Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.07.2003, Az.: L 6 U 459/99
Zahlung von Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls sowie Anerkennung und Entschädigung einer Berufskrankheit; Geschäftsführer in der Altenpension der Ehefrau; Thoraxprellung mit Fraktur der 11. und 12. Rippe links infolge des Hinunterfallens einer Treppe; Beschwerden im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule in der Folgezeit; Kausalzusammenhang zwischen Gesundheitsschädigung und schädigenden Ereignis; Medizinische Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung; Kausalzusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Tätigkeit; Ausschluss des Anscheinsbeweises bei bandscheibenbedingten Erkrankungen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 17.07.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 459/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21088
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0717.L6U459.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 16.09.1999 - AZ: S 2 U 158/97
Rechtsgrundlagen
- § 548 RVO
- § 551 Abs. 1 RVO
- § 581 Abs. 1 RVO
Redaktioneller Leitsatz
Während für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einem Unfallereignis der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausreicht, muss die Gesundheitsstörung als solche voll bewiesen sein. Danach muss eine gesundheitliche Schädigung in so hohem Maße wahrscheinlich sein, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen.
Den Tatbestand der BK Nr. 2108 erfüllt nicht jedes Beschwerdebild im Bereich der LWS, Voraussetzung ist vielmehr eine bandscheibenbedingte Erkrankung. Diese Erkrankung ist durch die Höhenminderung des Bandscheibenraumes mit "Erweichung" der Bandscheiben (Diskose) sowie einen klinischen Segmentbefund (provozierbarer Schmerz) und einen vermehrten Muskeltonus (Verspannung) gekennzeichnet.
Zwar findet der Anscheinsbeweis auch in der gesetzlichen Unfallversicherung Anwendung. Seine Anwendung ist jedoch auf nach der Lebenserfahrung typische Geschehensabläufe beschränkt, bei denen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes auf eine bestimmte Ursache hinweist. Der behauptete Vorgang muss schon auf den ersten Blick "prima facie" nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster ablaufen. Es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 eine bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. September 1999 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 21. Januar 1990 die Zahlung von Verletztenrente. Weiterhin begehrt der Kläger, seine Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) als Folge der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) (bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können) anzuerkennen und zu entschädigen.
Der im Juni 1939 geborene Kläger war zunächst als Maurer (1954 bis 1964) und danach bei der C. Stadtreinigung mit der Abfuhr von Haus- und Sperrmüll (1964 bis 1970) beschäftigt. Anschließend war er als Versicherungsvertreter (1970 bis 1981) tätig. Zuletzt arbeitete er von Oktober 1981 bis 13. Dezember 1991 als Geschäftsführer in der Altenpension seiner Ehefrau. Hierbei verrichtete er die schriftlichen Arbeiten, Hausmeistertätigkeiten sowie die mit Hebe- und Tragevorgängen verbundenen Pflegearbeiten. Seit dem 1. Juli 1999 bezieht er Altersrente.
Am 21. Januar 1990 verfehlte er auf dem Weg zur Vorbereitung des Frühstücks auf einer Treppe eine Stufe, stürzte die Treppe hinunter und fiel auf die linke Thoraxseite. Gegenüber dem Durchgangsarzt Dr. D. gab er einen Druckschmerz im Bereich der linken seitlichen Brustkorbpartie an. Dr. D. diagnostizierte eine Thoraxprellung mit Fraktur der 11. und 12. Rippe links (Bericht vom 23. Januar 1990). Die stationäre Behandlung endete am 29. Januar 1990. Der Chirurg E. bescheinigte Arbeitsfähigkeit ab 3. März 1990 und erwartete keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) (Stellungnahme vom 23. Februar 1990). Zu diesem Zeitpunkt bestanden keine Restbeschwerden (Bericht des Kreiskrankenhaus F. vom 18. Februar 1992).
