Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.06.2008, Az.: 8 TaBV 10/08

außerordentliche Kündigung; Ersetzung einer außerordentlichen Kündigung; Fehlen am Arbeitsplatz

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
09.06.2008
Aktenzeichen
8 TaBV 10/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 55045
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG - 05.12.2007 - AZ: 2 BV 15/07

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitgliedes und deren gerichtlicher Ersetzung.

Tenor:

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der verweigerten Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3).

Bei dem Beteiligten zu 2) handelt es sich um den bei der Antragstellerin im Jahre 2007 neugebildeten Betriebsrat. Die Betriebsratswahl fand am 20. Juli 2007 statt. Der Beteiligte zu 3), der einen Grad der Behinderung von 40 % hat und einem behinderten Menschen gleichgestellt ist, ist der Vorsitzende des Beteiligten zu 2) und war zuvor Mitglied des Wahlausschusses. Er war bei der Antragstellerin zunächst als Hausmeister tätig und wohnte in einer Werkswohnung. Die Antragstellerin hat vor dem Hintergrund einer Reorganisation im Jahre 2007 sein Arbeitsverhältnis änderungsgekündigt. Das Kündigungsschutzverfahren haben die Antragstellerin und der Beteiligte zu 3) durch gerichtlichen Vergleich vom 30. Mai 2007 (8 Ca 357/06) beendet und sich darauf verständigt, dass der Beteiligte zu 3) mit Wirkung vom 1. Mai 2007 als Maschinenbediener bei einem effektiven Eintrittsdatum 19. Juni 2000 eingesetzt werde. Seine Aufgabe ist seither die Bedienung der PPK-Anlage (Ballenpresse). Die Antragstellerin arbeitet dort im Schichtbetrieb.

Auf Grund des Umbaus der GA-Anlage kann die Ballenpresse zur Zeit nur im Nachtschichtbetrieb eingesetzt werden. Die Nachtschicht liegt in der Zeit von 22:00 Uhr bis 07:00 Uhr.

In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 2007 war der Beteiligte zu 3) in dieser Schicht eingesetzt. Um 06:05 Uhr verließ er seinen Arbeitsplatz an der Ballenpresse. Er kehrte gegen 06:30 Uhr zurück. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beteiligte zu 3) seinen Arbeitsplatz aus berechtigten Gründen verlassen hatte, um - wie er behauptet hat - in der Werkstatt wegen des Zustands eines defekten Gabelstaplers anzufragen. Nachdem der Beteiligte zu 3) an seinen Arbeitsplatz zurückgekehrt war, unterhielt er sich zwei bis drei Minuten mit dem Mitarbeiter B und verließ diesen sodann erneut. Bis 07:00 Uhr ist er dorthin nicht wieder zurückgekehrt. Um 6:40 Uhr wurde er von seinem Vorgesetzten auf sein Fehlen am Arbeitsplatz angesprochen. Man einigte sich auf einen Lohnabzug von einer Stunde. Elektronisch hat der Beteiligte zu 3) um 07:03 Uhr ausgestempelt und handschriftlich in dem Formular „Überstunden“, in dem die tatsächlichen Arbeitszeiten eingetragen werden, für diesen Tag entsprechend „22:00 bis 07:00 Uhr“ eingetragen. Auf der Basis der elektronischen und handschriftlich angegebenen Zeiten berechnet die Antragstellerin die Vergütung.

Mit Schreiben vom 8. August 2007, auf dessen Inhalt verwiesen wird (Bl. 18 bis 21 d. A.), welches am 10. August 2007 eingegangen ist, hat die Antragstellerin gegenüber dem Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) beantragt, die mit Schreiben vom 24. August 2007, welches bei der Antragstellerin am 27. August 2007 eingegangen ist, erteilt wurde. Wegen des genauen Inhalts des Schreibens wird Bezug genommen auf Blatt 27 bis 30 der Akte. Hinsichtlich der Einlassung des Beteiligten zu 3) gegenüber dem Integrationsamt wird auf Blatt 22 bis 25 der Akte verwiesen. Mit Datum vom 28. August 2007 hat die Antragstellerin von dem Beteiligten zu 2) die Zustimmung nach § 103 BetrVG beantragt, die dieser mit Schreiben vom 30. August 2007, auf welches verwiesen wird (Bl. 31 d. A.), verweigert hat.

