Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 24.09.2003, Az.: L 4 KR 208/01
Befreiung von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Krankenkasse (KVdL); Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung; Zeitpunkt des Beginns der Versicherungspflicht; Voraussetzungen der Befreiung von der Versicherungspflicht; Rechtsfolgen der Versäumnis der festgelegten dreimonatigen Ausschlussfrist; Voraussetzungen des des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 24.09.2003
- Aktenzeichen
- L 4 KR 208/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 15537
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0924.L4KR208.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 18.07.2001 - AZ: S 9 KR 168/99
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 Ziff. 1 KVLG 1989
- § 2 Abs. 3 S. 1 KVLG 1989
- § 4 Abs. 1 Ziff. 1 KVLG 1989
- § 4 Abs. 2 S. 1 KVLG
- § 14 SGB I
- § 15 SGB I
Redaktioneller Leitsatz
Bei § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 handelt es sich um eine Ausschlussfrist, wegen deren Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zulässig ist.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Befreiung von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Krankenkasse (KVdL).
Mit notariellem Vertrag vom 22. Dezember 1998 überschrieb der Ehemann der Klägerin dieser die Hälfte seines landwirtschaftlichen Betriebes, der aus Flächen in Neetze und Bleckede/Karze bestand. Der Hof bildete eine eigene Existenzgrundlage im Sinne der Höfeordnung. Die andere Hälfte (ebenfalls ein eigenständiger Hof im Sinne der Höfeordnung) wurde auf den Sohn der Klägerin und ihres Ehemannes übertragen. Beide Höfe bewirtschaftet der Sohn der Klägerin auf der Basis einer mit seiner Mutter gebildeten Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Der erlöste Gewinn wird hälftig zwischen der Klägerin und ihrem Sohn geteilt. Der Übertragungsvertrag wurde vom Landwirtschaftsgericht Lüneburg mit Beschluss vom 2. März 1999 genehmigt. In Teil III § 1 Ziffer 1 des notariellen Vertrages heißt es wörtlich:
"Die Übergaben sind am 1. Oktober 1998 bereits erfolgt."
Auf Grund einer Mitteilung des Sohnes der Klägerin vom 24. Februar 1999 an die Beklagte, wonach sich der Gewinn aus den beiden landwirtschaftlichen Betrieben je zur Hälfte auf ihn und seine Mutter verteile, bat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 3. März 1999 um verschiedene Angaben, um die Versicherung in der land-wirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung prüfen zu können. Mit Datum vom 12. März 1999 sandte die Klägerin die "Meldung als landwirtschaftlicher Unternehmer" wieder an die Beklagte zurück.
Mit Bescheid vom 16. März 1999 stellte die Beklagte die Mitgliedschaft der Klägerin als Pflichtmitglied in der landwirtschaftliche Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Oktober 1998 fest.
Ihren am 12. April 1999 erhobenen Widerspruch gegen diese Entscheidung begründete die Klägerin damit, dass sie privat kranken- und pflegeversichert sei. Im Übrigen habe sie die gesetzlichen Bestimmungen über die landwirtschaftliche Kranken- und Pflegeversicherung nicht gekannt und sei erst durch den Bescheid vom 16. März 1999 auf die Versicherungspflicht aufmerksam geworden. Sie stelle nunmehr einen Antrag auf Befreiung von der Pflichtversicherung in der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Auf den telefonischen Hinweis der Beklagten, die für die Befreiung von der Versicherungspflicht maßgebliche Dreimonatsfrist nach Aufnahme der Tätigkeit sei bereits abgelaufen, stellte die Klägerin mit Schreiben vom 21. April 1999 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Mit Bescheid vom 29. September 1999 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit der Begründung zurück, die Versicherungspflicht beginne mit dem Beginn der Unternehmereigenschaft, das heiße im Falle der Klägerin mit der Übernahme des landwirtschaftlichen Unternehmens am 1. Oktober 1998, so wie es in der notariellen Vereinbarung von der Klägerin, ihrem Sohn und ihrem Ehemann erklärt worden sei. Für eine Befreiung von der Versicherungspflicht sei die dafür festgelegte Dreimonatsfrist ab Beginn der Unternehmereigenschaft versäumt worden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei ausgeschlossen, weil es sich um eine Ausschlussfrist handele, für die eine Wiedereinsetzung nicht möglich sei. Im Übrigen sei die Klägerin auch nicht ohne Verschulden verhindert gewesen, die Frist einzuhalten, weil sie Meldepflichten der KVdL verletzt habe.
