Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.09.2003, Az.: 9 Sa 649/02

Umfang der im Betrieb zulässigen Höchstarbeitszeit unter Einbeziehung von Bereitschaftsdienst ; Zahlung von Überstundenvergütung und Wechselschichtzulagen für einen Rettungssanitäter; Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit oder Ruhezeit ; Differenzierung der Wirkung einer europäischen Richtlinie je nach dem, ob das Verhältnis zwischen Bürger und Staat oder das Verhältnis privater Personen in Rede steht

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
16.09.2003
Aktenzeichen
9 Sa 649/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 17880
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2003:0916.9SA649.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 15.02.2002 - AZ: 6 Ca 150/01
nachfolgend
BAG - 01.12.2004 - AZ: 5 AZR 597/03

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer beträgt die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7 Tageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden. Mit dieser Vorgabe ist die Anordnung von mehr als 48 Stunden Arbeitszeit einschließlich der Bereitschaftsdienstzeiten nicht vereinbar.

  2. 2.

    Die Kammer hat Zweifel, ob sich die Differenzierung der Wirkung einer europäischen Richtlinie je nach dem, ob das Verhältnis zwischen Bürger und Staat oder das Verhältnis privater Personen in Rede steht, aufrecht erhalten lässt.

In dem Rechtsstreit
hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 12. August 2003
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dierking und
die ehrenamtlichen Richter Wiemers und Ihlenfeld
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 15.02.02 - 6 Ca 150/01 - wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über den Umfang der im Betrieb zulässigen Höchstarbeitszeit unter Einbeziehung von Bereitschaftsdienst sowie über die Zahlung von Überstundenvergütung und Wechselschichtzulagen für einen bestimmten Zeitraum.

2

Die Beklagte zu 1) betreibt den Rettungsdienst in der Rechtsform einer GbR; ihre Gesellschafter sind der Landkreis A..., der Kreisverband A... e. V. und der Regionalverband O... e. V. Der Kläger stand ursprünglich in einem Dienstverhältnis zu dem Beklagten zu 2). Mit Gesellschafterbeschluss vom 30. Mai 2001 wurde eine Regelung dahingehend geschlossen, dass die bisher mit den einzelnen Gesellschaftern der Beklagten zu 1) abgeschlossenen Arbeitsverträge auf die GbR überführt werden. Zwischen der GbR und dem Betriebsrat der Rettungsdienst A... GbR wurde ein Personalüberleitungsvertrag nebst Betriebsvereinbarung zum Übergang der Arbeitsverhältnisse auf die Rettungsdienst A... GbR geschlossen, in dem festgelegt ist, dass die Arbeitsverhältnisse der zum Stichtag im Rettungsdienst beschäftigten Mitarbeiter auf die GbR übergehen und diese gemäß § 613 a BGB in alle sich nach dieser Vorschrift ergebenden Rechte und Pflichten eintritt.

3

Die Beklagte zu 1) hat es übernommen, im Auftrage des Landkreises A... für ihr Gebiet die Notfallrettung und den qualifizierten Krankentransport sicherzustellen. Hierzu betreibt sie insgesamt vier Rettungswachen im Kreisgebiet, die rund um die Uhr mit einem Rettungstransportwagen besetzt sind, der wiederum von einem Rettungsassistenten und einem Rettungssanitäter bedient wird. Darüber hinaus hat die Beklagte in Westerstede ein Notarzteinsatzfahrzeug im 24-Stunden-Dienst und bei zwei Rettungswachen Krankentransportwagen im 8-Stunden-Tagdienst stationiert. Die Mitarbeiter für Rettungstransportwagen und das Notarzteinsatzfahrzeug werden jeweils für 12-Stunden-Dienste von 07:30 Uhr bis 19:30 Uhr sowie von 19:30 Uhr bis 07:30 Uhr des Folgetages eingeteilt.

4

Dabei wurde die Anzahl der Schichten so gewählt, dass sie, bezogen auf einen Zeitraum von 26 Wochen, jeweils der Stundenzahl von 54 pro Woche entsprechen.

5

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist § 15 Abs. 2 b BAT, der inhaltlich § 14 Abs. 2 b DRK-Tarifvertrag entspricht, anwendbar.

