Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 31.07.2003, Az.: L 10 LW 25/02
Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; Beurteilung anhand der Leistungsfähigkeit; Ausschluss bei vollschichtigem Leistungsvermögen eines Landwirtes für körperlich leichte Arbeiten auf Gesamtfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 31.07.2003
- Aktenzeichen
- L 10 LW 25/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20042
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0731.L10LW25.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 03.07.2002 - AZ: S 10 LW 1/02
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ALG a.F.
- § 44 Abs. 2 SGB VI
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 3. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ab welchem Zeitpunkt der Kläger Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) hat.
Der 1940 geborene Kläger, der als landwirtschaftlicher Unternehmer bei der Beklagten versicherungspflichtig gewesen ist, beantragte im September 1999 Rente wegen EU. Die Beklagte holte hierzu ein orthopädisches Gutachten des Dr. I. vom 18. Dezember 1999 und ein internistisches Gutachten des Dr. J. vom 4. Februar 2000 ein, die Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule, dem linken Schultergelenk und den Hüftgelenken bzw. ein Bronchialasthma diagnostizierten. Unter Bezugnahme auf das von beiden Gutachtern bejahte vollschichtige Leistungsvermögen für körperlich bis zu mittelschwere Arbeiten lehnte die Beklagte sodann den Rentenantrag mit Bescheid vom 28. Februar 2000 ab. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch bewilligte sie auf der Grundlage eines Berichtes über ein vom Kläger in der Zeit vom 20. Juni bis 12. Juli 2000 absolviertes stationäres Heilverfahren mit Bescheid vom 24. April 2001 Rente wegen EU ab Juli 2000. Den hiergegen erhobenen Widerspruch des Klägers, mit dem dieser Rente bereits ab September 1999 verlangte, wies die Beklagte unter Auswertung weiterer medizinischer Unterlagen mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2001 ab.
Im nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Stade einen Befundbericht der Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. K. vom 1. März 2002 eingeholt und die Klage sodann mit Gerichtsbescheid vom 3. Juli 2002 abgewiesen, weil sich ein untervollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers bereits vor Juni 2000 nicht sicher feststellen lasse.
Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid am 17. Juli 2002 Berufung eingelegt. Er meint weiterhin, dass sein Leistungsvermögen bereits seit August 1999 nur noch untervollschichtig gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 3. Juli 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 28. Februar 2000 in der Gestalt des Bescheides vom 24. April 2001 und des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2001 zu ändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm bereits ab September 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 3. Juli 2002 zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig.
Das SG hat die Berufung unzutreffend als ausgeschlossen erachtet und hat einen Grund, das Rechtsmittel besonders zuzulassen, nicht gesehen. Es hat den Kläger deshalb in der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheides auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde verwiesen. Tatsächlich ist die Berufung jedoch gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, ohne dass es ihrer Zulassung bedarf. Insbesondere beläuft sich der Wert des Beschwerdegegenstandes - Rente wegen EU auch für die Zeit von September 1999 bis Juli 2000 - auf mehr als 500,00 EUR, sodass § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht einschlägig ist. Soweit vor diesem Hintergrund der Kläger mit Schriftsatz vom 16. Juli 2002 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung eingelegt hat, wertet der Senat dies nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung als Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 3. Juli 2002. Eine Fristwahrung im Sinne von § 151 Abs. 1 SGG ist insoweit nicht zu besorgen gewesen, weil wegen der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung in dem Gerichtsbescheid gemäß § 66 Abs. 2 SGG die Berufung binnen eines Jahres seit Zustellung eingelegt werden konnte.
Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht auch nach Auffassung des erkennenden Senats vor Juli 2000 kein Anspruch auf Rente wegen EU gemäß § 13 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (ALG a.F.) zu, die hier gemäß § 94 Abs. 2 ALG weiter anwendbar ist.
Der Senat hatte nicht darüber zu befinden, ob dem Kläger seit Juli 2000 Rente wegen EU zusteht. Allerdings erscheint die Rentengewährung durch die Beklagte ab diesem Zeitpunkt für den Kläger durchaus günstig. Immerhin hat die behandelnde Ärztin für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr. K. in ihrem Befundbericht vom 1. März 2002 unter Hinweis auf normale Vitalkapazitätswerte im Juni und September 2001 und eine nur leichte Obstruktion einen vollschichtigen Arbeitseinsatz für nicht ausgeschlossen erachtet und lediglich davon gesprochen, dass Arbeiten mit Expositionen von Gasen, Rauchen und Stäuben, starke körperliche Belastung oder Wechselschichten oder Arbeiten in Stärke oder Kälte bzw. Feuchtigkeit zu meiden seien. Ebenso hat die Internistin und Pneumologin Dr. L. in einem Arztbrief vom 15. April 2002 darauf hingewiesen, dass - wie schon bei den Voruntersuchungen - auffalle, dass die obstruktive Ventilationsstörung komplett reversibel sei.
