Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.11.2003, Az.: 13 Sa 855/03
Rückzahlung von Ausbildungskosten für die Ausbildung zum Prüfingenieur; Anwendungsbereich einer arbeitsvertraglichen Verfallfrist; Auslegung arbeitsvertraglicher Regelungen; Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bei Versäumnis einer Verfallfrist; Fiktion der fristgemäßen Zustellung bei demnächstiger Zustellung; Einwand des Rechtsmißbrauchs bei Berufen auf Verfallfrist; Voraussetzungen des Straftatbestandes der Unterdrückung einer Urkunde
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 04.11.2003
- Aktenzeichen
- 13 Sa 855/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 25762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2003:1104.13SA855.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hameln - 27.03.2003 - AZ: 1 Ca 573/03
Rechtsgrundlagen
- § 133 BGB
- § 157 BGB
- § 233 ZPO
- § 167 ZPO
- § 242 BGB
- § 274 StGB
Amtlicher Leitsatz
Ein Mahnbescheidantrag, der versehentlich nicht beim Arbeitsgericht eingeht, sondern dem Beklagten zugeht, wahrt nicht die Frist für die gerichtliche Geltendmachung einer vertraglichen Verfallfrist. Den Beklagten trifft keine Rechtspflicht, den Gegner auf die fehlerhafte Zustellung hinzuweisen. Die Berufung auf die Verfallfrist verstößt deshalb nicht gegen Treu und Glauben.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 27.03.2003, 1 Ca 573/02, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 49.770,86 EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt anteilige Rückzahlung von Ausbildungskosten für die Ausbildung des Beklagten zum Prüfingenieur. Die Ausbildung begann am 01.02.2001 und endete mit Prüfung im November 2001. In der Folgezeit war der Beklagte als Prüfingenieur für die Klägerin tätig, das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Beklagten vom 27.12.2001 zum 30.06.2002. Die Parteien streiten vor allem darüber, ob der Anspruch nach vertraglicher Verfallfrist, weil nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht, verfallen ist.
Im Arbeitsvertrag vom 22.01.2001 (Bl. 56 - 66 d.A.) ist in § 1 festgelegt, dass das Arbeitsverhältnis mit Prüfungsfreigabe beginnt und der Arbeitsvertrag unter der aufschiebenden Bedingung geschlossen wird, dass der Arbeitnehmer die Prüfung besteht und als Prüfingenieur mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde eingesetzt werden kann. In § 16 ist zu Ausbildungskosten u.a. bestimmt:
...
6.
Wird das Arbeitsverhältnis auf Grund einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers oder aus Gründen beendet, die der Arbeitnehmer zu vertreten hat, so sind die Aus- und Weiterbildungskosten - soweit sie die Arbeitgeberin getragen hat - der letzten fünf Jahre vor dem Ausscheiden nach folgender Staffelung von dem Arbeitnehmer zu erstatten:Je verbleibenden Kalendermonat 1/60 der Ausbildungskosten.
Die Erstattungspflicht gilt insbesondere für von der Arbeitgeberin übernommene Ausbildungskosten sowie Fortbildungskosten zum Erwerb der Prüferberechtigung.
Als Ausbildungskosten gelten insbesondere:
. Seminargebühren,
. betriebliche Ausbildungsvergütungen inkl. Lohnnebenkosten,
. interne Aufwendungen der Arbeitgeberin (Abs. 7),
. Unterbringungskosten,
. Fahrtkosten zu den Seminaren,
. Kosten für Seminarunterlagen und sonstige Unterlagen,
. Nachschulungskosten.
Bei Nichtbestehen der abzulegenden 1. Prüfung wird dem Arbeitnehmer im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen/Prüfungsordnung die Möglichkeit gegeben, diese im 2. und 3. Versuch zu wiederholen. Sollte die Prüfung im 3. Versuch nicht mit Erfolg abgeschlossen werden, endet das Arbeitsverhältnis mit dem Tag der Bekanntgabe der Prüfungsergebnisse. In diesem Fall wird die Rückzahlung der gesamten Ausbildungskosten, soweit die Arbeitgeberin diese getragen hat, zu 100 % sofort fällig.
7.