6

In der Regel leistete der Kläger in der Vergangenheit im Monat zehn Schichten a 24 Stunden. Über einen Zeitraum von 26 Wochen arbeitete der Kläger durchschnittlich in einer 54-Stunden-Woche. Zu den Tätigkeiten des Klägers innerhalb der 24-Stunden-Dienste zählten neben der Notfallrettung im Einsatzfall weitere Tätigkeiten wie die Kontrolle nach dem Medizin-Produktegesetz, Reinigung und Wartung der Fahrzeuge, Einsatzbesprechungen, Dokumentation des Einsatzgeschehens und Desinfektionen, ferner bei Bedarf auch die Einarbeitung bzw. Unterrichtung von Zivildienstleistenden, ehrenamtlichen oder anderen Aushilfskräften. Während seines Dienstes ist der Kläger verpflichtet, sich in der Rettungswache aufzuhalten. Dabei stehen ihm in der Rettungswache Schlafmöglichkeiten zur Verfügung. Nach entsprechender Alarmierung durch die Rettungsleitstelle müssen die Mitarbeiter jederzeit unverzüglich ihren Dienst aufnehmen können. Auf Grund des Niedersächsischen Rettungsdienstgesetzes hat der Rettungsdienst sicher zu stellen, dass in 95 % aller Einsätze in seinem Zuständigkeitsbereich ein Rettungsmittel innerhalb von 15 Minuten nach der Alarmierung am Einsatzort eintrifft.

7

In der Vergangenheit erhielt der Kläger seine Grundvergütung sowie im Rahmen der 24-Stunden-Dienste Nacht- und Feiertagszuschläge, ohne dass insoweit zwischen Bereitschaftsdienst und Arbeitsbereitschaft bzw. tatsächlicher Arbeit differenziert wurde. Ferner erhielt der Kläger Verpflegungsmehraufwandsentschädigung nach dem § 4 der Anlage 2 zum DRK-TV (Sonderregelung für das Personal im Rettungsdienst und Krankentransport).

8

Mit Schreiben vom 10. Oktober 2000 wies der Kläger die Beklagte zu 1) auf die Unzulässigkeit von 24-Stunden-Schichten und 54-Stunden-Wochen hin und machte für die Vergangenheit die Differenz zwischen der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden und den tatsächlich angeordneten 54 Stunden als Überstundenvergütung zumindest dem Grunde nach geltend.

9

Der Kläger hat gemeint, die Anordnung einer 54-Stunden-Woche sei nicht zulässig, weil sie gegen die Richtlinie 93/104/EG unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 3. Oktober 2000 verstoße. Er hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass er gegenüber der Beklagten zu 1) nicht verpflichtet ist, mehr als durchschnittlich 48-Wochen-Stunden Arbeitszeit incl. Bereitschaftsdienst in Form der Anwesenheit auf der Rettungswache zu verrichten,

  2. 2.

    die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen an ihn 53.018,68 DM brutto Überstundenvergütung für die Zeit vom 01.01.1998 bis 31.12.2000 zu zahlen,

  3. 3.

    die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 7.200,00 DM brutto zu zahlen.

10

Die Beklagten haben

Klageabweisung

11

begehrt und gemeint, da der Bereitschaftsdienst, wie ihn der Kläger verrichtet habe, nicht zur Arbeitszeit zähle, verstoße die Anordnung einer 54-Stunden-Woche nicht gegen die Richtlinie 93/104/EG. In Deutschland sei die Richtlinie durch das Arbeitszeitgesetz umgesetzt.

12

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf Wiedergabe im Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

