Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 24.09.2003, Az.: L 4 KR 86/01

Anspruch auf Kostenerstattung für die Auswechselung von Implantatteilen; Anerkennung von Kieferatrophien oder die Parodontitis marginalis superfacialis als Grund für implantologische Leistungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
24.09.2003
Aktenzeichen
L 4 KR 86/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20192
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0924.L4KR86.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - AZ: S 6 KR 102/00

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kosten für die Auswechselung von Implantatteilen.

2

Die Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Sie wurde 1991 mit Implantaten und implantatgestützem Zahnersatz versorgt. Die Implantate enthalten ein empfindliches Stoßdämpfersystem, welches in regelmäßigen Abständen gewechselt werden muss, da es sonst zur Ermüdung des Materials kommt. Für diese jährliche Pflege des Zahnersatzes beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 6. November 1999, eingegangen bei der Beklagten am 9. November 1999, die Kostenübernahme. Mit Bescheid vom 12. Januar 2000 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und übersandte die Rechnung der Dres C. und D. vom 15. Februar 2000 über das Auswechseln von Implantatteilen am 3. Februar 2000. Die Kosten hierfür betrugen 537,60 DM (274,87 EUR). Die Beklagte lehnte die Kostenerstattung mit Bescheid vom 1. März 2000 erneut ab. Den Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten zurück (Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2000).

3

Hiergegen hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Der Klagebegründung fügte sie das Schreiben der Dres C. vom 16. Februar 2000 bei. Danach liege bei der Klägerin eine sehr starke Parodontitis marginalis superfacialis sowie eine sehr ausgeprägte Atrophie des Unterkieferknochens vor. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Atrophie derart schwer sei, dass sie eine Ausnahmeindikation darstelle. Die implantologische Versorgung des Unterkiefers sei deshalb eine unter § 28 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zu subsummierende zahnärztliche Behandlung.

4

Mit Urteil vom 28. März 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bei der Klägerin keine Ausnahmeindikation vorliege. Die Kieferatrophie stelle keine Indikation für die Gewährung von Zahnersatz gemäß § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V dar. Das SG hat die Berufung zugelassen.

5

Gegen das der Klägerin am 3. April 2001 zugestellte Urteil hat diese Berufung eingelegt, die am 3. April 2001 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingegangen ist.

6

Die Klägerin ist nach wie vor der Ansicht, dass ihre Kieferatrophie eine Ausnahmeindikation darstelle und die Beklagte verpflichtet sei, die vorgenommenen implantologischen Leistungen zu erbringen bzw. nunmehr die Kosten hierfür zu erstatten.

7

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 28. März 2001 sowie die Bescheide der Beklagten vom 12. Januar 2000 sowie vom 1. März 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2000 aufzuheben und

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihr 274,87 EUR (537,60 DM) zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

10

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des SG Oldenburg S 6 KR 145/97 verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden.

13

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des SG Oldenburg vom 28. März 2001 ist zutreffend. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die implantologische Leistung vom 3. Februar 2000 (Rechnung der Dres C. und D. vom 15. Februar 2000) gemäß § 28 SGB V.

14

Für die Entscheidung des Senats ist die Rechtslage zum Zeitpunkt der Leistungserbringung, also im Februar 2000, maßgebend. Anspruchsgrundlage für die Versorgung der Klägerin mit Ersetzungs- und Reparaturarbeiten ist § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V in der seit 1. Juli 1997 geltenden Fassung. Danach ist die vertragsärztliche Versorgung mit Implantaten ausgeschlossen. Zwar verpflichtet diese Vorschrift die gesetzlichen Krankenkassen zur Übernahme der Kosten für implantatgestützten Zahnersatz einschließlich der Suprakonstruktion und der Er-setzungs- und Reparaturarbeiten im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung, wenn beim Versicherten eine der vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen festzulegenden seltenen Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle vorliegt. Diese besonderen Voraussetzungen sind jedoch bei der Klägerin nicht erfüllt.