Ab dem 13. Dezember 1991 war der Kläger erneut arbeitsunfähig und gab im Februar 1992 Beschwerden im Bereich des linken unteren Thorax mit Ausstrahlung in die linke Flanke und des linken Unterbauches an. Die bildgebende Diagnostik des Abdomens und der Wirbelsäule (WS) ergab abgesehen von einer unfallunabhängigen Sigmadivertikulose keinen pathologischen Befund. Die Rippenfrakturen waren knöchern verheilt, die WS wies degenerative Veränderungen auf. Die Ärzte verneinten einen Zusammenhang der jetzt geklagten Beschwerden mit dem Unfall (Bericht des Kreiskrankenhaus F. vom 18. Februar 1992). Im April 1992 wurde der Kläger wegen Intercostalneuralgien und einem Syndrom der Brustwirbelsäule (BWS) stationär im Kreiskrankenhaus F. behandelt. Anhand der Röntgenaufnahmen, des kernspintomographischen Befundes vom 16. April 1992 und des CT-Befundes vom 7. Mai 1992 beschrieben die Ärzte einen Zustand nach Morbus Scheuermann, eine Osteochondrose und verstärkte Kyphose der BWS, vor allem im unteren Drittel sowie auch eine keilförmige Deformierung des BWK VIII, Drehskoliose, Spondylarthrose sowie Osteochondrose der LWS sowie Bandscheibenprotrusionen in Höhe LWK3/4 LWK4/5 und LWK5/S1 (Bericht vom 8. Juli 1992; Bericht vom 24. August 1993).
Im Juni 1993 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte als Folge des Unfalls auch eine Wirbelsäulenschädigung geltend. Diese sei erst bei der zweiten Untersuchung im Krankenhaus entdeckt worden, weil zuvor die gebrochenen Rippen alles andere überlagert hätten. Die Wiederaufnahme und Fortsetzung seiner Arbeit bis Dezember 1991 habe zur Verschlimmerung der WS-Beschwerden beigetragen. Der Hausarzt Dr. G. teilte mit, der Kläger habe ihn am 28. November 1991 von Schmerzen unter dem Rippenrand berichtet und äußerte den Verdacht auf eine Zwerchfellhernie oder Riss (Bericht vom 27. Juli 1993). Der den Kläger seit 29. November 1991 behandelnde Internist Dr. H. vermochte keinen pathologischen Befund festzustellen (Bericht vom 27. August 1993). Der Oberarzt I. verneinte auch nach einem persönlichen Gespräch mit dem Kläger erneut den Zusammenhang der Beschwerden mit dem Unfall. Auch die keilförmige Deformierung des BWK sei nicht auf den Treppensturz zurückzuführen (Bericht vom 22. Dezember 1993). Auch die Untersuchungsbefunde der LWS vom 15. Oktober 1993 - insbesondere das CT vom 16. September 1993 - sowie die der stationären Behandlung vom 3. bis 5. November 1993 wegen seit August 1993 geklagten Harnträufelns ergaben keinen Befund, der mit dem Treppensturz in Verbindung zu bringen sei. Urologischerseits fand sich keine Erklärung für das Harnträufeln (Berichte des Dr. J., Chefarzt der neurologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses F. vom 15. Oktober 1993 und 15. Dezember 1993). Die Beklagte zog außerdem das Vorerkrankungsverzeichnis der BEK vom Dezember 1994 sowie das in dem Rentenverfahren gegen die BfA erstattete Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 17. Januar 1994 bei. Dieser teilte anlässlich der Untersuchung am 14. Dezember 1993 einen neurologisch unauffälligen Befund mit und diagnostizierte ein chronisches lumbales Wurzelreizsyndrom. Die Chirurgen L. kamen in ihrem auf Veranlassung der Beklagten erstatteten Gutachten vom 29. Juli 1996 nach Auswertung der zahlreichen Röntgenaufnahmen aus den Jahren 1990 bis 1995 zu dem Ergebnis, dass der Unfall lediglich zu folgenlos ausgeheilten Rippenserienfrakturen geführt habe. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe lediglich bis zum 2. März 1990 bestanden, eine MdE sie nicht verblieben. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. November 1996 die Gewährung einer Verletztenrente ab. Die geklagten Beschwerden der WS seien nicht Folge des Arbeitsunfalls. Der Widerspruch, mit dem der Kläger einen Arztbrief des Dr. G. vom 29. Januar 1997 und des Dr. H. vom 9. Dezember 1991 vorlegte, wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 13. August 1997).
