Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.08.2003, Az.: 5 Sa 1048/03
Schadensersatz für den untergegangenen Urlaubsabgeltungsanspruch; Notwendigkeit des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber in Verzug zu setzen; Möglichkeit der Geltendmachung einer Abgeltung von Urlaubsansprüchen im Übertragungszeitraum
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 11.08.2003
- Aktenzeichen
- 5 Sa 1048/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 28152
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2003:0811.5SA1048.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Wilhelmshaven - 05.05.2003 - AZ: 2 Ca 155/03
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 3 BUrlG
- § 7 Abs. 4 BUrlG
- § 280 Abs. 1 BGB
- § 286 Abs. 1 BGB
- § 287 S. 2 BGB
- § 249 S. 1 BGB
- § 251 Abs. 1 BGB
Fundstellen
- LAGReport 2004, 8-9
- NZA-RR 2004, 122-123 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Der Anspruch auf Abgeltung von Urlaub folgt in seinem rechtlichen Schicksal dem Freistellungsanspruch. Das gilt auch für Sekundäransprüche. Deshalb erfordert der Anspruch auf Schadensersatz für den untergegangenen Abgeltungsanspruch, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber in Verzug setzt. Dazu muss er Urlaub bzw. dessen Abgeltung grundsätzlich im Urlaubsjahr verlangen. Eine Geltendmachung im Übertragungszeitraum (bis zum 31.03. des Folgejahres) genügt nur, wenn die Übertragungsvoraussetzungen für den Urlaubsanspruch erfüllt wäre. Die Urlaubsabgeltung ist damit kein vom Schicksal des Urlaubsanspruchs gelöster Geldanspruch, dessen Übertragung naturgemäß weder von dringenden betrieblichen noch von persönlichen Gründen des Arbeitnehmers abhängig sein kann.
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 11.08.2003
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kiel,
den ehrenamtlichen Richter Werner und
die ehrenamtliche Richterin Hoffmeister
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 05.05.2003 - 2 Ca 155/03 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen, soweit der Beklagte erstinstanzlich zur Zahlung von über 3.294,80 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2002 verurteilt worden ist.
Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 1/10 und der Beklagte 9/10. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über Urlaubsabgeltung.
Der Kläger war zunächst als Auszubildender, seit dem 24.01.2002 als Elektroinstallateur im Betrieb des Beklagten beschäftigt. Der Beklagte erstellte für die Monate April, Mai und Juni 2002 Abrechnungen, die Nettolohnansprüche des Klägers in Höhe von 1.110,28 EUR, 1.146,61 EUR und 1.037,91 EUR vorsahen. Der Beklagte zahlte diese Beträge nicht. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis deshalb fristlos zum 15.07.2002.
Mit Mahnbescheid vom 12.02.2003 hat der Kläger Zahlung der abgerechneten Löhne für die Monate April bis Juni 2002 sowie Abgeltung von 12 Tagen Urlaub verlangt. Der Mahnbescheid ist dem Beklagten am 14.02.2003 zugestellt worden. Dagegen hat der Beklagte am 21.02.2003 Widerspurch eingelegt.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.908,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.08.2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen
und dies im Hinblick auf die Abgeltung von Urlaub u. a. mit der Auffassung begründet, etwaige Ansprüche seien am 31.12.2002 erloschen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage durch Urteil vom 05.05.2003 überwiegend stattgegeben. Es hat die Berufung nach § 64 Abs. 2 a ArbGG gesondert zugelassen, soweit es dem Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 461,76 EUR brutto zuerkannt hat. Dazu hat das Arbeitsgericht entschieden, der Kläger könne in dieser Höhe Abgeltung von Urlaub verlangen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Anspruch nicht mit dem 31.12.2002 untergegangen. Der Beklagte könne sich dabei zwar auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit dem Urteil vom 28.06.1984 - 6 AZR 521/81 - AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG = EzA § 7 BUrlG Nr. 34) stützen. Dieser Auffassung sei jedoch nicht zu folgen. Bei der Abgeltung von Urlaub handele es sich um ein Surrogat des Urlaubsanspruchs. Dass der Abgeltungsanspruch das Schicksal des fiktiven Urlaubsanspruches teile, könne aus dem Gesetz nicht hergeleitet werden. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG entstehe er vielmehr mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, und zwar unbedingt. Das gelte unabhängig davon, ob der Kläger danach ein neues Arbeitsverhältnis eingehe, arbeitslos bleibe oder ganz aus dem Arbeitsleben ausscheide, z. B. wegen Verrentung.
