Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.07.2003, Az.: L 6 U 170/01
Weitergewährung von Verletztenrente wegen der Folgen der anerkannten Berufskrankheit Nr. 1303 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV); Beschäftigung als Modellbauer in einer Kunststoff verarbeitenden Firma; Umgang mit Lösemitteln (Benzylperoxid, Butanonperoxid), Aceton und Formaldehyd sowie Styrol; Erkrankung an einer Polyneuropathie; Bewertung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Polyneuropathie
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 17.07.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 170/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21084
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0717.L6U170.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 15.03.2001 - AZ: S 3 U 33/95
Rechtsgrundlagen
- § 551 Abs. 1 RVO
- § 581 Abs. 1 RVO
Redaktioneller Leitsatz
Maßgebend für die Höhe der MdE ist die tatsächlich bestehende BK-bedingte Funktionseinschränkung. Zu deren Beurteilung bilden die ärztlichen Einschätzungen eine wichtige und vielfache unentbehrliche Grundlage für das Gericht. Darüber hinaus sind auch die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum entwickelten allgemeinen unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätze heranzuziehen. Diese sind - ebenso wie die ärztlichen Einschätzungen - im Einzelfall zwar nicht bindend, aber geeignet, als Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in den zahlreichen Parallelfällen der Praxis zu dienen.
Wesentlich für die Bewertung der MdE bei einer Polyneuropathie ist das Ausmaß der sensomotorischen Störungen. Eine MdE von 20 v.H. kommt nach den unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen erst in Betracht bei leichten bis mittelschweren sensiblen Störungen einschließlich beeinträchtigender Reizerscheinungen und/oder leichten motorischen Störungen mit leichtgradiger Auswirkung auf die Geh- und Stehfähigkeit.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 15. März 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Verletztenrente wegen der Folgen einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1303 (Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder durch Styrol) der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) in Höhe von 20 v.H. der Vollrente auch über den 31. Mai 1990 hinaus.
Der im Oktober 1941 geborene Kläger war nach Abschluss seiner Berufsausbildung zum Tischler (1958) zunächst bis 1978 als Bootsbauer und Schiffszimmerer und anschließend bis Mai 1984 als Werkstattleiter/Monteur in einem Unternehmen für Rollladenbauelemente tätig. Von August 1984 bis Juni 1989 arbeitete er als Modellbauer in einer Kunststoff verarbeitenden Firma. Jedenfalls während dieser letzten Zeit seiner Beschäftigung hatte er Umgang mit Lösemitteln (Benzylperoxid, Butanonperoxid), Aceton und Formaldehyd sowie Styrol (Stellungnahmen der technischen Aufsichtsbeamten (TAB) Dipl.-Ing. C. vom 19. Februar 1990; Messbericht vom 16. Dezember 1988; Stellungnahme des Dr. D. vom 19. Juni 1991). Danach war er arbeitsunfähig erkrankt und bezieht inzwischen Leistungen vom Arbeitsamt.
Die Norddeutsche Metall-BG hat mit Bescheid vom 4. März 1996 bei dem Kläger eine BK Nr. 4103 (Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura) anerkannt, die Gewährung von Verletztenrente mangels einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in rentenberechtigendem Grade aber abgelehnt.