Mit ihrer am 28. Oktober 1999 rechtzeitig erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, für den Beginn der Frist für die Befreiung von der Versicherungspflicht sei der im notariellen Vertrag vereinbarte Besitzübergang nicht maßgeblich. Bei der Dreimonatsfrist für die Befreiung von der Versicherungspflicht handele es sich um eine Überlegungsfrist, die vor der Genehmigung des Übergabevertrages durch das Landwirtschaftsgericht gar nicht habe zu laufen beginnen können. Erst zu diesem Zeitpunkt habe festgestanden, dass die Klägerin den Betrieb wirksam habe übernehmen können. Im Übrigen sei der Besitzübergang zum 1. Oktober 1998 aus steuer-lichen Gründen und auch deshalb zu diesem Zeitpunkt erfolgt, weil es sich um den Beginn des Wirtschaftsjahres in der Landwirtschaft handele und damit die Erstellung einer weiteren Bilanz für den Betrieb vermieden worden sei. Die Verletzung von Meldepflichten sei für die Versäumung der Dreimonatsfrist gar nicht kausal geworden. Im Übrigen müsse darauf hingewiesen werden, dass die vorgesehene Versicherungspflicht in der KVdL verfassungswidrig sei, weil die Klägerin durch sie in unzulässiger Weise in ihrem Wahlrecht für eine ihr genehme Krankenkasse eingeschränkt werde.
Das Sozialgericht (SG) Lüneburg hat die Klage durch Urteil vom 18. Juli 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach den Vorschriften über die Krankenversicherung der Landwirte beginne die Versicherungspflicht mit der Aufnahme der Unternehmertätigkeit in der Landwirtschaft. Diese sei nach den eigenen Angaben der Klägerin im notariellen Vertrag vom 22. Dezember 1998 zum 1. Oktober 1998 erfolgt. Dass die Besitzübernahme erst nachträglich dokumentiert worden sei, mache in Bezug auf den Beginn der Unternehmereigenschaft und damit der Versicherungspflicht keinen Unterschied. Bei der Dreimonatsfrist handele es sich um eine Ausschlussfrist, bei deren Versäumen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus-geschlossen sei. Auf die Frage eines Verschuldens komme es daher nicht an. Unter Berücksichtigung des Akteninhalts sei im Übrigen davon auszugehen, dass die Klägerin schon auf Grund der Unternehmereigenschaft ihres Ehemannes von der Dreimonatsfrist Kenntnis gehabt haben müsse. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits entschieden, dass die Pflichtversicherung in der KVdL nicht gegen die Verfassung verstoße.
Gegen dieses ihrer Bevollmächtigten am 9. August 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. August 2001 Berufung eingelegt. Das SG und die Beklagte seien zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie bereits seit dem 1. Oktober 1998 landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen sei. Der rückwirkende Übergabetermin sei lediglich deshalb vereinbart worden, weil es vermieden werden sollte, im laufenden Wirtschaftsjahr zwei Bilanzen zu erstellen. Ferner sei dieser Termin wegen der Fälligkeit der Umsatzsteuer zu Quartalsbeginn gewählt worden.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. Juli 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 1999 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und der Pflegeversicherung der Landwirte zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig.
Sie ist jedoch unbegründet.
Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig. Die Klägerin unterliegt als landwirtschaftlicher Unternehmerin ab dem 1. Oktober 1998 der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung nach § 2 Abs. 1 Ziffer 1 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989). Nach dieser Vorschrift sind in der Krankenversicherung der Landwirte u.a. versicherungspflichtig Unternehmer der Landwirtschaft, deren Unternehmen, unabhängig vom jeweiligen Unternehmer, auf Bodenbewirtschaftung beruht und die Mindestgröße des § 1 Abs. 5 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte erreicht. Nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 3 Satz 1 KVLG 1989 ist Unternehmer, wer seine berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) unterscheidet sich der selbstständig Tätige insbesondere dadurch von abhängig Beschäftigten, dass er persönlich unabhängig ist und das wirtschaftliche Risiko seiner Tätigkeit (Gewinn und Verlust) selbst trägt (BSGE 12,80). Wer Unternehmer ist, richtet sich nach den tatsächlichen (wirtschaftlichen) Verhältnissen (BSGE 18, 220).
Nach den Erklärungen der Klägerin, ihres Sohnes und ihres Ehemannes in dem notariellen Vertrag vom 22. Dezember 1998 ist davon auszugehen, dass die Übergabe der beiden Höfe auf die Klägerin und deren Sohn bereits zum 1. Oktober 1998 erfolgt war. An dieser Erklärung muss sich die Klägerin festhalten lassen. Auf sonstige mit der Erklärung verbundene Motive (steuerliche Gründe, bilanztechnische Erwägungen) kommt es dagegen nicht an. Dies hat der Senat bereits im Falle des Sohnes der Klägerin durch Urteil vom 18. Juni 2003, Aktenzeichen L 4 KR 73/01, entschieden. Für die Klägerin kann nichts anderes gelten. Sie ist ab dem 1. Oktober 1998 als landwirtschaftliche Unternehmerin zu qualifizieren und damit auch versicherungs-pflichtig in der landwirtschaftlichen Kranken- und Pflegekasse.
