Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 14.07.2003, Az.: L 2/14 B 27/02
Kostentragung nach Erledigung einer Untätigkeitsklage; Verteilung des Kostenrisikos bei starken Arbeitsbelastungen in Folge personeller Engpässe bei Leistungsträger
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 14.07.2003
- Aktenzeichen
- L 2/14 B 27/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 19970
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0714.L2.14B27.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 25.06.2002
Rechtsgrundlage
- § 88 Abs. 2 SGG
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 25. Juni 2002 wird geändert. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin, die im Beschwerdeverfahren und im Klageverfahren entstanden sind. Ausgenommen sind davon etwaige Mehrkosten, die durch die Beschreitung des Verwaltungsrechtswegs angefallen sind.
Entscheidungsgründe
Streitig ist, ob die beklagte Leistungsträgerin nach Erledigung einer Untätigkeitsklage außergerichtliche Kosten der Klägerin zu erstatten hat.
Die Klägerin ließ Mitte September 2001 Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 28. August 2001 einlegen, mit dem die Bewilligung von Erziehungsgeld für die Tochter G. abgelehnt worden war und ihren Widerspruch von ihrem Prozessbevollmächtigten am 15. November 2001 begründen. Auf die im Februar 2002 vor dem Verwaltungsgericht H. erhobene Untätigkeitsklage erteilte die Beklagte unter dem 20. März 2002 einen Widerspruchsbescheid. Das Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt H. verwies den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. April 2002 an das Sozialgericht (SG) Bremen. Dort gingen die Vorgänge am 8. Mai 2002 ein. An demselben Tag ließ die Klägerin die Untätigkeitsklage unter Hinweis auf den erteilten Widerspruchsbescheid zurücknehmen und beantragte, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Das lehnte das SG unter Hinweis auf die Bestimmung des § 17 b Abs. 2 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) ab und führte hinsichtlich der Kosten, die durch die Rechtsverfolgung vor dem SG entstanden sind, aus, dass für die Klägerin am 8. Mai 2002 bereits kein Rechtsschutzbedürfnis mehr bestanden habe, weil die Beklagte den begehrten Widerspruchsbescheid damals schon erteilt gehabt habe (Beschluss vom 25.06.2002, zugestellt an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 08.07.2002). Die dagegen am 11. Juli 2002 erhobene Beschwerde, mit der die Klägerin ihr Kostenerstattungsbegehren weiterverfolgt, ist begründet.
Wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird, entscheidet das Gericht nach § 193 Abs. 1 SGG, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Bei Abwägung der für diese Kostenentscheidung maßgebenden Umstände waren der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens aufzuerlegen. Denn die Vorschrift des § 88 Abs. 2 SGG bestimmt, dass Untätigkeitsklage erhoben werden kann, wenn innerhalb einer Frist von 3 Monaten über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist. Bei Klageerhebung war die vorbezeichnete Frist abgelaufen und die Klägerin durfte zu diesem Zeitpunkt nach den ihr bekannten Umständen mit einer Entscheidung der Widerspruchsstelle rechnen. Den beigezogenen Akten der Beklagten lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass die Klägerin eine Zwischennachricht erhalten hatte, aus der sie Gründe für die Verzögerung im Vorverfahren erfahren konnte. Das Schreiben der Beklagten vom 13. November 2001 gibt darüber keinen Ausschluss.
Einen zureichenden Grund dafür, dass hier der Widerspruchsbescheid erst am 20. März 2002 erteilt wurde, kann die Beklagte mit Erfolg nicht geltend machen. Mit ihrem Anfang April 2003 erhobenen Einwand, dass der Zeitraum zwischen Erhebung und Bescheidung des Widerspruchs ausschließlich mit der arbeitsbelastenden personellen Situation in ihrer Widerspruchsstelle zu erklären sei, vermag sie nicht durchzudringen. Bereits im Jahre 1998 hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen festgestellt, dass starke Arbeitsbelastungen in Folge personeller Engpässe bei einem Leistungsträger, die sich auch durch organisatorische Maßnahmen oder kurzfristige Aufstockungen des Personalbestandes nicht beheben lassen, es nicht rechtfertigen, das Kostenrisiko auf den Leistungsberechtigten zu verlagern. Der Gesetzgeber habe die Klagefristen des § 88 Abs. 2 SGG nicht erweitert, wozu bei den mehrfachen Änderungen des SGG Gelegenheit bestanden habe (Beschluss vom 05.08.1998 zum Az: L 3 B 96/98 KG). Dieser Rechtsprechung schließt sich auch der erkennende Senat an.
Dem SG konnte nicht darin gefolgt werden, dass hier das Erstattungsbegehren mangels Rechtsschutzbedürfnisses der Klägerin am 8. Mai 2002 hätte abgelehnt werden müssen. Insoweit verkennt das SG, dass für das Vorliegen von Prozess-voraussetzungen auf den Eingang der Klage abzustellen ist und die Rechtshängigkeit mit ihren prozessualen und materiellrechtlichen Wirkungen bei einer Rechtswegverweisung gem. § 17 b Abs. 1 Satz 2 GVG rückwirkend erhalten bleiben (vgl. dazu Zöller, Gummer, Zivilprozessordnung, 23. Auflage Köln 2002 § 17 GVG Anm. 3 Seite 2476).
Nach alledem waren der Beklagten die notwendigen Kosten der Klägerin des Klageverfahrens unter Beachtung der Kostenregelung des § 17 Abs. 2 Satz 2 GVG sowie die Kosten des Beschwerdeverfahrens in entsprechender Anwendung des § 193 SGG aufzuerlegen.
Dieser Beschluss ist endgültig (§ 177 SGG).