Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.12.2008, Az.: 16 Sa 236/08

Vereinbarkeit der positiven Maßnahme durch § 5a Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) mit höherrangigem Recht, u.a. dem europäischen Gemeinschaftsrecht zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen; Unverzichtbarkeit des weiblichen Geschlechtes für die Erbringung der Arbeitsleistung einer städtischen Gleichstellungsbeauftragten; Besetzung einer Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten nur mit Frauen zur Verhinderung oder Ausgleichung der Nachteile des einen Geschlechtes gegenüber dem anderen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
05.12.2008
Aktenzeichen
16 Sa 236/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 38204
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2008:1205.16SA236.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Lingen - 20.12.2007 - AZ: 1 Ca 246/07

In dem Rechtsstreit
...
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Dezember 2008
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hannes,
die ehrenamtliche Richterin Frau von Schütz zu Holzhausen,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Heyer
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 20.12.2007, Az. 1 Ca 246/07 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger macht mit der Klage einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung gegenüber der Beklagten geltend mit der Begründung, seine Bewerbung bei der Beklagten habe keinen Erfolg gehabt nur aufgrund der Tatsache, dass er männlichen Geschlechtes sei.

2

Die Beklagte ist eine Stadt mit ca. 53.000 Einwohnern. Unter dem Datum des 03.03.2007 schrieb die Beklagte per Zeitungsinserat in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung die Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten aus. In dieser Anzeige heißt es unter anderem wie folgt:

"Die Stadt C-Stadt sucht Sie frühestmöglich als

GLEICHSTELLUNGSBEAUFTRAGTE

Ihre Aufgaben

  • Mitwirkung an der Umsetzung des Verfassungsauftrages der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Stadt C-Stadt und innerhalb der Stadtverwaltung. Zu diesem Zweck bietet die Gleichstellungsbeauftragte kompetente und engagierte Hilfe und Unterstützung bei sämtlichen frauen- und gleichstellungsrelevanten Fragestellungen an.

  • ? Die Gleichstellungsbeauftragte hat einen Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dazu gehört die Analyse, Entwicklung von Lösungsansätzen, Beratung und Initiierung von Maßnahmen.

  • ? Die Gleichstellungsbeauftragte unterstützt die Verwaltung und die Politik bei frauen- und gleichstellungsrelevanten Entscheidungen.

  • ? Sie entwickelt und initiiert Maßnahmen mit dem Ziel des Abbaus von Benachteiligungen, insbesondere zu frauen- und mädchenrelevanten Themen.

  • ? Die Gleichstellungsbeauftragte arbeitet im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages mit sämtlichen frauenrelevanten Organisationen, Initiativen und Institutionen zusammen und stellt Öffentlichkeit für die entsprechenden Fragen her. Einer der Schwerpunkte liegt in der Integrationsarbeit mit zugewanderten Frauen, sowohl in der Initiierung von Projekten und Beratung/Betreuung von Gruppen als auch in der Einzelberatung.

  • ? Die Gleichstellungsbeauftragte berät Bürgerinnen und Bürger in Gleichstellungsfragen und bietet Unterstützung in Fällen von Frauendiskriminierung.

Wir erwarten

  • ein abgeschlossenes Fachhochschulstudium oder eine vergleichbare Ausbildung in einer pädagogischen bzw. geisteswissenschaftlichen Fachrichtung,

  • nachweisbare Erfahrung in der aktiven Frauenarbeit,

  • Beratungserfahrung und Methodenkompetenz,

  • ein hohes Maß an Engagement, Kooperations- und Konfliktfähigkeit,

  • rhetorische Stärken."

3

Wegen des Inhalts des Inserates im Übrigen wird auf dieses (Bl. 4 d.A.) verwiesen.