Im September 1985 befand sich der Kläger wegen Ausschluss einer cerebralen Erkrankung bei reaktiv depressivem Erschöpfungszustand in der stationären Behandlung der neurologischen Abteilung des E. (Entlassungsbericht vom 6. November 1985). Im Oktober 1989 teilte der Hausarzt Dr. F. der Beklagten mit, der Kläger stehe seit Juni 1989 bei ihm wegen einer Polyneuropathie (PN) in Behandlung. Er äußerte den Verdacht auf einen toxischen Ursprungs dieser Erkrankung (Arztbrief vom 9. Oktober 1989). Im November 1989 erstattete er eine Anzeige wegen einer BK Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe). Der Neurologe Dr. G. diagnostizierte im Juni 1989 ein Carpaltunnel-Syndrom, möglicherweise im Sinne einer Schwerpunkt-PN (Arztbrief vom 8. Juni 1989) und im Oktober 1989 eine distale PN wahrscheinlich toxischer Genese (Arztbrief vom 13. Oktober 1989). Seit 28. August 1989 bestand wegen der PN Arbeitsunfähigkeit (Auskunft der AOK vom 8. November 1989). Die Beklagte zog das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK und die medizinischen Unterlagen der LVA Hannover über Behandlungen des Klägers u.a. wegen einer chronischen Gicht, eines Leberzellschadens unklarer Genese und einer Periathropathia humero scapularis im Sinne eines Supraspinatus-Syndroms bei. Danach erstatteten die Ärzte für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. H., I., ihr Gutachten vom 6. Januar 1992 nach einer stationären Untersuchung des Klägers im November 1991. Ihnen gegenüber gab der Kläger Blasenbildungen an beiden Füßen, schmerzhafte Schwellungen der kleinen Gelenke an Händen, Füßen und des Gesichts, Taubheitsgefühle an Händen und Füßen sowie Muskelschmerzen in Armen und Beinen an. Die Muskel- und Gelenkschmerzen hätten sich inzwischen wieder zurückgebildet. Bei der klinisch-neurologischen Untersuchung ließen sich die Beschwerden des Klägers nicht objektivieren. Sämtliche Nervenleitgeschwindigkeiten lagen im Normbereich. Pathologisch auffällig war im cranialen CT eine corticale Hirnsubstanzminderung und erhebliche Durchblutungsstörungen im Gehirn, die nach Einschätzung der Gutachter mit einer subklinischen degenerativen Erkrankung wie z.B. einer Frontalhirndegeneration vereinbar war, deren Ursache unbekannt sei. Prof. Dr. H. stellten keine PN fest und verneinten deshalb auch das Vorliegen einer BK. Weiterhin empfahlen sie einen Arbeitsplatzwechsel, da der Kläger wegen der psychisch fixierten Vorstellung einer toxischen Schädigung die bisherige Tätigkeit nicht mehr verrichten könne. Die Diplompsychologin J. (Gutachten vom 2. Januar 1992) fand keine eindeutigen Hinweise auf eine hirnorganische Beeinträchtigung im intellektuellen Bereich.
Der Landesgewerbearzt Dr. K. führte die vom Kläger am 17. Oktober 1989 angegebenen Befindlichkeitsstörungen bei der Herstellung der Polyesterformen (Übelkeit, Augenreizungen und Brechgefühle) auf die Styrolexposition zurück. Möglicherweise sei es hierdurch auch zu Leberfunktionsstörungen und einer leichten PN gekommen. Mit ausreichender Wahrscheinlichkeit lasse sich jetzt aber ein Zusammenhang dieser früher festgestellten Störungen mit der beruflichen Tätigkeit nicht herstellen (Stellungnahme vom 15. Mai 1992). Prof. Dr. L., Zentralinstitut für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg, diagnostizierten in ihrem Gutachten vom 7. März 1994 unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten medizinischen Unterlagen eine Pleuraasbestose, eine Adipositas mit Fettstoffwechselstörung, Fettleber und leichter Hyperurikämie, verstärkte Kyphose der Brustwirbelsäule mit degenerativen Veränderungen, eine Periarthropathia humero scapularis rechts ohne Einschränkung der Gelenkbeweglichkeit und eine anamnestisch bekannte (subklinische) degenerative Erkrankung des Zentralnervensystems. Zwar gehe von bestimmten Halogenkohlenwasserstoffen eine lebertoxische Wirkung aus, gegenüber diesen Substanzen sei der Kläger aber nicht in nennenswertem Umfang exponiert gewesen. Styrol verursache Leberenzymveränderungen erst nach ganz erheblichen, das zwanzigfache des MAK-Wertes übersteigenden Konzentrationen. Zudem heilten diese berufsbedingten Lebererkrankungen nach Beendigung der Exposition zumeist aus und bestünden nicht noch Jahre nach Aufgabe der belastenden Tätigkeit wie beim Kläger. Ein Zusammenhang der Lebererkrankung mit der Styrolbelastung beim Kläger sei daher nicht wahrscheinlich. Vielmehr sei die Fettleber wie auch die anderen internistischen Erkrankungen auf das Übergewicht des Klägers zurückzuführen. Die Gutachter bejahten lediglich eine BK Nr. 4103, verneinten aber eine BK aus anderen Gründen. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 1994 die Anerkennung einer BK Nr. 1302, 1303 bzw. die Entschädigung wie eine BK nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) ab. Die Gesundheitsstörungen des Klägers seien nicht mit Wahrscheinlichkeit auf seinen beruflichen Umgang mit Benzylperoxid, Butanonperoxid, Aceton, Formaldehyd sowie Styrol zurückzuführen.
