Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 08.09.2003, Az.: L 7 AL 101/03
Gewährung von Insolvenzgeld an den Geschäftsführer und Mitgesellschafter einer Komplimentärs-GmbH; Voraussetzungen des Anspruchs auf Insolvenzgeld; Arbeitnehmereigenschaft bei Geschäftsführern; Berücksichtigungsfähigkeit der fälschlicherweise für einen Geschäftsführer entrichteten Beiträge zur Gesamtsozialversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 08.09.2003
- Aktenzeichen
- L 7 AL 101/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 16017
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0908.L7AL101.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - 28.01.2003 - AZ: S 12 AL 153/00
Rechtsgrundlage
- § 183 Abs. 1 SGB III
Redaktioneller Leitsatz
Hält der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH 96% des Stammkapitals und kann so einen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der KG ausüben, kann nicht mehr von einer abhängigen Beschäftigung gesprochen werden. Es fehlt hier die Arbeitnehmereigenschaft.
Bei einem Geschäftsführer ohne Anteil am Stammkapital der Gesellschaft ist ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen, wenn die familiären Beziehungen dazu führen, dass die Geschäftsführertätigkeit überwiegend durch familienhafte Rücksichtnahme geprägt ist und ein Direktionsrecht durch die Gesellschafter nicht ausgeübt wird.
Die fälschliche Entrichtung von Beiträgen und deren Annahme führt nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Versicherungsleistungen.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Insolvenzgeld.
Der 1958 geborene Kläger ist gelernter Speditionskaufmann. Im Oktober 1992 errichtete der Kläger zusammen mit seinem inzwischen verstorbenen Vater F. die G. (im Folgenden nur: GmbH), deren wesentlicher Unternehmensgegenstand die Geschäftsführung für die am gleichen Tage errichtete H. (im Folgenden nur: KG) als künftige alleinige persönlich haftende Gesellschafterin war (Ziffer 2 des GmbH-Vertrages). Von dem vereinbarten Stammkapital von 50.000,00 DM übernahm der Kläger 48.000,00 DM, sein Vater eine Einlage von 2.000,00 DM, die nach dem Tode des Vaters im Mai 1999 auf die Mutter des Klägers überging. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedurften, soweit gesetzlich nichts anderes vorgeschrieben war, der einfachen Stimmenmehrheit; auf je 100,00 DM-Geschäftsanteil entfiel eine Stimme (§ 8 des GmbH-Vertrages). Die Gesellschafter wurden zu Geschäftsführern mit Einzelvertretungsbefugnis und Befreiung von der Beschränkung des § 181 BGB bestellt.
Die GmbH trat mit Wirkung vom 1. Januar 1993 in die KG als alleinige persönlich haftende Gesellschafterin ein. Nach dem für die KG maßgeblichen Gesellschaftsvertrag vom 9. Oktober 1992 hatte die GmbH als Komplementärin keine Einlage zu leisten, die Kommanditisten der KG waren zunächst der Vater und die Großmutter des Klägers, nach deren Tod seine Mutter. Nach § 5 des Kommanditgesellschaftsvertrages (KG-Vertrages) war allein die GmbH zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt und berufen; die Gesellschafterversammlung hatte ausschließlich über Erwerb, Veräußerung und Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten, Abschluss oder Kündigung von Dauerschuldverhältnissen, die Begründung oder Änderung von Dienstverträgen mit einem Monatsgehalt von 5.000,00 DM, die Erteilung oder Entziehung von Prokura oder Handlungsvollmachten, die Aufnahme von Bankkrediten von mehr als 50.000,00 DM im Einzelfall sowie die Übernahme von Bürgschaften, die Anschaffung und Veräußerung von Gegenständen des Anlagevermögens mit einem Wert von mehr als 20.000,00 DM im Einzelfall, die Eröffnung oder Schließung von Filialen oder alle Geschäfte die über den Rahmen eines gewöhnlichen und üblichen Geschäftsbetriebes hinausgehen, zu beschließen.
Nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der KG am 1. Oktober 1999 beantragte der Kläger am 7. Oktober 1999 Insolvenzgeld auf Grund des Konkurses der KG für die Monate Juli bis September 1999. Nach der Insolvenzgeldbescheinigung des Insolvenzverwalters Diplomvolkswirt I. hatte der Kläger Anspruch auf Arbeitsentgelt in Höhe von monatlich 4.728,76 DM netto. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Insolvenzgeld mit Bescheid vom 21. Oktober 1999/Widerspruchsbescheid vom 29. Februar 2000 mit der Begründung ab, dass der Kläger in dem von ihm geltend gemachten Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 1999 kein Arbeitnehmer gewesen sei; als Geschäftsführer der GmbH mit einer Beteiligung am Stammkapital in Höhe von 96 % habe er einen entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der KG gehabt.
Hiergegen hat der Kläger am 3. April 2000 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben, die das SG mit Urteil vom 28. Januar 2003 abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt, der Kläger habe als Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer der GmbH maßgeblichen Einfluss auf die KG gehabt, deren alleinige Geschäftsführerin die GmbH gewesen sei.
