Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.06.2008, Az.: 14 Sa 1673/07 E
Auslegung des Begriffs der mehrtägigen Dienstreise i.S.v. § 3 Abs. 4 Tarifvertrag für die Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen des Bundes (Kraftfahrer TV Bund); Voraussetzung für die pauschale Berechnung für einen Tag einer Dienstreise mit zwölf Stunden ; Bedeutsamkeit der Dauer einer Dienstreise oder der Dauer der tatsächlichen Arbeitsleistung während der Dienstreise für den Pauschalansatz i.S.v. § 3 Abs. 4 S. 1 Kraftfahrer TV Bund
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 30.06.2008
- Aktenzeichen
- 14 Sa 1673/07 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 21768
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2008:0630.14SA1673.07E.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 14.09.2007 - AZ: 7 Ca 168/07 Ö
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 4 Kraftfahrer TV Bund
- § 264 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz:
Auslegung des Begriffs der mehrtägigen Dienstreise i. S. v. § 3 Abs. 4 Kraftfahrer TV Bund. Jeder Tag einer Dienstreise, die nach Ablauf des Kalendertages endet, an dem sie begonnen hat, ist pauschal mit 12 Stunden anzusetzen.
Amtlicher Leitsatz
Aus dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 S. 1 Kraftfahrer TV Bund in Verbindung mit der Protokollnotiz Nr. 2 S. 1 zu dieser Vorschrift folgt, dass jeder Tag einer Dienstreise, die nach Ablauf des Kalendertages endet, an dem sie begonnen hat, pauschal mit 12 Stunden anzusetzen ist. Der Pauschalansatz ergibt sich aus § 3 Abs. 4 S. 1. Und in der Protokollnotiz Nr. 2 dazu ist definiert, wann eine "mehrtägige Dienstreise" im Sinne von § 3 Abs. 4 S. 1 vorliegt.
Die Dauer der Dienstreise oder etwa die Dauer der tatsächlichen Arbeitsleistung während der Dienstreise spielen dabei keine Rolle. Ein Ansatzpunkt dafür, dass eine mehrtägige Dienstreise nur dann vorliege, wenn sie pro Tag mehr als 8 Stunden andauere findet sich im Tarifvertrag oder in der Protokollnotiz nicht. Ebenso wenig findet sich ein Anhaltspunkt für die Auffassung der Beklagten, dass zwar der Definition der mehrtägigen Dienstreise in der Protokollnotiz gefolgt werden könne, jedoch der pauschale Ansatz von 12 Stunden nach § 3 Abs. 4 S. 1 Kraftfahrer TV Bund nur dann möglich sei, wenn die Mindestdienstzeit 8 Stunden pro Tag betragen habe.
In dem Rechtsstreit
...
hat die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2008
durch
die Richterin am Arbeitsgericht Lehmann,
die ehrenamtliche Richterin Frau Wolters,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Dommel-Rustenbach
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.09.2007 (Az: 7 Ca 168/07 Ö) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
- 1.
festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger in der Zeit vom 01.01.2007 bis 30.06.2007 der Pauschalgruppe II gemäß § 5 Kraftfahrer TV Bund zuzuordnen und
- 2.
der Beginn der Zinspflicht in Ziffer 2 des vorgenannten Urteils der 03.04.2007 ist.
Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zuordnung des Klägers in eine Pauschalgruppe des Tarifvertrages für die Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen des Bundes vom 13.09.2005 (Kraftfahrer TV Bund).
Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 00.00.1979 beschäftigt, und zwar seit dem 20-.00.1999 als Kraftfahrer. Er wird als Busfahrer beim Bundespolizeiorchester D-Stadt eingesetzt. Kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung findet der Kraftfahrer TV Bund sowie ergänzend der TVöD auf das Arbeitsverhältnis Anwendung.
