Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 23.09.2003, Az.: L 5 VG 8/01

Anspruch auf Versorgung wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs oder durch dessen rechtmäßige Abwehr; Minderung der Erwerbstätigkeit (MdE) um wenigstens 25 von Hundert als Folge einer gesundheitlichen Schädigung; Anspruchsteller als Opfer einer Gewalttat; Überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen Gesundheitsstörung und verübter Tätlichkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.09.2003
Aktenzeichen
L 5 VG 8/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 21137
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0923.L5VG8.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 28.06.2001 - AZ: S 12 VG 38/00 WA

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen erhält auf Antrag Versorgung, wer infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

  2. 2.

    Die Versorgungsrente hängt davon ab, dass als Folge einer gesundheitlichen Schädigung eine Minderung der Erwerbstätigkeit (MdE) um mindestens 25 von Hundert besteht.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Rechtsstreit betrifft Entschädigungsansprüche der Klägerin nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

2

Die am F. geborene Klägerin wurde am 30. Oktober 1991 tätlich angegriffen. Während sie in Ausübung ihres Berufs als Badefrau im Aufsichtsdienst bei den Versorgungsbetrieben G. im Hallenbad H. vor einem Geldwechsler kniete, erhielt sie einen Schlag in die Lendenwirbelgegend und klagte in der Folgezeit über heftige Rückenschmerzen. Die genauen Umstände der Tat konnten nicht vollständig aufgeklärt werden. Das Amtsgericht G. verurteilte den Täter wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 31. Juli 1992 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen.

3

Am 4. Februar 1992 beantragte die Klägerin Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Das Versorgungsamt (VA) zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Braunschweig (I.), den Arztbrief der chirurgischen Abteilung des Krankenhauses G. vom 12. Dezember 1991, den Entlassungsbericht dieser Abteilung vom 8. Januar 1992 und der Klinik J. vom 1. April 1992 bei. Ferner veranlasste es ein Untersuchungsgutachten durch den Chirurgen Dr. K. vom 25. April 1993. Dem Gutachten folgend stellte es als Schädigungsfolgen "Rückenprellung" fest, die folgenlos abgeheilt sei. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ergebe sich nicht (Bescheid vom 25. Mai 1993). Im Vorverfahren zog das VA das Untersuchungsgutachten des Chirurgen Dr. L. vom 22. März 1995 bei, welches für den Gemeinde-Unfallversicherungsverband erstattet worden war. Auf dieser Grundlage blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom "31". November 1995).

4

Den am 5. Dezember 1995 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin mit der am 27. Dezember 1995 bei dem Sozialgericht (SG) Braunschweig eingegangenen Klage angegriffen. Sie hat darauf hingewiesen, tätlichkeitsbedingt sei sie auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen.

5

Das SG hat einen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin M. vom 20. Mai 1996 (mit Arztbriefen der Poliklinik der Universität N. vom 16. März 1995, der neurologisch/psychiatrischen Abteilung der O., vom 15. Januar 1996 und 9. Februar 1996) und des Orthopäden Dr. P. vom 28. Mai 1996 (mit Entlassungsbericht der Q. vom 4. April 1996 und Arztbrief des Radiologen Dr. R. vom 7. Mai 1996) eingeholt. Durch Urteil vom 28. Juni 2001 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, die Klägerin sei zwar Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden. Es fehle allerdings nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule und der Schädigung. Die von Dr. K. festgestellten lumbalen Blockierungen bei Entwicklungsstörung im Bereich L5/S1 und insbesondere im Bereich der Syndesmosenfuge zwischen Kreuzbein und Darmbein links mit chronifiziertem Schmerzsyndrom seien eindeutig schädigungsunabhängig. Dr. L. habe in seinem Gutachten darauf hingewiesen, die Klägerin leide wahrscheinlich an einer strukturellen Schwäche im lumbosacralen Übergangsbereich, die durch eine myostatische Insuffizienz bei etwas weicher Bandstruktur, nicht jedoch durch die am 30. Oktober 1991 erfolgte Schädigung verursacht worden sei. Prof. Dr. S. habe in dem für das SG erstatteten Gutachten in dem Rechtsstreit der Klägerin gegen den Gemeinde-Unfallversicherungsverband der Beurteilung durch Dr. L. in vollem Umfang zugestimmt. Offensichtlich liege bei der Klägerin eine psychische Überlagerung vor. Sie habe bei der Untersuchung durch Prof. Dr. S. Beschwerden in allen Wirbelsäulenabschnitten angegeben und nicht nur an der Verletzungsstelle von 1991. Die Beweglichkeit praktisch aller Wirbelsäulenabschnitte sei schmerzhaft eingeschränkt gewesen. Bis auf ein umschriebenes Areal mit einer Gefühlsstörung im Bereich des rechten großen Rollhügels hätten neurologische Ausfälle nicht vorgelegen. Radiologisch seien in allen Wirbelsäulenabschnitten leicht- bis mittelgradige Verschleißveränderungen nachweisbar gewesen, daneben eine leichte Dysplasie-Fehlform beider Hüften. Unmittelbar im Anschluss an die Schädigung der Klägerin habe das Städtische Krankenhaus G. lediglich eine Rückenprellung festgestellt; der dort behandelnde Arzt habe bereits damals mit einem Dauerschaden nicht gerechnet. Die von der Klägerin eingereichten Bescheinigungen des Krankengymnasten seien keine fachärztlichen Äußerungen und enthielten darüber hinaus keinerlei Aussagen zur entscheidungserheblichen Frage der Ursächlichkeit der bestehenden Beschwerden.

