Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 03.09.2003, Az.: L 10 LW 9/03

Anspruch auf Haushaltshilfe; Verfassungsmäßigkeit der Änderung der Regelung des § 10 Abs. 4 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG); Grundsatz der Nichtgewährung von Haushaltshilfe für sogenannte Arbeitnehmerbetriebe

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
03.09.2003
Aktenzeichen
L 10 LW 9/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 19934
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0903.L10LW9.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 19.02.2003 - AZ: S 10 LW 22/00

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 19. Februar 2003 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um Haushaltshilfe gemäß § 10 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG).

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Die 1951 geborene Klägerin ist als Ehefrau des landwirtschaftlichen Unternehmers J. versicherungspflichtig gemäß § 1 Abs. 3 ALG. Vom 23. Februar bis 29. März 2000 nahm sie an einer zu Lasten der Beklagten durchgeführten stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation teil. Mit schriftlichem Antrag vom 9. März 2000 beantragte die Klägerin, ihr für die Zeit der Rehabilitationsmaßnahme Haushaltshilfe zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2000 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Beschäftigung von sechs familienfremden Arbeitskräften in dem landwirtschaftlichen Unternehmen eine Gewährung von Haushaltshilfe ausschließe.

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Im Nachfolgenden Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) die auf Haushaltshilfe in der Form von Erstattung der Kosten für den Einsatz einer Ersatzkraft gerichtete Klage mit Urteil vom 19. Februar 2003 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, dass die Beklagte nach der seinerzeit geltenden Fassung des § 10 ALG Haushaltshilfe wegen des Vorhandenseins von Arbeitnehmern in dem landwirtschaftlichen Unternehmen nicht habe leisten dürfen. Eine Verfassungswidrigkeit der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung sei nicht zu erkennen.

4

Die Klägerin hat gegen das ihr am 7. März 2003 zugestellte Urteil am 4. April 2003 Berufung eingelegt. Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die im Jahr 2000 geltende Fassung des § 10 ALG wegen Verstoßes gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) verfassungswidrig sei.

5

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Lüneburg vom 19. Februar 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. November 2000 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, die Kosten einer Ersatzkraft für die Zeit vom 23. Februar bis 29. März 2000 im Wege der Gewährung von Haushaltshilfe zu erstatten.

6

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 19. Februar 2003 zurückzuweisen.

7

Sie sieht sich an die vom Gesetzgeber getroffene Regelung gebunden.

8

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugestimmt.

9

Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.

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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig. Der Klägerin steht gegen die Beklagte auch nach Auffassung des erkennenden Senats kein Anspruch auf Haushaltshilfe gemäß § 10 ALG zu.

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Gemäß § 95 ALG sind für Rehabilitationsleistungen die Vorschriften anzuwenden, die im Zeitpunkt der Antragstellung gegolten haben. Da die Klägerin ihren Antrag auf Gewährung von Haushaltshilfe im März 2000 gestellt hat, ist für den vorliegenden Fall § 10 ALG in der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1999 (Bundesgesetzblatt I 2671) einschlägig. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift darf Haushaltshilfe nicht erbracht werden, wenn in dem Unternehmen Arbeitnehmer oder mitarbeitende Familienangehörige ständig beschäftigt werden. Da dies bei dem landwirtschaftlichen Unternehmen des Ehemannes der Klägerin seinerzeit unstreitig der Fall gewesen ist, konnte und musste die Beklagte den Antrag auf Haushaltshilfe ablehnen. Mit der zum 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Rechtsänderung hatte der Gesetzgeber § 10 Abs. 4 Satz 2 ALG in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung gestrichen, wonach die von der Vertreterversammlung des Gesamtverbandes der Landwirtschaftlichen Alterskassen zu beschließenden Richtlinien die Haushaltshilfe auf Unternehmen erstrecken konnten, in denen Arbeitnehmer oder mitarbeitende Familienangehörige ständig beschäftigt werden. Hiervon war in § 72 der Richtlinien Gebrauch gemacht worden. Nach der Neuregelung des § 10 Abs. 4 ALG war nunmehr eine solche Ausnahme von dem Grundsatz der Nichtgewährung von Haushaltshilfe für so genannte Arbeitnehmerbetriebe ausgeschlossen. Eine anderweitige Regelung hat der Gesetzgeber sodann mit der zum 1. Juli 2001 erfolgten Änderung durch das Gesetz vom 19. Juni 2001 (Bundesgesetzblatt I 1046) getroffen.