4

Der am 04.06.1972 geborene Kläger studierte nach dem Abitur Betriebswirtschaft und schloss das Studium als Diplomkaufmann ab. Daran schloss sich ein Fernstudium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Hagen an, das er 1997 erfolgreich beendete. Der Kläger war anschließend bei der Firma Hochtief, zuletzt bei der Firma RWE Power AG beschäftigt. In dieser Zeit war er vom 13.01.2004 bis 31.05.2007 ordentliches Betriebsratsmitglied der Zentrale in A-Stadt und war unter anderem als stellvertretender Gleichstellungsbeauftragter im Rahmen des Betriebsrates tätig. Das Arbeitsverhältnis zur Firma RWE Power AG endete durch Auflösungsvertrag vom 17.01.2007 zum 31.05.2007. Wegen des Inhalts des Auflösungsauftrages wird auf diesen (Bl. 40/41 d.A.) verwiesen.

5

Der Kläger hat darüber hinaus als wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehr- und Übungsveranstaltungen an der Universität Dortmund abgehalten.

6

Mit Datum vom 05.03.2007 bewarb sich der Kläger auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle einer Gleichstellungsbeauftragten. Wegen des Inhalts des Bewerbungsschreibens wird auf dieses (Bl. 5 d.A.) verwiesen.

7

Mit Datum vom 20.03.2007 lehnte die Beklagte die Bewerbung ab. Hierin ist u.a. folgendes aufgeführt:

"Die Niedersächsische Gemeindeordnung gibt vor, dass das Amt der Gleichstellungsbeauftragten nur durch eine Frau besetzt werden darf. Entsprechend der Gesetzesbegründung erfordern die tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten es derzeit noch, dass die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten sich überwiegend um die Belange der weiblichen Bevölkerung kümmern werden, denn sie ist es, die aufgrund der strukturellen Rahmenbedingungen nicht immer eine gleichberechtigte Stellung erlangen kann. Der in der Niedersächsischen Verfassung enthaltene Auftrag zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen erfordert unter den gegenwärtigen Gegebenheiten Maßnahmen, die überwiegend durch frauenfördernde Elemente gekennzeichnet sind.

Wie ich des weiteren Ihren Bewerbungsunterlagen entnehme, erfüllen Sie außerdem nicht die in der Stellenausschreibung geforderten Anforderungen."

8

Wegen des Inhalts des Ablehnungsschreibens im Übrigen wird auf dieses (Bl. 6 d.A.) verwiesen.

9

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe ihn aufgrund der Tatsache, dass die Stelle nur für eine weibliche Gleichstellungsbeauftragte ausgeschrieben sei, unzulässigerweise diskriminiert. Der Kläger erfülle die objektiven Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle, da seine akademische Ausbildung als geisteswissenschaftliches Studium anzusehen sei. Im Übrigen erfülle er auch die sonstigen Voraussetzungen der ausgeschriebenen Stelle. Aus diesem Grunde sei die Beklagte verpflichtet, an ihn eine Entschädigung wegen der vorhandenen Diskriminierung zu zahlen.

10

Bei der Höhe sei von drei Tarifgehältern auszugehen.

11

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.04.2007 zu zahlen, hilfsweise ab dem 30.05.2007.

12

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Sie hat die Auffassung vertreten, dass eine Diskriminierung nicht vorliege, weil der Kläger objektiv ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle sei. Insbesondere verfüge er nicht über ein abgeschlossenes geisteswissenschaftliches Studium.

14

Da der Kläger für die Stelle nicht geeignet sei, könnte er auch keine Nachteile erlitten haben. Die Bewerbung sei von Anfang an nicht als ernsthaft anzusehen gewesen.

15

Darüber hinaus sehe die Niedersächsische Gemeindeordnung in ihrem § 5 a vor, dass die Stelle nur durch eine Frau besetzt werden dürfe.

16

Durch Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 20.12.2007 wurde die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und der Streitwert auf 8.500,00 EUR festgesetzt.

17

Dieses Urteil wurde dem Kläger am 14.01.2008 zugestellt. Hiergegen legte dieser am 12.02.2008 Berufung ein und begründete diese mit einem am 27.02.2008 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz.