Im Widerspruchsverfahren verwies Dr. D. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 11. November 1994 auf die Äußerungen der anerkannten und qualifizierten Gutachter Prof. Dr. M. und Prof. Dr. N. sowie die im Arztbrief des Dr. O. vom 28. August 1990 beschriebene psychische Befindlichkeit des Klägers. Er empfahl deshalb eine baldige Entscheidung des Verfahrens, damit keiner weiteren neurotischen Fixierung Vorschub geleistet werde. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 1995 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20. April 1995 Klage erhoben und den Brief des Arztes P. vom 15. Dezember 1995 sowie Sicherheitsdatenblätter überreicht. Die Beklagte hat zwei Stellungnahmen ihres TAB Dipl.-Ing. Q. vom 20. September 1996 und 18. Dezember 1996 sowie Sicherheitsdatenblätter vorgelegt. Das Sozialgericht (SG) hat den Befundbericht des Dr. F. vom 7. November 1995 und dessen medizinische Unterlagen sowie den Bericht des Dr. G. vom 17. November 1995 eingeholt. Danach sind im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes vom 13. August 1998 der Kläger angehört und seine Arbeitskollegen R. als Zeugen zu den Arbeitsbedingungen in der Firma S. vernommen worden.
Anschließend hat die Beklagte eine weitere Stellungnahme des TAB Dipl.-Ing. T. vom 15. Oktober 1998 vorgelegt und eine zwar nicht dauerhafte, aber doch sehr häufige Überschreitung der Grenzwerte gegenüber Lösemitteln zugestanden. Sie hat geltend gemacht, dass der fehlende Rückgang der Beschwerden des Klägers auch 9 Jahre nach Beendigung der beruflichen Exposition gegen den beruflichen Zusammenhang seiner PN spreche. Das SG hat ein Gutachten des Neurologen Prof. Dr. U. vom 14. Januar 1999 eingeholt. Danach ist auf Antrag des Klägers das Gutachten des Arztes für innere Medizin, Arbeitsmedizin, Hygiene und Umweltmedizin, Prof. Dr. V., Universitätsklinik W., vom 7. August 2000 erstattet worden. Der Kläger ist dessen MdE-Bewertung mit 10 v.H. der Vollrente mit einer Äußerung des Dr. F. vom 1. November 2000 entgegengetreten. Daraufhin hat das SG ein Gutachten des Neurologen Dr. X., Oberarzt der neurologischen Klinik des Y., Lehrkrankenhaus der Universität Z., vom 15. Januar 2001 und dessen ergänzende Stellungnahme vom 1. Februar 2001 eingeholt. Gestützt auf das Ergebnis der Beweisaufnahme hat das SG Aurich mit Urteil vom 15. März 2001 die angefochtenen Bescheide der Beklagten abgeändert und die Beklagte verurteilt, entsprechend deren Teilanerkenntnis vom 16. November 2000 dem Kläger wegen der Folgen einer BK Nr. 1303 der Anlage zur BKV eine Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente von Juni 1989 bis Mai 1990 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Beklagte verurteilt, dem Kläger 1/5 seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Beklagte im Schriftsatz vom 16. November 2000 eine PN als Folge einer BK Nr. 1303 beim Kläger anerkannt und sich der MdE-Bewertung des Prof. Dr. V. angeschlossen habe. Hierbei handele es sich um ein verbindliches Anerkenntnis, an das die Beklagte gebunden sei. Deshalb habe sie dem Kläger für die Zeit vom Juni 1989 bis Mai 1990 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen. Der Kläger habe aber keinen darüber hinausgehenden Anspruch auf Verletztenrente. Denn Prof. Dr. V. habe nachvollziehbar unter Berücksichtigung der Messergebnisse der Nervenleitgeschwindigkeiten und der Zehenheberparese dargelegt, dass die PN ab Juni 1990 weitgehend abgeklungen sei. Seit diesem Zeitpunkt sei weder eine Zehenheberparese noch verminderte Nervenleitgeschwindigkeiten beschrieben worden. Deshalb habe auch Prof. Dr. M. bei der