Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.07.2003, Az.: L 6 U 391/01
Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Berufskrankheit; Anscheinsbeweis der beruflichen Verursachung einer Erkrankung; Ursachen für bandscheibenbedingte Erkrankungen ; Vorliegen einer konkreten individuellen Gefahr hinsichtlich der Entstehung oder Verschlimmerung einer Berufskrankheit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 17.07.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 391/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21086
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0717.L6U391.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 06.09.2001 - AZ: S 22 U 15/98
Rechtsgrundlagen
- § 3 BKV
- § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII
- § 7 SGB VII
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Allein das Vorliegen einer Krankheit der Berufskrankheiten-Liste sowie einer beruflichen Exposition, die geeignet ist, diese Krankheit zu verursachen, begründen keinen Anscheinsbeweis und damit auch nicht die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung, denn es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist.
- 2.
Bandscheibenbedingte Erkrankungen beruhen auf einem Bündel von Ursachen. Dabei steht der natürliche Alters- und Degenerationsprozess im Vordergrund. Aus der Vielfalt der Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nur anhand zusätzlicher Merkmale begründen lässt.
- 3.
Ein Anspruch auf Entschädigung wegen mittelbarer Folgen eines Versicherungsfalls i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII setzt voraus, dass der zu Grunde liegende Versicherungsfall auch ein Versicherungsfall im Sinn der §§ 7 ff. SGB VII ist.
- 4.
Eine konkrete individuelle Gefahr hinsichtlich der Entstehung oder Verschlimmerung einer Berufskrankheit ist gegeben, wenn bei einem Verbleiben des Versicherten in der gefährdenden Tätigkeit oder im fortbestehenden Einwirken unter den vorliegenden Verhältnissen in absehbarer Zeit mit Wahrscheinlichkeit eine Erkrankung i.S.d. Liste zur BKV entstehen wird, deren rechtlich wesentliche Ursache oder Mitursache in der beruflichen Tätigkeit liegt.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. September 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Anerkennung von Gesundheitsstörungen als BK 2108 der Anlage zur BKV, die Zahlung von Verletztenrente und Leistungen nach § 3 BKV. Die 1957 geborene Klägerin hat von 1976 bis 1979 eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert und war anschließend bis 1994 in diesem Beruf tätig. 1981 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt unter der Diagnose Lumbago, seit 1988 befand sie sich in regelmäßiger Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden. 1994 wurden in den Segmenten L4/5 und L5/S1 Bandscheibenvorfälle diagnostiziert, am 21. August 1994 erfolgte im C. eine Nukleotomie L4/5 und L5/S1 und am 22. August 1994 wegen eines Kaudasyndroms eine Hemilaminektomie rechts (Resektion eines einseitigen Bogenanteils ohne Dornfortsatz). Es besteht weiterhin ein chronisches Lumbalsyndrom mit residualer Kaudasymptomatik mit sensiblen motorischen Störungen. Seit dem 23. Juli 1994 ist die Klägerin arbeitsunfähig; seit dem 1. März 1995 bezieht sie EU-Rente.Am 14. September 1994 beantragte die Klägerin die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK). Die Beklagte holte das Gutachten von Dr. D. vom 22. Mai 1995 ein. Der Gutachter verneinte eine BK 2108 mit der Begründung, dass kein mehr-segmentales Schadensbild mit Zunahme von oben nach unten vorliege. Bei der bei der Klägerin vorliegenden anlagebedingten Skoliose und Fehlstatik der Wirbelsäule befänden sich dem Alter vorauseilende Verschleißerscheinungen nur im Bereich der Wirbelbogengelenken, während die Wirbelkörper und Abschluss-platten altersentsprechende völlig regelhaft zur Darstellung kämen. Mit Bescheid vom 18. Dezember 1995 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung aus Anlass der Beschwerden der Klägerin im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) ab. Im Widerspruchsverfahren holte sie die Stellungnahme des TAD vom 13. August 1996 ein, danach waren die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten der Art nach geeignet, ein Wirbelsäulenleiden im Sinne der BK 2108 zu verursachen. