Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.07.2003, Az.: L 6 U 414/01

Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer Berufskrankheit; Anspruch auf eine Verletztenrente; Medizinische Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit; Verursachung der Erkrankung durch Einwirkungen des Listenstoffes; Belegung durch medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse; Zusammenhang zwischen einer Hörstörung und einer Quecksilberexposition

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
17.07.2003
Aktenzeichen
L 6 U 414/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0717.L6U414.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 11.09.2001 - AZ: S 7 U 87/98

Redaktioneller Leitsatz

Voraussetzung für die Anerkennung einer Erkrankung aufgrund des Kontaktes mit einem schädigenden Stoff als Berufskrankheit ist zum einen, dass dieser Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zu verursachen oder zu verschlimmern, d.h. es muss generell nachgewiesen sein, dass in einer bestimmten Berufsgruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erheblich erhöhtes Erkrankungsrisiko besteht. Zum anderen ist erforderlich, dass die vorliegende Erkrankung im Einzelfall durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 11. September 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner Gesundheitsstörungen als Folgen einer Berufskrankheit (BK) Nr. 1102 (Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen) und die Zahlung einer Verletztenrente.

2

Der 1928 geborene Kläger war von 1950 bis 1988 bei der C. als Monteur beschäftigt. Am 24. September 1996 zeigte er eine BK an, die er auf die Exposition gegenüber Quecksilber in den 50er und 60er-Jahren zurückführte. Er gab an, während dieser Tätigkeit einen metallischen Geschmack im Mund gehabt zu haben. Seit über 10 Jahren habe er keinen Geruchs- und Geschmackssinn mehr, das Gehör sowie die Sehkraft hätten stark nachgelassen. Außerdem leide er an Impotenz, Kopfschmerzen, Schwindelgefühlen, Müdigkeit, Energielosigkeit und einer ausgetrockneten Nase. Des Weiteren habe er Konzentrationsprobleme, auch sein Kurzzeitgedächtnis habe stark nachgelassen. Eine Untersuchung durch Elektroakupunktur nach Voll habe eine massive Belastung durch Quecksilber ergeben.

3

Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei, außerdem holte sie die Auskunft der Firma D. von Oktober 1996 und den Bericht des Technischen Aufsichtsbeamten (TAB) E. vom 23. Oktober 1997 ein. Nach dessen Bericht war der Kläger bis etwa Frühjahr 1973 bei der Wartung und Reparatur von Quecksilberdruckmessumformern und Schwimmermanometern in sehr hohem Maße gegenüber Quecksilber exponiert, während der folgenden Tätigkeit als Montagegruppenleiter bis Herbst 1981 in verringertem Maße.

4

Am 24. November 1997 wurde der Kläger von dem Landesgewerbearzt Dr. F. befragt. Dort gab er an, wegen der Einführung eines anderen Verfahrens zur Druckmessung habe ab ca. 1970 kein Quecksilberkontakt mehr bestanden. Nach den Ausführungen von Dr. F. spricht gegen einen Zusammenhang zwischen der Quecksilberbelastung und den Beschwerden des Klägers, dass die Exposition spätestens 1970 endete und erste Beschwerden im Sinne einer Riechstörung oder einer Sehstörung frühestens 1983 aufgetreten seien. Außerdem fehlten Brückensymptome, der Kläger habe keine Zeichen einer Quecksilbervergiftung (Zittern, Salivationen (Speichelfluss), Auffälligkeiten der Mundschleimhaut) angegeben. Es fehlten auch Anzeichen einer extremen Belastung mit Quecksilber. Mit Bescheid vom 17. Dezember 1997 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK ab (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 24. März 1998).