Das Gericht hat der Forderung auf Zahlung rückständiger Löhne stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird insoweit Bezug genommen.
Das Urteil ist dem Beklagten am 12.06.2003 zugestellt worden. Mit seiner am 18.06.2003 eingelegten und am 20.06.2003 begründeten Berufung verfolgt der Kläger seinen Klageabweisungsantrag weiter, soweit das Arbeitsgericht Urlaubsabgeltung zugesprochen hat. Zur Begründung bezieht er sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (u. a. 21.09.1999 - 9 AZR 705/98 - AP Nr. 77 zu § 7 BUrlG = EzA § 7 BUrlG Abgeltung Nr. 6). Der Abgeltungsanspruch ersetze die wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr mögliche Befreiung von der Arbeitspflicht. Der Abgeltungsanspruch greife dabei nur, solange der geschuldete Urlaub gewährt werden müsse. Da der Urlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG im laufenden Kalenderjahr zu gewähren sei, folge daraus, dass der Abgeltungsanspruch bis dahin erfüllt werden müsse. Folge der Abgeltungsanspruch dem Schicksal des Urlaubsanspruchs, könne ein Arbeitnehmer folglich Abgeltung bis zum 31.03. des Folgejahres nur unter den Voraussetzungen der Übertragung des Urlaubs nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG verlangen. Diese Voraussetzungen seien allerdings bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses - wie im vorliegenden Fall im Laufe des Jahres nicht denkbar. Jedenfalls habe der Kläger dazu nichts vorgetragen, so dass die Forderung der Urlaubsabgeltung mit dem am 14.02.2003 zugestellten Mahnbescheid ihn - den Beklagten - nicht in Verzug gesetzt habe und somit auch Ansprüche auf Schadensersatz wegen der nicht mehr erfüllbaren Urlaubsabgeltung unbegründet seien.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern, und die Klage abzuweisen, soweit der Kläger eine Verurteilung über den Betrag von 3.294,80 EUR netto begehrt.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen
und verteidigt die angefochtene Entscheidung mit der Auffassung, der Abgeltungsanspruch sei als Surrogat nicht das Gleiche wie der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllbare Urlaubsanspruch. Es handele sich dabei um einen reinen Zahlungsanspruch, der als solcher nicht wie der Anspruch auf Freistellung mit Ablauf des Urlaubsjahres ende.
Gründe
I.
Die Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil ist abzuändern, soweit das Arbeitsgericht dem Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 461,76 EUR brutto zugesprochen hat.
1.
Der Anspruch des Klägers auf Abgeltung von Urlaub für das Jahr 2002 ist erloschen.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat durch die fristlose Kündigung des Klägers mit Ablauf des 15.07.2002 geendet. Nach § 7 Abs. 4 BUrlG wandelt sich ein bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht erfüllter Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch um, ohne dass es weiterer Handlungen des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers bedarf. Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Arbeitsgerichts waren dem Kläger im Zeitpunkt seiner fristlosen Kündigung zwölf Werktage Urlaub zu gewähren, von denen bis zum 20.07.2002 fünf Urlaubstage abgegolten sind. Somit verbleibt ein Abgeltungsanspruch von sieben Urlaubstagen.
Dieser Anspruch ist spätestens mit Ablauf der Übertragungsfrist des § 7 Abs. 3 BUrlG am 31.03.2003 untergegangen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der Abgeltungsanspruch ein Ersatz für die wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr mögliche Befreiung von der Arbeitspflicht. Er setzt deshalb voraus, dass der geschuldete Urlaubsanspruch gewährt werden müsste, wenn das Arbeitsverhältnis fortbestünde (BAG 21.09.1999 - 9 AZR 705/98 a. a. O. unter I. 1. der Gründe; BAG 17.01.1995 - 9 AZR 664/93 - AP Nr. 66 zu § 7 BUrlG Abgeltung = EzA § 7 BUrlG Nr. 98; Erfurter Kommentar/Dörner § 7 BUrlG Rn. 91). Das Gericht folgt damit nicht der vom Arbeitsgericht und Teilen des Schrifttums vertretenen Gegenauffassung, wonach der Abgeltungsanspruch unbefristet fortbesteht, weil es sich um einen stets erfüllbaren Geldanspruch handelt (GK - BUrlG - Bachmann, 5. Auflage § 7 Rn. 175 m. w. N.), sondern schließt sich der Auffassung an, dass der Abgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs nicht anders zu behandeln ist als der Anspruch auf Befreiung von der Arbeitspflicht. Verfällt der Anspruch auf Urlaubserteilung nach § 7 Abs. 3 BUrlG, teilt der an seine Stelle getretene Abgeltungsanspruch dieses rechtliche Schicksal. Es besteht aus der Zielrichtung des Bundesurlaubsgesetzes heraus kein nachvollziehbarer Grund, den sekundären Abgeltungsanspruch stärker zu sichern als dies für den primären Urlaubserteilungsanspruch gesetzlich vorgesehen ist.
