Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.12.2008, Az.: 5 Sa 984/08 E
Unbegründete Eingruppierungsklage eines Oberarztes bei fehlender Ausdrücklichkeit der Übertragung medizinischer Verantwortung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 11.12.2008
- Aktenzeichen
- 5 Sa 984/08 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 31230
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2008:1211.5SA984.08E.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Wilhelmshaven, 2 Ca 482/07 vom 14.05.2008
Rechtsgrundlage
- § 16 TV-Ärzt/VKA
Amtlicher Leitsatz
Hat sich das Aufgabengebiet eines Oberarztes "entwickelt", steht dies der vom Tarifvertrag geforderten "ausdrücklichen Übertragung" entgegen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven vom 14.05.2008 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers.
Der Kläger ist aufgrund des Arbeitsvertrages vom 15.09.1981 seit dem 01.10.1981 als Oberarzt für die Beklagte tätig. Arbeitsort ist die Frauenklinik des Krankenhauses in A-Stadt.
Der schriftliche Arbeitsvertrag der Parteien bezeichnet in § 1 den Kläger als "Oberarzt". In § 2 nimmt er auf die Vorschriften des BAT sowie ergänzende ändernde und ersetzende Tarifverträge Bezug. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf eben diesen Arbeitsvertrag, Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 5 - 8 der Gerichtsakte, verwiesen.
Die Frauenklinik besteht aus 3 Bereichen, nämlich der Abteilung Geburtshilfe, der allgemeinen gynäkologischen Station und einem Brustzentrum. Die Abteilung "Frauengeburtshilfe" ist räumlich von den übrigen Bereichen abgegrenzt, verfügt über eigenes ärztliches Personal, eigenes Pflegepersonal, eigenständige Dienstpläne und wird gesondert in der Statistik behandelt.
Dort ist der Kläger überwiegend zu mehr als 50 % seiner Arbeitszeit tätig und auch bereits seit dem 01.08.2006 tätig gewesen. Er ist Mitglied des Marburger Bundes. Für ihn gilt seit dem 01.10.2006 der Tarifvertrag - Ärzte/VKA.
Chefarzt der Frauenklinik war zunächst Professor B. Auf seine Veranlassung hin veränderte sich der Arbeitsbereich des Klägers. Zunächst war er in der plastischen Brustchirurgie tätig, hat dann mehr und mehr sukzessiv im Bereich der Geburtshilfe gearbeitet und sich in diesem Fachgebiet auch zusätzliche Qualifikationen erworben. Mit Einverständnis und zur Zufriedenheit seines damaligen und auch derzeitigen Vorgesetzten, dem jeweiligen Chefarzt, übernahm er sein gegenwärtiges Aufgabengebiet, welches er zur Zeit ausübt, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob der Kläger die medizinische Verantwortung im Sinne des Tarifvertrages inne hat. Mit Einverständnis des Chefarztes Professor B. endete die zuvor übliche Praxis des halbjährlichen Wechsels des Aufgabengebietes.
Der Kläger weist den Assistenzärzten Tätigkeiten zu. Er entscheidet im Bereich der Geburtshilfe in medizinischen Fragen, wobei der Chefarzt im Einzelfall eine Letztentscheidungskompetenz erhält. Ein Privatliquidationsrecht hat er nicht, sodass er die Privatpatienten im Bereich der Geburtshilfestation nicht behandelt.
Das Krankenhaus erfüllt die Voraussetzungen, um die Bezeichnung "Perinatalzentrum Level 2" gemäß der "Vereinbarung des gemeinsamen Bundesausschusses über Maßnahmen zur Qualitätssicherung der Versorgung von Früh- und Neugeborenen" zu führen. Voraussetzung hierfür ist die Schwerpunktkompetenz der ärztlichen Leitung der Geburtshilfe "spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin". Diese Schwerpunktkompetenz hat der Kläger nicht, sondern der Chefarzt. Der Kläger kann eine Äquivalenzbescheinigung vorweisen.