Dagegen kommt es für die Frage des Beginns der Unternehmereigenschaft der Klägerin nicht auf den Zeitpunkt der Genehmigung des Vertrages durch das Landwirtschaftsgericht durch den Beschluss 2. März 1999 an. Maßgebend sind vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse.
Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte befreit zu werden. Nach § 4 Abs. 1 Ziffer 1 KVLG 1989 wird auf Antrag von der Versicherungspflicht nach § 2 KVLG 1989 befreit, wer durch seine Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer versicherungspflichtig wird, wenn der Wirtschaftswert seines landwirtschaftlichen Unternehmens 60.000,00 DM übersteigt. § 4 Abs. 2 Satz 1 KVLG 1989 sieht vor, dass der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht bei der zuständigen Krankenkasse zu stellen ist.
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass der Wirtschaftswert des Unternehmens der Klägerin die erforderliche Größenordnung erreicht. Ebenso ist nicht streitig, dass die Klägerin ihren Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Landwirte erstmals mit ihrer Widerspruchsschrift vom 8. April 1999, bei der Beklagten eingegangen am 12. April 1999, gestellt hat. Damit ist die dreimonatige Frist von der Klägerin versäumt worden.
Das SG hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es für den Lauf der Frist nicht von Belang ist, ob die Klägerin von ihr Kenntnis gehabt hat oder ob sie zu Unrecht von einem anderen Fristbeginn ausgegangen ist, weil es sich dabei um eine Ausschlussfrist handelt, wegen deren Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. Juni 1980, Aktenzeichen 11 RK 11/79, veröffentlicht in juris). Nach der Rechtsprechung des BSG kann sich die Berufung auf die Versäumung der Ausschlussfrist allenfalls dann als rechtsmissbräuchlich darstellen, wenn die Ausschlussfrist für die Verwaltung von geringer Bedeutung ist und ganz erhebliche, langfristige Interessen des Bürgers auf dem Spiele stehen. Dabei könnten indessen nur Umstände Berücksichtigung finden, die nicht bereits Gegenstand der Interessenabwägung des Gesetzgebers gewesen seien. Das Interesse des Versicherungsträgers, auf nach Ablauf der Dreimonatsfrist gestellte Befreiungsanträge nicht mehr eingehen zu müssen, und das Interesse des Versicherten, doch noch befreit zu werden, habe dem Gesetzgeber vor Augen gestanden. Dies gelte auch für den Gesichtspunkt, dass der Versicherte, der die Antragsfrist versäumt habe, auf Dauer einer nicht unerheblichen Beitragsbelastung ausgesetzt sei (vgl. BSG, a.a.O.). Es stehe daher im Widerspruch zu Sinn und Zweck des Gesetzes, wolle man allein wegen dieser Belastung eine Durchbrechung der Ausschlusswirkung zulassen. Im vorliegenden Falle hat die Klägerin keine durchgreifenden anderen Gesichtspunkte geltend gemacht, und es sind auch keine solchen im Verfahren zu Tage getreten.
Ebenso wenig kann die Klägerin ihr Begehren auf den Gesichtspunkt des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs stützen. Dieser setzt nach der Rechtsprechung des BSG eine Verletzung öffentlichrechtlicher Pflichten durch den Versicherungsträger voraus und ist auf Herstellung des Zustandes gerichtet, wie er ohne die schädigende Handlung eingetreten wäre oder auf die Vornahme einer Amtshandlung, die den rechtmäßigen Zustand herstellt (vgl. BSG a.a.O.). Derartige Pflichten des Versicherungsträgers liegen insbesondere in der Aufklärung und Beratung der Versicherten (§§ 14 und 15 Sozialgesetzbuch - Erstes Buch -). So muss der Versicherungsträger dann, wenn ein konkreter Anlass dafür besteht, den Versicherten auf Gestaltungsmöglichkeiten hinweisen, die klar zu Tage liegen und deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, dass jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen wird (BSG SozR 2200 § 1241 Nr. 8). Ein solcher Verstoß gegen die Pflicht zur Aufklärung und Beratung der Klägerin ist vorliegend nicht ersichtlich.
Im Übrigen handelt es sich bei der Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht nicht um eine klar zu Tage tretenden Gestaltungsmöglichkeit, die jeder verständige Versicherte nutzen würde. Dazu sind die in jedem einzelnen Falle gegebenen individuellen Verhältnisse zu prüfen, zumal mit der Pflichtversicherung auch erhebliche Vorteile verbunden sein können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.