Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 31.07.2003, Az.: L 6 U 298/02

Zahlung einer Verletztenrente nach einem Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeitsstelle

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
31.07.2003
Aktenzeichen
L 6 U 298/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20221
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0731.L6U298.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg -14.05.2002 - AZ: S 2 U 152/99

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Mai 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist Verletztenrente.

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Der 1939 geborene Kläger erlitt am 30. November 1981 bei einem Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeitsstelle einen Abbruch der vorderen Kante des Lendenwirbelkörpers (LWK) IV (vgl. den Durchgangsarztbericht vom selben Tag), der unter konservativer Behandlung knöchern fest mit einer leichten Höhenminderung der Vorderkante (Rentengutachten des Facharztes für Chirurgie C. vom 19. Oktober 1982, Rentengutachten des Dr. D. vom 19. November 1982) ohne Fehlaufbau der Wirbelsäule (Rentengutachten des Dr. E. vom 16. Juni 1983) verheilte. Die Beklagte bewilligte dem Kläger vorläufige Verletztenrente in Höhe von 20 vom Hundert (v.H.) der Vollrente (Bescheid vom 13. Januar 1983) und lehnte die Gewährung einer Dauerrente ab (Bescheid vom 14. Juli 1983). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. September 1983). Die dagegen gerichtete Klage nahm der Kläger zurück.

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Im April 1997 stellte er sich bei dem Facharzt für Chirurgie Dr. F. vor (vgl. den Zwischenbericht vom 20. Juni 1997). Dr. F. teilte der AOK im Schreiben vom 29. Juli 1997 mit, dass die Fraktur des LWK IV zu der Schwere der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers beigetragen habe. Das klinische Beschwerdebild mit starken Rückenschmerzen und akuten Lumboischialgien liege mit Schwerpunkt zwischen dem 3. und 5. Lendenwirbel bei deutlicher unfallbedingter Höhenminderung des LWK IV. Die gleichzeitig bestehenden spondylarthrotischen Veränderungen seien nicht nur Alters- sondern durch die unfallbedingte Fehlstellung der LWS auch Unfallfolge. Dieser Auffassung schlossen sich Prof. Dr. G. in dem von der Beklagten veranlassten Gutachten vom 7. April 1998 an und schätzten die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 vH. Unfallfolgen auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet hatte Dr. H. im nervenärztlichen Gutachten vom 18. Februar 1998 ausgeschlossen. Demgegenüber führte die Ärztin für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. I. in dem anschließend von der Beklagten eingeholten Gut-Gutachten vom 7. Mai 1998 aus, dass die Bewertung des Prof. Dr. J. nicht überzeuge. Eine segmentale Funktionsprüfung des Achsenorgans sei nicht vorgenommen worden. Unfallfolgen pflegten im zeitnahen Zusammenhang zum Unfall ihr stärkstes Gepräge zu zeigen und nähmen dann an Relevanz ab. Demgegenüber stehe der eigengesetzlich degenerative Aufbruch des Achsenorgans im Vorder-rund. Nach Erhalt von Röntgenaufnahmen führte die Ärztin ergänzend in der Stellungnahme vom 30. Juni 1998 aus, dass es durch die Bruchschädigung nicht zu einer Auswirkung auf die Statik gekommen sei. Die Vorderkantenhöhenminderung betrage im Bereich des LWK IV ungefähr 15 %. Im Vordergrund stehe der Hauptbefund einer ausgeprägten Spondylarthrose insbesondere im Segment L 5/S 1. Eine unfallbedingte MdE um 20 v.H. sei nicht zu vertreten. Dieser Auffassung schloss sich Dr. K. in dem danach von der Beklagten veranlassten chirurgischen Gutachten vom 9. April 1999 an: Die unfallfremden Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule seien deutlich schwerer als die leichte keilförmige Deformierung des LWK IV, die weder zu einer Instabilität noch zu einem statisch wirksamen Achsenknick geführt habe. Die Zunahme der Verschleißveränderungen im Bereich der gesamten Wirbelsäule sei weder durch das Unfallereignis hervorgerufen noch richtunggebend verschlimmert worden. Die unfallbedingte MdE betrage 10 vH. Daraufhin lehnte die Beklagte die Zahlung von Verletztenrente ab (Bescheid vom 6. Mai 1999) und wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. August 1999).

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Dagegen richtet sich die am 7. September 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobene Klage. Das SG hat den Kläger durch den Chirurgen Dr. L. untersuchen lassen. In der öffentlichen Sitzung am 14. Mai 2002 hat Dr. L. sein Vortragskonzept vom 8. April 2002 erläutert, in dem er die Wertung der im Verwaltungsverfahren gehörten Dres. I. und K. geteilt hat.

5

Das SG hat durch Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen.

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Gegen das ihm am 5. Juni 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. Juni 2002 Berufung eingelegt. Unter Hinweis auf die Ausführungen des Prof. Dr. M. hält er an seiner Auffassung fest, dass seine Erwerbsfähigkeit infolge der Fraktur des LWK IV in einem rentenberechtigenden Grad gemindert sei und beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Lüneburg vom 14. Mai 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 6. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 1999 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 14. Mai 2002 zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

9

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung allein durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

10

Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente. Denn seine Erwerbsfähigkeit ist infolge der bei dem Arbeitsunfall am 30. November 1981 erlittenen Fraktur des LWK IV nicht in rentenberechtigendem Grad, d.h. um mindestens 20 v.H. gemindert.

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Diesen gemäß § 581 Abs. 1 Ziff. 2 - der nach Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch (SGB) VII auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - Reichsversicherungsordnung erforderlichen Wert erreichen die Unfallfolgen nicht. Dabei ist die Schätzung der MdE frei, d. h. unabhängig von der Entscheidung der Beklagten im Jahr 1983 vorzunehmen, da die Versagung einer Verletzten(dauer)rente keinen Bescheid mit Dauerwirkung darstellt, dessen medizinische Grundlagen bei der Prüfung einer Verschlimmerung vergleichend heranzuziehen sind (vgl von Wulffen/Wiester, SGB X, § 48 Rn. 4 m.w.N.). Das SG hat nach sorgfältiger Sachaufklärung die insoweit entscheidungserheblichen Gesichtspunkte im Einzelnen genannt (S. 7 zweiter Abs. bis S. 9 erster Abs.). Darauf nimmt der erkennende Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

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Die - von der Berufung hervorgehobene - Schätzung der MdE durch Prof. Dr. G. überzeugt nicht. Denn diese Ärzte haben im Rentengutachten vom 7. April 1998 die Unfallfolgen nicht von den erheblichen unfallunabhängigen Veränderungen der Wirbelsäule abgegrenzt. Eine Abgrenzung wird auch nicht von Dr. F. in dem Schreiben an die AOK vom 29. Juli 1997 vorgenommen. Demgegenüber haben Frau Dr. I., Dr. K. und der Sachverständige Dr. L. überzeugend herausgearbeitet, dass das frakturierte Lendenwirbelsäulensegment IV knöchern fest verheilt ohne nachweisbare Bandscheibenschädigung, ohne statisch wirksamen Achsenknick und ohne Instabilitätszeichen ist und deshalb nur zeitweise leichte Beschwerden auszulösen vermag. Somit leuchtet es ohne weiteres ein, dass wesentliche Ursache der Beschwerden des Klägers die erheblichen anlagebedingten Veränderungen der gesamten Wirbelsäule sind und dass die Unfallfolgen ihre Entwicklung nicht wesentlich beeinflusst haben.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

15

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.