Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.09.2003, Az.: L 1 RA 176/02
Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit; Weitergeltung bereits aufgehobener Vorschriften des Sozialrechts; Berufsunfähigkeit bei Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von vergleichbaren gesunden Versicherten; Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist; Differenzierung zwischen teilweiser und voller Erwerbsminderung je nach Anzahl der möglichen täglichen Arbeitszeit; Bestimmung der Wertigkeit des Berufes nach dem Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts zur Bestimmung der Verweisungstätigkeit; Kassiererin an einer Supermarktkasse als bisherige Tätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.09.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 176/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20014
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0925.L1RA176.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - AZ: S 1 RA 156/00
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs. 1 S. 1 SGB VI
- § 300 SGB VI
- § 43 Abs. 2 SGB VI
- § 240 SGB VI
Redaktioneller Leitsatz
Kassiererinnen an Sammelkassen üben eine (mindestens) angelernte Tätigkeit aus, auf die auch gelernte Kräfte verwiesen werden dürfen. Ein mit einer solchen Verweisung verbundener sozialer Abstieg ist vom Versicherten in Kauf zu nehmen. Zugemutet wird dem Versicherten jeweils, sich auf Berufe derselben Stufe oder der im Vergleich zum bisherigen Beruf nächstniedrigeren Stufe verweisen zu lassen.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch um Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) für die Zeit ab dem 1. August 1999.
Die 1951 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Großhandelskauffrau von April 1967 bis März 1970, ohne den Abschluss zu erwerben (Prüfung nicht bestanden). Unterbrochen vor allem durch Heirat und Erziehung ihrer im Mai 1970 und im Januar 1975 geborenen Kinder I. und J., außerdem durch die zeitweise Pflege ihrer Mutter, arbeitete die Klägerin als Kontoristin, war längere Zeit bei einem Postamt beschäftigt, wechselte in die Tätigkeit einer Kassiererin und war zuletzt seit Oktober 1990 an einer Supermarkt-Scannerkasse tätig. Vor dem Hintergrund einer Lumboischialgie links (Lenden- und Hüftschmerz) und einer Osteochondrose L5/S1 (degenerativer, nicht entzündlicher Prozess des Knorpel-Knochen-Gewebes) erkrankte die Klägerin am 8. Januar 1999 arbeitsunfähig (AU). Für die Zeit ab dem 19. Februar 1999 zahlte die zuständige Krankenkasse Krankengeld.
In der Zeit vom 22. Juni bis zum 20. Juli 1999 absolvierte die Klägerin eine stationäre Heilmaßnahme zur Rehabilitation in Bad K ... Im Entlassungsbericht vom 17. August 1999 hieß es, bei den Diagnosen
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pseudoradikuläres LWS-Syndron links bei muskulärer Insuffizienz,
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arterielle Hypertonie,
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Diabetes mellitus Typ 2b,
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leichtes Carpaltunnelsyndrom bds.,
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Senk-Spreizfuß bds.
hätten sich weder orthopädischer- noch internistischerseits Hinderungsgründe dafür ergeben, die letzte Berufstätigkeit der Kassiererin wieder aufzunehmen. Die Klägerin müsse allerdings vermeiden, ständig schwer zu heben sowie Lasten zu tragen und zu bewegen. Die Klägerin habe sich im Zeitpunkt der Entlassung körperlich leistungsfähiger und ausgeglichener gefühlt. Ihr werde empfohlen, die während des Heilverfahrens erlernten krankengymnastischen Übungen fortzuführen, das Gewicht (bei Entlassung 68,1 kg) weiter bis zum Normalgewicht (von 60 kg) zu reduzieren sowie die diabetische Stoffwechsellage und den Blutdruck fortgesetzt zu kontrollieren.
Ungeachtet der Ergebnisse des Reha-Verfahrens stellte die Klägerin am 29. Juli 1999 bei der Beklagten den Antrag, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) bzw. wegen BU zu gewähren. Sie sei vor allem wegen der Beschwerden in den Schultergelenken, ständigen Schmerzen im linken Fußgelenk ausgesetzt sowie durch die Wirbelsäulenbeschwerden in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt.