Der Anspruch auf Rückzahlung der internen Aufwendungen der Arbeitgeberin orientiert sich an dem praktischen Ausbildungsplan, welcher in der Vollausbildung für die Durchführung der Untersuchungen nach §§ 29, 47 a und 19 Abs. 3 Nr. 3 und 4 StVZO insgesamt 90 Tage vorschreibt. Die Aufwendungen für die ganztägige Betreuung des Arbeitnehmers sowie die Kosten für die Benutzung von Geräten und Materialien werden nach Aufforderung im Rahmen eines Rechtsgutachtens ermittelt. Die Kosten für dieses Rechtsgutachten trägt jeweils die Partei, die ein begründetes Interesse an der Festsetzung der internen Aufwendungen hat.8.
Die Ausbildungskosten werden bis zum Ablegen der ersten Prüfung mit insgesamt steuernetto 95.000,00 DM festgelegt.Nachschulungskosten sind hierin nicht enthalten.
...
Die in § 21 des Arbeitsvertrages vereinbarte Verfallfrist lautet:
Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sind von dem Vertragsschließenden binnen einer Frist von 6 Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von 2 Monaten einzuklagen.
Gemäß Zusatzvereinbarung vom 22.01.2001 (Bl. 73 d.A.) betrug die Bruttoausbildungsbeihilfe 3.500,00 DM und das arbeitsvertragliche Grundgehalt 6.000,00 DM. Ergänzend ist unter dem 19.02./17.02.2001 ein Ausbildungsvertrag geschlossen worden, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 67 - 72 d.A.). Vertragspartner des Ausbildungsvertrages sind die Parteien und der K..
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 15.05.2002 (B. 165 d.A.) Ausbildungskosten in Höhe von 56.344,37 EUR und mit Schreiben vom 14.06.2002(Bl. 170 d.A.) in Höhe von 49.770,86 EUR geltend gemacht. Der Beklagte hat durch seinen Prozessbevollmächtigten unter dem 27.06.2002 (Bl. 172 d.A.) mitteilen lassen, dass Zahlung nicht erfolgen wird.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erstellte am 18.07.2002 einen Mahnbescheidsantrag, adressiert an das Arbeitsgericht Hameln. Dieser Antrag ging nicht beim Arbeitsgericht ein, sondern wurde von der Post dem Beklagten zugestellt. Vermutlich war der Antrag so gefaltet, dass im Adressfeld des Fensterumschlages Name und Anschrift des Beklagten sichtbar waren. Der Beklagte übergab den Mahnbescheidsantrag seinem Prozessbevollmächtigten. Eine Information an die Klägerseite erfolgte nicht. Am 20.09.2002 erfuhr der Prozessbevollmächtigte der Klägerin durch Rückfrage beim Arbeitsgericht, dass der Mahnbescheidsantrag nicht eingegangen war. Gerichtliche Geltendmachung per Mahnbescheid erfolgte sodann am 23.09.2002.
Die Klägerin hat vorgetragen, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Verfallfrist finde auf den Rückzahlungsanspruch für Ausbildungskosten keine Anwendung. Bei dem Ausbildungsverhältnis und dem nachfolgenden Arbeitsverhältnis handele es sich um zwei getrennte Vertragsverhältnisse. Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs sei noch nicht eingetreten, weil das nach § 16 Ziffer 7 des Arbeitsvertrages vorgesehene Rechtsgutachten noch nicht erstellt sei. Die Berufung des Beklagten auf die Verfallklausel sei rechtsmissbräuchlich, er sei verpflichtet gewesen, den offensichtlich falsch zugestellten Mahnbescheidsantrag zurückzuschicken. Schließlich bestehe ein Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 49.770,86 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 31.07.2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat sich darauf berufen, dass der geltend gemachte Anspruch nach § 21 des Arbeitsvertrages verfallen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung wiederholt die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen. Zum Verstoß des Beklagten gegen Treu und Glauben und zum Arglisteinwand verweist sie ergänzend darauf, dass der Beklagte aus dem zugestellten Mahnbescheidsantrag habe erkennen können, dass gerichtliche Geltendmachung beabsichtigt gewesen sei. Die Warnfunktion der Verfallklausel sei damit gewahrt. Es habe auch eine Rechtspflicht bestanden, nach erkennbarer Fehlzustellung des Antrages das Schriftstück zurückzuleiten. Die unterlassene Zurückleitung des fehlgeleiteten Briefes stelle eine Urkundenunterdrückung dar und erfülle den Tatbestand des § 274 StGB. Im Übrigen sei die Verfallklausel, sofern auch Ansprüche aus dem Ausbildungsverhältnis von ihr hätten erfasst werden sollen, unwirksam. Hierfür fehle es an einer eindeutigen Vereinbarung. Schließlich müssten die Vorschriften der ZPOüber die "demnächstige Zustellung" analog angewendet werden. Ergänzend wird Bezug genommen wegen des zweitinstanzlichen Prozessvortrags der Klägerin auf die Berufungsbegründung und den Schriftsatz vom 15.07.2003.
