Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.07.2003, Az.: L 2 RI 290/99

Minderung der bei Heiratserstattung nachgezahlten freiwilligen Höchstbeiträge ; Arbeitgeberanteile aus Pflichtversicherungszeit vor Heiratserstattung; Auflösung des beim Rentenversicherungsträger aufgelaufenen Guthabens; Rückwirkende Löschung des Versicherungsverhältnisses; Erstattung der Versichertenateils; Verstoß gegen verfassungsgemäße Grundsätze

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.07.2003
Aktenzeichen
L 2 RI 290/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20039
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0729.L2RI290.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - AZ: S 4 RI 471/98

Redaktioneller Leitsatz

Die Heiratserstattung schließt Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten aus, obwohl nur der Beitragsanteil des Versicherten erstattet wird. Der beim Rentenversicherungsträger verbliebene Beitragsanteil des Arbeitgebers ist für sich allein jedoch kein Versicherungsbeitrag, aus dem Ansprüche auf Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwachsen können, da Beiträge bei Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt werden, von den Versicherten und den Arbeitgebern je zur Hälfte getragen werden.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, die im Rahmen der Nachzahlung bei Heiratserstattung gezahlten freiwilligen Höchstbeiträge um Arbeitgeberanteile aus der Pflichtversicherungszeit vor Heiratserstattung zu vermindern.

2

Die im März 1944 geborene Klägerin war ausweislich der Versicherungskarten 1 bis 4 vom 8. April 1958 bis zum 31. Dezember 1967 als Bürohilfe bei der H. in I. beschäftigt. Sie hatte am 31. Dezember 1964 geheiratet. Im Dezember 1967 beantragte die Klägerin bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) nach § 83 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), dem § 1304 der Reichsversicherungsordnung (RVO) entsprach, die Erstattung der für die Zeit nach dem 20. Juni 1948 im Bundesgebiet zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge im Hinblick auf die erfolgte Heirat. Im von ihr unterzeichneten Antragsformular wurde die Klägerin u.a. darauf hingewiesen, dass in den Rentenversicherungen der Angestellten und der Arbeiter die Beiträge zur Hälfte erstattet würden, dass eine Rücknahme des Erstattungsantrages nach vollzogener Erstattung nicht mehr möglich sei und dass die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten in allen Zweigen der Rentenversicherung und das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung ausschließe. Mit Bescheid vom 11. April 1968 entsprach die BfA dem Antrag auf Beitragserstattung, wobei sie wiederum auf die Ausschlusswirkung hinwies. Der dem Bescheid beigefügte Berechnungsbogen wies von April 1958 bis Dezember 1967 ein Bruttoarbeitsentgelt von 39.314,60 DM aus, nannte einen halben Beitragssatz von 7 % und gab einen daraus errechneten Erstattungsbetrag von gerundet 2.752,10 DM an. Dieser Betrag wurde am 10. April 1968 auf das Postscheckkonto der Klägerin bei der Kreissparkasse J. angewiesen.

3

Am 29. Dezember 1995 beantragte die Klägerin durch ihren Ehemann telefonisch bei der Beklagten die Zulassung zur Nachzahlung freiwilliger Beiträge bei Heiratserstattung. Am 29. März 1996 holte sie den Formularantrag auf Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen bei Heiratserstattung nach und begehrte für den Zeitraum von April 1958 bis Mai 1967 Nachzahlung freiwilliger Beiträge in höchst möglicher monatlicher Beitragshöhe zum Gesamtbetrag von 20.636,70 DM. Die Beklagte entsprach dem Nachzahlungsantrag mit Bescheid vom 7. August 1997. Gemäß § 282 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) sei die Klägerin berechtigt, für die Zeit vom 1. April 1958 bis 31. Mai 1967 freiwillige Beiträge in Höhe von insgesamt 20.636,70 DM für die im Einzelnen jahrgangsweise aufgeführten Zeiten mit den ebenfalls aufgeführten Beträgen nach monatlichen Höchstbeiträgen nachzuzahlen. Die Zeit vom 1. August 1967 bis zum 31. Juli 1968 sei im Versicherungskonto als Zeit der Kindererziehung gespeichert, für die eine Nachzahlung ausgeschlossen sei, weil es sich um eine Pflichtbeitragszeit handele.