13

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 15. Februar 2002 dem Klageantrag zu 1) entsprochen, im Übrigen die Klage abgewiesen; die Kosten des Rechtsstreits hat es dem Kläger auferlegt; den Streitwert hat es auf 33.392,76 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt: In Bezug auf den Klageantrag zu 1) sei die Klage begründet, im Übrigen sei sie unbegründet. Der Kläger sei nicht verpflichtet, auf der Grundlage des § 7 Arbeitszeitgesetz i.V.m. § 15 BAT bzw. 14 DRK-TV mehr als 48 Stunden Arbeitszeit inklusive Bereitschaftsdienst in Form der Anwesenheit auf der Rettungswache zu verrichten. Eine solche Anordnung verstoße gegen höherrangiges Recht der EG Richtlinien 89/391/EWG (Grundrichtlinie) und 93/104/EG sowie gegen das der Umsetzung dienende Arbeitszeitgesetz in richtlinienkonformer Auslegung. Die maximal zulässige Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden nach dem Arbeitszeitgesetz ergebe sich aus der werktäglichen Höchstarbeitszeit von 8 Stunden an 6 Werktagen (§§ 3, 9 ArbZG). Allerdings lasse das Arbeitszeitgesetz in § 7 Verlängerungen der werktäglichen Arbeitszeit ohne Ausgleich unter bestimmten Voraussetzungen zu, dann nämlich, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft falle, sofern dies in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebsvereinbarung geschehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zählten Bereitschaftsdienste anders als Arbeitsbereitschaft zur Ruhezeit und nicht zur Arbeitszeit. Damit stehe jedoch § 7 in Widerspruch zu höherrangigem Recht. Insbesondere die Richtlinie 93/104/EG enthalte eindeutige und hinreichend konkrete Vorgaben, die umgesetzt werden könnten und müssten. Bereitschaftsdienst in Form persönlicher Anwesenheit auf der Arbeitsstelle stelle bei richtlinienkonformer Auslegung Arbeitszeit dar. Deshalb sei dem Feststellungsantrag des Klägers stattzugeben gewesen. Der Kläger habe allerdings keinen Anspruch auf Zahlung der im Zeitraum vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 2000 über 38,5 Stunden wöchentlich hinaus geleisteten 15,5 Stunden als Überstunden. Ein Überstundenanspruch scheitere daran, dass es sich bei den vom Kläger geleisteten Stunden um dienstplanmäßig festgesetzte Stunden gehandelt habe. Außerdem seien etwaige Überstunden bis einschließlich März 2000 gemäß § 65 Abs. 2 DRK-TV verfallen. Soweit sich der Kläger darauf berufe, die tarifvertraglichen Voraussetzungen für die Anordnung der Bereitschaftsdienste hätten nicht vorgelegen, sei er der ihm obliegenden Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen. Der Kläger habe auch keinen Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 3, 9 ArbZG. Der Schaden des Klägers bestehe in einer Einbuße an Freizeit, dieser Schaden sei nicht ersatzfähig. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Zahlung einer Wechselschichtzulage gemäß § 38 a Abs. 1 DRK-TV für den geltend gemachten Zeitraum. Auch insoweit seien etwaige Ansprüche zu einem Teil, nämlich bis einschließlich August 2000 gemäß § 65 Abs. 2 DRK-TV verfallen. Im Übrigen habe der Kläger die Voraussetzungen der Anspruchsnorm nicht substantiiert dargelegt.

14

Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seinem Ergebnis haben gelangen lassen, wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

15

Gegen dieses ihr am 11. April 2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte zu 1) mit einem am 6. Mai 2002 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie mit einem am 21. Mai 2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Sie will die Abweisung auch der Feststellungsklage des Klägers erreichen und greift das Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 17. Mai 2002, auf deren Inhalt die Kammer Bezug nimmt, an. Sie meint insbesondere, es sei nicht richtig, dass die durch § 15 Abs. 2 b BAT entsprechend § 14 Abs. 2 b DAK-TV i.V.m. § 7 ArbZG zugelassene Ausnahme einer gemeinschaftsrechtskonformen Begrenzung bedürfe. Die Grundrichtlinie und die Arbeitszeitrichtlinie fänden auf den Streitfall keine Anwendung, weil die Beklagte zu 1) in einem Bereich tätig werde, der vom Anwendungsbereich beider Richtlinien ausgenommen sei.

16

Die Beklagte zu 1) beantragt daher,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 15.02.02 - 6 Ca 150/01 - die Klage vollen Umfanges abzuweisen.

17

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

18

Er greift das Urteil gleichfalls an, soweit die Klage abgewiesen worden ist. Ihm ist das erstinstanzliche Urteil ebenfalls am 11. April 2002 zugestellt worden. Er hat mit am 10. Mai 2002 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11. Juli 2002 - mit einem am 2. Juli 2002 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