Auf das Schreiben des Klägers vom Juni 1993 führte die Beklagte parallel Ermittlungen wegen der BK Nr. 2108 durch. Sie holte eine Stellungnahme ihres technischen Aufsichtsbeamten (TAB) M. vom 18. März 1995 ein, der für den Zeitraum von Oktober 1981 bis Dezember 1991 auf Grund der Betreuung von drei bis vier schwerpflegebedürftigen Personen die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 bejahte. Anschließend veranlasste die Beklagte ein Gutachten der Radiologin Dr. N. vom 18. Oktober 1995, des Neurologen O. vom 3. April 1996 sowie der Chirurgen Prof. Dr. P. vom 17. Juli 1996. Radiologisch fanden sich für die Segmente LWK2/3, LWK3/4 und LWK5/S1 keine Anzeichen für einen Prolaps, eine Protrusion oder eine Höhenminderung des Bandscheibenraumes. Lediglich für das Segment LWK4/5 wurde eine Protrusion und eine Höhenminderung des Bandscheibenraumes beschrieben. Der Neurologe O. verneinte mangels einer Nervenwurzelreizung oder funktionellen Auswirkungen eine MdE auf neurologischem Gebiet. Die Gutachter Prof. Dr. P. verneinten eine BK Nr. 2108 und sahen schon eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne dieser BK nicht als eindeutig gegeben an. Die vorliegenden Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke könnten sowohl bandscheibenbedingt wie auch isoliert hiervon auftreten, eine Unterscheidung sei schwierig. Bei dem Kläger bestünden jedoch sichere Anzeichen für eine nicht bandscheibenbedingte Genese: Das üblicherweise hauptsächlich betroffene Segment LWK5/S1 sei hier unauffällig, weiterhin bestünden rechtsseitig betonte Arthrosen. Die rechtskonvexe Skoliose des Klägers mit linkskonvexen Gegenschwung führe zu einer unsymmetrischen Belastung der Wirbelgelenke, d.h. zu einer Überlastung rechts. Die Wirbelgelenksarthrose sei daher auf die anlagebedingte Fehlstatik zurückzuführen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1998 die Anerkennung der BK Nr. 2108 ab. Bei dem Kläger bestehe eine ausgeprägte bilaterale, rechtsbetonte Spondylarthrose L5/S1, L4/5 und geringer L3/4, eine deutliche thorakal linkskonvex, lumbal rechts-konvexe Skoliose, Bandscheibendegeneration LWK4/5 mit Protrusion und Verdacht auf leichte Wurzelschädigung L5 Links ohne funktionelle Auswirkung. Diese bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS zwinge nicht zur Unterlassung der WS-belastenden Tätigkeit. Die im Zeitpunkt der Tätigkeitsaufgabe im Vordergrund befindlichen Beschwerden seien nicht durch die bandscheibenbedingte Veränderung der LWS hervorgerufen worden.