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte außerdem das Gutachten von Dr. E. vom 11. März 1997 ein. Nach dessen Einschätzung ist die bandscheibenbedingte Erkrankung der Klägerin zumindest teilursächlich durch die berufliche Tätigkeit hervorgerufen worden. Dafür spreche der Krankheitsverlauf, denn unter Berücksichtigung der muskulären Defizite der Klägerin habe sich die schwere Hebe- und Tragetätigkeit verstärkend auf das Bandscheibensystem der Wirbelsäule ausgewirkt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte der Gut-Gutachter auf 30 vH. Des Weiteren hielt er eine neurologische Untersuchung für erforderlich. Außerdem holte die Beklagte das Gutachten von Dres. F. vom 12. Juni 1997 ein. Nach deren Beurteilung spricht gegen eine berufsbedingte Entstehung der Bandscheibenerkrankung der Klägerin, dass keine so genannten belastungs-adaptiven Reaktionen festgestellt werden könnten. Außerdem sprächen zeitliche Aspekte gegen einen Zusammenhang, da bei der Klägerin erste Symptome bereits 1981 aufgetreten seien. Die Bandscheibenerkrankung sei vielmehr auf schicksalhafte Ursachenfaktoren zurückzuführen, insbesondere auf die lumbo-sakrale Aufbaustörung mit Asymmetrie des 4. Lendenwirbels und die hieraus resultierende Störung der Statik. Maßnahmen nach § 3 BKV seien nicht zu ergreifen, weil auch bei Fortsetzung der Tätigkeit keine Berufskrankheit zu erwarten gewesen wäre. Die Berufsaufgabe sei allein auf Grund der schicksalhaften Ursachenfaktoren erfolgt. Dieser Bewertung stimmte Dr. G. in seiner Stellungnahme vom 26. Juli 1997 zu. Außerdem holte die Beklagte das Gutachten von Dr. H. vom 8. November 1997 nebst nervenärztlichem Zusatzgutachten von Dr. I. vom 8. November 1997 ein. Dr. H. verneinte eine BK 2108 mit der Begründung, weder das Schadensbild noch der Verlauf seien belastungskonform. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1997 zurück. Dagegen hat die Klägerin am 14. Januar 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Sie hat darauf hingewiesen, dass sie zu einer typischen Berufsgruppe gehört, für die das Erkrankungsrisiko gesteigert sei. Mit Bescheid vom 14. Januar 1998 hat die Beklagte außerdem die Gewährung von Leistungen nach § 3 BKV abgelehnt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, auch bei Fortsetzung der Tätigkeit der Klägerin sei eine BK nicht zu erwarten gewesen. Die Berufsaufgabe sei allein auf Grund der schicksalhaften Ursachenfaktoren erfolgt. Darüber hinaus schließe der Anspruch auf EU-Rente Leistungen nach § 3 BKV aus (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 1998). Dagegen hat die Klägerin am 28. Juli 1998 Klage vor dem SG Hannover erhoben (Aktenzeichen S 22 U 273/98). Das SG hat beide Klagen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.Das SG hat das Gutachten von Dr. J. vom 25. Mai 1999 eingeholt. Dr. J. hat eine BK 2108 mit der Begründung verneint, vor dem Hintergrund einer nicht belastungsadäquaten Erstmanifestation, nicht altersvorauseilenden Verschleißveränderungen sowie einer diffusen Wirbelsäulendegeneration bestehe ein nicht belastungsadäquates Schadensbild, wie man es bei einer schicksalhaften Erkrankung, nicht jedoch bei einer beruflich teilverursachten Bandscheibenerkrankung erwarte. Selbst ohne den zusätzlichen Einfluss der bewiesenen konkurrierenden Ursache (Skoliose) wäre die notwendige Wahrscheinlichkeit für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Exposition und Erkrankung nicht zu ermitteln. § 3 BKV sei aus medizinischer Sicht nicht angezeigt, da die individuelle