5

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Stade holte das SG auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG das neuropsychiatrisch/umwelt-medizinische Gutachten von Dr. G. vom 9. Oktober 1998 ein. Nach der Bewertung des Sachverständigen ist es allenfalls möglich bzw. nicht sicher auszuschließen, dass unspezifische Symptome, wie sie der Kläger angibt (Kopfschmerzen, Schwindel, Muskelschwäche, Energielosigkeit, Nervosität und Reizbarkeit) im Sinne einer chronischen Quecksilbervergiftung gedeutet werden könnten. Dagegen klagten chronisch Quecksilbervergiftete über Gedächtnisstörungen, Zittern, Stammeln, Stottern, Magenschmerzen, Metallgeschmack, Mundschleimhautentzündung, Speichelfluss und nervöse Reizbarkeit. Dagegen bejahte der Sachverständige eine BK Nr. 1302.

6

Die Beklagte legte die Stellungnahme von Prof. Dr. H. vom 15. Dezember 1998 vor. Das SG holte das Gutachten von Prof. Dr. I. vom 14. März 2000 nebst neurologischem Zusatzgutachten von Dr. J. vom 7. September 1999, neurophysiologischem Zusatzgutachten von Prof. Dr. K. vom 4. August 1999, neurophysiologischem Zusatzgutachten von Prof. Dr. L. vom 12. August 1999 und hno-ärztlichem Zusatzgutachten von Dr. M. vom 7. Oktober 1999 mit ergänzender Stellungnahme vom 28. Februar 2000 ein.

7

Die Sachverständigen diagnostizierten eine Geruchs- und Geschmacksstörung, eine Innenohrschwerhörigkeit beidseits, Bluthochdruck und eine Herzrhythmusstörung. Nach der Bewertung von Prof. Dr. I. liegen die medizinischen Voraussetzungen für eine BK 1102 nicht vor. Zielorgane einer chronischen Quecksilbermetallintoxikation seien das zentrale Nervensystem und die Nieren. Typische Symptome der Neurotoxizität seien ein Tremor mercurialis (Zucken), ein E-rethismus mercurialis (Zustand von ängstlicher Befangenheit, Empfindlichkeit, Menschenscheu, Schreckhaftigkeit, Stimmungslabilität mit zeitweise hemmungs-loser Erregung und unmotiviertem Verhalten) und Psellismus mercurialis (Sprachstörungen). Derartige Symptome lägen im vorliegenden Fall nicht vor. Der hno-ärztliche Zusatzgutachter Dr. M., der in seinem ersten Gutachten einen Zusammenhang zwischen der Quecksilberexposition und der Hörstörung des Klägers für möglich gehalten hatte, beurteilte den Zusammenhang in der ergänzenden Stellungnahme vom 28. Februar 2000 nach neuerer Lektüre als eher kritisch.

8

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) holte das SG das Gutachten von Prof. Dr. N. vom 20. Januar 2001 nebst neuropsychologischem Zusatzgutachten von Dr. O. vom 16. Oktober 2000 ein. Dr. O. diagnostizierte: Erhebliche Verzögerung der cerebralen Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, erhebliche Verlangsamung des psychomotorischen Tempos, Funktionsstörungen im Bereich mehrerer Aufmerksamkeitsfunktionen, Hinweise auf Einschränkungen des Gesichtsfelds mit Betonung der rechten Gesichtsfeldhälfte, Verzögerung des visuellen Scanning, ausgeprägte Störung der visuell-figuralen Merk- und Lernfähigkeit und Hinweise auf eine raumanalytische Störung. Nach seiner Beurteilung stimmt das beim Kläger erhobene Syndrommuster hinsichtlich der psychometrisch fassbaren Befunde mit einer langjährigen Quecksilber- (und Lösungsmittel)exposition überein, allerdings kämen ebenso neurode-generative Erkrankungen mit vermutlich fronto-basalem und/oder fronto-temporalem Fokus in Frage, sodass eine differentialdiagnostische Abklärung dringend anzuraten sei. Prof. Dr. N. führte aus, die nachgewiesenen Gesundheitsstörungen des Klägers seien eindeutig toxisch verursacht und mit keiner anderen möglichen ursächlichen Belastung in Verbindung zu bringen. Die Tatsache, dass erst im Alter von 55 Jahren die ersten spezifischen Beschwerden aufgetreten seien, spreche für eine außerordentliche Widerstandskraft des Klägers. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er auf 60 v.H. Außerdem holte das SG die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. P. vom 6. April 2001 und die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. N. vom 11. Juni 2001 ein. Mit Urteil vom 11. September 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die tatsächliche Exposition gegenüber Quecksilber sei nicht bekannt. Außerdem seien beim Kläger zwischen 1965 und den 90er-Jahren keine für eine chronische Quecksilberintoxikation typischen Symptome von Seiten des zentralen Nervensystems beobachtet worden, sodass es an den erforderlichen Brückensymptomen fehle. Es sei auch nicht bewiesen, dass der Kläger an einer Polyneuropathie oder Encephalopathie leide.