Die gegen beide Widerspruchsbescheide am 12. September 1997 und 25. Mai 1998 erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) Lüneburg zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Der Kläger hat vorgetragen, vor dem Unfall sei er beschwerdefrei gewesen, erst danach seien Rückenschmerzen aufgetreten. Er sei bei dem Unfall ca. 9 bis 10 Stufen herabgestürzt und auf Steißbein und Rücken gelandet, sodass die gesamte Wirbelsäule gestaucht worden sei. Diese Erkrankung sei von den Ärzten nicht erkannt worden. Das SG Lüneburg hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16. September 1999 den Chirurgen Dr. Q. vernommen, der zuvor sein Vortragskonzept vom 10. September 1999 überreicht hat. Anschließend hat das SG Lüneburg mit Urteil vom 16. September 1999 die Klage abgewiesen. Nach den Ausführungen der Prof. Dr. P. und des Dr. Q. seien die WS-Beschwerden des Klägers auf die anlagebedingte Morbus-Scheuermann-Erkrankung sowie die Arthrose der kleinen Wirbelgelenke zurückzuführen. Ferner könne nicht festgestellt werden, dass bei dem Unfall vom 21. Januar 1990 die WS des Klägers geschädigt worden sei. Diese sei nur anzunehmen, wenn nach einer schweren Gewalteinwirkung im unmittelbaren Anschluss entsprechende, nicht zu übersehende Strukturveränderungen an den Wirbelkörpern und den Bandscheiben in Erscheinung getreten seien. Dies sei nach den Ausführungen des Dr. Q. hier nicht der Fall. Der Unfall habe lediglich zu einer folgenlos ausheilenden Fraktur der Rippen 10 bis 12 geführt. Bei Berücksichtigung des Unfallherganges, der ärztlichen Erstbefunde sowie des weiteren Verlaufs sei eine Traumatisierung des Achsenorgans völlig unwahrscheinlich. Zudem seien posttraumatische Komplikationen im BWS- und LWS-Bereich während des stationären Aufenthaltes im Januar 1992 ausgeschlossen worden. Auch das erst 1993 aufgetretene Harnträufeln lasse sich eben so wenig wie der Bluthochdruck auf den Unfall zurückführen. Dr. H. habe bei der ausführlichen Untersuchung im November und Dezember 1991 krankhafte Befunde an Herz, Lunge und Nieren/Harnblase ausgeschlossen.
Gegen das ihm am 8. November 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. Dezember 1999 Berufung eingelegt. Der Kläger kritisiert, dass sich das SG Lüneburg nicht mit der Bescheinigung des Dr. G. vom 29. Januar 1997 auseinander gesetzt habe. Seit dem Unfall habe er Schmerzen am Steißbein, die er zu-nächst selbst behandelte, seit 1997 stehe er damit in ärztlicher Behandlung. Diese wie auch weitere körperliche Veränderungen (Körperlänge, Fußnägel, Haare) seien nicht berücksichtigt worden. Der schwere Aufprall auf der Treppe sei von den Gutachtern nicht zutreffend gewürdigt worden.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. September 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 13. November 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 1997 sowie weiterhin den Bescheid der Beklagten vom 5. März 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. April 1998 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule Folgen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung sind,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen der Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung und wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Januar 1990 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen. Hilfsweise, von den bisherigen Gutachtern des Verfahrens ergänzend zu dem tatsächlichen Unfallhergang und den sich daraus ergebenden Folgen für die Bewertung des Arbeitsunfalls von Amts wegen ein weiteres Gut-achten einzuholen; des Weiteren, ein weiteres Gutachten nach § 103 SGG von den bisherigen Gutachtern des Gerichtsverfahrens einzuholen, ergänzend zu der bisher nicht geklärten Kausalitätsfrage bezüglich der Berufskrankheit Nr. 2108 und der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 16. September 1999 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Kläger hat u.a. Unterlagen zum Körperwachstum und den Bericht des Radiologen R. über die kernspintomographische Untersuchung vom 3. Dezember 1999 vorgelegt. Mit Verfügung der Berichterstatterin vom 23. Mai 2003 ist den Beteiligten ein Aufsatz von Dr. Schröter, Der Orthopäde 2001, S. 100 ff, übersandt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Prozessakte dieses und des Parallelverfahrens - S 14 An 86/93 - Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG Lüneburg hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 21. Januar 1990 nach den auf diesen Sachverhalt noch anwendbaren §§ 548, 581 Reichsversicherungsordnung (RVO, vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch - SGB - VII) (siehe hierzu unter 1). Er hat weiterhin auch keinen Anspruch darauf, dass seine Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS als BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV anerkannt werden und ihm steht deshalb auch keine Verletztenrente nach §§ 548, 551 Abs. 2, 581 RVO zu (siehe hierzu unter 2).
1.