Nach § 4 des Kraftfahrer TV Bund erhalten Kraftfahrer ein Pauschalentgelt mit dem das Tabellenentgelt nach § 15 Abs. 1 TVöD sowie das Entgelt für Überstunden und Zeitzuschläge für Überstunden abgegolten sind. Die Höhe des Pauschalentgelts bemisst sich dabei nach der durchschnittlichen Monatsarbeitszeit im vorangegangenen Kalenderhalbjahr.
Die Parteien streiten über die Höhe des Pauschalentgelts im ersten Halbjahr 2007. Die Beklagte hat den Kläger in diesem Zeitraum der Pauschalgruppe I mit einem Pauschalentgelt von 2.400,-- EUR brutto zugeordnet. Unstreitig zwischen den Parteien ist die tatsächlich geleistete Arbeitszeit des Klägers im vorangegangenen Kalenderhalbjahr. Streitig ist, wie die vom Kläger im Zeitraum vom 01.07. - 31.12.2006 durchgeführten mehrtägigen Dienstreisen anzusetzen sind. Die Beklagte hat eine durchschnittliche Monatsarbeitszeit in diesem Zeitraum in Höhe von 191:06 Stunden errechnet, der Kläger in Höhe von 204:23 Stunden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass für seine durchgeführten Zwei-Tages-Dienstfahrten nicht die tatsächlich geleistete Arbeitszeit, sondern pro Tag jeweils 12 Stunden anzusetzen seien. Er sei daher für das erste Halbjahr 2007 in die Pauschalgruppe II einzuordnen. Mit seiner Klage vom 23.03.2007, bei Gericht am 02.04.2007 eingegangen, hat er die monatlichen Differenzen in Höhe von unstreitig 225,-- EUR brutto für die Monate Januar bis einschließlich März 2007 verlangt.
De Kläger hat in der 1. Instanz zuletzt beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, den Kläger in der Zeit vom 01.01.2007 bis 30.06.2007 der Pauschalgruppe 2 gemäß § 5 Kraftfahrer TV Bund zuzuordnen.
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 675,-- EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 274 BGB zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass nach der tariflichen Regelung bei zweitägigen Dienstreisen die Pauschalierung auf 12 Stunden erst bei einer Mindestarbeitszeit von 8 Stunden pro Tag möglich sei und bei kürzeren Arbeitszeiten lediglich die tatsächlich geleisteten Stunden anzurechnen seien.
Mit Urteil vom 14.09.2007 hat das Arbeitsgericht Hannover, Az: 7 Ca 168/07Ö der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat zur Begründung angeführt, dass § 3 Abs. 4 in Verbindung mit der Protokollerklärung Nr. 2 zu den Absätzen 3 und 4 des Kraftfahrer TV Bund eine eindeutige Regelung dahingehend treffe, dass auch bei einer zweitägigen Dienstreise für jeden der beiden Tage der Pauschalansatz von 12 Stunden gelte, wenn die Dienstreise an dem ersten Tag vor 24 Uhr beginne nach 0 Uhr am nächsten Tag ende.
Gegen dieses Urteil, dass der Beklagten am 19.10.2007 zugestellt worden ist, hat diese mit einem am 15.11.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingereichten Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 21.01.2008 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem ihr am 18.12.2007 die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 21.01.2008 verlängert worden war.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, aus Sinn und Zweck des § 3 Abs. 4 in Verbindung mit der entsprechenden Protokollerklärung Nr. 2 des Kraftfahrer TV Bund folge, dass eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke vorliege, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung unter Rückgriff auf die Regelungen des Bundesreisekostenrechts und des Einkommenssteuergesetzes zu füllen sei. Sie verweist auf ein Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28.06.2006 zum Kraftfahrer TV Bund.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.09.2007 - 7 Ca 168/07Ö - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe,
- 1.
dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger in der Zeit vom 01.01.2007 bis 30.06.2007 der Pauschalgruppe II gemäß § 5 Kraftfahrer TV Bund zuzuordnen und
- 2.
dass Beginn der Zinspflicht in Ziffer 2) des Urteils des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.09.2007, Az: 7 Ca 168/07, der 03.04.2007, nämlich der Tag nach Rechtshängigkeit, ist
und hat im Übrigen die Klage zurückgenommen.