Untersuchung im November 1991 keine Anzeichen einer PN mehr gefunden. Dieser Krankheitsverlauf decke sich mit der Erkenntnis, dass sich eine durch Lösemittel bedingte PN in enger Beziehung zur Exposition entwickele und nach Beendigung derselben auch wieder zurückbilde. Die von Prof. Dr. U. erneut nachgewiesene Neuropathie sei deshalb wegen des fehlenden zeitlichen Zusammenhangs nicht auf die frühere Lösemittelexposition zurückzuführen. Wahrscheinliche Ursache sei der erstmals 1995 diagnostizierte Diabetes Mellitus. Auch die übrigen Erkrankungen des Klägers seien nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die frühere Styrol- und Lösemittelbelastung verursacht worden. Von Prof. Dr. N. wie auch Prof. Dr. V. sei übereinstimmend darauf hingewiesen worden, dass die Styrolbelastung des Klägers nicht hoch genug gewesen sei, um einen Leberzellschaden herbeizuführen. Die Leberverfettung des Klägers stehe vielmehr im Zusammenhang mit seinem Übergewicht, auf das auch die Fettstoffwechselstörung, die Gicht und die Schulterbeschwerden zurückzuführen sei. Ferner sei auch die degenerative Erkrankung des Gehirns wie auch die neurotische Fehlentwicklung des Klägers nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge der BK. Es könne zwar zutreffen, dass sich die Dauer des Verfahrens ungünstig auf das seelische Allgemeinbefinden ausgewirkt habe. Die Tatsache, dass bereits vor Auftreten der PN im September 1985 ein reaktiv depressiver Erschöpfungszustand diagnostiziert worden sei, spreche für eine persönlichkeitsbedingte und damit berufsunabhängige Entstehung der neurotischen Fehlentwicklung.
Gegen dieses ihm am 5. April 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. April 2001 Berufung eingelegt. Er trägt vor, er leide unter unerträglichen Nervenschmerzen. Entgegen der Auffassung des Dr. X. sei sein Diabetes Mellitus erst 2000 aufgetreten und diätetisch eingestellt. Er verweise auf das Attest des Dr. F. vom 14. März 2001.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des SG Aurich vom 15. März 2001 abzuändern und
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente über den 31. Mai 1990 hinaus zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Aurich vom 15. März 2001 zurückzuweisen.
Die Beklagte hat wegen der Folgen der BK Nr. 1303 mit Bescheid vom 3. August 2001 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente vom 8. Juni 1989 bis 31. Mai 1990 gewährt. Im Übrigen hält sie das Urteil des SG Aurich unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme für zutreffend.
Der Kläger hat das Attest des Dr. F. vom 14. März 2001 und das Gutachten der Pneumologin Dr. von AB. vom 30. Mai 2002 überreicht. Der Senat hat einen Bericht des Dr. F. vom 20. November 2002 nebst dessen Krankenakte beigezogen. Die Beklagte hat eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. D. vom 5. Februar 2003 vorgelegt.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat über den 31. Mai 1990 hinaus keinen Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen der BK Nr. 1303 der Anlage zur BKV nach den auf diesen Sachverhalt noch anwendbaren §§ 551, 581 RVO (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 SGB VII). Das Urteil des SG Aurich vom 15. März 2001 und der auf seiner Grundlage ergangene Bescheid der Beklagten vom 3. August 2001 sind zutreffend ergangen.
Die Folgen der bei dem Kläger anerkannten BK Nr. 1303 der Anlage zur BKV rechtfertigen ab 1. Juni 1990 keine MdE in Höhe von 20 v.H. der Vollrente. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG Aurich vom 15. März 2001 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG).