9

Gegen dieses am 22. Oktober 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15. November 2001 Berufung eingelegt. Er hat die hno-ärztlichen Gutachten von Prof. Dr. Q. vom 25. März 2002 und vom 29. April 2002 sowie das hno-ärztliche Gutachten von Dr. R. vom 29. November 2002 eingereicht.

10

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 11. September 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 1998 aufzuheben,

  2. 2.

    festzustellen, dass seine Gesundheitsstörungen Folgen einer Berufskrankheit Nr. 1102 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung sind,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 60 v.H. der Vollrente zu gewähren.

11

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 11. September 2001 zurückzuweisen.

12

Die Beklagte hält das Urteil des SG und ihre Bescheide für zutreffend.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.

Entscheidungsgründe

14

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen lassen sich nicht als Folgen einer BK Nr. 1102 feststellen. Der Kläger hat demgemäß auch keinen Anspruch auf eine Verletztenrente.

15

Das Begehren des Klägers richtet sich auch nach Eingliederung des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (SGB) zum 1. Januar 1997 nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das ergibt sich aus der Übergangsregelung in § 212 SGB VII, wonach auf Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sind, das alte Recht (§§ 548, 580, 581 RVO) anzuwenden ist.

16

I.

Der Kläger war während seiner Beschäftigung bei der S. bis etwa 1973 in erheblichem Ausmaß gegenüber Quecksilber exponiert. Dies ist durch die Auskunft der Firma vom 21. Oktober 1996 und die Feststellungen des TAB vom 23. Oktober 1997 belegt. Es kommt deshalb nicht auf den Nachweis der Exposition durch körperliche Untersuchungen an.

17

II.

Jedoch liegen die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK nicht vor. Zielorgan einer chronischen Quecksilber-Metall-Intoxikation ist das zentrale Nervensystem (Gutachten Prof. Dr. T.). Eine Erkrankung des zentralen Nervensystems - in Betracht kommen insbesondere Polyneuropathie und/ oder Encephalopathie - sind im vorliegenden Fall jedoch nicht bewiesen. Denn die von Dr. U. durchgeführten klinisch-neurologischen Untersuchungen (Hirnnerven, Reflexprüfung, Prüfung von Motorik usw.) und die apparativen Untersuchungen (EEG, motorische Neurographie, sensible Elektroneurographie, Elektromyographie und evozierte Hirnpotenziale) haben keinen Hinweis auf eine hirnorganische Störung oder eine substantielle Nervenschädigung ergeben. Ebenso wenig hat sich eine Erkrankung auf psychiatrischem Gebiet in Gestalt einer Encephalopathie oder einer Depression nachweisen lassen. Denn die entsprechenden von Dr. V. durchgeführten Untersuchungen und Tests haben keine deutlichen auf eine Hirnschädigung hinweisenden kognitiven Defizite ergeben, sondern lediglich eine leichte Einschränkung der Wortflüssigkeit und einen grenzwertigen Befund im Bereich der auditiven Merkspanne. Insbesondere waren die Testverfahren zur Erfassung einer visuo-motorischen Verlangsamung und des kurz- und mittelfristigen Gedächtnisses, die bei toxischen Schädigungen häufig beeinträchtigt seien, gänzlich unauffällig. Unter Berücksichtigung dieser Ergebnisse sind die früheren Feststellungen von Dr. G., der sowohl eine Encephalopathie als auch eine sensomotorische Polyneuropathie diagnostiziert hat, nicht plausibel. In diesem Zusammenhang hat Dr. J. zudem darauf hingewiesen, dass Dr. G. die objektivierenden elektrophysiologischen Verfahren zum Beweis einer Polyneuropathie bis auf die motorischen Nervenleitgeschwindigkeiten des Nervus medianus nicht eingesetzt hat. Zwar hat der Psychologe Dr. O. bei dem ein Jahr später durchgeführten Testverfahren eine Befundverschlechterung festgestellt. Damit ist aber nicht bewiesen, dass beim Kläger nunmehr eine durch Quecksilber verursachte Encephalopathie vorliegt. Davon geht aber offenbar Prof. Dr. N. aus.