18

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, es sei unzutreffend, wenn das Arbeitsgericht ausführe, bei den vom Kläger abgeschlossenen Studiengängen der Wirtschaftswissenschaften mit Abschluss Diplomkaufmann bzw. Volkswirtschaftslehre handele es sich nicht um sog. Geisteswissenschaften, die in der Stellenausschreibung gefordert gewesen seien. Es sei vielmehr so, dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, wie auch durch Wissenschaftler bestätigt, es sich bei der Fachrichtung "Wirtschaft" sehr wohl um eine Geisteswissenschaft handele. In der beruflichen Praxis sei es so, dass es ohnehin vielfach weniger auf das erlernte jeweilige Fachwissen ankomme, vielmehr auf die im Studium erworbene Fähigkeit, methodisch fundierte Problemlösungen zu erstellen. Auch andere Studien der Geisteswissenschaften, wie z.B. das der Kunstgeschichte, erhielten keine bessere Qualifikation des jeweiligen Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle.

19

Im übrigen habe es das Gericht unterlassen, die Vereinbarkeit der Vorschrift der Niedersächsischen Gemeindeordnung mit den europarechtlichen Gleichstellungsrichtlinien zu überprüfen und gegebenenfalls eine Vorlage beim Europäischen Gerichtshof zu machen.

20

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 20.12.2007, Az. 1 Ca 246/07 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 8.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.04.2007 zu zahlen, hilfsweise ab Klageerhebung.

21

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

22

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 02.04.2008 (Bl. 90 bis 92 d.A.) sowie vom 29.04.2008 (Bl. 97/98 d.A.).

Entscheidungsgründe

23

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

24

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) nicht zu. Erst recht ist ein Schadensersatzanspruch gemäß § 21 AGG nicht begründet.

25

Nach § 15 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsgebot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen, was allerdings nicht gilt, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzungen nicht zu vertreten hat. Gemäߧ 15 Abs. 2 AGG kann der Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, wobei die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen darf, wenn der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

26

Da der Kläger vorliegenden keinen Schadensersatz für einen entstandenen tatsächlichen Schaden verlangt, ist vorliegend maßgeblich die Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG.

27

1.

Bei der Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verschulden nicht erforderlich. Gleichwohl muss die Stellenausschreibung der Beklagten zuzurechnen sein. Da die Beklagte selbst die Anzeige geschaltet hat, ist die Beklagte Veranlasserin dafür, dass nur eine weibliche Gleichstellungsbeauftragte gesucht wurde. Dieses ist für den Entschädigungsanspruch grundsätzlich ausreichend.

28

2.

Gemäß § 8 Abs. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechtes zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderungen angemessen sind.

29

Die Ausschreibung nur in der weiblichen Form ist aber dann gerechtfertigt, wenn die Durchführung der Tätigkeit durch eine weibliche Person unverzichtbar ist. Unverzichtbarkeit in diesem Sinne ist dann zu bejahen, wenn Beschäftigte eines bestimmten Geschlechtes die Arbeitsleistung zwar erbringen können, jedoch schlechter als Beschäftigte des anderen Geschlechts, und dieser Qualifikationsnachteil auf biologischen Gründen beruht (vgl. Urt. des BAG vom 14.08.2007, Az. 9 AZR 943/06 in NZA 2008, 99).

30

Eine Unverzichtbarkeit in diesem Sinne liegt nicht vor, wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 12.11.1998, Az. 8 AZR 365/97 (NZA 1999, 371 bis 374) festgestellt hat. Dem Bundesarbeitsgericht ist insoweit zu folgen, als grundsätzlich die Fragen der Gleichstellung im Arbeitsleben sowohl durch eine männliche, wie durch eine weibliche Person durchgeführt werden können.

31

Jedoch ist vorliegend die Besonderheit gegeben, dass die Niedersächsische Gemeindeordnung (NGO) in ihrem § 5 a vorsieht, dass nur weibliche Gleichstellungsbeauftragte berufen werden können.