Die Beklagte hat der teilweisen Klagrücknahme zugestimmt.
Der Kläger hält an seiner Auffassung fest, dass der Kraftfahrer TV Bund eine eindeutige Regelung zur Berücksichtigung von Arbeitsstunden bei mehrtägigen Dienstreisen enthalte. Im Übrigen vertritt er die Auffassung, dass eine analoge Anwendung des Bundesreisekostengesetzes oder des Einkommenssteuergesetzes nicht in Betracht komme.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2008 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 ArbGG statthaft und gemäß § 66 Abs. 6 in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden.
II.
Die Berufung ist begründet. Die zuletzt gestellten Anträge des Klägers sind nämlich zulässig (1.) und begründet (2.).
1.
Für den Antrag zu 1) besteht das erforderliche Feststellungsinteresse (1.1.). Der Kläger konnte den Antrag auch noch in der mündlichen Verhandlung am 30.06.2008 umstellen (1.2.). Ebenso war die Veränderung des Antrags zu 2) zulässig (1.3.).
1.1.
Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann ein Kläger Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erheben, wenn er ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Das hiernach erforderliche besondere Feststellungsinteresse ist Sachurteilsvoraussetzung. Deshalb ist es in jeder Lage des Verfahrens und damit auch in der Berufungsinstanz von Amts wegen zu prüfen (vgl. BAG vom 06.05.2003 - 1 AZR 340/02 - AP § 256 ZPO 1977 Nr. 80 = NZA 2003,1422).
Ein Feststellungsinteresse besteht grundsätzlich dann, wenn dem subjektiven Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass der Beklagte es ernstlich bestreitet und wenn das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. Zöller-Greger, 26. Auflage, § 256 ZPO Randziffer 7). Dies ist bei einer Eingruppierungsfeststellungsklage regelmäßig dann der Fall, wenn alle streitigen Punkte zum Gegenstand des Feststellungsantrags gemacht werden (vgl. BAG vom 17.10.2007 - 4 AZR 1005/06 - NzA 2008, 713 = FA 2008, 222). Dabei sind Klagen auf Zahlung einer höheren tarifvertraglichen Vergütung im öffentlichen Dienst grundsätzlich als Feststellungsklagen zulässig, weil sich die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes der gerichtlichen Entscheidung hierüber in aller Regel beugen und auf diese Weise der Rechtsfrieden wieder hergestellt wird (BAG vom 05.11.2003 - 4 AZR 632/02 - AP Nr. 83 zu § 256 ZPO 1977 = MDR 2004, 817 m. w. N.).
Danach liegt hier das erforderliche Feststellungsinteresse vor. Im Kern handelt es sich nämlich um eine Eingruppierungsfeststellungsklage im öffentlichen Dienst. Der Kläger hat auch geraden den streitigen Punkt im Feststellungsantrag benannt.
1.2.
Die Umstellung seines Antrags vom Leistungs- in den Feststellungsantrag in der Berufungsinstanz war zulässig. Der Wechsel vom Leistungs- zum Feststellungsantrag bei unverändertem Sachverhalt stellt gemäß § 264 Nr. 2 ZPO nämlich keine Klageänderung dar. Eine Antragsbeschränkung ist deshalb in der Rechtsmittelinstanz noch zulässig (vgl. BAG vom 13.02.2007 - 9 AZR 207/06 - AP § 823 BGB Nr. 19 = NZA 2007, 878). Hierfür war nicht erforderlich, dass der Kläger die Frist für die Anschlussberufung nach § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 524 Abs. 2 S. 2 ZPO einhielt. Ein Wechsel vom Leistung- zum Feststellungsantrag ist bei unverändertem Sachverhalt nämlich sogar noch in der Revisionsinstanz zulässig (vgl. BAG vom 07.12.2005 - 5 AZR 535/04 - AP § 12 TzBfG Nr. 4 = EzA § 12 TzBfG Nr. 2; vgl. auch 22.11.2005 - 1 AZR 458/04 - AP § 112 BetrVG 1972 Nr. 176 = EzA § 112 BetrVG 2001 Nr. 19).