Der Dienstvertrag der Beklagten mit dem damaligen Chefarzt Professor B. lautet auszugsweise wie folgt:
"§ 5 Abs. 2
Im Rahmen der Besorgung seiner Dienstaufgaben überträgt der Arzt, soweit nicht die Art oder die Schwere der Krankheit sein persönliches Tätigwerden erfordern, den ärztlichen Mitarbeitern - entsprechend ihrem beruflichen Bildungsstand, ihren Fähigkeiten und Erfahrungen - bestimmte Tätigkeitsbereiche oder Einzelaufgaben zur selbstständigen Erledigung. Die Gesamtverantwortung des Arztes wird hierdurch nicht eingeschränkt.
§ 6 Abs. 3
Bei der Einstellung nachgeordneter Ärzte seiner Klinik steht dem Arzt ein Vorschlagsrecht zu. Will die Personalverwaltung von dem Vorschlag des Arztes abweichen, so ist dem Arzt Gelegenheit zur weiteren Begründung seines Vorschlages zu geben. Auf seinen Wunsch ist er hierzu auch vom Krankenhausdezernenten oder von dem Personaldezernenten zu hören.
Vor der Umsetzung und Entlassung nachgeordneter Ärzte seiner Klinik ist der Arzt zu hören. Das gleiche gilt bei der Einstellung von Mitarbeitern im medizinisch-technischen Dienst, bei Pflegepersonal in herausgehobener Stellung sowie bei Schreibkräften seiner Klinik.
Will der KhT bei der Einstellung eines Oberarztes für seine Abteilung oder dessen Vertreters von dem Vorschlage des Arztes abweichen, wird der KhT, um dem Gesichtspunkt der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arzt und Oberarzt bzw. -vertreter in besonderem Maße Rechnung zu tragen, zusätzlich noch eine Stellungnahme der Konferenz der Leitenden Ärzte einholen.
Abs. 4
Der Arzt hat in ärztlichen Angelegenheiten das Weisungsrecht gegenüber den Mitarbeitern seiner Abteilung. Die Befugnisse des Ärztlichen Direktors des Krankenhauses, der Leitenden Krankenpflegekraft und des Verwaltungsleiters in ihren Aufgabenbereichen bleiben unberührt. "
Die Beklagte gewährt dem Kläger seit Anwendung des Tarifvertrages-Ärzte/VKA Vergütung nach der Entgeltgruppe 2. Mit Schreiben vom 21.12.2006 machte der Kläger Vergütung nach der Entgeltgruppe 3 Stufe 2 dieses Tarifvertrages geltend.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, ihm sei seit dem 01.08.2006 Vergütung nach der Entgeltgruppe 3 Stufe 2 des TV-Ärzte/VKA zu zahlen. Er hat die Auffassung vertreten, die tariflichen Voraussetzungen für die Einstufung als Oberarzt in die Entgeltgruppe 3 gemäß § 16 c eben dieses Tarifvertrages erfüllt zu haben. Die Abteilung Geburtshilfe der Frauenklinik stelle einen selbstständigen Teil - oder Funktionsbereich dar. Er hat behauptet, der frühere leitende Arzt Professor B. habe ihm die medizinische Verantwortung für den Teilbereich Geburtshilfe bzw. Perinatalzentrum übertragen. Er sei anweisungsbefugt gegenüber den anderen Ärzten und dem Pflegepersonal in seinem Teilbereich, bei Abwesenheit des leitenden Arztes auch gegenüber den beiden anderen Oberärzten gewesen. In Zweifelsfällen entscheide er in Behandlungsfragen. Ab etwa 1986 habe er vom Chefarzt die Leitung der Geburtshilfe erhalten.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm seit dem 01.08.2006 Vergütung nach der Entgeltgruppe 3 Stufe 2 des TV-Ärzte VKA zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat insbesondere eingewandt, der leitende Arzt Professor B. habe dem Kläger nicht die medizinische Verantwortung des Bereiches Geburtshilfe übertragen, hierzu sei er auch nicht befugt gewesen.
Mit Urteil vom 14.05.2008 hat das Arbeitsgericht Wilhelmshaven die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Bl. 4 - 6 der selben, Bl. 64 - 66 der Gerichtsakte, verwiesen.