Die Beklagte zog Berichte der behandelnden Ärzte ebenso bei wie ein vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) unter dem 12. April 1999 erstelltes Gutachten zur (bejahten) Frage der fortbestehenden AU. Die Beklagte ließ die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie, Sportmedizin, Chirotherapie und Physikalische Therapie Dr. L. untersuchen und begutachten. Dieser Sachverständige erklärte am 16. August 1999, bei den Hauptdiagnosen einer chronischen Nervenwurzelirritation links und einer partiellen Schultersteife beiderseits bestünden erhebliche Funktionseinschränkungen an der Lendenwirbelsäule, beiden Schultergelenken sowie - angesichts eines klinisch und elektromyografisch nachgewiesenen Carpaltunnelsyndroms (durch Druckwirkung ausgelöste Nervenschädigung) - an den Handgelenken. Die Klägerin könne als Kassiererin nicht mehr arbeiten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien sämtliche leichten bis gelegentlich mittelschweren Tätigkeiten unter weiteren Einschränkungen vollschichtig zumutbar. Am 16. Dezember 1999 erstattete der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie M. ein Gutachten, in dem er neurologischerseits neben den Beschwerden der Wirbelsäule und des Bewegungsapparates ein leichtgradiges Carpaltunnelsyndrom aufführte. Das Carpaltunnelsyndrom sei lokal mit Kortison oder aber operativ behandelbar. Auf psychiatrischem Gebiet bestünden keine wesentlichen Erkrankungen. Die Klägerin sei in voller Schicht leistungsfähig. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin daraufhin mit dem Bescheid vom 10. Januar 2000 ab. Die Klägerin sei zwar nicht mehr in ihrer letzten Berufstätigkeit einzusetzen, sie müsse sich jedoch auf die Arbeit einer Kassiererin an einer Sammelkasse im Textilbereich eines Kaufhauses verweisen lassen.
Die Klägerin erhob Widerspruch und führte aus, auf Grund des chronischen Wirbelsäulensyndroms nicht länger als 20 Minuten in einer Haltungsart berufstätig sein zu können. Sie betonte Schlafstörungen, eine Hörstörung auf dem linken Ohr sowie eine Konzentrationsschwäche. Des Weiteren verwies die Klägerin auf einen Aufenthalt vom 29. Februar bis zum 3. Mai 2000 in der N., Fachklinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin in O ... Die Beklagte zog den Entlassungsbericht der N. vom 12. Mai 2000 bei, in dem als Diagnose im Anschluss an einen Suizidversuch eine schwere depressive Episode bei abhängiger Persönlichkeitsstörung genannt wurde. Der Suizidversuch habe den Anamneseangaben zufolge im Zusammenhang mit einem Arbeitsversuch gestanden, bei dem sich die Klägerin Ende des Jahres 1999 gemobbt gefühlt habe. Darüber hinaus sei die Klägerin belastet durch die Probleme der Tochter, die die Ausbildung abgebrochen habe und mit ihren zwei Kindern in Scheidung lebe, wobei allerdings seit ca. 15 Jahren kein Kontakt mehr bestehe. Die unterstützenden und zum Teil konfliktorientierten Einzelgespräche, eine Werktherapie und zusätzlich balneophysikalische, bewegungstherapeutische und Muskel entspannende Maßnahmen hätten zu einer Stabilisierung geführt. Mit einem Sozialarbeiter seien Handlungsstrategien entworfen worden, um den beruflichen Wiedereinstieg zu erleichtern. Die Beratungsärztin Frau Dr. P. erklärte unter dem 7. Juli 2000, der psychische Status stehe der Wiederaufnahme einer Berufstätigkeit nicht entgegen. Die Klägerin könne zwar ihre letzte Berufstätigkeit nicht mehr ausüben, jedoch Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen sowie ohne ständiges Gehen und Stehen. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit dem Widerspruchsbescheid vom 28. August 2000 zurück. Die Klägerin müsse sich auf eine vollschichtige Beschäftigung als Telefonistin und im Übrigen auch auf den allgemeinen Arbeitmarkt verweisen lassen.