Vorliegend hat der Kläger seinen Leistungsantrag gemäß § 264 Nr. 2 auf einen Feststellungsantrag bei unverändertem Sachverhalt beschränkt.
1.3.
Auch die Veränderung des Antrags zu 2) des Klägers war zulässig. Es handelt sich hier nicht um eine Klageänderung oder um einen Fall des § 264 ZPO. Der Antrag des Klägers zu Ziffer 2) wurde vielmehr im Wege der Auslegung klargestellt. Er war nämlich offensichtlich mit einer Lücke behaftet. Dem Zinsantrag fehlte die Mitteilung des Beginns für die Zinsberechnung. Ohne diese Mitteilung ergibt der Zinsantrag jedoch keinen Sinn. Diese für jeden erkennbare Lücke war dahingehend zu korrigieren, dass Zinsen ab Rechtshängigkeit begehrt werden. Denn wird der Zinszeitpunkt in einem Antrag nicht genannt, so ist regelmäßig von der Zinsregelung des § 291 BGB auszugehen, wonach eine Geldschuld immer vom Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen ist. Dass der Kläger im vorliegenden Verfahren die Zinsen lediglich als zukünftige Leistung erst ab einem Zeitpunkt nach Rechtshängigkeit beantragen wollte, ist nicht ersichtlich. Dagegen spräche auch, dass die Forderungen nach § 24 Abs. 1 S.2 TVöD schon vorher, nämlich spätestens am 31.03.2007 fällig waren.
2.
Beide Anträge des Klägers sind begründet.
2.1.
Für das erste Halbjahr 2007 ist der Kläger gemäß § 5 Abs. 1 2. Spiegelstrich Kraftfahrer TV Bund der Pauschalgruppe II zugeordnet. Die Zuordnung erfolgt nach dieser Vorschrift bei einer Monatsarbeitszeit zwischen 196 und 221 Stunden. Da für die Berechnung des Pauschalentgeltes nach § 4 Abs. 2 S. 1 Kraftfahrer TV Bund das vorangegangene Kalenderhalbjahr heranzuziehen ist, muss vorliegend der Zeitraum vom 01.07. - 31.12.2006 geprüft werden. In diesem Zeitraum betrug die Monatsarbeitszeit des Klägers 204:23 Stunden.
Vorliegend streiten die Parteien bei der Berechnung der Monatsarbeitszeit für den streitgegenständlichen Zeitraum lediglich um den Stundenansatz für die vom Kläger in seiner Klagschrift vom 22.03.2007 (Bl. 4 d. A.) genannten zweitägigen Dienstreisen. Die einschlägigen Vorschriften des Kraftfahrer TV Bund lauten hierfür:
§ 3
Monatsarbeitszeit
...
(4) Jeder Tag einer mehrtägigen Dienstreise oder einer Teilnahme an Manövern und Übungen (Anhang zu § 46 zum TVöD BT-V (Bund)) ist mit 12 Stunden anzusetzen. Für die Berechnung der Zeitzuschläge nach § 4 Abs. 4 ist bei mehrtägigen Dienstreisen wie folgt zu verfahren:
Beginnt die mehrtägige Dienstreise nach 12:00 Uhr, ist für diesen Tag die Zeit von 12:00 bis 24:00 Uhr, endet die mehrtägige Dienstreise vor 12:00 Uhr, ist für diesen Tag die Zeit von 0:00 bis 12:00 Uhr, für alle übrigen Tage die Zeit von 8:00 bis 20:00 Uhr anzusetzen.
...
Protokollerklärung zu den Absätzen 3 und 4:
1. ...