Dieses Urteil ist dem Kläger am 13.06.2008 zugestellt worden. Hiergegen hat er mit einem am 09.07.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 11.09.2008 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 28.07.2008 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.09.2008 verlängert hatte.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er behauptet, der damalige leitende Arzt, Professor B., habe seinerseits seinen Wechsel nach A-Stadt zu der Beklagten davon abhängig gemacht, dass er den Kläger als Oberarzt nach A-Stadt mitbringen könne. Er meint, die Beklagte müsse sich das Handeln dieses leitenden Arztes zurechnen lassen. Er habe im Rahmen seiner Befugnisse und Vollmacht, die arbeitsvertraglich erteilt worden sei, gehandelt. Jedenfalls müsse sich die Beklagte das Handeln ihres ärztlichen Leiters unter dem Gesichtspunkt der Duldungsvollmacht zurechnen lassen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Wilhelmshaven abzuändern und nach den zuletzt in erster Instanz gestellten Anträgen zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 09.09., 13.10. sowie 10.12.2008 verwiesen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).
B.
Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Wilhelmshaven die Klage abgewiesen. Es hat zutreffend erkannt, dass dem Kläger nicht die Entgeltgruppe III gemäß § 16 des TV-Ärzte/VKA zusteht.
I.
Die Klage ist als Eingruppierungsfeststellungsklage gemäß § 256 zulässig. Es handelt sich vorliegend um eine im Arbeitsrecht übliche Eingruppierungsfeststellungsklage, deren Zulässigkeit sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst allgemein anerkannt ist.
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe III des § 16 des Tarifvertrages TV-Ärzte/VKA.
1.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TV-Ärzte/VKA Anwendung. Nach §§ 15, 16 TV-Ärzte/VKA hängt der Rechtsstreit davon ab, ob der Kläger mit mindestens der Hälfte seiner Arbeitszeit Arbeitsvorgänge zu bearbeiten hat, die den tariflichen Anforderungen der begehrten Entgeltgruppe III entsprechen. Die Entgeltgruppe III enthält den Wortlaut: "Oberärztin/Oberarzt".
Nach der Protokollerklärung zu § 16 lit. c haben die Tarifvertragsparteien vorstehende Berufsbezeichnung wie folgt erläutert: "Oberarzt/Oberärztin" ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt
- der/dem die medizinische Verantwortung
- für selbstständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung - vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.
2.
Zugunsten des Klägers geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Abteilung Geburtshilfe innerhalb der Frauenklinik des Krankenhaus ein selbstständiger Teilbereich im Sinne des Tarifvertrages ist.
Der Begriff des Teilbereiches ist im Tarifrecht neu. Als Organisationseinheit zwischen dem Funktionsbereich und dem einzelnen Arzt/Facharzt setzt der klinische Teilbereich eine gewisse Größe voraus, um für das Merkmal der medizinischen Verantwortung eine sachliche Grundlage zu bieten, auch wenn sich eine derartige Folgerung nicht unmittelbar aus dem Tarifvertrag entnehmen lässt. Man wird daher eine abgegrenzte organisatorische Einheit fordern, der eine bestimmte Aufgabe zugeordnet ist und der regelmäßig mehrere Ärzte oder Fachärzte zugeordnet sein müssen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, vom 13.08.2008, Az.: 2 Sa 329/07 - juris; Wahlers, Personalvertretung 2008, S. 204).
Diese Voraussetzungen in Form der organisatorischen Selbstständigkeit sind im vorliegenden Streitfall gegeben. Im Übrigen wird in der Literatur (Anton, Oberarzt-Titel und Eingruppierung, ZTR 2008, 184 - 189 [LAG Sachsen 02.11.2007 - 7 SaGa 19/07]) die Geburtshilfe innerhalb des Fachgebietes Frauenheilkunde und Geburtshilfe ausdrücklich als Beispiel eines Teilbereiches im Sinne der tariflichen Vorschrift genannt.
3.
