Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 31.07.2003, Az.: L 10 LW 37/02

Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte; Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzung für Befreiung; Tätigkeit als Fiktiv-Landwirtin; Versicherungsfreiheit des Ehegatten; Betreiben eines landwirtschaftlichen Unternehmens; Verstoß gegen höherrangiges Recht

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
31.07.2003
Aktenzeichen
L 10 LW 37/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20043
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0731.L10LW37.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 22.11.2002 - AZ: S 10 LW 10/00

Redaktioneller Leitsatz

Der Gesetzgeber ist zur Schaffung einer eigenständigen Alterssicherung der Landwirtsehegatten nach den Erfordernissen der Massenverwaltung berechtigt, pauschalierende und typisierende Regelungen in Kraft zu setzen. Ferner kommt ihm ein weiter Gestaltungsspielraum hierbei zu.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 22. November 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Klägerin zur Alterssicherung der Landwirte gemäß § 1 Abs. 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG), hilfsweise darüber, ob die Klägerin von der Versicherungspflicht zu befreien ist.

2

Die 1946 geborene Klägerin ist Ehefrau des 1933 geborenen landwirtschaftlichen Unternehmers Dr. I ... Dieser erfüllt seit März 1999 die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen einer Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 2 ALG, ist jedoch seit diesem Zeitpunkt nach § 2 Nr. 1 Buchst. a ALG versicherungsfrei. Die Klägerin selbst ist nicht berufstätig.

3

Mit Bescheid vom 26. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2000 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin gemäß § 1 Abs. 3 ALG ab 1. Juli 1999 fest. Mit weiterem Bescheid vom 26. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2000 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht ab 1. Juli 1999 ab, weil die Klägerin kein Einkommen beziehe, auf das eine Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 1 ALG gestützt werden könne. Die Klägerin hat gegen beide Bescheide bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage zum Az.: S 10 LW 10/00 erhoben.

4

Mit Bescheid vom 29. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2001 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin gemäß § 1 Abs. 3 ALG auch bereits für die Zeit vom 1. März bis 30. Juni 1999 fest. Hiergegen richtet sich die beim SG Lüneburg zum Az.: S 10 LW 10/01 erhobene Klage.

5

Mit weiterem Bescheid vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2001 lehnte die Beklagte eine Befeiung der Klägerin von der Versicherungspflicht für die Zeit von März bis Juni 1999 ab, weil die Klägerin auch in diesem Zeitraum kein entsprechendes Einkommen gehabt habe. Die Klägerin hat insoweit Klage beim SG Lüneburg zum Az.: S 10 LW 20/01 erhoben.

6

Das SG Lüneburg hat die drei genannten Klageverfahren durch Beschluss vom 19. August 2002 unter dem Az.: S 10 LW 10/00 miteinander verbunden. Es hat die Klagen sodann mit Gerichtsbescheid vom 22. November 2002 abgewiesen.

7

Mit ihrer hiergegen am 19. Dezember 2002 eingelegten Berufung vertritt die Klägerin die Auffassung, dass die Beklagte zu Unrecht ihre Versicherungspflicht nach § 1 Abs. 3 ALG angenommen habe. Sie habe mit dem landwirtschaftlichen Unternehmen ihres Ehemann nichts zu tun und wohne dort auch nicht. Durch die Altersversorgung ihres Ehemannes als früheren Richters sei sie genügend abgesichert. Sie brauche und wolle deshalb eine zusätzliche Absicherung nach dem ALG nicht. Jedenfalls müsse sie die Beklagte von der Versicherungspflicht befreien, denn sie erhalte von ihrem Ehemann Unterhalt, der ein Einkommen außerhalb der Land- und Forstwirtschaft darstelle und ein Siebtel der Bezugsgröße überschreite. Sie hält die einschlägigen gesetzlichen Regelungen des ALG insgesamt für ungerecht.

8

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 22. November 2002 aufzuheben,

  2. 2.

    den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1999 (Feststellung der Versicherungspflicht) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2000 sowie den weiteren Bescheid vom 29. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2001 aufzuheben,

hilfsweise,

den Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 1999 (Ablehnung einer Befreiung von der Versicherungspflicht) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2000 und den weiteren Bescheid vom 8. März 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie ab 1. März 1999 von der Versicherungspflicht zur Alterssicherung der Landwirte zu befreien.

9

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 22. November 2002 zurückzuweisen.

10

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die mit ihm überprüften Verwaltungsakte für rechtmäßig.

11

Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

13

Das SG hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig. Die Beklagte hat zu Recht die Versicherungspflicht der Klägerin gemäß § 1 Abs. 3 ALG seit 1. März 1999 festgestellt und zutreffend eine Befreiung von der Versicherungspflicht ab diesem Zeitpunkt gemäß § 3 Abs. 1 ALG mangels Vorliegens der tatbestandsmäßigen Voraussetzung abgelehnt.