2. Eine mehrtägige Dienstreise gemäß Abs. 4 liegt vor, wenn sie nach Ablauf des Kalendertages endet, an dem sie begonnen hat. Der Pauschalansatz von 12 Stunden gilt auch für den Kalendertag, an dem eine mehrtägige Dienstreise beginnt oder endet und an dem weitere Arbeit geleistet wird bzw. eine weitere Dienstreise geendet hat oder beginnt.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt die Auslegung der tariflichen Vorschriften, dass jede Dienstreise, die an einem Tag vor 24 Uhr beginnt und am nächsten Tag nach 0 Uhr endet, pauschal mit 24 Stunden anzusetzen ist.
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzten geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebende Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (vgl. BAG vom 19.09.2007 - 4 AZR 670/06 - ZTR 2008, 312 = BB 2008, 553; vom 23.05.2007 - 10 AZR 323/06 - AP § 1 TVG Tarifverträge: Seeschifffahrt Nr. 10 = ZTR 2007, 495).
Vorliegend geht es um die Auslegung des normativen Teils des Kraftfahrer TV Bund. Mit dem normativen Teil sind unter anderem die Rechtsnormen des Tarifvertrages gemeint, die den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen und unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen gelten. Darum handelt es sich im vorliegenden Verfahren, da nicht die Rechte und Pflichten der tarifvertragschließenden Parteien in Bezug auf Abschluss, Durchführung oder Beendigung des Tarifvertrags betroffen sind.
2.1.1.
Aus dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 S. 1 Kraftfahrer TV Bund in Verbindung mit der Protokollnotiz Nr. 2 S. 1 zu dieser Vorschrift folgt, dass jeder Tag einer Dienstreise, die nach Ablauf des Kalendertages endet, an dem sie begonnen hat, pauschal mit 12 Stunden anzusetzen ist. Der Pauschalansatz ergibt sich aus § 3 Abs. 4 S. 1. Und in der Protokollnotiz Nr. 2 dazu ist definiert, wann eine "mehrtägige Dienstreise" im Sinne von § 3 Abs. 4 S. 1 vorliegt.
Diese Definition der mehrtägigen Dienstreise ist der Auslegung zu Grunde zu legen. Die Protokollnotiz entfaltet nämlich im Verhältnis der Parteien unmittelbare und zwingende Wirkung nach § 4 Abs. 1 S. 1 TVG. Denn die Protokollnotiz hat den gleichen rechtlichen Status wie der Kraftfahrer TV Bund.
Protokollnotizen von Tarifvertragsparteien können eigenständige tarifliche Regelungen darstellen, können aber auch lediglich den Charakter einer authentischen Interpretation des Tarifvertrags oder eines bloßen Hinweises auf Motive der Vertragschließenden haben. Welcher rechtliche Status ihnen zukommt, ist durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BAG vom 02.10.2007 - 1 AZR 815/06 - NzA - RR 2008, 242 = ZIP 2008, 570; vom 18.04.2007 - 4 AZR 661/05 - AP Nr. 8 zu § 1 TVG: Brotindustrie, zitiert nach [...]).
Hier haben die Tarifvertragsparteien mit der Protokollnotiz eine eigenständige, normative Regelung getroffen. Sie haben nicht die Regelungen im § 3 Abs. 4 Kraftfahrer TV Bund als solche unverändert gelassen und nur übereinstimmend erklärt, welchen Inhalt sie ihrer Meinung nach haben. Sie haben vielmehr eine selbstständige Bestimmung vorgenommen. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Protokollnotiz Nr. 2 in deren Satz 1. Es handelt sich dabei nämlich um die Definition eines Begriffes aus dem Tarifvertrag. Die Protokollnotiz legt nämlich fest, was unter einer "mehrtägigen Dienstreise" im Sinne des Tarifvertrags zu verstehen ist. Das geht über eine Mitteilung im Rahmen einer reinen Auslegungshilfe hinaus.
Aus dem Wortlaut dieser Protokollnotiz ergibt sich auch eindeutig, dass eine mehrtägige Dienstreise immer dann vorliegt, wenn sie vor 24 Uhr an einem Tag beginnt und nach 0 Uhr am nächsten Tag endet. Die Protokollnotiz regelt nämlich ausdrücklich, dass eine mehrtägige Dienstreise lediglich voraussetzt, dass sie nach Ablauf des Kalendertages endet, an dem sie begonnen hat.