Die Antragstellerin hat behauptet, der Beteiligte zu 3) habe am 1. August 2007 in der Nachtschicht um 06:05 Uhr seinen Arbeitsplatz verlassen und nicht gearbeitet. Kurz vor halb sieben sei er für zwei bis drei Minuten zurückgekehrt, habe sich während dieser Zeit mit dem Mitarbeiter Herrn B unterhalten und anschließend seinen Arbeitsplatz erneut verlassen. Sein Vorgesetzter, Herr K, habe ihn gesucht und ihn von außen durch die Fenster im Aufenthaltsraum zusammen mit drei Fahrern der Firma P sitzend und sich unterhaltend gesehen. Auf Befragen, wo er sich die ganze Zeit aufgehalten habe, habe der Beteiligte zu 3) geantwortet, er sei nur kurz auf der Toilette gewesen. Auf weiteren Vorhalt, er sei bereits seit 06:05 Uhr nicht mehr am Arbeitsplatz gewesen, habe der Beteiligte zu 3) den Vorgesetzten der Lüge bezichtigt. Er habe Herrn K gesagt: „Von mir aus können Sie mir die Stunde abziehen“, woraufhin dieser geantwortet habe, das werde er tun. Gleichwohl habe der Beteiligte zu 3) erst um 07:03 Uhr ausgestempelt und hinsichtlich des entsprechenden Formulars die Zeit 07:00 Uhr eingetragen.

Die Antragstellerin hat bestritten, dass der Beteiligte zu 3) in der Zeit von 06:05 Uhr bis 06:30 Uhr in der Werkstatt gewesen sei, der Beteiligte zu 3) auf Grund seiner Behinderung in seiner Bewegungsmöglichkeit eingeschränkt sei und der Gabelstapler Nr. 4, den dieser regelmäßig benutze, wiederholt defekt oder heiß gelaufen sei. Den Gabelstapler Nr. 3, der tatsächlich einen Defekt habe, habe mit ihm rein gar nichts zu tun.

Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 3) habe vorgetäuscht, eine Stunde mehr gearbeitet zu haben als tatsächlich geschehen. Dieses Verhalten stelle einen Arbeitszeitbetrug dar und rechtfertige ebenso wie die Bezichtigung der Lüge gegenüber seinem Vorgesetzten die außerordentliche Kündigung. Die Zwei-Wochen-Frist sei eingehalten, weil die Antragstellerin unverzüglich nach Eingang des Zustimmungsbeschlusses durch das Integrationsamt alle maßgeblichen Schritte bis zum Antrag auf Zustimmungsersetzung eingeleitet habe.

Die Antragstellerin hat beantragt,

die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 3) hat die Auffassung vertreten, die Zwei-Wochen-Frist sei versäumt, weil die Antragstellerin bereits am 25. August 2007 von der Zustimmung des Integrationsamtes hätte ausgehen müssen. Auf den erst mit Schreiben vom 28. August 2007 gegenüber dem Beteiligten zu 2) gestellten Antrag, sei der Antragstellerin am 30. August 2007 die ablehnende Stellungnahme vom 30. August 2007 vorgelegt worden.

Auch ein außerordentlicher Kündigungsgrund sei nicht gegeben. Gegen 06:05 Uhr/06:10 Uhr sei der Beteiligte zu 3) bei dem Mitarbeiter R in der Werkstatt gewesen und habe ihn wegen eines wiederholten Defektes an dem Gabelstapler Nr. 4 angesprochen. Das Gespräch habe ca. 10 bis 15 Minuten gedauert. Von dort sei er mit auf Grund seiner Behinderung eingeschränkter Bewegungsgeschwindigkeit ohne schuldhaftes Zögern noch vor 06:30 Uhr an die Ballenpresse zurückgekehrt. Anschließend sei er zur Toilette gegangen. Auf der Treppe sei ihm der Mitarbeiter K begegnet, der ihn sinngemäß angeschrieen habe: „Ich ziehe Ihnen eine Arbeitsstunde ab“. Weder vor noch nach seinem Toilettengang habe er sich in den „Kantinenräumen“ aufgehalten.

Er ist der Auffassung, die beabsichtigte außerordentliche Kündigung sei unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit und Fehlen einer einschlägigen Abmahnung nicht angemessen.

Der Beteiligte zu 2) hat sich dem Sachvortrag des Beteiligten zu 3) angeschlossen.