Gefährdung hinsichtlich der Entstehung einer BK bei der Klägerin nicht nachweisbar sei. Außerdem hat das SG auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG das Gutachten von Dr. E. vom 21. Juli 2000 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, sowohl die Aufbaustörung des lumbosakralen Übergangsbereiches als auch die berufliche Tätigkeit der Klägerin seien gleichwertige Ursachen für die Entstehung der LWS-Erkrankung. Die Exposition durch Heben und Tragen sei als wesentliche Ursache anzunehmen, die so lange zu gelten habe, wie nicht tatsächlich nachgewiesen sei, dass eine Exposition selbst nicht in ausreichendem Umfange stattgefunden habe. Dabei könne das Fehlen belastungsadaptiver Elemente an der übrigen Wirbelsäule nicht als beweisend dafür angesehen werden, dass eine Exposition nicht mehr wesentlich gewesen sei. Die MdE schätzte er auf seinem Fachgebiet auf 20 vH. Die Beklagte legte die Stellungnahme von Dr. K. vom 21. Dezember 2000 vor. Nach dessen Beurteilung sprechen mehrere Faktoren gegen einen Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit der Klägerin und ihrer Erkrankung (anlagebedingte Aufbaustörung der unteren LWS, verstärkte Rundrückenbildung der Brustwirbelsäule (BWS) und vertieftes Hohlkreuz und hierdurch zusätzlich un-günstige statische Auswirkung, insbesondere auf die letzten Lendensegmente vor dem starren Kreuzbein, chronischer Nikotinabusus als konkurrierende Ursache, fehlende belastungsadaptive Veränderungen der LWS und der unteren BWS, deutlich fortgeschrittene Veränderungen der oberen BWS und des Halssegmentes C5/6). Bei fehlenden belastungsadaptiven Veränderungen der WS könne nur dem Anlageschaden die entscheidende wesentliche Ursache für das Krankheitsbild zugeordnet werden, die berufliche Tätigkeit trete nachweislich zurück.Das SG hat die DAK Hamburg zum Verfahren beigeladen. Diese hat das Gut-Gutachten von Dr. L. (MDKN) vom 27. April 2001 vorgelegt.Mit Urteil vom 6. September 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aus medizinischer Sicht könne ein Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und dem WS-Schaden nicht begründet werden. Entgegen der Auffassung von Dr. E. könne nicht allein mit der Feststellung, dass ein einschlägiges Krankheitsbild und auch eine ausreichende Exposition vorlägen, eine BK begründet werden. Ein solcher Anscheinsbeweis existiere nicht. Dagegen hätten Dr. M. überzeugend ausgeführt, dass bei der Klägerin im Bereich der WS eine Vielzahl von Veränderungen vorlägen, die nicht durch das Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. durch Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung entstanden sein könnten.Gegen dieses am 2. Oktober 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. November 2001 Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des SG Hannover vom 6. September 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Dezember 1995 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1997 sowie den Bescheid vom 14. Januar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 1998 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass ihre LWS-Beschwerden Folgen einer BK nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen sowie Leistungen gemäß § 3 BKV zu gewähren.
hilfsweise,
- 1.
ein röntgenologisches Sachverständigengutachten einzuholen zur erneuten Bewertung der in diesem Verfahren durch die Sachverständigen ausgewerteten Röntgenbefunde und sonstigen bildgebenden Untersuchungsbefunde,
- 2.
ein einschlägiges arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hannover vom 6. September 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des SG und ihre Bescheide für zutreffend.Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig, sie ist jedoch unbegründet.Das SG und die Beklagte haben zu Recht Ansprüche der Klägerin auf Anerkennung einer BK 2108 sowie Zahlung von Verletztenrente und Leistungen nach § 3 BKV verneint.
1.