4

Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch unter Hinweis auf das laufende Vormerkungsverfahren und beim Bundessozialgericht (BSG) anhängige Verfahren wegen Anrechenbarkeit der Nachzahlungen auf Berufsunfähigkeits- bzw. Erwerbsunfähigkeitsrente. Am 12. November 1997 ging der Gesamtnachzahlungsbetrag von 20.636,70 DM bei der Beklagten ein. Sie erteilte am 28. November 1997 einen Vormerkungsbescheid mit Versicherungsverlauf, in dem die Zeit vom 1. April 1958 bis 31. Mai 1967 als mit freiwilligen Beiträgen belegte Zeiten entsprechend dem Bescheid vom 7. August 1997 angegeben waren. Die Klägerin begründete ihren Widerspruch weiter damit, dass bei der Anrechnung der Nachzahlungsbeträge die vor der Heiratserstattung eingegangenen Arbeitgeberanteile nicht berücksichtigt worden seien und für die Kindererziehungszeiten jeweils drei Jahre statt einem Jahr an Pflichtbeiträgen zu berücksichtigen seien. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile aus der Pflichtversicherung vor Heiratserstattung sei sie nicht auf deren bei Durchführung der Erstattung drohenden Verlust hingewiesen worden. Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. August 1997 zurück (Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 1998). Der Widerspruch richte sich nur gegen den Nachzahlungsbescheid, während die weitere Anrechnung von Kindererziehungszeiten nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens sei. Im Übrigen seien die Arbeitgeberanteile aus der früheren Pflichtversicherung durch die Heiratserstattung untergegangen (§ 1304 Abs. 3 i.V.m. § 1303 Abs. 7 RVO a.F.). Deswegen komme eine nachträgliche Berücksichtigung der Zeiten, für die die Erstattung durchgeführt worden sei, im Versicherungsverlauf und ggf. im Rahmen eines Rentenverfahrens nicht in Betracht.

5

Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, die Nichtberücksichtigung der Arbeitgeberanteile stelle einen grundgesetzwidrigen Eingriff in ihre Rentenanwartschaften dar. Nachdem das Sozialgericht (SG) Hannover den Rechtsstreit hinsichtlich der Anrechnung von Kindererziehungszeiten ruhend gestellt, und die Klägerin beantragt hatte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. August 1997 zu verpflichten, die als freiwillige Beiträge gezahlten Höchstbeiträge unter Abzug vorhandener Arbeitgeberanteile aus der Zeit vom April 1958 bis Mai 1967 zu ermäßigen, hat das SG die Klage durch Teilurteil vom 1. Juni 1999 abgewiesen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch komme zu Gunsten der Klägerin nicht in Betracht, weil die BfA sowohl im Antrag vom 18. Dezember 1967 als auch im Bescheid vom 11. April 1968 deutlich auf den Verlust jeglicher Ansprüche aus den Zeiten, für die die Erstattung gegolten habe, hingewiesen habe. Die Regelung verstoße nicht gegen den Eigentumsschutz aus Artikel 14 Grundgesetz (GG). Grundsätzlich seien allenfalls Rentenanwartschaften geschützt. Arbeitgeberanteile reichten jedoch nicht aus, eine Rentenanwartschaft zu begründen. Zudem habe die Klägerin mit der Beitragserstattung bewusst auf zukünftige Rentenzahlung aus den Beiträgen im Erstattungszeitraum verzichtet. Außerdem sei eine freiwillige Versicherung neben einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vorgesehen. Wären im Versicherungsverlauf im Erstattungszeitraum weiterhin Pflichtbeiträge enthalten, hätte eine Nachzahlung freiwilliger Beiträge nicht erfolgen dürfen.

6

Zur Begründung ihrer hiergegen eingelegten Berufung wiederholt die Klägerin ihre Auffassung, der Verfall der früheren Arbeitgeberanteile verstoße gegen Artikel 14 GG. Auch sei nicht ermittelt worden, ob seinerzeit eine Nettolohnvereinbarung zwischen der Klägerin und ihrem Arbeitgeber bestanden habe.

7

Die Klägerin beantragt nach Hinweis durch den Senatsvorsitzenden entsprechend ihrem schriftsätzlichen Vorbringen:

  1. 1.

    das Teilurteil des Sozialgerichts Hannover vom 1. Juni 1999 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 7. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 1998 zu ändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, die nachgezahlten freiwilligen Beiträge für den Zeitraum vom 1. April 1958 bis zum 31. Mai 1967 um die Arbeitgeberanteile aus Pflichtbeiträgen in dieser Zeit zu vermindern.