Dagegen hat die Klägerin am 21. September 2000 Klage zum Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Zur Begründung hat sie zum einen auf die Schwere des Wirbelsäulenleidens, der Schulterbeschwerden und der depressiven Symptomatik hingewiesen, zum anderen darauf, dass die genannte Verweisungstätigkeit nicht erlaube, die Körperhaltung frei zu wählen. Schließlich sei zwischenzeitlich eine generalisierte Fibromyalgie diagnostiziert worden.
Das SG hat Befundberichte des Dr. Q. vom 20. Februar 2001 und des Dr. R. vom 7. März 2001 sowie eine Erklärung der behandelnden Diplom-Psychologin Frau Dr. S. vom 27. Juni 2001 beigezogen. Außerdem hat das SG Dr. T. mit der Erstellung eines nervenärztlichen Gutachtens beauftragt. Dr. T. erkannte unter dem 17. April 2002 auf seinem Fachgebiet eine leichtergradige depressive und phobische Symptomatik vor dem Hintergrund lebenssituativer und zurückreichender seelischer Belastungen, teils somatisiert bzw. die somatischen Einschränkungen verstärkend, wodurch Tätigkeiten mit erhöhten Anforderungen an die emotionale Belastbarkeit, Zeitdruck und Schichtarbeit auszuschließen seien. In einem orthopädischen Zusatzgutachten führten Dr. U. und Frau Dr. V. aus, bei einer im Vordergrund stehenden somatoformen Ausgestaltung eines Schmerzerlebens mit polyarthralgischen Beschwerden ohne Hinweis auf wesentliche degenerative Veränderungen im Bereich der Hüft-, Knie-, Schulter-, Hand- und Fingergelenke seien leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumutbar (Datum des Zusatzgutachtens 25. März 2002). Sowohl Dr. T. als auch Dr. W. beurteilten das zeitliche Leistungsvermögen mit vollschichtig. Unter dem 23. Mai 2002 erstellten die behandelnden Dres. X. und Y. eine rheumatologische Stellungnahme, der zufolge das Gutachten des Dr. U. deshalb unvollständig sei, weil die Hauptdiagnosen der Fibromyalgie und einer chronischen Polyarthritis nicht genannt worden seien. Auch bei Dr. T. sei lediglich der Verdacht auf ein Fibromyalgiesyndrom bzw. eine seronegative Polyarthritis geäußert worden.
Das SG hat die Klage durch das Urteil vom 31. Juli 2002 abgewiesen. Es hat offen gelassen, ob die Klägerin mit ihrer letzten Tätigkeit der Kassiererin den Berufsschutz einer qualifizierten (mehr als 2 Jahre ausgebildeten) Angestellten besitzt. Selbst wenn dies der Fall sei, müsse sie sich auf die Tätigkeit einer Kassiererin an einer Sammelkasse verweisen lassen. Den Anforderungen der Verweisungstätigkeit genüge die Klägerin mit dem bei ihr medizinischerseits festgestellten Leistungsvermögen.
Gegen das ihr am 13. August 2002 zugestellte Urteil richtet sich die Klägerin mit der am 27. August 2002 eingegangenen Berufung. Zu deren Begründung hat sie zunächst vorgetragen, sämtliche behandelnden Ärzte seien der Auffassung, dass eine vollsichtige Erwerbstätigkeit ausgeschlossen sei. Sie hat Atteste und Stellungnahmen des Facharztes für Allgemeinmedizin Z. vom 17. Oktober 2002, der Dres. X. und Y. vom 23. Oktober 2002, des Facharztes für Neurologie AB. vom 24. Oktober 2002 sowie des Dr. R. vom 29. Oktober 2002 vorgelegt. Im Anschluss an die Beweisaufnahme des Senats hat die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 11. Juni 2003 die Berufung auf die zunächst nur hilfsweise geltend gemachte Rente wegen BU beschränkt. Sie stützt sich nunmehr darauf, die diagnostizierten Leiden und daraus abzuleitenden Funktionseinschränkungen ließen sich mit der Verweisungstätigkeit der Kassiererin an einer Sammelkasse nicht in Übereinstimmung bringen.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 31. Juli 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Januar 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. August 2000 zu ändern,
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die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit ab dem 1. August 1999 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückweisen.
Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Medizinische Genetik Dr. BB. vom 9. April 2003. Dr. BB. erkannte einen Verdacht auf ein Fibromyalgiesyndrom, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine leichtgradige depressive Episode. Die Klägerin sei in voller Schicht leistungsfähig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Rentenakte der Beklagten verwiesen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß den §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.
Im Anschluss an die Prozesserklärung der Klägerseite vom 11. Juni 2003 war lediglich noch über den Antrag auf Gewährung von Rente wegen BU (ab dem 1. August 1999) zu entscheiden.
Zu prüfen war dies zunächst nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht, § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB) VI a.F ...
Rente wegen BU erhalten nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI a.F. diejenigen Versicherten, die
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bu sind,
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in den Letzten 5 Jahren vor Eintritt der BU 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und die
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vor Eintritt der BU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Während die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Nummern 2 und 3 im Fall der Klägerin vorliegen, fehlt es am Tatbestand der BU.
Gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. sind bu Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit der Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle diejenigen Tätigkeiten, die den Kräften und Fähigkeiten der Versicherten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Bu ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Bei der Beurteilung, ob diese gesetzlichen Voraussetzungen gegeben sind, ist in der Regel vom "bisherigen Beruf" des Versicherten, d.h. von seiner Letzten versicherungspflichtigen und versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (BSGE 55, 45, 47 m.w.N.; BSG-Urteil vom 1409.1995, Az.: 5 RJ 50/94, abgedruckt in: NZS 1996, S. 228).
Bisheriger Beruf der Klägerin ist derjenige einer Kassiererin an einer Supermarktkasse. Denn diesen Beruf hat die Klägerin zuletzt fast 10 Jahre lang kontinuierlich ausgeübt. Etwas anderes würde dann gelten, wenn die Klägerin eine früher ausgeübte Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen hätte aufgeben müssen. In einem solchen Fall wäre an den früheren Beruf anzuknüpfen. Dieser würde auch dann weiterhin Berufsschutz vermitteln, wenn später eine geringerwertige Tätigkeit ausgeübt worden wäre. Für einen solchen Sonderfall bietet der Berufsweg der Klägerin jedoch keinerlei Anhaltspunkt.
Der Senat hat deshalb deutliche Zweifel, ob die Klägerin überhaupt Berufsschutz (einer gelernten Kraft) in Anspruch nehmen kann, da sie eine Berufsausbildung nicht förmlich abgeschlossen und im Anschluss viele Jahre u.a. allenfalls angelernte Tätigkeiten verrichtet hat (Postzustellerin, Kassiererin, Kassiererin an einer Scanner-Kasse).
Selbst wenn der Senat aber - ebenso wie das SG - zu Gunsten der Klägerin unterstellen würde, dass sie in ihrer letzten Tätigkeit als Kassiererin den Berufsschutz einer gelernten Angestellten erworben hat, sei es vor dem Hintergrund der (nicht abgeschlossenen) kaufmännischen Ausbildung oder aber einer tariflichen Höherstufung im Verlaufe der langjährigen Berufsausübung, wäre BU nicht zu begründen. Selbst wenn nämlich die Arbeit an der Supermarktkasse den Berufsschutz einer gelernten Kraft vermittelt haben sollte, wäre die Verweisung auf den vom SG bereits genannten Beruf der Kassiererin an einer Sammelkasse zulässig. Denn Kassiererinnen an Sammelkassen üben eine (mindestens) angelernte Tätigkeit aus, auf die auch gelernte Kräfte verwiesen werden dürfen. Ein mit einer solchen Verweisung verbundener sozialer Abstieg ist vom Versicherten in Kauf zu nehmen. Es handelt sich dann immer noch um eine "zumutbare Tätigkeit" i.S. des § 43 Abs. 2 SGB VI. Die