19

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Zahlungsansprüche weiter. Er verteidigt im Übrigen das arbeitsgerichtliche Urteil, soweit es ihm günstig ist, und tritt den Rechtsausführungen der Beklagten zu 1) entgegen. Er wendet sich insbesondere gegen die Auffassung der Beklagten zu 1), wonach die Tätigkeit des Klägers nicht unter den Geltungsbereich der Richtlinien 93/104/EG sowie 89/391/EWG falle. Art. 2 Abs. 2 der letztgenannten Richtlinie schließe allein spezifische Tätigkeiten im öffentlichen Dienst - Streitkräfte und Polizeitätigkeiten sowie im Katastrophenschutzbereich - aus. Der Europäische Gerichtshof sei in seinem Urteil vom 3. Oktober 2000 unter Nr. 34 von einem weiten Anwendungsbereich der Richtlinie ausgegangen. Insbesondere sei die Tätigkeit des Teams zur medizinischen Grundversorgung, nämlich der Notfallversorgung und der Hausbesuche, nicht den Ausnahmevorschriften zuzurechnen. Die sich aus der Richtlinie 93/104/EG ergebenden Ausnahmen "Tätigkeiten im Straßen-, Luft-, See- und Schienenverkehr, in der Binnenschifffahrt, Tätigkeiten auf See und die Tätigkeiten der Ärzte in der Ausbildung" griffen ebenfalls nicht. Es reiche nicht aus, dass die Notfallrettung irgendwie mit dem Straßenverkehr oder dem Seeverkehr zu tun haben könne, vielmehr seien mit Tätigkeiten im Straßenverkehr diejenigen der Straßenarbeiter oder z.B. der Autobahnpolizei gemeint. Der Kläger beruft sich insoweit auf das Schreiben der Bürgerberaterin der Europäischen Kommission vom 10. Oktober 2001 (Bl. 214 bis 216 d.A. 9 Sa 649/02).

20

Der Kläger greift das Urteil des Arbeitsgerichts nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift an und beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 15.02.2002 (Az: 6 Ca 150/01) teilweise abzuändern und

  1. 1.

    die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger EUR 16.269,38 (DM 31.820,15) brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz der Europäische Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

  2. 2.

    die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger EUR 2.454,20 (DM 4.800,00) brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basissatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

21

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

22

Sie verteidigen das arbeitsgerichtliche Urteil.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Beklagten zu 1) ist nicht begründet, worüber durch Teil-Urteil zu entscheiden war, § 301 ZPO. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1) nicht verpflichtet ist, mehr als durchschnittlich 48 Stunden Arbeitszeit inklusive Bereitschaftsdienst in Form der Anwesenheit auf der Rettungswache zu verrichten.

24

Die Angriffe der Berufung gegen dieses Ergebnis sind nicht stichhaltig.

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1.

Die "Grundrichtlinie" Nr. 89/391/EWG und die "Arbeitszeitrichtlinie" Nr. 93/104/EG finden Anwendung.

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a)

Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie Nr. 89/391/EWG, wonach die Grundrichtlinie keine Anwendung findet, soweit Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeit im öffentlichen Dienst, wie z.B. der Streitkräfte oder der Polizei oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen, bedeutet nicht die Unanwendbarkeit für die Beklagte zu 1). Der Kläger hält ihr zu Recht entgegen, dass Rettungsdienste eine planbare medizinische Grundversorgung leisten und somit nicht unter die eng auszulegenden Ausnahmen in Art. 2 Abs. 2 der Grundrichtlinie fallen. Denn Polizei, Militär und Katastrophenschutz sind Tätigkeiten, die denknotwendig mit unvorhergesehenen, nicht planbaren und über die Grundversorgung hinausgehenden Bedingungen konfrontiert sind. Insoweit ist dann der mit damit verbundenen Aufgaben eingesetzte Arbeitnehmer nicht so umfassend zu schützen wie in planbaren Fällen.

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b)

Rechtsirrig ist auch, dass die Tätigkeit bei der Beklagten zu 1) vom Anwendungsbereich der Richtlinie Nr. 93/104/EG nicht erfasst werde, weil die Beklagte dem in Art. 1 Abs. 3 genannten Ausnahmetatbestand des Straßenverkehrs unterfalle. Dass die Notfallrettung durch Teilnahme am Straßenverkehr erst ermöglicht wird, ist nicht entscheidend. Vielmehr muss es sich um Tätigkeiten im Straßenverkehr handeln, wie sie Straßenarbeiter, Autobahnpolizisten etc. verrichten.

28

2.