Es kann ausdrücklich dahingestellt bleiben, ob der Kläger die medizinische Verantwortung im Sinne der tarifvertraglichen Regelung inne hatte, wobei dem zeitlichen Erfordernis der Tarifnorm entsprochen ist. In der Regel ist bei Ärzten von einem einzigen großen Arbeitsvorgang auszugehen (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.08.2008, Az.: 3 Sa 768/07 - juris). Hiervon abzuweichen gibt es im vorliegenden Streitfall keinen Anlass. Wie im Kammertermin unstreitig geworden ist, übte der Kläger die vom Berufungsgericht zu bewertende Tätigkeit in der Geburtshilfe überwiegend, d. h. zu mehr als 50 % seiner Tätigkeit aus.
Es ist nicht entscheidungserheblich, ob das vom Kläger für sich reklamierte Höhergruppierungsmerkmal der medizinischen Verantwortung an der Letztverantwortlichkeit des Chefarztes scheitert (bejahend: Anton, a.a.O.; LAG Rheinland-Pfalz a.a.O.; verneinend: LAG Sachsen, Urteil vom 04.06.2008, Az.: 9 Sa 658/07 - juris; LAG Mecklenburg-Vorpommern a.a.O.).
Ebenfalls entscheidungsunerheblich ist, ob die fehlende Schwerpunktkompetenz "spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin" über die der Kläger nicht verfügt, wohl aber der Chefarzt, der Bejahung dieses Tatbestandsmerkmales entgegensteht. Ebenso kann auf sich beruhen, ob das fehlende Liquidationsrecht und die damit einhergehende Nichtbehandlung von Privatpatienten deswegen zur Verneinung dieses Tatbestandsmerkmales führt, weil die medizinische Verantwortung nur dann vorliegt, wenn sie sich auf sämtliche in diesem Teilbereich behandelnden Patienten erstreckt (in diesem Sinne: LAG Düsseldorf, Urteil vom 08.08.2008, Az.: 9 Sa 1399/07 - juris RdNr. 48).
4.
Dem Kläger sind diese Kompetenzen jedenfalls nicht "ausdrücklich" vom Arbeitgeber übertragen worden.
a)
Die Tarifvertragsparteien haben das Merkmal der "Ausdrücklichkeit" nicht näher definiert. Es ist davon auszugehen, dass dieses Merkmal nach den üblichen Auslegungsgrundsätzen, die bei Tarifverträgen gelten, bestimmt wird:
Nach ständiger und allgemein anerkannter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages, den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragspartei mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnis nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, Urteil vom 21.08.2003, Az.: 8 AZR 430/02 - AP Nr. 185 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie; BAG, Urteil vom 22.10.2003, Az.: 10 AZR 152/03 - BAGE 108, 176 [BAG 22.10.2003 - 10 AZR 152/03] - 184; BAG, Urteil vom 24.10.2007, Az.: 10 AZR 878/06 - juris).
b)
Nach diesen Auslegungsgrundsätzen gelten für das Merkmal der Ausdrücklichkeit folgende Grundsätze: bereits seinem Wortsinn nach unterscheidet der Tarifvertrag die schlichte Übertragung von der im vorliegenden Zusammenhang geforderten ausdrücklichen Übertragung. Dieser unterschiedliche Sprachgebrauch ist bei der Rechtsanwendung und Tarifauslegung zu beachten. Eine ausdrückliche Übertragung braucht zwar nicht wortwörtlich zu erfolgen, sie muss jedoch hinreichend und genügend deutlich werden. Bereits der allgemeine Sprachgebrauch macht einen Unterschied, ob etwas ausdrücklich übertragen werden muss oder aber eine einfache Übertragung genügt. Jedenfalls dürfen an dieses Merkmal der ausdrücklichen Übertragung keine zu geringen Anforderungen gestellt werden (LAG Rheinland-Pfalz, a.a.O.). Mit diesem Tarifmerkmal wollten die Tarifvertragsparteien eine stillschweigende, konkludente oder gegebenenfalls schleichende Übertragung der medizinischen Verantwortung nicht ausreichen lassen. Rein tatsächliche Dispositionen eines leitenden Arztes genügen nicht.
