Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.07.1998, Az.: 6 Sa 94/98

- siehe dazu Urteil des BAG vom 30.04.2002 - 9 AZR 819/98

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
08.07.1998
Aktenzeichen
6 Sa 94/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 33103
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1998:0708.6SA94.98.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 30.04.2002 - AZ: 9 AZR 819/98

Tenor:

  1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 13.11.1997 - 5 Ca 442/97 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten um die Anrechnung von Tarifurlaub nach dem BMT-G II auf eine Rehabilitationsmaßnahme gemäß § 10 BUrlG.

2

Die am 08.02.1940 geborene Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft ... und seit 1969 als Reinigungskraft bei dem Beklagten mit einer regelmäßigen monatlichen Arbeitszeit von 89 Stunden zu einem Bruttomonatslohn von zuletzt DM 1.835,06 beschäftigt.

3

Die ... Braunschweig bewilligte der Klägerin für die Zeit vom 07.01. bis 04.02.1997 eine vierwöchige Rehabilitationsmaßnahme, auf die ihr der Beklagte acht Tage ihres tariflichen Erholungsurlaubs unter Hinweis auf § 10 BUrlG anrechnete. Dagegen hat die Klägerin nach erfolglosem Widerspruch Klage erhoben mit dem Antrag

festzustellen, daß der Beklagte nicht berechtigt war, wegen einer vierwöchigen Rehabilitationsmaßnahme der Klägerin diese acht Tage ihres Erholungsurlaubes anzurechnen.

4

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen

5

und die Auffassung vertreten, § 10 BUrlG in der aufgrund des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.09.96 seit dem 01.10.96 geltenden Fassung lasse die Anrechnung entgegen § 34 Abs. 1 und 2 BMT-G II zu.

6

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 13.11.1997 der Feststellungsklage stattgegeben nach einem Streitwert von DM 600,- und die Berufung zugelassen. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand und wegen der Würdigung dieses Vorbringens auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts ergänzend Bezug genommen.

7

Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 11.12.1997 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 12.01.1998, einem Montag, Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt und diese am 11.02.1998 begründet.

8

Der Beklagte sieht in § 34 BMT-G II in der Fassung des 44. Änderungstarifvertrags zum BMT-G II vom 12.06.1995, gültig ab 01.09.1995 keine konstitutive tarifrechtliche Regelung, die die Anrechnungsmöglichkeit ausschließe und deswegen auch keine gegenüber § 10 BUrlG n.F. günstigere Regelung habe treffen wollen. Die in § 9 EFZG bestimmte Gleichstellung der Arbeitsverhinderung wegen einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation mit krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit beinhalte für die Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation eine Rechtsfolgeverweisung, ohne daß die Maßnahme dadurch zur Krankheit wird. Dies ergebe sich auch daraus, daß die Anrechnung von Tarifurlaub auf Krankheitszeiten während einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation ausgeschlossen ist. Bereits die Rechtsprechung zu § 8 d MuSchG 1968 habe die anteilige Kürzung des Jahresurlaubs wegen der Inanspruchnahme von Mutterschaftsurlaub gebilligt.

9

Der Beklagte beantragt,

  1. das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 13.11.1997 - 5 Ca 442/97 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

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Die Klägerin verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts als der Rechtslage entsprechend.

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Die Klägerin macht geltend, der vom Normsetzungswillen der Tarifvertragsparteien getragene tarifliche Urlaubsanspruch verbiete es dem Gesetzgeber, in diese tarifliche Regelung einzugreifen und den Urlaubszweck zu Lasten des Arbeitnehmers zu verändern. Zweck der verordneten Maßnahme sei ihre gesundheitliche Rehabilitation. Dies sei in § 34 Abs. 1 BMT-G II abschließend und eigenständig geregelt. Weil die Teilnahme an einer medizinisch verordneten Rehabilitationsmaßnahme als Arbeitsunfähigkeit zu behandeln ist, sei die Anrechnung von Urlaubstagen auf diese Maßnahme gemäß § 9 BUrlG ausgeschlossen. Ferner sieht die Klägerin die in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützte Koalitionsfreiheit als durch § 10 BUrlG verletzt an.

13

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründung und -erwiderung ergänzend Bezug genommen.

Gründe

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I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG kraft Zulassung statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beklagte hat sich ausführlich mit den Entscheidungsgründen des Urteils des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt und ist ihnen entgegengetreten. Damit ist seine Berufung zulässig.

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II.

Die Berufung konnte jedoch keinen Erfolg haben, weil das Arbeitsgericht zutreffend der Feststellungsklage stattgegeben hat.

16

1.

Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung, ob die Anrechnung des Beklagten von acht Tagen ihres Tarifurlaubs 1997 auf ihre Rehabilitationsmaßnahme wirksam ist oder nicht.

17

2.

Die Klage ist begründet. Der Beklagte vermag die beabsichtigte Kürzung des Tarifurlaubs der Klägerin für 1997 um acht Tage nicht auf § 10 BUrlG zu stützen. Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber berechtigt, von je fünf Tagen, an denen der Arbeitnehmer infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, die ersten zwei Tage auf den Erholungsurlaub anzurechnen. Die angerechneten Tage gelten als Urlaubstage; insoweit besteht kein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Sind diese Voraussetzungen dem Wortlaut nach erfüllt, so steht jedoch § 34 Abs. 1 Unterabsatz 2 BMT-G II entgegen, der aufgrund der Verbands Zugehörigkeit der Parteien für das Arbeitsverhältnis gilt. Nach dieser Vorschrift gilt als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Unterabsatzes 1 auch die Arbeitsverhinderung infolge einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation, die ein Träger der gesetzlichen Renten-, Kranken- oder Unfallversicherung, eine Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder ein sonstiger Sozialleistungsträger bewilligt hat und die in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation stationär durchgeführt wird. Bei Arbeitern, die nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse oder nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, gilt Satz 1 dieses Unterabsatzes entsprechend, wenn eine Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation ärztlich verordnet worden ist und stationär in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation oder einer vergleichbaren Einrichtung durchgeführt wird.

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Gemäß § 13 Abs. 1 BUrlG kann von den vorstehenden Vorschriften mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 in Tarifverträgen abgewichen werden. Dies entspricht übrigens auch der erklärten Absicht des Gesetzgebers, in die Tarifautonomie nicht einzugreifen (BT-Drucksache 13/4612, S. 2). § 34 Abs. 1 Unterabsatz 2 BMT-G II enthält eine solche tarifliche Regelung, die die Anrechnung von Tarifurlaub gemäß § 10 BUrlG ausschließt, indem die Tarifvorschrift die Arbeitsverhinderung infolge einer Rehabilitationsmaßnahme einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit gleichstellt und Absatz 2 Unterabsatz 2 unter Bezugnahme auf Absatz 1 von "derselben Krankheit" spricht und damit Rehabilitationsmaßnahmen einbezieht, an denen ein arbeitsfähiger Arbeiter teilnimmt. Folgerichtig gewährt § 34 BMT-G II während einer Rehabilitationsmaßnahme Krankenbezüge, keine Urlaubsvergütung, wie sie § 10 BUrlG für die angerechneten Urlaubstage vorsieht.

19

Obwohl § 34 Abs. 1 Unterabsatz 2 BMT-G II weitgehend wortgleich mit § 9 Abs. 1 EFZG übereinstimmt und deshalb Zweifel an einer eigenständigen konstitutiven tariflichen Regelung entstehen könnten, sind diese Zweifel im Ergebnis unbegründet. Absatz 3 gewährt dem Arbeiter nach Ablauf der Entgeltfortzahlung einen Krankengeldzuschuß, dessen Dauer in Abhängigkeit zur Dauer des Beschäftigungsverhältnisses steht und der im Gesetz nicht vorgesehen ist. Absatz 4 Unterabsatz 3 regelt Anrechnungsfristen für Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation, so daß insgesamt von einer konstitutiven Regelung der Tarifvertragsparteien zur Entgeltfortzahlung und für Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation auszugehen ist (BAG, Urteile vom 16.06.98 - 5 AZR 638/97 und 5 AZR 728/97), die eine Anrechnung von Tarifurlaub nicht zuläßt. Die Tarifvertragsparteien hatten bei Abschluß des Tarifvertrags vom 12.06.95 keinen Anlaß, den Ausschluß der Anrechnung von Tarifurlaub ausdrücklich zu bestimmen, weil § 10 BUrlG in der bis zum 30.09.96 geltenden Fassung diesen Ausschluß bereits bestimmte. Die tariflich vorgesehene Zahlung der Krankenbezüge während einer Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation läßt die Anrechnung von Tarif Urlaub bei Zahlung von Urlaubsvergütung nicht zu (im Ergebnis zustimmend: Leinemann, BB 96, 1381; Boerner, ZTR 96, 435, Pieroth, ArbuR 98, 190, unentschieden Clemens-Scheuring-Steingen-Wiese, BAT, Stand Dezember 1996, § 37 Erläuterung 4 b). Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

20

II.

Gemäß 97 ZPO hat der Beklagte die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

21

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat die Kammer die Revision zugelassen.