Verweisbarkeit folgt aus der Einordnung in das vom Bundessozialgericht (BSG) entwickelte Mehrstufenschema, das sich an der Bedeutung, der Dauer und dem Umfang der Ausbildung orientiert und dementsprechend die Leitberufe der Angestellten mit hoher beruflicher Qualität und einer regelmäßig akademischen Qualifikation, der Angestellten mit einer längeren als zweijährigen (regelmäßig dreijährigen) Ausbildung, der Angestellten mit einer Ausbildung bis zu 2 Jahren und der nicht ausgebildeten Angestellten unterscheidet. Zugemutet wird dem Versicherten jeweils, sich auf Berufe derselben Stufe oder der im Vergleich zum bisherigen Beruf nächstniedrigeren Stufe verweisen zu lassen. Abgesehen von der erworbenen Ausbildung spielen die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F. genannten Merkmale (Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) ebenso eine Rolle wie die Qualität der zu verrichtenden Arbeit und die Entlohnung bzw. tarifliche Einstufung. Maßgebend ist das sich aus diesen Faktoren ergebende Gesamtbild (vgl. nur BSG SozR 3-2200 § 1245 RVO Nr. 50; für die Arbeiterrentenversicherung zuletzt eingehend BSG-Urteil vom 03.07.2002, Az.: B 5 RJ 18/01 R). Auf weitere Einzelfragen braucht nicht eingegangen zu werden, weil die vorausgesetzte Qualifikation, die beruflichen Anforderungen und im Übrigen auch die tarifvertragliche Einstufung des bisherigen Berufs und der zugemuteten Verweisungstätigkeit im Falle der Klägerin weit gehend übereinstimmen.
Die Klägerin kann entgegen ihrem Vortrag im Berufungsverfahren den Verweisungsberuf der Kassiererin an Sammelkassen mit dem orthopädischerseits von Dr. L. sowie Dr. U. und Frau Dr. V. sowie auf nervenärztlichem Gebiet durch Dr. T. und Dr. BB. bestätigten Leistungsvermögen auch tatsächlich verrichten. An dieser Einschätzung ändert sich nichts dadurch, dass die Nebenbefunde einbezogen werden und eine Gesamtwürdigung des Leistungsbildes vorgenommen wird. Das als Maßstab heranzuziehende Anforderungsprofil im Beruf der Kassiererin an einer Sammelkasse ergibt sich aus der bereits zahlreich vorliegenden einschlägigen Rechtsprechung mit vielfältigen berufskundlichen Erhebungen. Die Tätigkeit besteht vor allem im Kassieren, Geld wechseln, Ausstellen von Rechnungen und Quittungen, in der Behandlung von Warenrückgaben, in Verpacken und Ausgeben von Waren sowie im Erteilen von Informationen an die Kunden. Es handelt sich um lediglich leichte Arbeiten im Wechsel der Körperhaltungen in geheizten Räumen. Qualitative Anforderungen wie das Heben und Tragen von Lasten über 5 kg, das Bücken, die Einnahme von Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, längere Tätigkeit am PC usw. werden nicht vorausgesetzt (vgl. nur: BSG, Urteil vom 15.04.1996, Az.: 4 RA 104/94; LSG Niedersachsen, Urteil vom 13.12.2001, Az.: L 1 RA 144/01; LSG Niedersachsen, Beschluss vom 16.01.2002, Az.: L 1 RA 198/00; LSG Niedersachsen, Urteil vom 21.02.2002, Az.: L 1 RA 188/00 sowie zuletzt wiederum LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.07.2003, Az.: L 1 RA 239/02).
Die in den eingeholten Gutachten und sonstigen medizinischen Äußerungen genannten Funktionseinschränkungen mögen die Klägerin zwar daran hindern, weiter an einer Supermarkt- bzw. Scannerkasse zu arbeiten, nicht aber daran, an einer Sammelkasse tätig zu sein. Für das orthopädische Fachgebiet ist dabei von besonderer Bedeutung, dass die Klägerin an einer Sammelkasse die Haltung wechseln kann, während sie zuletzt an der Supermarktkasse ganz überwiegend im Sitzen arbeiten musste. Darüber hinaus treten die ständigen Wende- und Drehbewegungen zur Kasse, die die Klägerin infolge ihrer Schulterbeschwerden nicht mehr leisten konnte, in der Verweisungstätigkeit nicht auf. Dass die besonderen Belastungen der Klägerin im Zusammenhang mit dem letzten Arbeitsplatz standen, ist während der Untersuchung durch Dr. L. deutlich geworden, wo die Klägerin die ständigen monotonen Bewegungen zur Kasse hervorhob. Bestätigung fand dies bereits im ärztlichen Befundbericht des Dr. Q. vom 15. April 1999 zum Reha-Antrag.