Der Unfall des Klägers vom 21. Januar 1990 hat lediglich zu einer Fraktur der Rippen 10 bis 12 geführt, die binnen kurzer Zeit folgenlos ausheilen (Gutachten L., Vortragskonzept Dr. Q.). Darüber hinausgehende Folgen hat dieser Treppensturz des Klägers nicht hinterlassen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG Lüneburg Bezug genommen und zur Vermeidung von Wiederholungen auf eine erneute Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Lediglich im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren wird wie folgt ergänzt:
Die vom Kläger seit April 1992 geltend gemachten BWS- und LWS-Beschwerden sind nach übereinstimmender Einschätzung der Gutachter und Sachverständigen - S. - wie auch der behandelnden Ärzte - Oberarzt T. - im Kreiskrankenhaus F. nicht Folge dieses Unfalls (Arztberichte vom 15. Oktober und 15. Dezember 1993, Arztbrief vom 24. Januar 1994). So lässt sich bereits nicht im Wege des erforderlichen Vollbeweises feststellen, dass sich der Kläger bei diesem Treppensturz eine schwere Stauchung der WS zugezogen hat. Während für die Be-urteilung des Kausalzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einem Unfallereignis der Maßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ausreicht, muss die Gesundheitsstörung als solche voll bewiesen sein. Danach muss eine gesundheitliche Schädigung in so hohem Maße wahrscheinlich sein, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG Urteil vom 22. September 1977, - 10 RV 15/77 in BSGE 45, 1 ff). Das ist hier nicht der Fall. Zeitnah zum Unfall hat der Kläger lediglich einen Sturz auf die linke Brustkorbseite und damit im Einklang stehend Atembeschwerden und einen Druckschmerz im Bereich der linken seitlichen Brustkorbpartie angegeben (Durchgangsarztbericht vom 23. Januar 1990, Unfallanzeige vom 12. Februar 1990; Bericht des Dr. H. vom 27. August 1993: Seitenstiche links im November 1991; Bericht des Dr. G. vom 27. Juli 1993: Schmerzen beim Gehen unter dem rechten Rippenrand). Im Zeitpunkt der Beendigung der ambulanten Behandlung Anfang März 1990 war der Kläger zudem beschwerdefrei (Stellungnahme des Chirurgen E. vom März 1990). Aber selbst wenn zu Gunsten des Klägers seine aktuelle Schilderung des Unfall-herganges - er sei auf der Treppe mit dem Steißbein aufgekommen - zu Grunde gelegt wird, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn es sind weder zeitnah nach dem Unfall noch in der Zwischenzeit im Bereich der BWS oder LWS strukturelle Verletzungen festgestellt worden, die durch diesen Unfallhergang verursacht sein könnten. In den seit 1990 zahlreich angefertigten bildgebenden Aufnahmen (Röntgen- , Kernspin- und CT- Untersuchungen) sind keine traumatischen, sondern stets nur degenerative, auf Verschleißprozesse zurückzuführende Veränderungen beschrieben worden. Desgleichen gilt für die weiteren vom Kläger angegebenen körperlichen Veränderungen, die ebenfalls nicht ursächlich auf den Unfall zurückgeführt werden können, weil ein entsprechender struktureller Gesundheitsschaden - abgesehen von den folgenlos ausheilenden Rippenfrakturen - nicht festgestellt worden ist. Auch die vom Kläger erstmalig im Berufungsverfahren geltend gemachte Steißbeinentzündung lässt sich nicht auf den Unfall zurückführen. Denn über ent-sprechende Beschwerden hat der Kläger entgegen seiner jetzigen Angaben erst seit Anfang 1997 - 7 Jahre nach dem Unfall - geklagt (vgl. seine Angaben gegenüber Dr. Q. im August 1999, dass er seit 21/2 Jahren unter einer Entzündung im Steißbein leide). Das bloße zeitnahe Auftreten von Gesundheitsstörungen - das sich hier für die Vielzahl der vom Kläger geltend gemachten Beschwerden im Übrigen auch noch nicht einmal feststellen lässt - nach einem Arbeitsunfall reicht für die Bejahung des Kausalzusammenhangs nicht aus. Deshalb vermochte sich auch der Senat nicht der Einschätzung des Dr. G. in dem Arztbrief vom 29. Januar 1997 anzuschließen. Abgesehen davon, dass dieser Arzt sich nur auf die anamnestischen Angaben des Klägers stützt, seit dem Unfall durchgehend unter Beschwerden von Seiten der LWS zu leiden, was sich anhand der medizinischen Unterlagen nicht belegen lässt, hält er einen Kausalzusammenhang auch lediglich wegen des zeitnahen Auftretens der Beschwerden für möglich. Dies ist aber für die Annahme des Ursachenzusammenhangs in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ausreichend.
