Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.09.2003, Az.: L 6 U 334/02

Anspruch auf Verletztenrente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls; Prellung des rechten Knies als eine ihrer Natur nach folgenlos abklingende Gesundheitsstörung; Anspruch auf Teilrente (sog. Stützrente) bei Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 von Hundert; Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der Gesundheitsstörung; Innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zum Unfall führenden Verhalten, sowie zwischen diesem und dem Unfall und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.09.2003
Aktenzeichen
L 6 U 334/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 21130
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0922.L6U334.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 06.06.2002 - AZ: S 22 U 108/99

Redaktioneller Leitsatz

Eine Verletztenrente wird nur gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens 1/5 oder die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle jeweils um mindestens 10 von Hundert gemindert ist und die Summe der durch die einzelnen Unfälleverursachte Minderungen der Erwerbsfähigkeit (MdE) wenigstens 20 von Hundert beträgt.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. Juni 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt Verletztenrente.

2

Der 1961 geborene Kläger stolperte am 18. Januar 1996 bei der Arbeit und schlug mit dem rechten Knie auf eine Stufe auf. Er stellte sich bei dem Durchgangsarzt Dr. B. vor. Bei der Untersuchung lagen bis auf eine leichte Schwellung unterhalb der rechten Kniescheibe keine äußeren Verletzungszeichen vor. Das rechte Knie war funktionell nicht beeinträchtigt, es fanden sich kein Kniegelenkserguss und keine Meniskuszeichen, die Bandführung war stabil. Bei der röntgenologischen Untersuchung wurde keine knöcherne Verletzung festgestellt. Dr. B. diagnostizierte eine Prellung. Die am 21. Februar 1996 durchgeführte Arthroskopie ergab keinen pathologischen Befund (Bericht Prof. Dr. C. vom 29. Februar 1996). Am 9. April 1996 war der Kläger wieder arbeitsfähig.

3

Seit dem 23. August 1996 war er wieder wegen Beschwerden am rechten Knie in Behandlung bei Dres. D ... In der Folgezeit fanden weitere Untersuchungen statt: Nach den Berichten von Dr. E. vom 29. August 1996 und 7. Oktober 1996 ergaben die am 26. August 1996 durchgeführte Kernspintomographie eine Knorpelverletzung am Gelenkkopf des Oberschenkelknochens und die am 25. September 1996 durchgeführte Arthroskopie eine Außenmeniskusvorderhornverletzung und eine Knorpelläsion. Am 23. Juni 1997 erfolgte nochmals eine Arthroskopie, bei der nach dem Bericht von Dr. F. vom 15. Oktober 1997 eine verdickte Gelenkinnenhaut (Synoviahypertrophie) festgestellt wurde. Dr. F. führte aus, dass diese durchaus im Zusammenhang mit der Prellung im Bereich des rechten Kniegelenkes im Rahmen des Arbeitsunfalls vom 18. Januar 1996 stehen könnte. Die Kernspintomographie vom 5. Februar 1998 ergab einen unauffälligen Außenmeniskus, eine geringe Ergussbildung des rechten Kniegelenkes, eine Chondropathia patellae Stadium II und einen medialen Knorpelschaden Stadium I (Bericht Dr. G. vom 24. Februar 1998). Nach der Ansicht von Frau Dr. G. ist es auf Grund der chronischen Belastungsminderung des rechten Beines zu einer statischen Fehlbelastung gekommen, die eine Lumboischialgie verursacht habe. Deshalb müsse das LWS-Syndrom als Folgeschaden der unfallbedingten Knieerkrankung angesehen werden. Die Beklagte, die seit dem 25. September 1996 durchgehend Verletztengeld zahlte, holte das Gutachten von Dr. H. vom 30. März 1998 ein. Bei der Untersuchung war das Gangbild raumgreifend, es fanden sich keine Funktionseinschränkungen am rechten Knie, die Muskulatur beider Beine war kräftig ausgebildet. Dr. H. führte aus, dass die intraoperativ vorgefundenen Befunde des rechten Kniegelenkes (Synoviahypertrophie, Bandveränderungen, chondrale Veränderungen) infektbedingt seien. Wesentliche anatomische Knieelemente seien durch die Knieprellung nicht verletzt worden. Es ließen sich keine wesentlichen Unfallfolgen feststellen, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 0 v.H. Die Arbeitsunfähigkeit zu Lasten der Beklagten werde bis zur Durchführung der dritten Arthroskopie am 23. Juni 1997 einschließlich einer angemessenen Rehabilitationsphase nach Probearthroskopien als angemessen angesehen. Die Annahme der Arbeitsunfähigkeit sei dementsprechend bis zum 31. Juli 1997 begrenzt. Außerdem holte die Beklagte das Gutachten von Dr. I. vom 20. Juli 1998 ein. Nach dessen Beurteilung sind die ärztlichen Maßnahmen nach dem 9. April 1996 ausschließlich durch die subjektiv geklagten Beschwerden des Klägers bestimmt gewesen. Die klinischen Untersuchungsbefunde, die durchgehend nicht mit den geklagten subjektiven Beschwerden in Übereinstimmung zu bringen seien, seien ganz offensichtlich in den Hintergrund geraten und nicht angemessen gewürdigt worden. Der Kläger habe bei dem Unfall eine geringgradige Prellung am rechten Kniegelenk erlitten. Die Geringfügigkeit der erlittenen Unfallfolgen werde am klinisch erhobenen Befund vom 18. Januar 1996 deutlich, der klinisch-funktionelle Untersuchungsbefund vom Unfalltage finde seine Bestätigung in der arthroskopischen Diagnostik vom 21. Februar 1996. Bei dieser arthroskopischen Untersuchung seien keinerlei krankhafte Veränderungen am rechten Kniegelenk festgestellt worden, folgerichtig sei das Heilverfahren mit Arbeitsfähigkeit zum 9. April 1996 abgeschlossen worden. Ab dem 9. April 1996 sei eine MdE nicht festzustellen. Daraufhin stellte die Beklagte nach Anhörung die Verletztengeldzahlung ab 25. August 1998 ein. Mit Bescheid vom 28. August 1998 lehnte sie unter Berufung auf das Gutachten von Dr. I. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 8. April 1996 hinaus ab. Im Widerspruchsverfahren holte sie die Stellungnahme von Dr. J. vom 25. Januar 1999 ein. Dieser wies ebenfalls darauf hin, dass in der ersten Arthroskopie eine substanzielle Schädigung der Kniebinnenstrukturen ausgeschlossen worden sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