Darüber hinaus entspricht der Begriff der ausdrücklichen Übertragung dem früher im BAT verwendeten Begriff der ausdrücklichen Anordnung, beispielsweise in Vergütungsgruppe I, VKA des Tarifvertrages zur Änderung und Ergänzung der Anlage 1a zum BAT (Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Zahnärzte) vom 23.02.1972. Zu diesem Begriff hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 14.08.1991, Az.: 4 AZR 25/01 - AP Nr. 159 zu §§ 22, 23 BAT 1975) klargestellt, dass die rein tatsächliche Entscheidung des leitenden Arztes zur Erfüllung der Anforderungen "durch ausdrückliche Anordnung bestellt" nicht ausreiche, es vielmehr eines Beschlusses des zuständigen Organs des jeweiligen Arbeitgebers bedürfe.
c)
Diesem Erfordernis ist im vorliegenden Streitfall nicht entsprochen. Der Kläger hat die von ihm behauptete Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Chefarzt Professor B. erstmals im Termin zur Berufungsverhandlung am 11.12.2008 präzisiert und konkretisiert. Seine zu Protokoll genommene Erklärung ist maßgebend für die Entscheidung des Gerichtes. Seiner Erklärung folgend, haben sich sein Aufgabengebiet und dessen inhaltliche Ausgestaltung entwickelt und er hat mit Einverständnis und zur Zufriedenheit seines damaligen Vorgesetzten diese Aufgabenbereiche übernommen. Dies ist der Gegensatz zu dem von dem Tarifvertrag erforderten Merkmal einer "ausdrücklichen Übertragung". Es handelt sich um eine schleichende fortlaufende Übertragung eines Aufgabengebietes, die auch maßgebend auf einer Duldung und nicht auf einer klar erkennbaren, mithin ausdrücklichen Übertragung beruhte.
d)
Unabhängig davon, ob der im Kammertermin erstmals vorgelegte Dienstvertrag des Chefarztes diesen bevollmächtigte, auf den Kläger die medizinische Verantwortung im Sinne des Tarifvertrages für die Geburtshilfe zu übertragen, sind die Voraussetzungen der Duldungsvollmacht nicht gegeben. Der Kläger hat diese Voraussetzungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
aa)
Eine Duldungsvollmacht ist gegeben, wenn der Vertretene es wissentlich geschehen lässt, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt und der Geschäftsgegner dieses Dulden nach Treu und Glauben dahin versteht und auch verstehen darf, dass der als Vertreter Handelnde bevollmächtigt ist (Palandt-Heinrichs, 66. Aufl., § 172 RdNr.. 8).
bb)
Im vorliegenden Streitfall ist nicht erkennbar, dass die Klinikleitung von dem - behaupteten und zugunsten des Klägers als wahr unterstellten - Handeln des Professors B. tatsächlich Kenntnis hatte. Diese Kenntnis ist weder vom Kläger substantiiert, geschweige denn unter Beweis gestellt worden. Es entspricht auch keineswegs der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Klinikleitung zwingend von den internen Kompetenz- und Aufgabenverteilungen eines Chefarztes Kenntnis erlangen muss. Dies scheint dem Gericht schon deswegen fern zu liegen, weil es bis zum 01.08.2006, also vor Inkrafttreten des jetzt anzuwendenden TV-Ärzte/VKA, vergütungsrechtlich im Sinne einer Eingruppierung überhaupt nicht darauf an kam, welche konkrete Aufgabenzuweisung der Chefarzt gegenüber seinen Oberärzten vornahm.
Nach Inkrafttreten dieses neuen Tarifwerkes ist die Beklagte dem Höhergruppierungsbegehren des Klägers entgegengetreten und gab so zu erkennen, die von ihm behauptete medizinische Verantwortung gerade nicht akzeptieren zu wollen.
cc)
Im Übrigen kann die vom Kläger angenommene Duldungsvollmacht lediglich eine eventuell nicht im Dienstvertrag enthaltene Vollmacht ausgleichen, nicht hingegen die fehlende "Ausdrücklichkeit" der Übertragung kompensieren.
C.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zuzulassen.