Der Senat musste nicht aufklären, ob die berufliche Tätigkeit der Klägerin als Krankenschwester geeignet war, bandscheibenbedingte LWS-Schäden zu verursachen. Auch wenn das Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen zu Gunsten der Klägerin angenommen wird, kann eine BK 2108 nicht anerkannt werden, weil aus medizinischer Sicht hinreichende Gründe gegen eine berufliche (Mit)Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung vorliegen und damit allein aus diesem Grund ein Anspruch auf Anerkennung der BK verneint werden muss (vgl. Urteil des Senats vom 6. April 2000 - L 6 U 163/99 ZVW -). Bei der Klägerin bestehen zwar "bandscheibenbedingte Erkrankungen" in Form von Bandscheibenvorfällen in den Segmenten L4/5 und L5/S1. Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen lässt sich aber nicht wahrscheinlich machen, dass die Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit der Klägerin wesentlich (mit)verursacht worden sind.Allein das Vorliegen einer Krankheit der BK-Liste sowie einer beruflichen Exposition, die geeignet ist, diese Krankheit zu verursachen, begründen keinen Anscheinsbeweis und damit auch nicht die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung, denn es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist (BSG, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - , SGb 1999, 39). Der Grund dafür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen ("multifaktorielles Geschehen") beruhen. Dabei steht der natürliche Alters- und Degenerationsprozess im Vordergrund. Aus der Vielfalt der Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nur anhand zusätzlicher Merkmale begründen lässt. Es handelt sich dabei - darauf haben Dres. F. hingewiesen - um sog. "belas-tungsadaptive Veränderungen", und zwar um dem Lebensalter vorauseilende Osteochondrosen (sklerotische Verdichtungen an den Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper und im Bereich der Zwischenwirbelräume) bevorzugt an der unteren LWS und Spondylosen (knöcherne Ausziehungen an den Deck- und Tragplatten) insbesondere an den oberen LWS-Segmenten. Ein solches - durch überdurchschnittliche berufliche Belastungen entstandenes - charakteristisches Verteilungsmuster liegt nach den übereinstimmenden Feststellungen sämtlicher Gutachter und Sachverständigen nicht vor. Bleiben - wie hier - belastungsadaptive Reaktionen an einem beruflich langjährig belasteten WS-Abschnitt aus, kann nicht unterstellt werden, dass die individuelle Belastungstoleranz überschritten wurde. Liegt in einem solchen Fall dennoch eine Bandscheibenerkrankung vor, spricht die Wahrscheinlichkeit gegen eine berufliche Entstehung. Entgegen der Ansicht der Klägerin widerspricht dieses Ergebnis nicht den im Urteil des LSG N. vom 11. Mai 2000 (MESO B 240/274) dargelegten Erkenntnissen, wonach bei Krankenschwestern bandscheibenbedingte Erkrankungen so gut wie ausschließlich in den Segmenten L4/5 oder L5/S1 auftreten. Das ist nämlich kein Indiz für einen Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den beruflichen Belastungen. Denn in diesen Segmenten finden und manifestieren sich auch in der übrigen Bevölkerung (weit über 90 %) die vorzeitigen Bandscheibenveränderungen. Darauf haben Dr. H., Dr. E. und Dr. D. hingewiesen. Um die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung zu bejahen, bedarf es deshalb zusätzlicher Merkmale, die - wie ausgeführt - hier nicht vorliegen.Abgesehen davon haben alle Gutachter und Sachverständigen darauf aufmerksam gemacht, dass eine schicksalhafte Ursache für die LWS-Beschwerden der Klägerin in Betracht zu ziehen ist. Denn es besteht eine Seitausbiegung (Skolio-se) der unteren LWS, d.h. eine Aufbaustörung, die zu einer erheblich unter-schiedlichen Belastung der Wirbelgelenke und der Bandscheiben führt. In diesem Zusammenhang ist außerdem zu berücksichtigen, dass bei der Klägerin bereits 1981 - 5 Jahre nach Beginn der Ausbildung - WS-Beschwerden (plötzliche hexenschussartige Rückenschmerzen und Bewegungseinschränkung, vergleiche Angaben der Klägerin bei Dr. J.) auftraten. Dr. E. sieht darin zwar zu Recht noch keinen Beweis dafür, dass bereits 1981 eine bandscheibenbedingte Erkrankung vorgelegen hat. Der frühe Zeitpunkt der Erstmanifestation ist aber trotzdem ein entscheidendes Indiz für die allein anlagebedingte Genese des Beschwerde- und Schadensbildes (Gutachten Dr. O.). Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob die schicksalhafte Neigung zu Bandscheibendegenerationen auch durch das Zigarettenrauchen begünstigt worden ist (so Dr. P.) und ob Veränderungen auch in den nicht exponierten WS-Abschnitten (BWS, HWS) gegen eine berufsbedingte Verursachung der LWS-Erkrankung sprechen (so Q.).Eine für die Klägerin günstigere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. E., denn dieses Gutachten überzeugt den Senat nicht. Der Sachverständige beurteilt sowohl die berufliche Exposition als auch die anlagebedingte Ausbaustörung als gleichwertig wesentliche Ursachen für die LWS-Erkrankung der Klägerin. Er zeigt aber nicht auf, welche Gesichtspunkte aus medizinischer Sicht für eine berufliche Ursache der LWS-Beschwerden sprechen könnten. Vielmehr gewichtet er die berufliche Exposition allein deshalb als Teilursache, weil nach seiner Beurteilung die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt sind. Ein derartiger Anscheinsbeweis ist jedoch - wie ausgeführt - nicht zulässig.Der Senat hatte auch keine Veranlassung, den Hilfsanträgen der Klägerin nachzugehen und weitere Sachverständigengutachten einzuholen. Auf radiologischem Gebiet besteht kein Aufklärungsbedarf. Der Senat sieht keine Notwendigkeit, grundsätzlich bei Fragestellungen der hier vorliegenden Art neben einem orthopädischen auch ein radiologisches Gutachten einzuholen. Denn die Bewertung von Röntgenaufnahmen und sonstigen bildgebenden Untersuchungsbefunden ist einem Orthopäden auf Grund seiner täglichen Praxis vertraut. Außerdem gehört es zu seinem -- und nicht zum radiologischen - Fachgebiet, anhand dieser Befunde Rückschlüsse auf deren Ursache zu ziehen. Auch der Umstand, dass Dr. R. die Aufnahme der LWS der Klägerin aus dem Jahr 1992 hinsichtlich des Vorliegens einer Höhenminderung im Segment L4/5 unterschiedlich bewerten, erfordert nicht die erneute Auswertung durch einen Radiologen. Denn es kommt nicht darauf an, wann sich erstmals röntgenologisch die bei der Klägerin vorliegende bandscheibenbedingte Erkrankung hat nachweisen lassen. Entscheidend ist vielmehr, ob sich im Bereich der LWS belastungsadaptive Veränderungen zeigen, die auf eine überdurchschnittliche Belastung hindeuten. Dies ist jedoch nicht der Fall, in dieser Beurteilung stimmen alle Gutachter und Sach-verständigen überein. Die Notwendigkeit der Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens hat die Klägerin nicht aufgezeigt, sie ist auch sonst nicht ersichtlich.
2.
Da eine BK nicht festgestellt werden kann, hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Verletztenrente. Ebenso wenig besteht ein Anspruch auf Entschädigung wegen mittelbarer Folgen eines Versicherungsfalls i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII (Gesundheitsschäden infolge einer Heilbehandlung). Denn ein solcher Anspruch setzt voraus, dass der zu Grunde liegende Versicherungsfall auch ein Versicherungsfall im Sinn der §§ 7 ff. SGB VII (d.h. im vorliegenden Fall eine BK) ist (Schwerdtfeger in Lauterbach, UV (SGB VII), Kommentar 4. Aufl. Mai 2001 § 11 RN 4).
3.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Leistungen nach § 3 BKV. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift haben die Unfallversicherungsträger, wenn für Versicherte die Gefahr besteht, dass eine BK entsteht oder sich verschlimmert, dieser Gefahr mit allen geeigneten Mitteln entgegen zu wirken. Voraussetzung für ein Tätigwerden nach dieser Vorschrift ist eine konkrete individuelle Gefahr hinsichtlich der Entstehung oder Verschlimmerung der BK. Diese ist gegeben, wenn bei einem Verbleiben des Versicherten in der gefährdenden Tätigkeit oder im fortbestehenden Einwirken unter den vorliegenden Verhältnissen in absehbarer Zeit mit Wahrscheinlichkeit eine Erkrankung i.S.d. Liste zur BKV entstehen wird, deren rechtlich wesentliche Ursache oder Mitursache in der beruflichen Tätigkeit liegt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl, S. 117). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht erfüllt:Bei der Klägerin haben sich bandscheibenbedingte Erkrankungen entwickelt, ohne dass den beruflichen Einwirkungen bis 1994 ein wesentlicher Ursachenanteil zukam. Zwar ist davon auszugehen, dass sich wegen der jetzt vorliegenden schweren Erkrankung der LWS der Klägerin schweres Heben und Tragen un-günstig auf den Verlauf der Erkrankung auswirken würde. Die eigentliche Ursache für das Fortschreiten der Erkrankung wären allerdings nach wie vor die schicksalhaften Faktoren, während den beruflichen Belastungen nicht der Charakter einer wesentlichen Teilursache zukäme. Folgerichtig haben demgemäß weder Dr. S. die Ergreifung von präventiven Maßnahmen für erforderlich gehalten.