4

Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Hannover mit Urteil vom 6. Juni 2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die bei dem Kläger noch bestehenden Gesundheitsstörungen hätten nicht zu einer MdE in rentenberechtigendem Grade geführt, weil sie nicht auf den Unfall zurückzuführen seien.

5

Gegen dieses am 21. Juni 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18. Juli 2002 Berufung eingelegt und sich zur Begründung auf Dr. H., Dr. E. und Dr. F. berufen.

6

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. 1.

    das Urteil des SG Hannover vom 6. Juni 2002 aufzuheben,

  2. 2.

    den Bescheid der Beklagten vom 28. August 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1999 zu ändern,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.

7

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 6. Juni 2002 zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

9

Die Beteiligten sind mit Verfügung der Berichterstatterin vom 30. Juli 2003 darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.

11

II.

Der Senat konnte über die gemäß §§ 143 und 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässige Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 153 Abs. 4 SGG).

12

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente. Das Begehren des Klägers richtet sich auch nach Eingliederung des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (SGB) zum 1. Januar 1997 nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO). Das ergibt sich aus der Übergangsregelung in § 212 SGB VII, wonach auf Versicherungsfälle, die vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sind, das alte Recht (§§ 548, 580, 581 RVO) anzuwenden ist.

13

Gemäß § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO wird Verletztenrente gezahlt, wenn die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge eines Arbeitsunfalls über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