Alleiniger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist die Frage, ob EU in Folge untervollschichtigen Leistungsvermögens bereits vor Juni 2000 vorgelegen hat. Dies lässt sich nicht feststellen. Die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter sind auf orthopädischem bzw. internistischem Fachgebiet übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger noch in der Lage war, vollschichtig körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Der Orthopäde Dr. I. hat den Kläger am 18. Dezember 1999 untersucht und dabei eine schmerzhafte Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Ausfallsymptomatik sowie endgradige Funktionseinschränkungen im Bereich der Halswirbelsäule und des linken Schultergelenks festgestellt. Es überzeugt, wenn der Gutachter hiernach zwar eine vollschichtige Tätigkeit im Bereich der Landwirtschaft ausgeschlossen zugleich aber von der Fähigkeit des Klägers gesprochen hat, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Den Funktionsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule ist dabei hinreichend dadurch Genüge getan, dass Dr. I. Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Überkopfarbeiten und Bücken, ohne Heben und Bewegen von Lasten über 7 kg sowie unter Schutz vor Kälte, Nässe und Zugluft gefordert hat. Der Internist Dr. M. hat bei der von ihm am 25. Januar 2000 durchgeführten Untersuchung ein Bronchialasthma mit obstruktiver Lungenfunktionsstörung diagnostiziert, den Kläger im Belastungs-EKG indes bis 130 Watt belasten können. Wenn der Gutachter den Kläger vor diesem Hintergrund für noch in der Lage gehalten hat, bis zu körperlich mittelschwere Arbeiten zu verrichten, entspricht dies der allgemeinen medizinischen Auffassung (vgl. Sozialmedizinische Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung, 5. Aufl., 1995, S. 237). Es überzeugt auch, dass Dr. M. den Kläger im Bereich der Landwirtschaft für nur noch untervollschichtig leistungsfähig erachtet hat, denn die beklagte Luftnot ist besonders im Schweine- und im Kuhstall sowie im Kontakt mit Stäuben aufgetreten. Soweit in dem Gutachten vom 4. Februar 2000 auch hinsichtlich eines Einsatzes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein lediglich untervollschichtiges Leistungsvermögen vermerkt ist, handelt es sich ersichtlich um eine fehlerhafte Angabe. Dies ist durch den auf Grund einer telefonischen Rücksprache mit dem Gutachter handschriftlich gefertigten Vermerks des die Beklagte beratenden Internisten Dr. N. vom 15. April 2000 klargestellt. Danach hält Dr. M. tatsächlich einen vollschichtigen Einsatz des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für möglich. Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit des Vermerks von Dr. N ... Solche werden auch nicht seitens des Klägers vorgetragen. Dass es sich tatsächlich insoweit um eine fehlerhafte Wiedergabe des Leistungsvermögens gehandelt hat, folgt auch daraus, dass dem Gutachten an keiner Stelle zu entnehmen ist, dass das Leistungsvermögen außerhalb der Landwirtschaft bei Meidung körperlich schwerer Arbeiten hinsichtlich des zeitlichen Umfangs beschränkt ist. Nach allem hat der Senat ebenso wie das SG in diesem Zusammenhang keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen gesehen.
Anhaltspunkte dafür, dass das Leistungsvermögen des Klägers vor Juni 2000 unter die Grenze der Vollschichtigkeit herabgesunken war, sind auch nicht den weiteren bei den Akten befindlichen ärztlichen Unterlagen zu entnehmen. Vielmehr hat die Internistin und Pneumologin Dr. L. in einem für die Hannoversche landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft erstatteten Gutachten vom 9. Juni 1999 (lediglich) dazu geraten, dass der Kläger seine landwirtschaftliche Tätigkeit aufgeben solle. Danach und unter konsequenter Medikation sei mit einer Besserung zu rechnen. Eine solche ist - wie oben ausgeführt - ausweislich der Stellungnahmen von Dr. K. und Dr. L. vom März bzw. April 2002 tatsächlich auch eingetreten. Vor diesem Hintergrund lässt sich keinesfalls feststellen, dass vor Juni 2000 ein nichtbehandelbares Atemwegsleiden vorlag, das den Kläger auf Dauer von der vollschichtigen Verrichtung körperlich leichter Arbeiten außerhalb der Landwirtschaft abhielt. Ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Arbeiten auf dem Gesamtfeld des allgemeinen Arbeitsmarktes schließt jedoch auch bei Landwirten die Annahme von EU im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ALG in Verbindung mit § 44 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (SGB VI a.F.) aus.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.