Lediglich hinsichtlich des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird wie folgt ergänzt:Maßgebend für die Höhe der MdE ist die tatsächlich bestehende BK-bedingte Funktionseinschränkung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 150). Zu deren Beurteilung bilden die ärztlichen Einschätzungen eine wichtige und vielfache unentbehrliche Grundlage für das Gericht. Darüber hinaus sind auch die von der Rechtsprechung und dem versicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum entwickelten allgemeinen unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätze heranzuziehen. Diese sind - ebenso wie die ärztlichen Einschätzungen - im Einzelfall zwar nicht bindend (BSGE 4, 147; 6, 267), aber geeignet, als Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in den zahlreichen Parallelfällen der Praxis zu dienen (BSG Urteil vom 26. November 1987, Az: 2 RU 22/87 in SozR 2200 § 581 RVO Nr. 27). Wesentlich für die Bewertung der MdE bei einer PN ist das Ausmaß der sensomotorischen Störungen. Eine MdE von 20 v.H. kommt nach den unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen erst in Betracht bei leichten bis mittelschweren sensiblen Störungen einschließlich beeinträchtigender Reizerscheinungen und/oder leichten motorischen Störungen mit leichtgradiger Auswirkung auf die Geh- und Stehfähigkeit (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O. S. 335). Störungen mit derartigem Ausmaß sind von den zahlreichen Gutachtern und Sachverständigen zumindest ab Mai 1990 nicht festgestellt worden (vgl zusammenfassend die übersichtliche Darstellung im Gutachten des PD Dr. V., S. 14 f). Eine deutliche Fußheber- und Großzehenparese beidseits Grad III bestand zuletzt im Dezember 1989, danach wurden keine entsprechenden Feststellungen mehr getroffen bzw. eine Zehenparese auch ausdrücklich ausgeschlossen. Auch die den Kläger langjährig behandelnden Neurologen Dres. BB. haben bereits im März und erneut im August 1990 mitgeteilt, dass sich der neurologische Status beim Kläger normalisiert habe und elektroneurographische Auffälligkeiten nicht mehr nachweisbar seien (Arztbriefe vom 2. März 1990 und 29. August 1990). Dahingestellt bleiben kann, ob die von Prof. Dr. U. im Januar 1999 beschriebene Verminderung der sensiblen Leitungsgeschwindigkeit des N. ulnaris beidseits auf die beruflich bedingte PN zurückzuführen ist. Dagegen spricht, dass diese Veränderung sich erst zwischen der Untersuchung bei Prof. Dr. M. im November 1991 und der Untersuchung bei Prof. Dr. U. im Januar 1999 und damit über zwei Jahre nach Beendigung der beruflichen Exposition entwickelt hat (Gutachten Prof. Dr. U., Gutachten des Dr. X., Stellungnahme des Dr. D.). Weiterhin ist bei dem Kläger seit Dezember 1995 eine diabetische Stoffwechsellage bekannt (Arztbrief des Internisten Dr. CB. vom 15. Dezember 1995), die diese Verminderung der Nervenleitgeschwindigkeit hinreichend erklärt (Gutachten des Prof. Dr. U., Gutachten des Dr. X.). Das Attest des Dr. F. vom 14. März 2001 führt zu keiner anderen Beurteilung.
Auch wenn der Diabetes des Klägers erst im Jahre 2000 in Erscheinung getreten sein mag - hiergegen spricht allerdings der Arztbrief des Dr. CB. vom 15. Dezember 1995, der auch dieser Diagnose entsprechende Glukosetoleranzwerte mitgeteilt hat (Gutachten des Dr. X. S. 4) - so erklärt doch die vorbestehende noch nicht behandlungsbedürftige Stoffwechsellage die Verminderung der Nervenleitgeschwindigkeit hinreichend. Aber auch wenn die Verringerung der Nervenleitgeschwindigkeit des N. ulnaris zu Gunsten des Klägers auf die als BK anerkannte PN zurückgeführt würde, ergäbe sich hieraus kein Rentenanspruch ab Juni 1990. Denn es handelt sich hierbei lediglich um eine geringfügige, unwesentliche Funktionseinschränkung. Prof. Dr. U. hat ebenso wie Dr. X. fast zwei Jahre später (Dezember 2000) die Verringerung der Nervenleitgeschwindigkeit als knapp unter der Norm liegend bezeichnet und keine damit verbundene Einschränkungen beschrieben und Paresen oder Anzeichen für Schädigungen motorischer Nerven ausdrücklich verneint.