32

Zwar regelt § 5 a NGO nicht ausdrücklich, dass die Gleichstellungsbeauftragte weiblich sein muss, jedoch ist aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen der NGO ersichtlich, dass die zu berufene Person weiblich sein muss. Dieses ergibt sich insbesondere daraus, dass in § 5 a NGO nur die weibliche Form für die Person benutzt wird, während im übrigen Gesetz jeweils beide Formen genutzt werden wie die Begriffe "Beamtinnen und Beamte" und "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer". Die Formulierung des § 5 a NGO schließt es deshalb aus, dass in das Amt ein Mann berufen wird (so auch Blum u.a., Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, Loseblattsammlung, Stand August 2008, § 5a NGO, Rdnr. 20).

33

Gleichwohl gehören zur rechtlichen Unverzichtbarkeit im obigen Sinne nicht die Fälle, in denen ein Gesetz die Beschäftigung des jeweils anderen Geschlechtes verbietet, denn das Gesetz darf höherrangigem Recht nicht widersprechen. Liegt ein Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht vor, der zur Unabwendbarkeit der nationalen Bestimmungen führen kann, kann sich der Arbeitgeber auf das nationale Recht nicht berufen und hat insbesondere die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen zu berücksichtigen.

34

3.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes kommt es vorliegend nicht allein darauf an, ob letztlich die Ablehnung des Klägers objektiv gerechtfertigt war, da er insbesondere hinsichtlich seiner Ausbildung nicht die Voraussetzungen erfüllt.

35

Es ist nicht davon auszugehen, dass die fachliche Eignung des Klägers offensichtlich fehlte. Vielmehr handelte es sich um eine ernsthafte Bewerbung, die die Beklagte auch entsprechend zu prüfen hatte. Es kann letztlich dahingestellt bleiben, ob die Studiengänge des Klägers geisteswissenschaftlicher Art sind, jedenfalls war aufgrund der Ausbildung des Klägers, seiner beruflichen Vorkenntnisse, die er sowohl während seiner Betriebsratstätigkeit wie auch seiner Lehr- und Übungsveranstaltungen erworben hatte, davon auszugehen, dass der Kläger grundsätzlich geeignet für die Stelle war, jedenfalls auch im Verhältnis zu weiteren Bewerbern aufgrund der in der Annonce der Beklagten aufgeführten Anforderungen.

36

Wie aus der Ablehnung der Beklagten vom 20.03.2007 deutlich erkennbar ist, war die vorliegende und umfangreichere Begründung der Beklagten die, dass der Kläger nicht genommen werden konnte aufgrund der Tatsache, dass er männlichen Geschlechtes ist. Nur daneben ("des Weiteren") wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er auch nicht die geforderten Anforderungen erfülle, ohne dass dieses weiter begründet wurde. Es gab deshalb bei der Ablehnung des Klägers ein Motivbündel, das sowohl das Geschlecht wie auch die Ausbildung des Klägers betraf. Für die Benachteiligung aufgrund des Geschlechtes ist es jedoch ausreichend, wenn das diskriminierende Merkmal in einem Motivbündel mit enthalten ist. Es ist nicht erforderlich, dass die Ablehnung der Bewerbung ausschließlich auf einem Merkmal des § 1 AGG beruhte. Diese Bewertung ist deshalb zutreffend, weil die Bewerbung des Klägers mit denen von anderen Bewerbern in einen Vergleich zu setzen ist und nicht ausgeschlossen ist, dass das Geschlecht des Klägers von Vornherein dazu geführt hat, dass eine ernsthafte Prüfung bezüglich des Klägers nicht mehr stattgefunden hat (so auch Bundesverfassungsgericht vom 16.11.1993, Az. 1 BvR 258/86 in NJW 1994, 647 - 648, BAG vom 12.09.2006, Az. 9 AZR 807/05 in NZA 2007, 507 - 512, Arbeitsgericht Berlin, Urt. vom 12.11.2007, Az. 86 Ca 4035/07 in NZA 2008, 492 - 496 d.A.).

37

4.

Eine Rechtfertigung für die Ausschreibung in weiblicher Form ergibt sich jedoch jedenfalls aus der Vorschrift des § 5 AGG. Nach dieser Vorschrift ist ungeachtet der in den §§ 8 bis 10 sowie in § 20 genannten Gründen eine unterschiedliche Behandlung auch dann zulässig ist, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen eines in § 1 genannten Grundes verhindert oder ausgeglichen werden sollen (sog. positive Maßnahmen).

