Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 23.07.2003, Az.: L 6 U 194/03 ER

Rechtmäßigkeit der Forderung von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung ; Einstweiliger Rechtsschutz im sozialgerichtlichen Verfahren; Voraussetzung für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches; Voraussetzung für die Annahme des Vorliegens eines landwirtschaftlichen Unternehmens

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.07.2003
Aktenzeichen
L 6 U 194/03 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 21136
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0723.L6U194.03ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 10.03.2003 - AZ: S 36 U 456/01

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Voraussetzung für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches im Sozialverfahrensrecht ist, dass sich auf Grund der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ernste Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides ergeben.

  2. 2.

    Für die Annahme eines landwirtschaftlichen Unternehmens i.S.d. § 123 SGB VII ist weder die Motivation noch die Gewinnerzielungsabsicht ebenso wenig wie die Größe der bewirtschafteten Flächen von Bedeutung. Eine private Reittierhaltung erfüllt die Voraussetzungen jedoch nicht.

Tenor:

Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung des Beitragsbescheides vom 10. März 2003 anzuordnen, wird zurückgewiesen. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 267.- EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Forderung von Beiträgen zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung für das Jahr 2002, die sich aktuell auf 1.066,18 EUR belaufen (Beitragsbescheid vom 10. März 2003, Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 26. Mai 2003). Die Frage der Versicherungspflicht des Antragstellers bei der Antragsgegnerin ist Gegenstand des Berufungsverfahrens L 6 U 130/03.

2

Im Juni 1991 hatte der im November 1943 geborene Antragsteller der B. mitgeteilt, er betreibe seit 1. Mai 1991 in C., eine Pensionsstallhaltung mit 2 eigenen Pferden und 1,51 ha Ackerland, das der Reittierhaltung diene (Angaben des Antragsstellers vom 4. und 12. Juni 1991). In dem der Antragsgegnerin übersandten Betriebsfragebogen gab er weiter an, er nutze die 1,51 ha für den Anbau von Mähdruschfrüchten, die Pferde würden als Arbeitstiere gehalten. Als landwirtschaftliches Nebenunternehmen betreibe er eine Pensionspferdehaltung, wofür 25 Arbeitsstunden wöchentlich aufgewandt würden. Vorhanden seien ein Traktor und übliche Bodenbearbeitungsmaschinen (Angaben des Antragstellers vom 15. Juli 1991). Im März 1993 gab er mündlich an, noch über 0,60 ha Grünland zu verfügen (Vermerk des technischen Aufsichtsbeamten (TAB) vom 2. April 1993). Da der Antragsteller weiteren Bitten der Antragsgegnerin zur Auskunftserteilung nicht nachkam, veranlagte diese ihn zu ihrer Berufsgenossenschaft auf der Grundlage dieser Angaben und erhob Beiträge für die Zeit ab 1. Mai 1991 (Bescheid vom 3. Januar 1994).

3

Im Widerspruchsverfahren machte der Antragsteller geltend, keinen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen und wegen der Reittierhaltung zur Berufsgenossenschaft der Fahrzeughaltung, der Beigeladenen im Hauptsacheverfahren, zu gehören. Im Übrigen verweigerte er wiederholt konkrete Angaben zu der Größe der von ihm tatsächlich bewirtschafteten Flächen und lehnte auch eine Besichtung seines Anwesens durch den TAB wiederholt ab. Nachdem die Antragsgegnerin Hinweise darauf erhalten hatte, dass der Antragsteller weitere Flächen dazu gekauft oder gepachtet hatte, holte sie u.a. einen Grundbuchauszug des Amtsgerichts D. ein. Der Antragsteller gab mit Schriftsatz vom 12. August 2000 an, dass er ab 15. Juni 2000 in seinem landwirtschaftlichen Betrieb 4,693 ha bewirtschafte. Hierbei handele es sich überwiegend um Ackerland. Die Antragsgegnerin hob mit Bescheid vom 19. Dezember 2000 den Veranlagungsbescheid vom 3. Januar 1994 von Beginn an auf. Sie gehe auf Grund der zwischenzeitlichen Angaben davon aus, dass der Antragsteller in der Zeit vom 1. Mai 1991 bis 14. Juni 2000 die landwirtschaftlichen Nutzflächen ausschließlich für die private Reittierhaltung genutzt und deshalb kein versicherungspflichtiges Unternehmen bestanden habe. Allerdings unterliege die ab 15. Juni 2000 bewirtschaftete Fläche von 4,693 ha der Versicherungspflicht in ihrer Berufsgenossenschaft. Die Antragsgegnerin erließ daraufhin den Veranlagungsbescheid vom 27. Dezember 2000 für 4,69 ha Fläche.