Die Dauer der Dienstreise oder etwa die Dauer der tatsächlichen Arbeitsleistung während der Dienstreise spielen dabei keine Rolle. Ein Ansatzpunkt dafür, dass eine mehrtägige Dienstreise nur dann vorliege, wenn sie pro Tag mehr als 8 Stunden andauere findet sich im Tarifvertrag oder in der Protokollnotiz nicht. Ebenso wenig findet sich ein Anhaltspunkt für die Auffassung der Beklagten, dass zwar der Definition der mehrtägigen Dienstreise in der Protokollnotiz gefolgt werden könne, jedoch der pauschale Ansatz von 12 Stunden nach § 3 Abs. 4 S. 1 Kraftfahrer TV Bund nur dann möglich sei, wenn die Mindestdienstzeit 8 Stunden pro Tag betragen habe.
Es mag zwar, vom Ergebnis her betrachtet, merkwürdig sein, wenn die Tarifvertragsparteien für eine Dienstreise von 23:30 Uhr bis 0:30 Uhr am Folgetag einen Pauschalansatz von 24 Stunden vorsehen. Allerdings bleibt vorliegend kein Raum für eine Tarifauslegung, die zu einer anderen - möglicherweise vernünftigeren - Lösung führt, als die vorgenommene Auslegung.
Zum einen führt die Auslegung des Tarifvertrags zu einer eindeutigen Lösung. Zweifel, die es ermöglichen, die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führen könnte, liegen nicht vor. Zum anderen liegt auch eine Lücke, die ausfüllungsbedürftig wäre und die dann im Rückgriff auf die Regelungen des Reisekostenrechts oder des Einkommenssteuerrechts geschlossen werden könnte, nicht vor.
2.1.2.
Nicht nur der Wortlaut spricht nämlich für die gefundene Auslegung, sondern auch der Zusammenhang mit den übrigen Vorschriften.
Auch § 3 Abs. 4 S. 3 Kraftfahrer TV Bund geht ohne Einschränkung von einem Pauschalansatz von 12 Stunden aus. Dieser Satz dient der Klarstellung, wie der Pauschalansatz anzusetzen ist, um beispielsweise die Nachtzuschläge festsetzen zu können. Deshalb ist hier bestimmt, für welche Tageszeit der Pauschalansatz anzusetzen ist. Allerdings handelt es sich dabei ohne Ausnahme immer um einen zwölfstündigen Zeitraum.
2.1.3.
Aber auch der Sinn und Zweck der tariflichen Regelungen spricht für die gefundene Auslegung. Der Pauschalansatz mit 12 Stunden führt nämlich nicht in jedem Fall dazu, dass die Beklagte mehr Stunden vergüten muss, als tatsächlich geleistet wurden. Insoweit liegt auch entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zwangsläufig eine Privilegierung der pauschalentlohnten Kraftfahrer gegenüber allen anderen Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst vor. Der Pauschalansatz von 12 Stunden greift nämlich auch dann, wenn an einem der Tage einer mehrtägigen Dienstreise mehr als 12 Stunden Arbeitsleistung erbracht wird. Dies ergibt sich sowohl aus § 3 Abs. 4 S. 1 Kraftfahrer TV Bund als auch aus der dazu ergangenen Protokollerklärung Nr. 2 S. 2.
Aus § 3 Abs. 4 S. 1 Kraftfahrer TV Bund folgt, dass der Pauschalansatz zu wählen ist, gleich wie viel Arbeitszeit an dem Arbeitstag der mehrtägigen Dienstreise tatsächlich geleistet wird. Dass eine tatsächliche Arbeitsleistung von mehr als 12 Stunden möglicherweise nicht so häufig erbracht wird, wie von weniger als 12 Stunden, mag sein, ändert hieran jedoch nichts.