38

§ 1 AGG regelt, dass Ziel des Gesetzes sei, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern und zu beseitigen.

39

Die Regelung des § 5 a NGG beinhaltet zur Überzeugung der Kammer eine Regelung in der Weise, dass durch eine geeignete und angemessene Maßnahme die bestehenden Nachteile wegen des Geschlechtes verhindert oder ausgeglichen werden sollen. § 5 a NGG regelt, dass die Tätigkeit der Gleichstellungsbeauftragten das Ziel hat, zur Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern beizutragen. Aus diesem Grunde soll sie nach Maßgabe der Vorschriften des § 5 a NGO an allen Vorhaben, Entscheidungen, Programmen und Maßnahmen mitwirken, die Auswirkungen auf die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Anerkennung der gleichwertigen Stellung von Frauen und Männern in der Gesellschaft haben.

40

Dieser Regelung liegt die Analyse zugrunde, dass die gewünschte Gleichberechtigung der Geschlechter in der realen Wirklichkeit dazu führen muss, dass eine Förderung des weiblichen Geschlechts im Arbeitsleben erforderlich ist, um diese Gleichberechtigung auch tatsächlich zu erreichen. Diese Analyse ist begründet auf wissenschaftlichen Untersuchungen.

41

Der sogenannte Gender-Datenreport (1. Datenreport zur Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland) im Auftrage des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in der Fassung von November 2005 beinhaltet die folgenden Analysen:

  • - Überall in Europa sind Frauen zu einem geringeren Anteil erwerbstätig als Männer. In den skandinavischen Ländern und in manchen osteuropäischen Ländern sind die Geschlechterdifferenzen aber deutlich geringer als in Deutschland

  • - Teilzeitangebote und geringfügige Beschäftigung haben es im Westen Deutschlands immer mehr Frauen ermöglicht, erwerbstätig zu sein. Während die erwerbstätigen Quoten von Frauen und Männern im Osten, aber auch von Männern im Westen nach 1991 deutlich sanken, stiegen die der Frauen im Westen

  • - Der Übergang von der Industrie zur Dienstleistungsgesellschaft kam der Beschäftigung von Frauen zugute. Der Umfang der Männererwerbstätigkeit reduzierte sich dagegen

  • - Die erwerbstätige Quote der Frauen im Westen hat die Quote der erwerbs- tätigen Frauen im Osten erreicht, beschränkt sich im Westen aber häufiger auf Teilzeitarbeit und geringfügige Beschäftigung.

  • - Während vor allem den gering qualifizierten Männern der Eintritt in das Erwerbsleben immer schwerer fällt, können Frauen von ihren besseren Abschlüssen profitieren

  • - Frauen und Männer ohne deutschen Pass sind insgesamt schlechter in den Arbeitsmarkt integriert als die Deutschen. Dies gilt verstärkt für ausländische Frauen in der Familienphase

  • - Ungünstige Arbeitsmarktbedingungen drängen arbeitssuchende Frauen und Männer zum Teil in atypische Beschäftigungsformen. Von unerwünschter Teilzeit sind vor allem Beschäftigte im Osten, dabei ganz besonders Frauen betroffen

  • - Trotz des erheblich gestiegenen Bildungs- und Ausbildungsstandes von Frauen sind diese in Führungspositionen an der Spitze von Großunternehmen extrem unterrepräsentiert.

  • - Arbeitslosigkeit ist ein anhaltendes Problem mit der Folge, dass die Langzeitarbeitslosigkeit zunimmt. Seit einigen Jahren sind Frauen unter den Arbeitslosen nicht mehr über-, sondern unterrepräsentiert.