18

Dagegen spricht, dass der Kläger weder während der Quecksilberexposition noch in den folgenden Jahren die auch im Merkblatt zur BK Nr. 1102 erwähnten "Kardinalsymptome" (so Prof. Dr. I. für eine Quecksilbererkrankung angegeben hat (vgl. Gutachten von Prof. Dr. I., Gutachten Dr. G.). Dazu zählen ein Zustand von ängstlicher Befangenheit, Empfindlichkeit, Menschenscheu, Schreckhaftigkeit, Stimmungslabilität, zeitweise hemmungslose Erregung und unmotiviertes psychisches Verhalten (Erethismus mercurialis), ein Tremor (mercurialis) sowie Sensibilitätsstörungen und Sprachstörungen (Psellismus mercurialis). Gleichzeitig hiermit lassen die Merkfähigkeit und später auch das Gedächtnis erheblich nach; und es ist ein allgemeiner Persönlichkeitsschwund festzustellen (Gutachten Prof. Dr. I., Bekanntmachung des BMA vom 19. Mai 1964 zur BK Nr. 1102).

19

Der Kläger indessen hat erstmals 1996 Konzentrations- und Kurzzeitgedächtnisstörungen bemerkt (Angaben bei Dr. G. und Bericht Dr. W.). Die Angabe von Prof. Dr. N., wonach der Kläger ab 1983 "zunehmende Zurückgezogenheit und Scheu vor Menschen beobachtete", ist durch entsprechende Angaben des Klägers nicht bestätigt. Dies erscheint auch nicht plausibel, denn der Kläger hat z.B. - nachdem seine Ehefrau 1978 verstorben war - eine neue Partnerin gefunden und diese Partnerschaft bestand bis 1985.

20

Darüber hinaus haben Dr. X. darauf aufmerksam gemacht, dass im vorliegenden Fall entscheidend gegen das Vorliegen einer toxischen Encephalopathie spricht, dass die ersten Beschwerden erst viele Jahre nach Beendigung der Quecksilber-exposition aufgetreten sind und in der Folgezeit weiter zugenommen haben. Auch Dr. O. hat in diesem Zusammenhang Zweifel an einem Kausalzusammenhang geäußert. Zwar stimmte nach seiner Ansicht das Syndrommuster mit einer lang-jährigen Quecksilber- (und Lösemittel)exposition überein. Er hat aber darauf hingewiesen, dass die Verschlechterung des Befundes nach Expositionskarenz gegen eine Schädigung durch Quecksilber spricht. Prof. Dr. P. hat unter Bezugnahme auf eine Studie aus dem Jahr 2000 zudem darauf hingewiesen, dass nach einer Quecksilberexposition Langzeitfolgen für die kognitiven Funktionen nicht festgestellt wurden, sondern als wesentliches Ergebnis nur Auswirkungen auf das periphere Nervensystem nachgewiesen seien.