Weiterhin ist auch die psychische Fehlentwicklung des Klägers keine Folge der PN und rechtfertigt deshalb keine Höherbewertung der MdE ab Juni 1990. Diese vor allem von den behandelnden Neurologen und Psychiatern Dres. DB. seit August 1990 beschriebene neurotische Fehlentwicklung (z.B. im Arztbrief vom 28. August 1990) des Klägers ist zwar in einem zeitlichen Zusammenhang mit der PN aufgetreten, ist aber durch diese nicht verursacht worden. Diese Fehlentwicklung hat sich nicht auf Grund der mit der PN verbundenen gesundheitlichen Folgen herausgebildet. Die Beschwerden von Seiten der PN waren nicht so erheblich und weit reichend, dass sich hiermit die Entwicklung einer psychischen Störung erklären ließe. Hiervon sind auch weder die behandelnden Dres. BB. ausgegangen, noch hat der Kläger entsprechende Angaben gemacht. Vielmehr beruht die psychische Störung des Klägers auf seinem Gefühl, von den Behörden - insbesondere von der Beklagten - ungerecht behandelt worden zu sein (Arztbriefe der Dres. BB., Stellungnahme des Dr. D. vom 5. Februar 2003). Für eine derartige Entwicklung - auch wenn sie mit dem Verfahren zur Feststellung einer BK in einem engen zeitlichen Zusammenhang steht - ist aber nicht das ordnungsgemäß verlaufene behördliche Verfahren, sondern die entsprechende persönlichkeitsbedingte Veranlagung die rechtlich wesentliche Ursache. Auch die den Kläger seit 1992 begutachtenden Neurologen und Psychiater Prof. Dr. M., Prof. Dr. U. und Dr. X. haben unter Berücksichtigung der umfangreichen medizinischen Unterlagen deshalb keinen entsprechenden Kausalzusammenhang bejaht.
Eine weitere medizinische Beweisaufnahme von Amts wegen ist nicht erforderlich. Der Senat hält den Sachverhalt auch hinsichtlich der Beurteilung der psychischen Gesundheitsstörung durch die Gutachten des Prof. Dr. M., Prof. Dr. U. und Dr. X. und der Stellungnahme des Dr. D. für ausreichend geklärt.
Die vom Kläger angegebenen Schmerzen im ganzen Körper, die nach Einschätzung des Dr. F. eine MdE in rentenberechtigendem Grade bedingen, sind nicht Folge der PN, sondern Ausdruck einer somatoformen Schmerzstörung, die nicht zu objektivieren und deren Ursache nicht geklärt ist (Bericht des EB. vom 3. Februar 1997, Gutachten des Dr. FB. vom MDKN vom September 1990, Arztbrief der Dres. BB. vom 28. August 1990).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Verletztenrente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente wegen eines Stützrententatbestandes nach § 581 Abs. 3 RVO. Die von der Norddeutschen Metall-BG anerkannte BK Nr. 4301 (Asbestose) des Klägers hat nach dem aktuellen Untersuchungsergebnis keine MdE, und zwar auch nicht in Höhe von 10 v.H. der Vollrente, zur Folge. Denn Dr. GB. hat bei der Untersuchung im Mai 2002 keine pathologischen pneumologischen Befunde erhoben (Gutachten vom 30. Mai 2002, S. 7). Die Lungenfunktion des Klägers lag grenzwertig im Normalbereich, es bestand nur eine diskrete Einschränkung und keine relevante Restriktion (Gutachten S. 5, 8 und 9). Deshalb hat Dr. GB. auch zutreffend keine MdE festgestellt. Damit in Übereinstimmung steht, dass der Kläger selbst gegenüber der Gutachterin pulmonale Beschwerden verneint hat. Angesichts der fehlenden Funktionseinbußen auf pulmonalem Gebiet brauchte der Senat sich nicht mit der Frage auseinander setzen, ob eine asbestosebedingte Funktionseinbuße von unter 20 v.H. medizinisch überhaupt feststellbar ist (BSG Urteil vom 10. März 1994, Az 2 RU 13/93 sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S. 1098).
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen ( § 160 Abs. 2 SGG).