8

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

10

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne vorherige mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

11

Außer der Gerichtsakte haben die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

12

Die nach § 143 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig. Der Senat hat hierüber durch Urteil ohne vorherige mündliche Verhandlung entscheiden können, da die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

13

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

14

Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass Arbeitgeberanteile aus früherer Pflichtversicherung nach Durchführung der Heiratserstattung den Zahlbetrag im Rahmen späterer Nachzahlung freiwilliger Beiträge für den Erstattungszeitraum verringern. Anspruchsgrundlage für die Nachzahlung bei Heiratserstattung war § 282 SGB VI. Danach konnten Frauen, denen anlässlich der Eheschließung Beiträge erstattet worden waren, auf bis zum 31. Dezember 1995 gestellten Antrag für Zeiten, für die Beiträge erstattet worden waren, bis zum 1. Januar 1924 zurück freiwillige Beiträge nachzahlen, sofern die Zeiten nicht bereits mit Beiträgen belegt waren (Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1). Diese Berechtigung der Klägerin ist von der Beklagten in dem angefochtenen Bescheid bejaht worden. Einen weiter gehenden Anspruch auf Verminderung des Zahlbetrages der beantragten freiwilligen Höchstbeiträge um bei der Heiratserstattung beim Rentenversicherungsträger verbliebene Arbeitgeberanteile von Pflichtbeiträgen hat die Klägerin nicht. Die im Jahre 1968 durchgeführte Beitragserstattung führte nach § 83 Abs. 3 AVG, dem die entsprechende Bestimmung der RVO im Bereich der Arbeiterrentenversicherung entsprach, i.V.m. § 82 Abs. 7 AVG (= § 1303 Abs. 7 RVO) nicht nur zur Auflösung des beim Rentenversicherungsträger aufgelaufenen Guthabens der erstattungsfähigen Beiträge, sondern zur rückwirkenden Löschung des Versicherungsverhältnisses in seiner Gesamtheit und zwar sogar dann, wenn nur ein Teil der während des Bestandes des Versicherungsverhältnisses entrichteten Beiträge erstattet wurde (Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht § 1303 RVO RdNr. 28 m.w.N., BSG SozR Nr. 13 zu § 1303 RVO; SozR-2200 § 1303 Nrn. 14, 16, 18, 26, 33). Die Erstattung schloss daher Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten aus, obwohl nur der Beitragsanteil des Versicherten erstattet wurde. Der beim Rentenversicherungsträger verbliebene Beitragsanteil des Arbeitgebers ist für sich allein jedoch kein Versicherungsbeitrag, aus dem Ansprüche auf Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwachsen können, da Beiträge bei Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt werden, von den Versicherten und den Arbeitgebern je zur Hälfte getragen werden und wurden (vgl. § 112 Abs. 4 AVG; § 1385 Abs. 4 RVO; § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI). Da im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung im Falle der Beitragserstattung nur eine Erstattung des Versichertenanteils, nicht jedoch des Arbeitgeberanteils vorgesehen war und ist, verblieben und verbleiben die Arbeitgeberanteile beim Rentenversicherungsträger. Daraus können keine Vorteile für ein neues Versicherungsverhältnis hergeleitet werden, das hier durch Pflichtbeiträge infolge der später gesetzlich eingeführten Kindererziehungszeiten und die Nachzahlung von freiwilligen Beiträgen für den Erstattungszeitraum begründet wurde.

15

Die Begrenzung der Beitragserstattung aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Hälfte der entrichteten Beiträge (Arbeitnehmeranteil) verstößt nicht gegen verfassungsmäßige Grundsätze (Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, SozR-2200 § 1303 RVO Nr. 34), insbesondere Artikel 14 GG. Schutzgut ist nur der Anspruch oder die Anwartschaft auf Leistungen aus der Sozialversicherung, nicht aber die hierfür entrichteten Beiträge oder gar Beitragsanteile, die lediglich Berechnungs- und Bemessungsfaktoren für sozialversicherungsrechtliche Leistungen sind. Hinzukommt, dass durch die Heiratserstattung die auf Begründung von entsprechenden Anwartschaften abzielende Wirkung der Beitragsentrichtung aufgehoben war, sodass eine grundsätzlich geschützte Anwartschaft nicht mehr bestanden hat. Ein Zugriffsrecht der einzelnen Rentenversicherten auf die Arbeitgeberanteile war und ist in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht vorgesehen. Auf die Wirkung der Heiratserstattung wurde die Klägerin sowohl im Antragsformular als auch im Bescheid vom 11. April 1968 deutlich hingewiesen. Sie hat sie damals hingenommen. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch kann daher auf eine etwa der Beklagten zuzurechnende fehlerhafte Aufklärung seitens der BfA nicht gegründet werden.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

17

Es liegt kein gesetzlicher Grund vor, die Revision zuzulassen.