4

Im Widerspruchsverfahren, in dem der Antragsteller auch geltend machte, als pensionierter Beamter eines TAD einer anderen BG nach § 4 Abs. 1 SGB VII nicht der Versicherungspflicht zu unterliegen, holte die Antragsgegnerin eine Auskunft des Finanzamtes E. vom 23. Mai 2001 und eine Auskunft des Amtes für Agrarstruktur ein. Dort hatte der Antragsteller angegeben, seit März 2000 insgesamt 10 Stück Geflügel und 4 über sechs Monate alte Pferde zu besitzen und folgende Angaben zur Flächennutzung gemacht:

Für das Jahr 2000:
4,6909 ha Getreide
1,5872 ha Stilllegung
6,57839 ha Mähweide, alles für Pferde
0,0300 ha Kartoffeln

für das Jahr 2001:
6,3231 ha Getreide
7, 9132 ha Mähweide.

5

Auf der Grundlage dieser Angaben veranlagte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Änderungsbescheid vom 23. Juli 2001 ab 1. Juni 2000 mit insgesamt 73 BE (Beitragseinheiten) zu ihrer Berufsgenossenschaft und erließ am selben Tag den Beitragsbescheid über DM 429,55. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2001 zurückgewiesen.

6

Im Klageverfahren hat der Antragsteller geltend gemacht, seine private Reittierhaltung sei das Haupt- und der landwirtschaftliche Teil lediglich das Nebenunternehmen. Deshalb sei für ihn nach § 131 SGB VII die Beigeladene zuständig. Im Übrigen hat er gegenüber der Beigeladenen unter dem 6. November 2001 angegeben, ab 15. Juni 2000 für private Zwecke und aus Gründen der Mistproduktion 7 Reitpferde zu halten. Er besitze an Flächen 6,57 ha Wiese, 4,72 ha Acker und 1,59 ha Ödland/Wald. Der Reittierhaltung - Auslauf und Futtergrundlage - dienten 8,16 ha der Grundfläche, die restliche Fläche sei Ackerland (Angaben des Antragstellers vom 6. November 2001). Da er im Übrigen die Mitgliedschaft zu einer anderen Berufsgenossenschaft verneint hatte, veranlagte ihn die Beigeladene zu ihrer Berufsgenossenschaft, hob diese Veranlagung in der Folgezeit aber nach Kenntnis der Mitgliedschaft bei der Antragsgegnerin wieder auf. Sie wies im Klageverfahren darauf hin, dass sich ihre satzungsmäßige Unternehmerpflichtversicherung nicht auf die Halter privater Reittiere erstrecke. Dieser Personenkreis könne sich auch nicht mit einer freiwilligen Versicherung gegen Unfälle absichern. Im Übrigen sei sie nicht grundsätzlich für jede private Reittierhaltung zuständig. Wenn die Tierhaltung zum Abweiden der Wiesen erfolge oder die landwirtschaftlichen Flächen über die Existenzgrundlage im Sinne des GAL hinausgingen, sei die Antragsgegnerin die zuständige Berufsgenossenschaft. Da der Antragsteller eine landwirtschaftliche Fläche von 4,693 ha bewirtschafte, die ihres Erachtens den wirtschaftlichen Schwerpunkt bilde, sei die Antragsgegnerin der zuständige Unfallversicherungsträger. Die Antragsgegnerin hat die vom Antragsteller beanstandeten Berechnungen der BE im Einzelnen dargelegt. Sie trug vor, der Antragsteller bewirtschafte insgesamt 12,88 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, für die er auch Leistungen vom Amt für Agrarstruktur erhalten habe. Deshalb sei die Reittierhaltung das Nebenunternehmen der Landwirtschaft. Mit Gerichtsbescheid vom 9. April 2003 hat das Sozialgericht (SG) Hannover die Klage abgewiesen.

7

Im Berufungsverfahren hat der Antragsteller den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides der Antragsgegnerin vom 10. März 2003 gestellt.

8

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung gegen den Beitragsbescheid vom 10. März 2003 anzuordnen.

9

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

10

Sie trägt vor, die Beitragsschuld aus diesem Bescheid belaufe sich inzwischen auf 1.066,18 EUR.

11

II.

Der Antrag des Antragstellers nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist zulässig, aber unbegründet.