Die Klägerin beantragt:
Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hameln (1 Ca 573/02) vom 27.03.2003 wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 49.770,86 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gem. § 1 DÜG ab dem 31.07.2002 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft, sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Die Berufung ist nicht begründet, das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der Ausbildungskosten fällt unter die Verfallfrist des § 21 des Arbeitsvertrages (1), der Anspruch war am 01.07.2002 fällig und innerhalb einer Frist von 2 Monaten bis zum 31.08.2002 gerichtlich geltend zu machen (2), Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand konnte nicht gewährt werden, Analogie zu § 167 ZPO führt nicht zur Rechtzeitigkeit der gerichtlichen Geltendmachung (3), Treu und Glauben bzw. der Arglisteinwand stehen der Anwendung der Verfallfrist nicht entgegen (4).
1.
Der geltend gemachte Anspruch wird von der Verfallfrist des § 21 Arbeitsvertrag erfasst. Der von der Klägerin vorgenommenen Differenzierung in Ausbildungsverhältnis und Arbeitsverhältnis kann nicht gefolgt werden.
§ 1 Ziffer 1 und Ziffer 2 Arbeitsvertrag sehen zwar vor, dass das Arbeitsverhältnis erst nach Prüfung beginnt. Die Bedeutung dieser Bestimmungen beschränkt sich aber darauf, dass die eigentliche Arbeitstätigkeit als Prüfingenieur erst ab diesem Zeitpunkt beginnen kann und beginnt und dass entsprechend der Zusatzvereinbarung für Ausbildungsabschnitt und nachfolgender Prüftätigkeit unterschiedliche Vergütungen gelten sollten.
§ 1 Ziffer 3 Arbeitsvertrag betrifft aber bereits den Ausbildungsabschnitt und regelt die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs für Ausbildungskosten bei vorzeitigem Abbruch der Ausbildung durch den Arbeitnehmer. Ebenso enthält § 16 Ziffer 6 in Unterabschnitt 5 Arbeitsvertrag Bestimmungen über Wiederholungsprüfungen und einen Rückzahlungsanspruch bei Nichtbestehen der Prüfung. Gerade die einheitliche Regelung des Rückzahlungsanspruchs für Ausbildungskosten für Ausbildungsabschnitt und Arbeitsverhältnis in einem Arbeitsvertrag führen dazu, dass eine Trennung zwischen zwei Vertragsverhältnissen nicht vorgenommen werden kann und von einem einheitlichen Vertragsverhältnis ausgegangen werden muss, das untergliedert ist in Ausbildungsabschnitt und nachfolgendem Arbeitseinsatz als Prüfingenieur. Entsprechend muss § 21 Arbeitsvertrag auch auf den Anspruch auf Rückzahlung der Ausbildungskosten Anwendung finden.
Zu demselben Ergebnis führt auch die Auslegung von § 16 Ziffer 6 Arbeitsvertrag, der eine fünfjährige Bindungsdauer im Arbeitsverhältnis vorsieht mit entsprechend gestaffelter Rückzahlungspflicht. Der Beklagte sollte nach Vertrag die Ausbildungskosten über diesen Zeitraum praktisch abarbeiten. Eigenkündigung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus vom Arbeitnehmer zu vertretenen Gründen sollte die Rückzahlungspflicht auslösen. Damit ist aber der Rückzahlungsanspruch gerade nicht isoliert dem Ausbildungsverhältnis zuzuordnen, sondern er ist als Teil in den Gesamtarbeitsvertrag integriert. Die Verfallfrist erfasst damit den Rückzahlungsanspruch, zumal Rückzahlungsanspruch und Verfallfrist in einem einheitlichen Arbeitsvertrag geregelt sind.
Weil von einer Trennung von Ausbildungsverhältnis und Arbeitsverhältnis nicht ausgegangen werden kann, die Verfallfrist des § 21 Arbeitsvertrag jedenfalls alle in diesem Vertrag geregelten Rechte und Pflichten erfasst, besteht auch kein Ansatzpunkt dafür, die Verfallfrist wegen Unklarheit als unwirksam zu behandeln.
2.
Der Rückzahlungsanspruch ist am 01.07.2002 fällig geworden, die Frist für die gerichtliche Geltendmachung lief am 31.08.2002 ab und ist durch Mahnbescheid vom 23.09.2002 nicht gewahrt.