21

Nach der Rechtsprechung des BSG sind die weiteren - nicht für eine BK Nr. 1102 typischen - Erkrankungen (Hörverlust, Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns, Sehstörung) gleichwohl als einschlägige Krankheitsbilder der BK Nr. 1102 in Betracht zu ziehen, weil der Verordnungsgeber durch die unbestimmte Bezeichnung von BKen als "Erkrankungen durch ..." alle denkbaren Krankheiten zu BKen hat erklären wollen, die nach den fortschreitenden Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft ursächlich auf die genannten Einwirkungen zurückzuführen seien (BSG, Urteil vom 27. Juni 2000 - B 2 U 29/99 R). Der Senat kann offen lassen, ob dieser Rechtsprechung zu folgen ist oder ob nicht auf Grund der Systematik des Berufskrankheitenrechts die Definition der jeweiligen BK einschränkend auszulegen und bei derartigen Konstellationen § 551 Abs. 2 RVO (jetzt: § 9 Abs. 2 SGB VII) anzuwenden ist. Denn auch nach der Rechtsprechung des BSG ist Voraussetzung für die Anerkennung einer solchen Erkrankung als BK zum einen, dass der schädigende Stoff ("Listenstoff") generell geeignet ist, das betreffende Krankheitsbild zu verursachen oder zu verschlimmern, d.h. es muss generell nachgewiesen sein, dass in einer bestimmten Berufsgruppe im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erheblich erhöhtes Erkrankungsrisiko besteht. Zum anderen ist erforderlich, dass die vorliegende Erkrankung konkret-individuell - im Einzelfall - durch entsprechende Einwirkungen des Listenstoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist. Somit müssen auch nach der Rechtsprechung des BSG im Ergebnis dieselben Voraussetzungen wie bei einer Entschädigung nach § 551 Abs. 2 RVO erfüllt sein.

22

a)

Es ist nicht durch medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisse belegt, dass eine bestimmte Quecksilberexposition generell geeignet ist, einen Hörverlust zu verursachen. Derartige Erkenntnisse liegen in der Regel vor, wenn die überwiegende Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben, wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt. Die Erkenntnisse müssen gesichert, d.h. durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnen worden sein. Es ist nicht erforderlich, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Fachmediziner sind, jedoch reichen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht aus (BSG, Urteil vom 31. Januar 1984 - 2 RU 67/82).

23

Aus den in diesem Verfahren eingeholten bzw. beigezogenen hno-ärztlichen Gutachten ergeben sich keine gesicherten medizinischen Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen der Hörstörung und der Quecksilberexposition. Dr. R. hat im Gegenteil darauf hingewiesen, dass nach Quecksilberexposition vor allem zentrale Schwerhörigkeiten beschrieben wurden, während im vorliegenden Fall kein Anhalt für eine solche Hörstörung gefunden worden sei. Dr. Q. hält einen Zusammenhang allenfalls für möglich und weist darauf hin, dass er selbst kein Experte auf dem Gebiet der toxikologischen Fragestellung ist. Dr. M. hat unter Hinweis auf ältere Literatur (Weidauer: Hör- und Gleichgewichtsstörungen durch gewerbliche Intoxikation 1975) einen Zusammenhang ebenfalls als nur möglich bzw. als Spekulation bezeichnet. Nach Kenntnis neuerer Literatur zum MAK-Wert beurteilt er einen Zusammenhang als eher kritisch. Prof. Dr. P. hat zudem darauf hingewiesen, dass Weidauer in der Publikation keine eigenen Erfahrungen zu Quecksilber angibt.

24

b)

Ein Zusammenhang zwischen dem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns und der Exposition gegenüber Quecksilber kann nach den Ausführungen von Dr. M. ebenfalls nicht als belegt angesehen werden.

25

c)

Es lässt sich auch nicht feststellen, dass Quecksilber generell geeignet ist, zu einer Sehstörung zu führen. Soweit Prof. Dr. N. in seinem Gut-Gutachten vom 20. Januar 2001 unter Hinweis auf ein Lehrbuch von Bleecker einen Zusammenhang angenommen hat, hat Prof. Dr. P. darauf aufmerksam gemacht, dass sich die dort beschriebenen "Augenschäden bzw. Sehstörungen" auf eine Vergiftung durch Methylquecksilber beziehen, während der Kläger gegenüber Quecksilbermetall exponiert war. Nach den Darlegungen von Prof. Dr. P. liegen auch keine aktuelleren Veröffentlichungen vor, die im Zusammenhang mit einer beruflichen Exposition gegenüber Quecksilber auf vermehrt aufgetretene Augenerkrankungen hinweisen.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.