Gegen das dem Kläger am 20. Februar 2003 zugestellte Urteil führt er am 7. März 2003 Berufung. Er ist der Auffassung, das Fehlen einer Sperrminorität spreche für die Annahme einer abhängigen Tätigkeit. Er habe in keiner Weise die Möglichkeit gehabt, frei über seinen Arbeitsort und seine Arbeitszeit zu verfügen, weil die Kommanditistin Eigentümerin der Betriebsgebäude gewesen sei, die sie an die KG vermietet habe. Da die Kommanditeinlage 150.000,00 DM, das Stammkapital der GmbH lediglich 25.000,00 Euro betragen habe, liege das wirtschaftliche Risiko bei der KG. Ausweislich § 5 des KG-Vertrages seien alle wichtigen vollkaufmännischen Geschäfte der Genehmigung durch die Gesellschafterversammlung vorbehalten gewesen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 28. Januar 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Februar 2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1999 Insolvenzgeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte Bezug genommen. Die den Kläger betreffende Verwaltungsakte der Beklagten liegt vor und ist Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 151 Abs. 1 SGG statthafte und zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1999 keinen Anspruch auf Insolvenzgeld.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass es insoweit jedenfalls an der Erfüllung der Arbeitnehmereigenschaft als einer Voraussetzung für den Anspruch auf Insolvenzgeld (§ 183 Abs. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB III - ) fehlt. Das SG hat in seinem Urteil vom 28. Januar 2003 umfassend und ausführlich die Grundsätze, die für die Beurteilung der Arbeitnehmereigenschaft nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung von Bedeutung sind, dargestellt. Hierauf nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug. Bei Berücksichtigung dieser Kriterien steht fest, dass der Kläger, der über mehr als die Hälfte des Stammkapitals der GmbH verfügte und damit einen maßgebenden Einfluss auf deren Entscheidungen besaß, nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur GmbH stand.
Gegenstand der GmbH war die Geschäftsführung für die KG, die der Kläger somit im Rahmen seiner Geschäftsführertätigkeit für die GmbH auszuüben hatte. Es ist nicht ersichtlich, welche weitere Tätigkeit für die KG der Kläger darüber hinaus verrichtet haben sollte. Ein Anstellungsvertrag wurde nicht vorgelegt. Dass die KG unmittelbar dem Kläger das Gehalt gezahlt hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Durch den KG-Vertrag vom 9. Oktober 1992 erhielt die GmbH vorab für ihre Geschäftsführung für die KG die ihr entstehenden Kosten, sodass die unmittelbare Zahlung aus Vereinfachungsgründen erfolgt.
Darüber hinaus hat das SG zu Recht darauf abgestellt, dass die GmbH und damit der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer entscheidenden Einfluss auf die Geschäfte der KG hatte, da nur in einzeln aufgeführten besonderen Fällen überhaupt ein Gesellschafterbeschluss erforderlich war. Auch wenn der Kläger keine Geschäftsanteile der KG besaß, bestimmte die GmbH allein und selbstständig die Geschäfte der KG, da neben ihr weder die Kommanditistin ebenfalls zur Geschäftsführerin bestellt war noch dieser für die Geschäftsführung der GmbH allgemein oder in bestimmten Fällen ein Weisungsrecht eingeräumt war. Infolgedessen war es nicht die Kommanditistin, sondern die GmbH, die den für die Willensbildung der KG bestimmenden Einfluss besaß. Die GmbH konnte als Komplementärin nur einheitlich auftreten, der Kläger war Geschäftsführer der GmbH und konnte auf der Gesellschafterversammlung, da alle Beschlüsse der einfachen Stimmenmehrheit des Stammkapitals bedurften und der Kläger als Eigentümer von 96 % des Stammkapitals der GmbH jeden Beschluss verhindern konnte, von seiner Mutter niemals überstimmt werden.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass selbst bei einem Geschäftsführer ohne Anteil am Stammkapital der Gesellschaft ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu verneinen ist, wenn die familiären Beziehungen dazu führen, dass die Geschäftsführertätigkeit überwiegend durch familienhafte Rücksichtnahme geprägt und ein Direktionsrecht durch die Gesellschafter nicht ausgeübt wird. In dem hier streitigen Zeitraum war die Mutter des Klägers alleinige Kommanditistin. Dass sie das (eingeschränkte) Weisungsrecht nach § 5 des KG-Vertrages überhaupt ausgeübt hat, hat der Kläger nicht behauptet.
Stand dem Kläger aber nach seiner Kapitalbeteiligung an der GmbH, nach den Rechten der GmbH an der KG und der Familiengesellschaft ein die Entscheidungen der KG bestimmender Einfluss zu, so kann er nicht gleichzeitig zu der KG in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis treten. Ihm standen Arbeitgeberrechte zur Verfügung, die ein von seinem Willen unabhängiges Handeln der KG als Arbeitgeber ausschlossen.
Die nicht als beitragspflichtige Beschäftigung zu bewertende Tätigkeit des Klägers für die KG führt schließlich nicht deshalb zu einer Begründung der Arbeitnehmereigenschaft, weil für den Kläger Gesamtsozialversicherungsbeiträge entrichtet worden sein sollen. Die fälschliche Entrichtung von Beiträgen und deren Annahme führt nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Versicherungsleistungen (BSG, SozR-4100 § 168 Nr. 10). Nach alledem steht dem Kläger kein Anspruch auf Insolvenzgeld zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.