2.
Weiterhin lässt sich bei dem Kläger keine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV feststellen. Zwar geht die Beklagte nach der Stellungnahme des TAB M. vom Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen dieser BK aus. Der Kläger erfüllt aber nicht die medizinischen Voraussetzungen dieser BK.
So ist auf Grund der Ausführungen des Prof. Dr. P. bereits nicht im Wege des auch insoweit erforderlichen Vollbeweises bewiesen, dass bei dem Kläger eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der BK Nr. 2108 der BKV vorliegt. Die Erkrankung muss in so hohem Maße wahrscheinlich sein, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG Urteil vom 22. September 1977, - 10 RV 15/77 in BSGE 45, 1 ff). Das ist hier nicht der Fall. Denn den Tatbestand der BK Nr. 2108 erfüllt nicht jedes Beschwerdebild im Bereich der LWS, Voraussetzung ist vielmehr eine bandscheibenbedingte Erkrankung (vgl. das zu dieser BK vom Bundesministerium für Arbeit herausgegebene Merkblatt vom 1. März 1993, BArbBl 1993, S. 50 ff). Diese Erkrankung ist, wie sich aus dem den Beteiligten übermittelten Aufsatz des Dr. U. wie auch aus der ständigen Rechtsprechung des Senats ergibt, durch die Höhenminderung des Bandscheibenraumes mit "Erweichung" der Bandscheiben (Diskose) sowie einen klinischen Segmentbefund (provozierbarer Schmerz) und einen vermehrten Muskeltonus (Verspannung) gekennzeichnet. Bei dem Kläger besteht eine Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes lediglich im Segment LWK4/5 (Gutachten der Dr. V. vom Oktober 1995), Höhenminderungen in den übrigen Segmenten der LWS werden nicht beschrieben. Für dieses Segment L4/5 werden aber keine Verspannungen und keine entsprechenden Nervenwurzelreizungen angegeben. So war die LWS bei der Untersuchung durch Dr. Q. nicht verspannt, sondern normal kräftig. Der Neurologe O. hat kein eindeutiges wurzelbedingtes Nervenwurzelreizsyndrom festgestellt, dieses wird auch in den übrigen medizinischen Unterlagen der behandelnden Ärzte nicht beschrieben. Damit in Einklang steht, dass der Kläger wiederholt über Schmerzen im Bereich der oberen LWS - im Bereich des Übergangs von BWS zur LWS - (Bericht des Kreiskrankenhauses F. vom 8. Juli 1992, Gut-achten Dr. K. vom 14. Dezember 1993; Gutachten W., Gutachten Prof. Dr. P. vom 17. Juli 1996) oder aber zwischen den Schulterblättern (Vortragskonzept Dr. Q.) geklagt hat, die sich nicht dem unteren, röntgenologisch veränderten Segment LWK 4/5 zuordnen lassen.