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Der Senat verkennt nicht, dass die Klägerin durch die Anwendbarkeit des § 10 ALG in der seit dem 1. Januar 2000 geltenden Fassung gegenüber dem zuvor und dem später geltenden Rechtszustand benachteiligt war. Auch ist nicht zu übersehen, dass die Klägerin für die Zeit ihrer stationären Krankenhausbehandlung vor der Rehabilitationsmaßnahme und für die Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit in deren Anschluss von der Hannoverschen landwirtschaftlichen Krankenkasse Haushaltshilfe bezogen hat, weil die diesbezüglichen Regelungen anders gestaltet gewesen sind. Der Senat sieht insoweit jedoch keinen Anhaltspunkt für einen Verstoß gegen Art. 3 GG. Die seit 1. Januar 2000 geltende Fassung des § 10 ALG hielt sich vielmehr innerhalb des dem Gesetzgeber in Angelegenheiten der Sozialversicherung eingeräumten weiten Ermessensspielraums. Im Rahmen der dem Bereich der Ermessensleistungen zuzuordnenden Haushaltshilfe muss es dem Gesetzgeber unbenommen bleiben, eine in § 10 Abs. 4 Satz 2 ALG in der bis zum 31. Dezember 1999 geltenden Fassung enthaltene Ausnahmeregelung von dem Ausschluss von Haushaltshilfe für so genannte Arbeitnehmerbetriebe rückgängig zu machen und damit diese Betriebe vom Bezug von Haushaltshilfe allgemein auszuschließen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Gesetzgeber in der ab 1. Juli 2001 geltenden Fassung des § 10 ALG nunmehr Haushaltshilfe lediglich dann ausschließt, wenn speziell im Haushalt keine Arbeitnehmer oder mitarbeitenden Familienangehörigen ständig beschäftigt werden. Der Gesetzgeber hat nunmehr den Kreis der Leistungsberechtigten wieder vergrößert, was ihm verfassungsrechtlich ebenso unbenommen bleiben muss. Dass das Gesetz in der Zeit vom 1. Januar 2000 bis 30. Juni 2001 nicht zwischen im Haushalt und im landwirtschaftlichen Unternehmen im Übrigen beschäftigten Arbeitnehmern unterschieden hat, erscheint gleichfalls unbedenklich. Gerade in landwirtschaftlichen Unternehmen wird eine Unterscheidung in Arbeitnehmer lediglich im Haushalt und solche nur außerhalb des Haushaltsbereichs oft nur schwer zu treffen sein. Wenn der Gesetzgeber insoweit nicht differenziert hat, hat er damit erkennbar auch den Erfordernissen der Massenverwaltung Rechnung getragen. Eine in diesem Zusammenhang gebotene Pauschalierung und Typisierung steht der Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 GG entgegen, wie das Bundessozialgericht (BSG) im Zusammenhang mit der Ehegattenversicherungspflicht nach § 1 Abs. 3 ALG in mehreren Entscheidungen klargestellt hat (vgl. z.B. Urteil vom 25. November 1998 - B 10 LW 10/97 R - abgedruckt in SozR 3-5868 § 1 Nr. 2).

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Da der erkennende Senat im vorliegenden Fall eine Verfassungswidrigkeit nicht zu erkennen vermag, kam eine Vorlage des Rechtsstreits an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

16

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.