Weil auslösend für den Rückzahlungsanspruch die Eigenkündigung des Arbeitnehmers nach § 16 Ziffer 6 Arbeitsvertrag ist, wird der Rückzahlungsanspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, hier am 01.07.2002. Soweit in Ziffer 7 geregelt ist, dass bestimmte Kosten nach Aufforderung im Rahmen eines Rechtsgutachtens ermittelt werden, steht dies der Fälligkeit nicht entgegen. Gemäß § 16 Ziffer 8 Arbeitsvertrag werden die Ausbildungskosten bis zum Ablegen der ersten Prüfung mit insgesamt steuernetto 95.000,00 DM festgelegt. Diese Pauschalsumme macht die Klägerin geltend, sodass es einer Kostenermittlung durch Rechtsgutachten nicht bedurfte. Im Übrigen hat der Beklagte, wie nach Ziffer 7 erforderlich, zu keinem Zeitpunkt eine Aufforderung auf Erstellung eines Rechtsgutachtens gestellt. Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs ist damit zum 01.07.2002 eingetreten.
Liegt - wie hier - eine zweistufige Ausschlussfrist vor, und zwar für schriftliche Geltendmachung und nachfolgend
gerichtliche Geltendmachung, so kann bereits vor Fälligkeit die schriftliche Geltendmachung erfolgen. Die Frist für die gerichtliche Geltendmachung beginnt dann aber erst mit Fälligkeit des Anspruchs (BAG vom 26.09.2001, 5 AZR 699/00, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 144; BAG vom 13.02.2003, 8 AZR 236/02, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 162). Die Klägerin hat den Rückzahlungsanspruch vor Fälligkeit mit Schreiben vom 15.05. und 14.06.2002 geltend gemacht. Der Beklagte hat abgelehnt mit Schreiben vom 27.06.2002. Mit Fälligkeit am 01.07.2002 begann damit die zweimonatige Frist für die gerichtliche Geltendmachung, die mit Mahnbescheid vom 23.09.2002 nicht eingehalten ist.
3.
Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 233 ZPO analog konnte nicht gewährt werden. Die Vorschrift erfasst nur Notfristen und weitere dort aufgeführte Fristen wie Rechtsmittelfristen. Sie ist insbesondere auch nicht analog anwendbar auf sonstige Fristen, die auf Parteivereinbarung beruhen, etwa Vergleichswiderrufsfristen. Entsprechende Anwendung auf Verfallfristen, seien sie vertraglich oder tarifvertraglich vereinbart, scheidet ebenfalls aus (Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 233, RdNr. 7 und 8). Korrektur unbilliger Ergebnisse bei Versäumung derartiger Fristen kann nur über Treu und Glauben erfolgen.
Die von der Kläger befürwortete Analogie zu § 167 ZPO kann nicht nachvollzogen werden. Die Vorschrift besagt, dass die fristwahrende Wirkung eines Antrags bereits mit Eingang bei Gericht eintritt, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Vorausgesetzt ist damit aber, dass der Antrag selbst fristgerecht bei Gericht eingeht, nur dann wirkt eine demnächstige Zustellung auf das Eingangsdatum zurück. Vorliegend ist aber gerade der Mahnbescheidsantrag nicht innerhalb der Frist eingegangen, sodass § 167 ZPO auch analog nicht angewendet werden kann.
Der Beklagte kann sich auch ohne Verstoß gegen Treu und Glauben auf die Verfallfrist berufen. Die Einwendung einer Verfall- oder Ausschlussfrist kann einen Verstoß gegen Treu und Glauben darstellen bzw. den Arglisteinwand begründen, wenn der Schuldner den Gläubiger durch sein Verhalten, z.B. durch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis zur Untätigkeit und damit zur Nichteinhaltung der Verfallfrist veranlasst (z.B. BAG vom 10.10.2002, 8 AZR 8/02, EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr. 158). Kennzeichnend ist hier, dass der Schuldner durch sein Verhalten, also durch positives Tun, die Nichteinhaltung der Verfallfrist veranlasst hat. Ein solches Verhalten ist dem Beklagten aber nicht entgegenzuhalten, er hat nicht durch Versprechungen oder Täuschungen die Klägerin von der gerichtlichen Geltendmachung abgehalten, vielmehr sind er bzw. sein Prozessbevollmächtigter nach Zugang des Mahnbescheidsantrags schlicht untätig geblieben. Sie haben es unterlassen, die Klägerin von der Fehlzustellung durch die Post zu informieren. Ein solches Unterlassen kann aber Treuwidrigkeit bzw. Arglisteinwand nur begründen, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Eine solche Rechtspflicht war zu verneinen.