Durch Beschluss vom 12. Mai 2007 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG bedürfe die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrates dessen Zustimmung. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift könne das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitgebers die verweigerte Zustimmung ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt sei. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei die außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt, denn die Abwesenheit des Beteiligten zu 3) von seinem Arbeitsplatz am Morgen des 1. August 2007 in Höhe von ca. 50 bis 55 Minuten bei gleichwohl erfolgter Dokumentation einer Schicht/Arbeitszeit bis 07:00 Uhr (07:03 Uhr) rechtfertige im Hinblick auf das weitere von der Antragstellerin behauptete Gespräch zwischen dem Beteiligten zu 3) und seinem Vorgesetzten keine außerordentliche Kündigung. Vor dem Hintergrund der Einigung über den Abzug einer Stunde stelle sich die angegebene Arbeitszeit nicht als Arbeitsbetrug dar. Der Abzug von einer Stunde setze voraus, dass Einigkeit darüber bestehe, von welcher Höchstzeit die Stunde abgezogen werden solle. Darüber hinaus habe der Beteiligte zu 3) davon ausgehen müssen, dass die mit dem Vorgesetzten getroffene Vereinbarung an die zuständigen Stellen weitergegeben werde. Einer außerordentlichen Kündigung stehe des Weiteren entgegen, dass der Beteiligte zu 3) seit gut sieben Jahren bei der Antragstellerin tätig sei und zuvor zu keiner Zeit wegen irgendwelcher Unkorrektheiten im Zusammenhang mit seiner Arbeitszeit oder auch aus anderen Gründen abgemahnt worden sei. Gleiches gelte, soweit der Beteiligte zu 3) seinen Vorgesetzten K als „Lügner“ bezichtigt habe.

Gegen diesen ihr am 16. Januar 2008 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 25. Januar 2008 Beschwerde eingelegt, die sie am 17. März 2008 (Montag) begründet hat.

Zur Begründung führt sie aus, der Beteiligte zu 3) habe einen Arbeitszeitbetrug begangen, weil er am 1. August 2007 in der Zeit von 06:05 Uhr bis 07:00 Uhr nicht gearbeitet habe. Gleichwohl habe er diese Zeit wahrheitswidrig als Arbeitszeit angegeben. Dies rechtsfertige die außerordentliche Kündigung, weshalb die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu ersetzen sei. In jedem Fall habe der Beteiligte zu 3) eine Stunde ohne jegliche Entschuldigung nicht gearbeitet. Dieses Verhalten entspreche einem unentschuldigten Fehlen, das nach der Rechtsprechung auch bei langer Betriebszugehörigkeit zur außerordentlichen Kündigung berechtige. Zudem rechtfertige auch die Bezichtigung von Herrn K als „Lügner“ die außerordentliche Kündigung.

Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1) beantragt,

1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 05.12.2007 - 2 BV 15/07 - abzuändern und

2. die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

Der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 2) beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 3) beantragt ebenfalls,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 2) verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 23. April 2008, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 156, 157 d. A.). Der Beteiligte zu 3) verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 25. April 2008, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 163 bis 168 d. A.).

Zu den weiteren Ausführungen der Beteiligten zur Sach- und Rechtslage wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, jedoch unbegründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht die gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG erforderliche - von dem Beteiligten zu 2) verweigerte - Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung nicht ersetzt.

Gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrates dessen Zustimmung. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift kann das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitgebers die verweigerte Zustimmung ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Das Gericht hat daher zu prüfen, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt (BAG vom 16.12.2004 AP Nr. 191 zu § 626 BGB = EzA § 626 BGB 2002 Nr. 7).

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf einer (auch nur fiktiven) Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Eine außerordentliche Kündigung ist nur als Ultima-ratio möglich, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen Mittel erschöpft sind, das Arbeitsverhältnis in seiner bisherigen Form fortzusetzen. Alle milderen Mittel müssen verbraucht, gesetzlich ausgeschlossen oder unzumutbar sein, um eine außerordentliche Kündigung als gerechtfertigt erscheinen zu lassen (vgl. für viele BAG vom 30. Mai 1978 - 2 AZR 630/76 - AP Nr. 70 zu § 626 BGB = EzA § 626 nF BGB Nr. 66).