14

Um Wiederholungen zu vermeiden, nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die in allen Punkten zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug. Lediglich zusammenfassend ist auf Folgendes hinzuweisen:

15

Die Beklagte hat in ihren Bescheiden vom 26. Oktober 1999 und 29. Juni 2000 zu Recht festgestellt, dass die Klägerin seit März 1999 versicherungspflichtige Fiktiv-Landwirtin gemäß § 1 Abs. 3 ALG ist. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vollständig vor: Der Ehemann der Klägerin ist seit Juni 1999 Landwirt gemäß § 1 Abs. 2 ALG, die Klägerin lebt seither nicht dauernd getrennt von ihrem Mann, und Anhaltspunkte für eine arbeitsmarktunabhängige Erwerbsunfähigkeit bzw. eine volle Erwerbsminderung der Klägerin sind nach dem Akteninhalt nicht ersichtlich. Der Versicherungspflicht der Klägerin steht nicht entgegen, dass ihr Ehemann seinerseits versicherungsfrei gemäß § 2 Nr. 1 a ALG ist. Allein maßgeblich ist insoweit die Eigenschaft des Ehegatten als landwirtschaftlicher Unternehmer - mag damit eine Versicherungspflicht verbunden sein oder nicht (vgl. GLA-Komm. § 1 ALG 2.1). Dass die Klägerin nicht mit in dem landwirtschaftlichen Unternehmen wohnt, begründet kein dauerndes Getrenntleben der Ehegatten, denn diese halten ersichtlich an der ehelichen Lebensgemeinschaft fest. Vor diesem Hintergrund war die Beklagte nicht nur berechtigt, sondern zwingend gehalten, die beitragspflichtige Versicherungspflicht der Klägerin festzustellen.

16

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt ihre Einbeziehung in den Kreis der versicherungspflichtigen Landwirte gemäß § 1 Abs. 3 ALG auch nicht gegen höherrangiges Recht. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in zahlreichen Urteilen entschieden, dass die vom Gesetzgeber zum 1. Januar 1995 eingeführte eigenständige Versicherungspflicht der Landwirtsehegatten unter keinem Gesichtspunkt gegen geltendes Verfassungsrecht verstößt - selbst dann nicht, wenn der betroffene Landwirtsehegatte in keiner Weise in dem landwirtschaftlichen Unternehmen tätig ist (vgl. z.B. BSGE 81, 294 ff; 83, 145 ff; Urteil vom 28. Januar 1999 - B 10 LW 21/98 R -). Dem folgt der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung. In seinem Bestreben, den Landwirtsehegatten, d. h. typischerweise den Ehefrauen von Landwirten, eine eigenständige Alterssicherung zu schaffen, hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum. Insbesondere ist er nach den Erfordernissen der Massenverwaltung berechtigt, pauschalierende und typisierende Regelungen in Kraft zu setzen. So ist es insbesondere nicht zu beanstanden, dass sich unter den von § 1 Abs. 3 ALG erfassten Landwirtsehegatten auch in geringer Zahl solche befinden, die in keiner Weise mit dem landwirtschaftlichen Unternehmen zu tun haben.

17

Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, insbesondere durch die Versorgungsansprüche ihres Ehemannes hinreichend für das Alter gesichert zu sein und deshalb keines Versicherungsschutzes durch die landwirtschaftliche Alterssicherung zu bedürfen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Eine vom Gesetzgeber geschaffene solidarische Absicherung gegen die Risiken des Alters und der Invalidität in Form einer Sozialversicherung muss sich hinsichtlich des Kreises der Versicherungspflichtigen an objektiven Kriterien ausrichten und kann - über den Umfang gesetzlich vorgesehener Befreiungstatbestände hinaus - nicht vom bloßen Zugehörigkeitswillen des einzelnen Betroffenen abhängen.

18

Die Beklagte hat auch zu Recht mit ihren Bescheiden vom 26. Oktober 1999 und 8. März 2001 eine Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 1 ALG abgelehnt. Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor, denn die Klägerin bezieht kein Einkommen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG, und die Befreiungstatbestände in § 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 ALG greifen im vorliegenden Fall ersichtlich nicht ein. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG können sich die Landwirte von der Versicherungspflicht befreien lassen, die zeitgleich eine anderweitige adäquate Absicherung gegen Alter und Invalidität aufbauen. Das ist im Fall der Klägerin nicht gegeben. Dass sie von ihrem Ehemann unterhalten wird, begründet eine solche anderweitige Absicherung nicht, denn hieraus erwächst keine Rentenanwartschaft. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, dass bei der Frage, ob die für einen Anspruch auf Beitragszuschuss bestehenden Einkommensgrenzen gewahrt sind, die Einkommen beider Ehegatten zusammengerechnet und für jeden Ehegatten hälftig in Ansatz gebracht werden. In diesem Fall geht es um das Bedürfnis nach Beitragszuschuss. Hier indes kommt es allein darauf an, ob der betreffende Landwirt anderweit gegen die Risiken des Alters und der Invalidität abgesichert ist.

19

Soweit die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 17. Februar 2000 eine Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 3 ALG abgelehnt hat, ist dieser Bescheid mangels Erhebung eines Widerspruchs bestandskräftig geworden. Er ist deshalb nicht Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens. Gleichwohl ist nicht zu erkennen, dass dieser Bescheid rechtswidrig ist. Denn unter Berücksichtigung der in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Klägerin vorgemerkten 101 Pflichtbeiträge, die gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ALG auf die Wartezeit einer Altersrente im Sinne von § 11 ALG angerechnet werden, bestand im Juni 1999 durchaus die Möglichkeit, dass die Klägerin bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres mit den zur Alterssicherung der Landwirte zu entrichtenden Beiträgen die Wartezeit von 180 Monaten erfüllen konnte.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

21

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.