Zu keiner anderen Einschätzung führt die Berücksichtigung der ärztlichen Stellungnahme der Dres. X. und Y. vom 23. Mai 2002 (ähnlich bereits unter dem 31. Juli 2001). Soweit es dort hieß, Fibromyalgie und chronische Polyarthritis seien nicht ausreichend in die Begutachtung durch Dr. U. und Frau Dr. V. eingeflossen, hat bereits das SG zutreffend ausgeführt, dass es allein auf die krankheitsbedingt vorliegenden Funktionseinschränkungen ankommt. Die zutreffende Krankheitsbezeichnung spielt demgegenüber keine Rolle, hier insbesondere bei der in der medizinischen Wissenschaft umstrittenen Diagnose der Fibromyalgie (Weichteilrheuma; vgl. im Übrigen den Literaturhinweis des SG).
Bei Dr. L. fand sich zwar die Bemerkung, die Klägerin solle ihre Körperposition "nach freien Stücken ändern können". Diese weit gehende Einschränkung, ist aber durch die nachfolgenden Beweiserhebungen nicht bestätigt worden. Denn Dr. U. und Frau Dr. V. betonten lediglich, die Klägerin müsse die Haltungsarten (Gehen, Stehen und Sitzen) wechseln können. Das aktuelle nervenärztliche Gutachten des Dr. BB. hat - wenn auch fachfremd - nicht zur Bestätigung eines "nach freien Stücken" notwendigen Haltungswechsels geführt. Auch aus der Wiedergabe des Tagesablaufs der Klägerin ließ sich dafür keine ausreichende Grundlage herleiten.
Soweit die Dres. X. und Y. im Übrigen die eingeschränkte Greiffunktion der Hände betonten, kann auch daraus zwar eine Einschränkung in der Bedienung der Scanner-Kasse abgeleitet werden, nicht jedoch eine Leistungsbehinderung, die die Arbeit an der Sammelkasse unmöglich machen würde. Im Übrigen finden sich die Einschränkungen in dem von Dr. X. und Dr. CB. am 2. Oktober 2001 erstellten Befundbericht in abgemilderter Form. Schließlich ist im Zusammenhang mit der Greiffunktion auf das Gutachten des Facharztes M. zu verweisen, wo bezüglich des Carpaltunnelsyndroms Behandlungsmöglichkeiten auf medikamentösem bzw. operativem Wege aufgezeigt worden ist.
Aus dem Befund auf nervenärztlichem Gebiet lassen sich keine Hemmungen und Widerstände ableiten, die es der Klägerin unmöglich machen würden, erneut eine Arbeitsstelle anzutreten. Die depressive und phobische Symptomatik hat sich im Verlaufe der von der Beklagten, dem SG und dem erkennenden Senat angestellten Untersuchungen als vorübergehende Episode erwiesen. Auslösender Faktor für den Suizidversuch der Klägerin war danach ein rücksichtsloser Angriff der Chefin bei einem zweiten Arbeitsversuch, den die Klägerin zum Ende des Jahres 1999 unternommen hatte (Gutachten Dr. T ... Während es noch im Entlassungsbericht der N. vom 12. Mai 2000 hieß, die Klägerin habe sich mit ihren Problemen in sich zurückgezogen, erklärte Dr. T., eine Besserung sei nicht nur durch die stationäre Behandlung und die sich anschließende Verhaltenstherapie eingetreten, vielmehr spielten auch die Probleme im privaten Bereich keine die Aufnahme einer Arbeit hindernde Rolle mehr. Der Ehemann kümmere sich um die Klägerin, die Situation der Tochter belaste die Klägerin nicht mehr.
Auf Grund der vorstehenden Ausführungen kann die Klägerin schließlich auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei BU beanspruchen, § 240 SGB VI n.F ... Denn zumindest im Verweisungsberuf ist sie vollschichtig einsetzbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.