15

Kieferatrophien oder die Parodontitis marginalis superfacialis sind in den insoweit einschlägigen Zahnbehandlungs-Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung vom 24. Juli 1998 (BAnz 1998 Nr. 177) nicht als Grund für implantologische Leistungen anerkannt. Diese Leistungsbeschränkung ist vom Bundessozialgericht (BSG) in den Entscheidungen vom 19. Juni 2001 (Az: B 1 KR 4/00 R und B 1 KR 5/00 R - vgl. SozR 3-2500 § 28 Nr. 5 -) bestätigt worden. Danach handelt es sich bei der Kieferatrophie gerade nicht um eine Indikation nach den Zahnbehandlungs-Richtlinien des Bundesausschusses. Der von der Klägerin behauptete größere Kiefer- oder Gesichtsdefekt, der dort in Abschnitt B VII Nr. 29a als Indikation anerkannt ist, ist nicht mit der bei ihr vorliegenden Kieferatrophie gleichzusetzen. Das BSG hat insoweit ausgeführt, dass es sich bei der allmählichen Rückbildung des zahnlosen Kieferknochens im Sinne einer Atrophie um einen natürlichen Vorgang bei jedem Zahnverlust handele. Kieferdefekte im Sinne der genannten Bestimmung seien nach ausdrücklicher Klarstellung nur solche Veränderungen, die ihre Ursache in einer Operation wegen eines Tumors, einer Zyste oder einer Osteopathie, in einer Entzündung des Kiefers, einer angeborenen Fehlbildung oder einem Unfall haben. Dass die Atrophie nicht zu den Ausnahmeindikationen gehören solle, zeige sich auch darin, dass der Bundesausschuss anlässlich der Neufassung der Zahnbehandlungs-Richtlinien an den Gesetzgeber appelliert habe, den Anwendungsbereich des § 28 Abs. 2 Satz 9 SGB V auf die Versorgung mit Implantaten zu beschränken und alle Arten von Zahnersatz, unabhängig von der Frage der implantologischen Versorgung, in die Regelung des § 30 SGB V einzubeziehen, weil andernfalls Patienten mit schweren und schwersten Kieferatrophien nicht einmal Anspruch auf den Zuschuss zum Zahnersatz nach § 30 SGB V hätten. Im Sinne dieser Er-klärung könne der Abschnitt B VII Nr. 29 der Zahnbehandlungs-Richtlinie nur dahingehend verstanden werden, dass darin Kieferatrophien nicht erfasst seien. Für den vorliegenden Fall verweist der Senat auf die Ausführungen des BSG im Urteil vom 19. Juni 2001, Az: B 1 KR 4/00 R in SozR 3-2500 § 30 Nr. 12.

16

Die von der Klägerin angeführte Parodontitis marginalis superfacialis kommt einer Ausnahmeindikation ebenfalls nicht gleich. Sie ist als Ausnahmeindikation nicht benannt und kann die Gewährung von Implantaten deshalb genauso wenig begründen wie die Kieferatrophie.

17

Der seit dem 1. Januar 1997 gesetzlich angeordnete Ausschluss implantologischer Leistungen aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst auch die bei der Klägerin durchgeführten Ersetzungs- und Reparaturarbeiten an bereits vor dem 1. Januar 1997 eingesetzten Implantaten (vgl. -Urteil des BSG vom 3. September 2003, Az: B 1 KR 9/02 - noch unveröffentlicht). Das BSG führt a.a.O. aus, dass der vom Gesetz verwendete Begriff der implantologischen Leistungen eine Differenzierung zwischen Erst- und Folgebehandlung nicht zulasse. Auch das Fehlen von Behandlungsalternativen bei vorhandenen Implantaten könne eine derartige Differenzierung nicht rechtfertigen, sodass die Ersetzungs- und Reparaturarbeiten genau wie die Implantate seit dem 1. Januar 1997 vom Leistungskatalog ausgeschlossen seien. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung im vorliegenden Fall an.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

19

Ein gesetzlicher Grund die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).