Aber auch wenn zu Gunsten des Klägers eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS unterstellt wird, lässt sich nicht hinreichend wahrscheinlich machen, dass diese durch die Hebe- und Tragevorgänge im Rahmen seiner pflegerischen Tätigkeiten verursacht worden ist. Allein auf Grund der Tatsache, dass der Kläger im Rahmen seines Berufslebens körperlich schwer arbeitete, kann nicht bereits auf einen wahrscheinlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhang seiner Erkrankung mit dieser Tätigkeit geschlossen werden. Zwar findet der Anscheinsbeweis auch in der gesetzlichen Unfallversicherung Anwendung (Schulz-Weidner, SGB 1992, S. 59; Anders/Anders SGb 2000, S. 454) und ist klarstellend für das Berufskrankheitenrecht in § 9 Abs. 3 SGB VII formuliert (s. dazu LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1998 S. 573 ff.; Hauck-Nehls SGB VII, Kommentar K § 9 Rz 32; Brandenburg SGb 1996, S. 430 ff.). Seine Anwendung ist jedoch auf nach der Lebenserfahrung typische Geschehensabläufe beschränkt, bei denen das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes auf eine bestimmte Ursache hinweist. Der behauptete Vorgang muss schon auf den ersten Blick "prima facie" nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster ablaufen. Es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108 eine bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist (BSG, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 -, SGb 1999, S. 39). Der Grund hierfür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen (multifaktorielles Geschehen) beruhen. Dabei steht der natürliche Alterungs- und Degenerationsprozess im Vordergrund, dem die Bandscheiben eines jeden Menschen ab dem 30. Lebensjahr ausgesetzt sind (vgl. dazu Urteil des Senats vom 20. Juli 2000 - L 6 U 328/99). Daraus folgt, dass eine individuelle Kausalitätsbeurteilung erforderlich ist, die deutlich macht, inwieweit der berufsbedingt diagnostizierte Schaden von altersbedingten Verschleißerscheinungen abweicht (so zutreffend Elster, Berufskrankheitenrecht, Komm., 2. Aufl., Stand 1994, Anm. 5 zur BK Nr. 2108).
Der Senat geht in diesem Zusammenhang nach den auch im Aufsatz des Dr. Schröter formulieren Kriterien davon aus, dass eine berufsbedingte Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung u.a. voraussetzt, dass relevante schicksalhafte Ursachen für die Entwicklung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS fehlen. Das ist hier nicht der Fall.
Bei dem Kläger bestehen anlagebedingte Veränderungen der WS - erhebliche Veränderungen im Bereich der BWS nach einer im Jugendalter abgelaufenen Scheuermann`schen Erkrankung sowie eine Fehlstatik der LWS - , die sein Beschwerdebild hinreichend erklären (Gutachten des Prof. Dr. P., Vortragskonzept Dr. Q., Gutachten L.). Im Einklang damit steht, dass der Kläger - wie bereits unter 1. ausgeführt - vornehmlich über Beschwerden im oberen Teil der LWS bzw. im Übergang der BWS zur LWS klagt, die den Veränderungen des M. Scheuermann im unteren Drittel der BWS und oberen Bereich der LWS entsprechen.
Letztendlich ist aber auch nicht im Wege des Vollbeweises nachgewiesen, dass der Kläger seine Tätigkeit im Altenheim seiner Ehefrau im Dezember 1991 wegen der Beschwerden von Seiten der LWS aufgegeben hat. Tatbestandsvoraussetzung für die BK Nr. 2108 ist auch, dass der Versicherte die berufliche Tätigkeit, die er als Ursache für seine LWS-Erkrankung anführt, aus eben den Gründen der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS endgültig aufgegeben hat. Das ist hier nicht belegt. Denn der Kläger hat zeitnah zur Aufgabe seiner Tätigkeit im Dezember 1991 stets nur über Schmerzen im Bereich des Brustkorbes oder der BWS, aber nicht über Beschwerden von Seiten der LWS geklagt. Hierauf hat die Beklagte in ihren Bescheiden zutreffend hingewiesen.
Für die Einholung weiterer Gutachten von Amts wegen bestand keine Veranlassung. Der Senat hält den Sachverhalt sowohl hinsichtlich der Folgen des Arbeits-unfalls vom 21. Januar 1994 als auch wegen der Frage der BK Nr. 2108 für ausreichend geklärt. Insbesondere bedurfte es keiner medizinischer Ermittlungen unter Berücksichtigung des aktuell vom Kläger geschilderten Unfallherganges, da im Bereich der LWS und BWS von den bereits gehörten Gutachtern und Sach-verständigen keine Unfallfolgen festgestellt werden konnten. Weiterhin erübrigte sich ein weiteres Gutachten zur Kausalitätsbeurteilung der BK Nr. 2108, denn es lässt sich nach den vorliegenden Gutachten weder das Krankheitsbild der bandscheiben-bedingten Erkrankung iSd BK Nr. 2108 feststellen, noch erfüllt der Kläger den Unterlassungszwang dieser BK. Den Hilfsanträgen brauchte daher nicht nachgegangen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).