2.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadenersatz für den untergegangenen Abgeltungsanspruch.
a)
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 05.09.1985 - 6 AZR 86/82 - AP BUrlG § 1 Treueurlaub Nr. 1 = EzA BUrlG § 7 Nr. 40; 17.01.1995 - 9 AZR 664/93 - a. a. O. sowie 21.09.1999 - 9 AZR 705/98 - a. a. O. unter I. 2. a der Gründe) kann der Arbeitnehmer einen der Urlaubsabgeltung entsprechenden Geldbetrag als Schadenersatz für den zwischenzeitlich infolge Fristablaufs erloschenen Anspruch fordern, soweit er seinen Arbeitgeber zuvor in Verzug gesetzt hat (§ 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Satz 1, § 251 Abs. 1 BGB). Deshalb ist der Arbeitnehmer gehalten, seine Urlaubsansprüche (hilfsweise Abgeltungsansprüche) zusätzlich innerhalb des gesetzlichen Befristungszeitraums geltend zu machen, will er sich Schadenersatzansprüche wegen des durch Zeitablauf untergehenden Abgeltungsanspruchs sichern. Der Arbeitnehmer hat daher, einerlei ob es sich um ein ungekündigtes oder gekündigtes Arbeitsverhältnis handelt, den Arbeitgeber durch die Forderung der Urlaubsgewährung im Urlaubsjahr oder spätestens im Übertragungszeitraum in Verzug zu setzen, wenn er den Arbeitgeber für den mit Fristablauf eintretenden Verfall des Urlaubsanspruchs haftbar machen will (BAG 21.09.1999 - 9 AZR 705/98 a. a. O. unter 2. b der Gründe).
Überträgt man diese Rechtssätze auf den Abgeltungsanspruch, scheint es ausreichend zu sein, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer erstmals im Übertragungszeitraum in Verzug setzt. Dies gilt nach Auffassung des Berufungsgerichts allerdings nur mit der Einschränkung, dass auch die Übertragungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 3 BUrlG erfüllt sind. Danach kommt eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des Folgejahres nur dann in Betracht, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe gegeben sind, die einer Freizeitnahme im laufenden Kalenderjahr entgegenstanden. Geht man mit dem Verständnis des BAG davon aus, dass die Abgeltung bei Beendigung nicht gewährter Urlaubsansprüche als Surrogat stets am rechtlichen Schicksal des Anspruchs auf Befreiung von der Arbeitspflicht orientiert ist, kommt der Arbeitgeber mit dem Abgeltungsanspruch in Verzug, wenn die Übertragungsvoraussetzungen für den Urlaubsanspruch vorliegen und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber im Übertragungszeitraum in Verzug gesetzt hat. Der Abgeltungsanspruch ist danach kein vom Schicksal des Urlaubsanspruchs gelöster Geldanspruch, der mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht und dessen Übertragung naturgemäß weder von dringenden betrieblichen noch von persönlichen Gründen des Arbeitnehmers abhängig sein kann.
b)
Unter Berücksichtigung dieser Rechtssätze konnte der Kläger den Abgeltungsanspruch mit Mahnbescheid vom 12.02.2003, zugestellt am 14.02.2003, im Übertragungszeitraum nur dann rechtzeitig geltend machen und den Beklagten gleichsam in Verzug setzen, wenn die Übertragungsvoraussetzungen nach § 7 Absatz 3, Satz 2 BUrlG erfüllt sind. Dazu hat der Kläger nichts vorgetragen, so dass die Voraussetzungen des Verzuges und somit die Schadenersatzansprüche nicht erfüllt sind.
II.
Die Kostenfolge ergibt sich damit für die erste Instanz aus § 92 ZPO. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger nach § 97 ZPO zu tragen.
Das Berufungsgericht hat die Revision nach § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG(grundsätzliche Bedeutung) im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob Schadensersatzansprüche wegen Verzuges auch dann noch begründet sein können, wenn der Arbeitnehmer Urlaubsabgeltungsansprüche erstmals im Übertragungszeitraum geltend macht, ohne dass die Übertragungsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG vorliegen.