14

Der Kläger hat bei dem anerkannten Arbeitsunfall vom 18. Januar 1996 eine Prellung des rechten Knies erlitten. Dabei handelt es sich um eine ihrer Natur nach folgenlos abklingende Gesundheitsstörung. Dagegen vermag der Senat nicht festzustellen, dass die weiterhin vom Kläger angegebenen Beschwerden im Bereich des rechten Knies mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf diesen Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Entscheidend gegen einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Schmerzsymptomatik spricht, dass es bei dem Unfall nicht zu strukturellen Verletzungen gekommen ist, die die Beschwerden des Klägers erklären könnten: Bei der Erstuntersuchung durch Dr. B. lagen bis auf eine leichte Schwellung unterhalb der rechten Kniescheibe keine äußeren Verletzungszeichen vor. Das rechte Knie war nicht funktionell beeinträchtigt. Es fanden sich kein Gelenkerguss und keine Meniskuszeichen, die Bandführung war stabil. Bei der röntgenologischen Untersuchung wurde keine knöcherne Verletzung festgestellt. Auch die zeitnah zum Unfall am 21. Februar 1996 durchgeführte Arthroskopie ergab keinen pathologischen Befund. Der Senat folgt deshalb der Beurteilung von Dr. I. und Dr. J., dass nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit am 8. April 1996 keine Unfallfolgen mehr feststellbar sind.

15

Eine für den Kläger günstigere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der ärztlichen Stellungnahmen von Dr. H., Dres. D. und Dr. F ... Dr. H. hält es für angemessen, die Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 31. Juli 1997 (Ablauf der Rehabilitationsphase nach der dritten Arthroskopie) zu Lasten der Beklagten zu begrenzen. Diese Bewertung ist aber nicht überzeugend, weil auch dieser Gutachter feststellt, dass die wesentlichen anatomischen Knieelemente durch die Knieprellung nicht verletzt gewesen seien. Selbst wenn man aber - entgegen der Ansicht des Senats - bis zum 31. Juli 1997 einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und den Beschwerden des Klägers annehmen würde, bestünde kein Anspruch auf Verletztenrente. Denn in diesem Fall wäre der Arbeitsunfall ebenfalls Grund für die Arbeitsunfähigkeit. Ein Anspruch auf Verletztenrente besteht aber erst von dem Tag an, an dem die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit (und damit der Anspruch auf Verletztengeld) beendet ist (§ 580 Abs. 2 RVO). Entgegen der von Dres. D. in ihrem Bericht vom 24. Februar 1998 vertretenen Ansicht kann auch ein LWS-Syndrom (als Folge der statischen Fehlbelastung wegen einer chronischen Belastungsminderung des rechten Beines) nicht als Folge des Unfalls vom 18. Januar 1996 angesehen werden. Es ist schon nicht nachvollziehbar, dass eine chronische Belastungsminderung des rechten Beines vorliegt. Denn bei der Untersuchung durch Dr. G. am 29. Dezember 1997 waren die Oberschenkelmuskulatur rechts nur diskret vermindert, die grobe Kraft des Beines unauffällig, Hacken- und Zehengang möglich und ein Schonhinken nicht festzustellen. Auch bei der Untersuchung durch Dr. H. waren Ober- und Unterschenkelmuskulatur der Beine seitengleich kräftig ausgebildet, das Gangbild war raumgreifend ohne Hinken, es waren auch keine Funktionseinschränkungen im rechten Kniegelenk feststellbar. Selbst wenn man eine relevante Knieerkrankung annähme, könnte ein LWS-Syndrom nicht als Unfallfolge angesehen werden, weil - wie ausgeführt - der Unfall vom 18. Januar 1996 nicht zu einer Knieschädigung geführt hat. Dr. F. beschreibt in seinem Bericht vom 15. Oktober 1997 lediglich die Möglichkeit, dass die bei der Arthroskopie am 23. Juni 1997 gefundene Synoviahypertrophie im Zusammenhang mit der Prellung steht. Die bloße Möglichkeit reicht jedoch zur Begründung eines Zusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfall und einer Gesundheitsstörung grundsätzlich nicht aus. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die festgestellte Synoviahypertrophie zu einer Funktionseinschränkung im rechten Kniegelenk geführt hat.

16

Unabhängig von dem fehlenden Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall vom 18. Juni 1996 und den vom Kläger angegebenen Beschwerden scheitert ein Anspruch auf Verletztenrente auch daran, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers auf Grund dieses Beschwerdebildes nicht um mindestens ein Fünftel gemindert ist. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei Verletzungen des Kniegelenkes ist eine MdE um 20 v.H. z.B. anzunehmen, wenn das Kniegelenk nur noch bis 90 Grad gebeugt werden kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit 7. Auflage, S. 724). Eine so gravierende Funktionseinschränkung hat sich im vorliegenden Fall jedoch bei keiner Untersuchung feststellen lassen.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.