Der Beklagten ist darin zuzustimmen, dass das Arbeitszeitgesetz insoweit nicht richtlinienkonform ausgelegt werden kann, als es in § 7 Abs. 1 Nr. 1 a, Nr. 4 a in einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages in einer Betriebsvereinbarung eine Ausdehnung der Arbeitszeit auf mehr als 10 Stunden werktäglich auch ohne Ausgleich erlaubt, wenn in sie regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt. Dies bedeutet die Ermächtigung zur Überschreitung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden, sofern in der Arbeitsbereitschaft Arbeitszeit gesehen werden muss. Letzteres ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes seit seiner Entscheidung vom 3. Oktober 2000 - C 303/98 - (SIMAP) der Fall. Mit dieser Entscheidung hat der Europäische Gerichtshof den Bereitschaftsdienst dem gemeinschaftsrechtlichen Arbeitszeitbegriff zugeordnet. Im Gegensatz dazu zählt das Arbeitszeitgesetz den Bereitschaftsdienst gerade nicht zur Arbeitszeit, sondern ordnet ihn der Ruhezeit zu (§ 5 Abs. 3, § 7 Abs. 2 Nr. 1 ArbZG, vgl. BAG Beschl. v. 18. Februar 2003, 1 ABR 2/02, AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arbeitsbereitschaft).

29

3.

Die Arbeitszeitrichtlinie bestimmt in Art. 6 Nr. 2, dass die Mitgliedstaaten "die erforderlichen Maßnahmen (treffen), damit nach Maßgabe der Erfordernisse der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer ... die durchschnittliche Arbeitszeit pro 7 Tageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet". Mit dieser Vorgabe ist die Anordnung von mehr als 48 Stunden Arbeitszeit einschließlich der Bereitschaftsdienstzeiten nicht vereinbar.

30

a)

Der Kläger kann sich unmittelbar auf die Arbeitszeitrichtlinie berufen, im Verhältnis zwischen ihm und der Beklagten findet die so genannte "vertikale Drittwirkung" statt. Diese Wirkung ist auf das Verhältnis zwischen Bürger und säumigem Staat beschränkt. Der Begriff des Staates ist dabei weit auszulegen. Zu Recht macht der Kläger geltend, dass dazu nicht nur Bund, Länder und Gemeinden, sondern jede mit hoheitlichen Befugnissen betraute juristische Person gehören. Zwar ist die Beklagte als Gesellschaft bürgerlichen Rechts dem Privatrecht zuzuordnen. Die Aufgabe des Rettungsdienstes ist aber in § 3 des Nds. Rettungsgesetzes den Landkreisen und kreisfreien Städten als kommunalen Trägern zugewiesen worden. Dass der Landkreis A... nach § 5 Abs. 1 des Nds. Rettungsdienstgesetzes die beklagte GbR durch Vertrag mit der Durchführung der Notfallrettung und des qualifizierten Krankentransports beauftragt hat, macht letztere nicht zu einer privaten Anbieterin. Denn unstreitig ist der Landkreis A... Mehrheitsgesellschafter der Beklagten zu 1). Dadurch hat sie ungeachtet der Regelungen über die Befugnisse der Gesellschafterversammlung in § 6 des Gesellschaftsvertrages und der Befugnisse der Geschäftsführung in § 8 des Gesellschaftsvertrages faktische Einflussmöglichkeiten, sie hat diese Einflussmöglichkeiten aber auch auf Grund von § 6 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages (auf dessen Inhalt die Kammer Bezug nimmt, Bl. 247 ff. d.A. 9 Sa 648/02). Nach § 6 Abs. 1 wählt die Gesellschafterversammlung aus ihrer Mitte einen Vertreter des Landkreises A... zu ihrem Vorsitzenden. Der Geschäftsführer kann in dringenden Fällen nur im Einvernehmen mit diesem Vorsitzenden entscheiden. Auch die nach § 8 Abs. 2 b vom Geschäftsführer zu treffenden Personalentscheidungen erfordern die inhaltliche Beteiligung der Mitgesellschafter.

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b)

Die Kammer hat im Übrigen Zweifel, ob sich die Differenzierung der Wirkung einer europäischen Richtlinie je nach dem, ob das Verhältnis zwischen Bürger und Staat oder das Verhältnis privater Personen in Rede steht, aufrecht erhalten lässt. Insoweit hat der klägerische Hinweis auf den Schlussantrag des Generalanwalts Colomer in den Rechtssachen C - 397/01 bis C - 403/01 Gewicht, wo es heißt: "Erweist sich diese richtlinienkonforme Auslegung als unmöglich, so muss das nationale Gericht die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts dadurch gewährleisten, dass es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste." Folgt man dem, so erstarkt die Richtlinie zu einer allgemeinen Maßstabsnorm, die die innerstaatlichen Gerichte dazu zwingt, alle ihr widersprechende nationalen Normen unabhängig von einer unmittelbaren Wirkung der Richtlinie unangewendet zu lassen.

32

4.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.