Eine schwere, insbesondere schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an sich rechtfertigen. Dabei kann ein wichtiger Grund an sich nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein (ständige Rechtsprechung des BAG; vgl. Urteil vom 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; vom 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100; vgl. auch: BAG vom 16. August 1991 - 2 AZR 604/90 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41) . Es kommt darauf an, ob dem Kündigenden angesichts der Vertragsverstöße die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann.

Bei der außerordentlichen fristlosen Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers ist entscheidend, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist unzumutbar wäre (BAG vom 29. März 2007 - 8 AZR 538/06 - AP BGB § 613a Widerspruch Nr. 4 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 14; vom 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - BAGE 118, 104; vom 6. Oktober 2005 - 2 AZR 362/04 - AP BAT § 53 Nr. 8 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 14; vom 30. September 2004 - 8 AZR 462/03 - BAGE 112, 124; vom 8. April 2003 - 2 AZR 355/02 - AP BGB § 626 Nr. 181 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 2) .

Das Verhalten des Beteiligten zu 3) zum Ende der Nachtschicht vom 31. Juli auf den 1. August 2007 im Zusammenhang mit dem Verlassen des Arbeitsplatzes und der Eintragung des Arbeitszeitendes auf 07:05 Uhr stellt ebenso wenig einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen fristlosen Kündigung in diesem Sinne dar wie die Bezeichnung seines Vorgesetzten als Lügner. Die Würdigung des Arbeitsgerichts hierzu ist nicht zu beanstanden.

Für diese Bewertung unterstellt auch das Landesarbeitsgericht die Behauptungen der Antragstellerin als wahr. Denn selbst wenn man unterstellt, der Beteiligte zu 3) habe ab 06:05 Uhr keine Arbeitsleistung mehr erbracht, kann darin auf Grund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles keine Vertragspflichtverletzung gesehen werden, die so schwer wiegt, dass das Arbeitsverhältnis außerordentlich beendet werden müsste.

Der verständig denkende Arbeitgeber hätte - wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat - neben dem Lohnabzug den Arbeitnehmer mündlich oder schriftlich abgemahnt, ihm eine klare Arbeitsanweisung dahingehend erteilt, wie zukünftig beim Verlassen des Arbeitsplatzes vorzugehen ist (etwa: Abmeldung beim Vorgesetzten/ Benennung des Grundes für das Weggehen) und/oder ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Kollegengespräche außerhalb der Pausenzeiten ohne berechtigten Anlass als Arbeitszeitverstoß gewertet werden. Im Hinblick auf die gut siebenjährige im Wesentlichen beanstandungsfrei verlaufene Betriebszugehörigkeit hätte er eine außerordentliche Kündigung nicht in Erwägung gezogen. Die beabsichtigte außerordentliche Kündigung verstößt gegen das Ultima-ratio-Prinzip.

Zwar stellt ein Arbeitszeitbetrug, bei dem ein Mitarbeiter vortäuscht, für einen näher genannten Zeitraum seine Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht oder nicht in vollem Umfang der Fall ist, nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine besonders schwerwiegende Pflichtverletzung dar und erfüllt an sich auch den Tatbestand des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB.

Dasselbe gilt für den Verstoß eines Arbeitsnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber sonst kaum sinnvoll kontrollierbare Arbeitszeit korrekt zu stempeln (vgl. BAG vom 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - AP § 123 Nr. 51 = EzA BGB § 123 Nr. 53; vom 9. August 1990 - 2 AZR 127/90 - RzK I 8c Nr. 18; vom 13. August 1987 - 2 AZR 629/86 - RzK I 5i Nr. 31; vom 27. Januar 1977 - 2 ABR 77/76 - AP BetrVG 1972 § 103 Nr. 7 = EzA BetrVG 1972 § 103 Nr. 16; vom 23. Januar 1963 - 2 AZR 278/62 - BAGE 14, 42; ErfK/Müller-Glöge 8. Aufl. § 626 BGB Rn.158 mwN; KR-Fischermeier 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 444). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch an (BAG vom 12. August 1999 - 2 AZR 832/98 - aaO; LAG Köln vom 22. Mai 2003 - 6 (3) Sa 194/03 - LAGE BGB § 626 Nr. 150). Das Bundesarbeitsgericht geht dabei in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern den Nachweis der täglich bzw. monatlich geleisteten Arbeitszeit durch Selbstaufzeichnung überträgt und der Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch ausfüllt, dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch darstelle.