Im Übrigen kommt eine über 12 Arbeitsstunden hinausgehende Arbeitsleistung auch im Fall der Protokollerklärung Nr. 2 S. 2 in Betracht. Der Pauschalansatz vom 12 Stunden gilt nämlich danach auch für den Kalendertag, an dem eine mehrtägige Dienstreise beginnt oder endet und an dem weitere Arbeit geleistet wird bzw. eine weitere Dienstreise geendet hat oder beginnt.
Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich zwar gemäß § 2 Abs. 1 Kraftfahrer TV Bund die höchstzulässige Arbeitszeit grundsätzlich nach den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes richtet und danach die werktägliche Arbeitszeit in der Regel 8 Stunden nicht überschreiten darf ( § 3 Abs. 1 S. 1). Allerdings ist vorliegend gemäß § 7 Abs. 2a ArbZG von der Möglichkeit Gebrauch gemacht worden, abweichende Regelungen zuzulassen. Nach § 2 Abs. 2 S. 1 1. Halbsatz Kraftfahrer TV Bund kann die höchstzulässige tägliche Arbeitszeit für Kraftfahrer des öffentlichen Dienstes auf bis zu 15 Stunden ohne Ausgleich verlängert werden.
2.1.4.
An dieser Auslegung ändert auch das Rundschreiben des Bundesministeriums des Innern vom 28.06.2006 zum Kraftfahrer TV Bund nichts. Dem Rundschreiben kommt keine verbindliche Wirkung zu. Dies liegt zum einen daran, dass es unter Ziffer 3.5 zu § 3 Abs. 4 S. 1 des Kraftfahrer TV Bund lediglich eine andere Auffassung zur Auslegung vertritt. Außerdem kann der Wille der Tarifvertragsparteien, der durch eine Tarifauskunft ermittelt werden könnte, nur dann zur Auslegung herangezogen werden, wenn - wie dargestellt - er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Dass ist - wie ausgeführt - nicht der Fall. Selbst wenn die Tarifvertragsparteien also den Willen gehabt hätten, alleTage von mehrtägigen Dienstreisen mit Arbeitsleistung von unter 8 Stunden nicht pauschal anzusetzen, haben sie diesen Willen bei der Abfassung des Tarifvertrages nicht umgesetzt.
Aus diesen Gründen verbleibt es bei der vom Kläger gewählten Auslegung. Seine mehrtägigen - hier zweitägigen - Dienstreisen im Zeitraum vom 01.07. - 31.12.2006 sind pro Arbeitstag pauschal mit 12 Stunden anzusetzen. Unstreitig ergibt sich danach eine durchschnittliche Monatsarbeitszeit von über 204 Stunden. Aus diesem Grund ist er im ersten Halbjahr 2007 gemäß § 5 Abs. 1 2. Spiegelstrich Kraftfahrer TV Bund in die Pauschalgruppe II einzuordnen.
Der Feststellungsantrag des Klägers war daher begründet.
2.2.
Hieraus folgt auch, dass dem Zahlungsantrag des Klägers stattzugeben war. Es handelt sich dabei um die der Höhe nach unstreitigen drei Monatsdifferenzen zwischen Pauschalgruppe I und II von je 225,-- EUR brutto für Januar, Februar und März 2007.
Auch dem Zinsantrag war stattzugeben. Er folgt aus §§ 286, 291 BGB ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit, somit ab dem 03.04.2007. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche des Klägers auch fällig. Dies ergibt sich aus § 24 Abs. 1 S. 2 TVöD, wonach die Zahlung des Entgelts am letzten Tag des Monats für den laufenden Kalendermonat zu leisten ist.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 in Verbindung mit § 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO. Da für die teilweise Klagrücknahme im Bezug auf den Wechsel vom Leistungs- zum Feststellungsantrag die Zuvielforderung des Klägers verhältnismäßig geringfügig war und keine höheren Kosten veranlasst hat, waren ihm keine Kosten aufzuerlegen.
IV.
Die Revision wurde gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugelassen. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, da es um die Auslegung des bundesweit geltenden Kraftfahrer TV Bund geht.