42

Das Statistische Bundesamt teilt mit, dass der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen in Deutschland mit 13,91 EUR im Jahre 2006 um 23% unter dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst von Männern in Höhe von 17,99 EUR beträgt. Die größten Verdienstabstände zwischen Frauen und Männern gab es im Jahre 2006 bei unternehmensnahen Dienstleistungen (30%), im Kredit- und Versicherungsgewerbe (29%) und im verarbeitenden Gewerbe (28%). Dabei nimmt mit steigendem Alter der Beschäftigten der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern zu. Gründe hierfür liegen häufig in schwangerschafts- und mutterschutzbedingten Erwerbsunterbrechungen bei Frauen (www.destatis.de).

43

Der IAQu-Report des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-A-Stadt vom April 2008 stellt fest, dass immer mehr Frauen erwerbstätig sind, jedoch mit kürzeren Wochenarbeitszeiten. Die Kluft zwischen den Arbeitszeiten von Männern und Frauen in Deutschland nimmt weiter zu (www.iaqu.de).

44

Derartige Analysen können jedenfalls den Gesetzgeber veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen, damit diese wissenschaftlich ermittelten Nachteile des einen Geschlechtes gegenüber dem anderen verhindert oder ausgeglichen werden.

45

Aus diesem Grunde liegt in der Vorgabe, derartige Gleichstellungsstellen nur mit Frauen zu besetzen, keine Geschlechterdiskriminierung von männlichen Personen, wenn deren Aufgaben, wie in § 5 AGG geregelt ist, sich mit der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frauen und der Frauenförderung beschäftigen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob es auch tatsächlich möglich ist, die Stelle mit Männern zu besetzen. Vielmehr ist im Rahmen der sog. positiven Maßnahmen davon auszugehen, dass es sich bei der Regelung der NGO um eine geeignete und erforderliche Maßnahme handelt, die sich als solche weder als ungeeignet noch unangemessen darstellt, wenn der Gesetzgeber für dieses Amt nur Frauen vorsieht.

46

Es ist davon auszugehen, dass es sich weder als willkürlich noch aus anderen Gründen mit der Europäischen Richtlinie als unvereinbar darstellt, wenn sich die der NGO zugrunde liegende Analyse so darstellt, dass allein Frauen aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften, Erfahrungen und Kenntnisse und aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation aus dem eigenen Erleben diese Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte sachgerecht ausüben können.

47

Hierbei ist insbesondere auch zu berücksichtigen, wie im vorliegenden Fall von der Beklagten unbestritten vorgetragen, dass ein hoher Ausländeranteil, insbesondere auch von muslimischen Frauen, es geradezu gebietet, dass die Position durch eine Frau besetzt ist, da sonst keine Möglichkeit bestünde, mit diesen Frauen in Kontakt zu treten und Maßnahmen der Förderung, auch für das Arbeitsleben, zu erreichen (vgl. hierzu Entscheidung des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes vom 03.03.1996 (Nieders. VBL 1996, 87).

48

Nach alledem ist festzustellen, dass die Ablehnung des Klägers weder einen Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz noch ein Verstoß gegen die oben zitierte europäische Richtlinie darstellt, in der wie folgt formuliert ist:

"Das Diskriminierungsverbot sollte nicht der Beibehaltung oder dem Erlass von Maßnahmen entgegenstehen, mit denen bezweckt wird, Benachteiligungen von Personen eines Geschlechtes zu verhindern oder auszugleichen. Diese Maßnahmen lassen die Einrichtung und Beibehaltung von Organisationen, von Personen desselben Geschlechtes zu, wenn deren Zweck hauptsächlich darin besteht, die besonderen Bedürfnisse dieser Personen zu berücksichtigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern."

49

Nach alledem stellt sich die Ablehnung der Bewerbung des Klägers nicht als diskriminierend dar, so dass weder ein Entschädigungsanspruch noch ein Schadensersatzanspruch begründet ist.

50

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

51

Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.

52

Rechtsmittelbelehrung

53

Gegen dieses Urteil findet, wie sich aus der Urteilsformel ergibt, die Revision statt.

54

Die Revisionsschrift muss innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils, die Revisionsbegründung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils bei dem Bundesarbeitsgericht eingehen.

55

...