zeitraums, für den die persönliche Zulage gezahlt wird, die Grundvergütung des Angestellten infolge Erreichens der nächsten Stufe im Sinne des § 27 BAT steigert, die persönliche Zulage entsprechend neu zu berechnen ist, also unter Zugrundelegung der sich aus der höheren Lebensaltersstufe bzw. Stufe ergebenden Grundvergütungen der Vergütungsgruppe, in der der Angestellte eingruppiert ist und der Vergütungsgruppe, in der er eingruppiert wäre, wenn ihm die zulageberechtigte Tätigkeit auf Dauer übertragen worden wäre (so ausdrücklich Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese § 24 BAT, Erläuterung 4). Dies spricht gegen die Annahme, es komme bei der Bemessung der Zulage allein auf die Verhältnisse im Zeitpunkt der Übertragung der höherwertigen Tätigkeit an.

23

Nichts anderes gilt für eine hypothetische Höhergruppierung aufgrund eines Tätigkeitsaufstiegs im Sinne des § 23 b BAT.

24

Denn § 24 Abs. 3 BAT stellt, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, auf eine hypothetische Eingruppierung des Vertretenden ab ("wenn er in der höheren Vergütungsgruppe eingruppiert wäre"). Wenn der Kläger in der höheren Vergütungsgruppe V b BAT eingruppiert gewesen wäre, hätte ihm aber ab 13.02.1998 ein Anspruch auf eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b (Fallgruppe 15 des Teils II Abschnitt D der Anlage 1 a zum BAT) zugestanden. Ihm steht deshalb auch ein Anspruch auf eine persönliche Zulage in Höhe der Differenz zwischen den Vergütungsgruppen V c und IV b BAT ab dem 13.02.1988 zu.

25

Die Kammer verkennt nicht, dass das vorstehende Ergebnis einen Wertungswiderspruch beinhaltet zu der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der vertretungsweise Tätigkeiten nicht zu einem Fallgruppenaufstieg im Sinne des § 23 b BAT führen können (BAG vom 09.11.1983, 4 AZR 420/82, AP Nr. 6 zu § 24 BAT). Wegen dieses Wertungswiderspruches hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen durch ein am 16.03.1999 verkündetes Urteil (12 Sa 788/98 E) die Auffassung vertreten, dass ein Bewährungsaufstieg im Rahmen des § 24 BAT nicht zu berücksichtigen sei.

26

Die erkennende Kammer schließt sich dieser Auffassung nicht an. Die vorliegend allein für die Entscheidung des Rechtsstreits maßgebliche Vorschrift des § 24 BAT lässt nicht den Schluss zu, dass maßgeblich nur die Wertigkeit der Tätigkeit im Zeitpunkt der Übertragung ist. Vielmehr ist nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 24 Abs. 3 BAT auf die Vergütung abzustellen, die dem Angestellten zustehen würde, wenn er in der höheren Vergütungsgruppe eingruppiert wäre. Diese hypothetische Eingruppierung beinhaltet aber vorliegend nach 2 Jahren einen Tätigkeitsaufstieg in die Vergütungsgruppe IV b BAT. Wenn dies von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt gewesen wäre, hätten sie dies deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Der aufgezeigte Wertungswiderspruch ist auch lediglich darauf zurückzuführen, dass die Tarifvertragsparteien den Fallgruppenaufstieg im Sinne des § 23 b BAT nur unvollständig geregelt haben. So liegt ein Wertungswiderspruch in den Fällen nicht vor, in denen für den Vertretenden nicht ein Fallgruppenaufstieg im Sinne des § 23 b BAT, sondern ein Bewährungsaufstieg im Sinne des § 23 a BAT möglich ist. Denn im Rahmen des § 23 a BAT werden auf die vorgeschriebene Bewährungszeit die Zeiten angerechnet, während der der Angestellten die Tätigkeitsmerkmale der höheren Vergütungsgruppe erfüllt und hierfür eine Zulage nach § 24 erhalten hat. Wenn das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 24.09.1997 (4 AZR 565/96, AP Nr. 1 zu § 23 b BAT) ausgeführt hat, dass für einen Angestellten der Unterschied beim Bewährungsaufstieg nach § 23 a BAT und beim Fallgruppenaufstieg nach § 23 b BAT kaum verständlich sei, dass es aber nicht Sache der Gerichte sei, eine unvollständige Regelung zu vervollständigen, so muss dies sinngemäß auch für den vorliegenden Fall gelten. Die unvollständige Regelung des Fallgruppenaufstiegs kann deshalb nicht zur Begründung für eine von dem Wortlaut des § 24 Abs. 3 BAT abweichende Auslegung des BAT führen.

27

Die Berufung der Beklagten war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.

28

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Zif. 1 und 2 ArbGG.