Das Arbeitsverhältnis war zum 30.06.2002 beendet. Eine nachvertragliche Nebenpflicht, Interessen des Vertragspartners wahrzunehmen, bestand nicht. Die Parteien befanden sich im Vorstadium eines Prozesses, in dem besondere Schutzpflichten zur Wahrnehmung der Interessen der Gegenseite nicht angenommen werden können.
Aus § 274 StGB (Unterdrückung einer Urkunde) folgt keine Rechtspflicht zum Handeln. Vielmehr setzt Unterdrückung positives Tun voraus, Unterlassung ist nur gleichgestellt bei Bestehen einer Rechtspflicht zum Handeln. Bloße Untätigkeit, Nichtreagieren auf fehlerhafte Postzustellung, erfüllt den Tatbestand nicht. Etwas anderes kann auch nicht den von der Klägerin zitierten Entscheidungen des Reichsgerichts entnommen werden. In der Entscheidung vom 15.01.1915 (RG St 49, 144) ist eine Ersatzzustellung im Geschäftslokal an den Gewerbegehilfen erfolgt. Das Reichsgericht hat hier eine Rechtspflicht des Gewerbegehilfen auf Weitergabe der Zustellung an die Firmeninhaberin angenommen auf Grund seiner Stellung im Geschäftsbetrieb. In dem weiteren Fall (RG vom 15.05.1984, RG St 10, 391) hatte der Empfänger einer Fehlzustellung durch die Post die von dem Postboten begehrte Rückgabe einer Postkarte verweigert. Auch hierbei hat es sich nicht um den Fall der schlichten Untätigkeit gehandelt, sondern um die Verweigerung der Rückgabe nach einem entsprechenden Begehren. Es muss deshalb auch unter Berücksichtigung von § 274 StGB dabei verbleiben, dass ein Verstoß gegen Treu und Glauben nur vorliegt bzw. der Arglisteinwand nur begründet ist, wenn bei schlichter Untätigkeit oder Unterlassen eine Rechtspflicht zum Handeln bestanden hat. Eine solche Rechtspflicht zum Handeln ist aber hier nicht zu begründen.
Lediglich hilfsweise ist auf folgenden Gesichtspunkt hinzuweisen. Objektiv betrachtet musste weder der Beklagte noch sein Prozessbevollmächtigter nach Erhalt der Fehlzustellung davon ausgehen, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Fehlzustellung nicht entdecken würde und die Frist für die gerichtliche Geltendmachung nicht einhalten würde. Da der Mahnbescheidsantrag am 18.07.2002 abgesandt wurde, muss bei ordnungsgemäßer Büroorganisation davon ausgegangen werden, dass der Vorgang auf Wiedervorlage spätestens nach 1 Monat lag, die zum 31.08.2002 ablaufende Verfallfrist wäre dann ohne weiteres noch einzuhalten gewesen. Insoweit war es auch für die Kammer unverständlich, dass erst am 20.09.2002 Rückfrage bei Gericht erfolgte, nicht bereits noch im August. Objektiv war damit überhaupt nicht damit zu rechnen, dass infolge der fehlerhaften Postzustellung des Mahnbescheidsantrags vom 18.07.2002 es zu einer Versäumung der Frist für die gerichtliche Geltendmachung kommen würde. Auch dieser Gesichtspunkt steht der Anwendung des § 242 BGB entgegen.
Die Klägerin verweist weiterhin darauf, Zweck von Verfallfristen sei es, klarzustellen, dass Ansprüche geltend gemacht würden. Diese Warnfunktion sei durch Zustellung des Mahnbescheidsantrags an den Beklagten erfüllt. Dagegen ist einzuwenden, dass die hier vorliegende Verfallfrist Formanforderungen stellt, nämlich Schriftform für die Geltendmachung und gerichtliche Geltendmachung. Genauso wenig wie eine ernsthafte Klageandrohung vorprozessual eine rechtzeitige Klageerhebung zur Wahrung der Frist für die gerichtliche Geltendmachung entbehrlich macht, genauso wenig kann deshalb die Zustellung des Mahnbescheidsantrags an den Beklagten selbst als gerichtliche Geltendmachung bewertet werden.
Weil die Berufung zurückzuweisen war, trägt die Klägerin die Kosten des Rechtsmittels, § 97 ZPO.
Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 49.770,86 EUR festgesetzt.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 3 ZPO.