Bei Anwendung dieser Grundsätze stellt das Verhalten der Beteiligten zu 3) unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles einen die fristlose Kündigung rechtfertigenden Grund jedoch nicht dar. Dem steht entgegen, dass der Beteiligte zu 3) seit gut 7 Jahren bei der Antragstellerin tätig ist und zuvor zu keiner Zeit wegen irgendwelcher Unkorrektheiten im Zusammenhang mit seiner Arbeitszeit oder auch aus anderen Gründen abgemahnt worden ist. Dem steht des Weiteren entgegen, dass der Beteiligte zu 3) um kurz nach halb sieben von seinem Vorgesetzten Herrn K auf sein Fehlen am Arbeitsplatz angesprochen worden ist und eine Einigung über den Abzug der Stunde vom Arbeitslohn getroffen wurde. Dem vorliegenden Sachverhalt sind die Tatbestandsvoraussetzungen eines Arbeitszeitbetruges und Erschleichens von nicht zustehendem Arbeitslohn nicht zu entnehmen. Hiergegen spricht zunächst die Kenntnis des Vorgesetzten, aber auch der Umstand, dass der Beteiligte davon ausgehen konnte, der Vorgesetzte werde die Fehlzeiten den zuständigen Stellen weiterleiten. Des Weiteren fehlt es an dem mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Für die Annahme einer wissentlich und vorsätzlich falschen Aufzeichnung der Arbeitszeit sind nicht genügend Anhaltspunkte ersichtlich. Aus dem - auch unberechtigten - Verlassen des Arbeitsplatzes, um Kollegengespräche zu führen und nicht arbeiten zu müssen, lässt sich eine solche Annahme ohne Hinzukommen weiterer Umstände nicht herleiten.

Dem Beteiligten kann insoweit auch nicht vorgeworfen werden, er habe sich bei Verlassen des Betriebsgeländes in üblicher Weise um 07:03 Uhr ausgestempelt. Das Ausstempeln in dieser Form war nämlich erforderlich, um das tatsächliche Verlassen des Arbeitsbereiches und des Betriebes zu dokumentieren. Es geschah nicht, um sich unberechtigt Lohn zu erschleichen.

Gleiches gilt für die Behauptung der Antragstellerin, der Beteiligte zu 3) habe seinen Vorgesetzten, Herrn K, der Lüge bezichtigt.

Es trifft zwar zu, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten einerseits oder von Arbeitskollegen andererseits, die nach Form und Inhalt einer erheblichen Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 1 BGB) darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen (vgl. BAG vom 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - AP Nr. 198 zu § 626 BGB = EzA §626 BGB 2002 Nr. 13; vom 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; vom 10. Oktober 2002 - 2 AZR 418/01 - EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 1; vom 17. Februar 2000 - 2 AZR 927/98 -; KR-Fischermeier 7. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Kittner/Däubler/Zwanziger-Däubler KSchR 6. Aufl. Art. 5 GG Rn. 5 f.; APS/Dörner KSchR 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 220 f.). Bei richtiger Anwendung des Begriffs des wichtigen Grundes als solchen und bei der weiter erforderlichen Interessenabwägung aller vernünftigerweise in Betracht kommender Umstände des Einzelfalls ist es der Antragstellerin nicht unzumutbar, das Arbeitsverhältnis des Beteiligten zu 2) fortzusetzen. Auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts kann insoweit Bezug genommen werden. Die einmalige Entgleisung des Beteiligten zu 3) rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung nicht. Es fehlt bereits an dem Verständnis einer „groben Beleidigung“. Unter diesem Begriff ist eine besonders schwere, den Betroffenen kränkende Beleidigung, das heißt eine bewusste und gewollte Ehrenkränkung aus gehässigen Motiven, zu verstehen (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 124a GewO). Dafür, dass der Beteiligte mit seiner Erklärung aus gehässigen Motiven eine bewusste und gewollte Ehrenkränkung seines Vorgesetzten vornehmen wollte, bietet der Sachverhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte. Aus Sicht des Beteiligten zu 2) war der Vorwurf seines Vorgesetzten, er sei seit 06:05 Uhr nicht mehr am Arbeitsplatz erschienen, zumindest insoweit unberechtigt, als er tatsächlich für einige Minuten - wenn auch nicht arbeitend - an den Arbeitsplatz zurückgekehrt war.

Insgesamt rechtfertigen daher die Vorwürfe weder einzeln noch insgesamt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Mangels Zulassung ist ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht zulässig.