6

Gegen das am 13. August 2001 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 10. September 2001 eingegangenen Berufung. Sie weist darauf hin, vor dem 30. Oktober 1991 habe sie keine Beschwerden gehabt. Gerade wenn eine teilweise negative Disposition der Wirbelsäule vorgelegen habe, habe der gegen den Rücken geführte Schlag die Beschwerden der Klägerin in besonderem Maße herbeiführen können.

7

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

  1. 1.

    das Urteil des SG Braunschweig vom 28. Juni 2001 und den Bescheid vom 25. Mai 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 1995 aufzuheben,

  2. 2.

    "Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und Halswirbelsäule" als Schädigungsfolgen festzustellen,

  3. 3.

    den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin ab 1. Oktober 1991 Versorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 25 v.H. zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

10

Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die die Klägerin betreffenden Beschädigtenakten des VA Braunschweig (Antragsl.-Nr. T.) und die Akten S 6 U 8/96 SG Braunschweig = L 3 U 55/00 Landessozialgericht Niedersachsen vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

11

II.

Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. An dieser Entscheidungsform ist der Senat nicht dadurch gehindert, dass die Klägerin mündliche Verhandlung erbeten hat. Die Begründung der Berufung weicht in tatsächlicher oder medizinischer Hinsicht vom Vorbringen in der ersten Instanz nicht ab.

12

Die gemäß § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Zutreffend hat das SG mit dem angefochtenen Urteil einen Anspruch der Klägerin verneint.

13

Nach § 1 Abs. 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Versorgung, wer infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgungsrente hängt gemäß §§ 30, 31 Abs. 1, Abs. 2 Halbsatz 2 BVG davon ab, dass als Folge einer gesundheitlichen Schädigung eine MdE um mindestens 25 v.H. besteht. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor:

14

Zwar steht seit dem Bescheid vom 25. Mai 1993 fest, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat am 30. Oktober 1991 geworden ist. Auch ist anerkannt, dass sie hierbei eine Rückenprellung erlitten hat. Diese ist indes folgenlos abgeheilt. Die von der Klägerin geltend gemachten weiter gehenden Beschwerden im Bereich der Lenden- und der Halswirbelsäule, sogar für den Bereich der gesamten Wirbelsäule sind keine Schädigungsfolgen. Denn insoweit fehlt es an der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs mit der an der Klägerin am 30. Oktober 1991 verübten Tätlichkeit.

15

Zutreffend hat das SG das Ergebnis der medizinischen Ermittlungen gewürdigt, die bereits mit dem Arztbrief des Krankenhauses G. vom 12. Dezember 1991 beginnen und sich über die Entlassungsberichte des Städtischen Krankenhauses G. vom 8. Januar 1992 und der Klinik J. vom 1. April 1992 über das Untersuchungsgutachten des Chirurgen Dr. K. vom 25. März 1993 bis zu den Untersuchungsgutachten des Chirurgen Dr. L. vom 22. März 1995 und des Chirurgen Prof. Dr. S. vom 13. April 1999 erstrecken. In keiner dieser Untersuchungen ist ein Ansatz für einen Zusammenhang zwischen der von der Klägerin erlittenen Gewalttat und den jetzigen Beschwerden auch nur als Möglichkeit angenommen worden. Sämtliche Sachverständige stimmen darin überein, dass Ursache für die Beschwerden der Klägerin eine strukturelle Schwäche im lumbosacralen Übergangsbereich der Klägerin ist und die Beschwerden auf myostatische Insuffizienz bei etwas weicher Bandstruktur zurückzuführen sind. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen nimmt der Senat auf die Ausführungen des SG Braunschweig Bezug, § 153 Abs. 2 SGG.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

17

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.