12

Nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen - wie hier im Hinblick auf den angefochtenen Beitragsbescheid - der Widerspruch oder die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Die Kriterien des § 86 a Abs. 3 S. 2 SGG, nach denen die Verwaltung die Vollziehung aussetzen soll - bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes oder wenn die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte - sind auch für die gerichtliche Ermessensentscheidung maßgebend. Danach sind vor allem die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren für die gerichtliche Ermessensentscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren von Bedeutung. Voraussetzung für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist daher, dass sich auf Grund der im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen summarischen Prüfung ernste Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides ergeben. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ergeben sich keine Hinweise darauf, dass der Beitragsbescheid vom 10. März 2003 rechtswidrig ist. Die Antragsgegnerin hat die vom Antragsteller beanstandeten Berechnungen des Bescheides im Schriftsatz vom 4. April 2002 im Einzelnen plausibel und nachvollziehbar dargelegt, insoweit wird auf diesen Schriftsatz verwiesen. Weitere Gründe, warum der Beitragsbescheid falsch sein soll, hat der Antragsteller nicht substantiiert dargelegt, sie ergeben sich auch nicht aus seinem letzten Schriftsatz vom 22. Juli 2003. Auch wenn die Frage der rechtmäßigen Veranlagung des Antragstellers zur Antragsgegnerin nicht Gegenstand des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist, weil der Antragsteller diesen lediglich gegen den Beitragsbescheid vom 10. März 2003 begehrt, wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass sich bei der summarischen Prüfung auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Antragsteller zu Unrecht von der Antragsgegnerin veranlagt worden ist. Für die Annahme eines landwirtschaftlichen Unternehmens i.S.d. § 123 SGB VII ist weder die Motivation noch die Gewinnerzielungsabsicht ebenso wenig wie die Größe der bewirtschafteten Flächen von Bedeutung (Hauck/Haines Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, § 123 SGB VII Rnr. 4). Auch unter Berücksichtigung der eigenen Angaben des Antragstellers in dem nunmehr mehr als 12 Jahre währenden Verfahren gegenüber verschiedenen Behörden (Antragsgegnerin, Beigeladene im Hauptsacheverfahren, Amt für Agrarstruktur) ergibt sich eine landwirtschaftliche Betätigung, die weit über der Bagatellgrenze liegt. Entgegen seiner Auffassung ist seine landwirtschaftliche Tätigkeit auch nicht als Nebenunternehmen zur privaten Reittierhaltung anzusehen. Die insoweit einschlägige Vorschrift des § 131 SGB VII setzt nach allgemeiner Ansicht voraus, dass das Hauptunternehmen ein gewerbliches Unternehmen ist (Hauck/Haines, a.a.O. § 131 SGB VII Rnr. 5; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, § 131 Rnr. 20). Um ein solches handelt es sich aber bei der privaten Reittierhaltung des Antragstellers nicht, worauf die Beigeladene im Hauptsacheverfahren wiederholt zutreffend hingewiesen hat. Im Übrigen sind landwirtschaftliche Betriebe nur dann nach § 131 SGB VII als Nebenunternehmen eines Hauptunternehmens anzusehen, wenn das Hauptunternehmen dem Gesamtunternehmen das Gepräge gibt, wie es z.B. der Fall ist bei Rehabilitationseinrichtungen (z.B. Werkstätten für Behinderte), die auch einen landwirtschaftlichen oder Gartenbaubetrieb unterhalten (Hauck/Haines a.a.O.; Lauterbach a.a.O. Rnr. 4). Das ist aber auch unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben nicht der Fall. Denn bei Berücksichtigung einer vom Antragsteller bewirtschafteten Fläche von insgesamt 12,88 ha entfallen 4,69 ha Fläche auf den Anbau von Mähdruschfrüchten und 8,12 ha auf die Reittierhaltung (vgl. seine Angaben gegenüber der Beigeladenen vom 6. November 2001). Dieses Verhältnis erweist sich - unabhängig davon, ob § 131 SGB VII hier überhaupt einschlägig ist - als nicht so deutlich, dass davon ausgegangen werden kann, dass die Reittierhaltung dem Unternehmen des Antragstellers das Gepräge gibt. Insoweit ist außerdem von Bedeutung, dass der Antragsteller im Verlauf des Verfahrens zum Teil einander widersprechende Angaben gemacht hat und er der Antragsgegnerin auch keine Gelegenheit gegeben hat, diese zu objektivieren.

13

Der Streitwert für die Gerichtsgebühren ist im vorliegenden - seit April 2003 rechtshängigen - Verfahren nach dem am 2. Januar 2002 in Kraft getretenen § 197 a SGG i.V.m. § 13 Abs. 1 GKG von Amts wegen gerichtlich festzusetzen. Maßgebend für die Ermessensentscheidung des Gerichts ist die sich aus dem Antrag des Antragstellers ergebende Bedeutung der Sache. Dies ist im vorliegenden Fall gleich bedeutend mit den zu schätzenden wirtschaftlichen Auswirkungen des Obsiegens. Der Antragsteller wendet sich gegen die Beitragsforderung für das Jahr 2002, die sich nach den Angaben der Antragsgegnerin auf inzwischen 1.066,18 EUR beläuft. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist ein Abschlag auf ein Viertel dieses Betrages angemessen (vgl. auch BSG SozR 3-1500 § 193 Nr. 6 - S.18 -).

14

Dieser Beschluss ist unanfechtbar ( § 177 SGG).

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 267.- EUR festgesetzt.