Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.09.2003, Az.: L 16/12 U 31/01

Anspruch auf Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Berufskrankheit; Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit ; Doppelte Kausalitätsprüfung im Verfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit; Langjährige Ausübung einer wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ; Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung als die versicherte Tätigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
12.09.2003
Aktenzeichen
L 16/12 U 31/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 19963
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0912.L16.12U31.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 15.12.2000 - AZ: S 18 U 175/00

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    In dem Verfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit hat - wie beim Arbeitsunfall im engeren Sinne - eine doppelte Kausalitätsprüfung zu erfolgen, allerdings mit der Modifizierung, dass bei der Berufskrankheit an die Stelle des Unfalls in der Kausalkette die generellschädliche berufliche Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) tritt.

  2. 2.

    Danach muß ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zur Berufskrankheit fürenden Verhalten, sowie zwischen diesem und der Berufskrankheit und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen vorliegen.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 15. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Klägerin an einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können - leidet und die Beklagte verpflichtet ist, ihr eine Verletztenrente zu zahlen.

2

Die Handelskrankenkasse (HKK), Bremen, erstattete gegenüber der Beklagten am 23. Februar 1999 eine Anzeige wegen einer Berufskrankheit und meldete einen Erstattungsanspruch an. Sie gab an, die bei ihr versicherte Klägerin, geb. am 17. September 1947, sei ab 3. Dezember 1998 wegen des Verdachts auf einen Bandscheibenprolaps und einer Lumboischialgie arbeitsunfähig erkrankt; sie nehme an, dass es sich um eine Berufskrankheit handele. Die Klägerin habe seit 1995 ihren pflegebedürftigen Vater und davor vier Jahre lang ihre pflegebedürftige Mutter gepflegt.

3

Die Klägerin teilte der Beklagten im Fragebogen vom 19. März 1999 mit, sie habe im privaten Bereich ihre pflegebedürftige Mutter vom 1. Januar 1992 bis zu deren Tod am 29. November 1994 und vom 1. Juni 1995 bis 3. Dezember 1998 ihren pflegebedürftigen Vater versorgt. Sie habe täglich schwere Gegenstände gehoben, den Vater gestützt und sich wegen der Katheterpflege täglich morgens und abends beugen müssen. Vor dem 1. Januar 1992 habe sie bis Juli 1990 als Buchhalterin gearbeitet, seit dem 1. August 1997 arbeite sie als Steuerfachkraft wöchentlich 16 Stunden und ab 6. September 1997 als Buchhalterin 12 Stunden wöchentlich. - Vom 10. Dezember 1998 bis 12. Januar 1999 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der D., Langen-Debstedt, wegen Lumboischialgien rechts mit S1-Syndrom bei Bandscheibenprolaps L5/S1.

4

In einem Fragebogen vom 9. April 1999 gab die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) Bremen/Bremerhaven an, seit dem 1. Juni 1995 sei der Vater der Klägerin, Walter E., geb. am 11. Mai 1907, pflegebedürftig nach Pflegestufe III, Hilfebedarf sei erforderlich in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität, und es bestehe Anspruch auf Pflegegeld. Die zeitliche Dauer der Pflege durch die Klägerin betrage regelmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich; die Pflege werde in häuslicher Umgebung durchgeführt. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten (Dipl.-Ing. F.) suchte die Klägerin am 25. August 1999 in ihrer Wohnung auf und ermittelte in einem persönlichen Gespräch sowie nach Besichtigung der vorliegenden Arbeitsbedingungen Folgendes (Bericht vom 27. August 1999):

5

Bereits im Jahr 1987 habe die Klägerin mit einer leichten Pflege der getrennt lebenden Eltern begonnen. Ihr Vater sei zu diesem Zeitpunkt körperlich weit gehend mobil gewesen und habe bis zu seinem Schlaganfall im Juni 1995 auf Grund einer eingeschränkten Sehfähigkeit und eines Diabetes nur eine leichte Unterstützung zur Bewältigung des täglichen Lebens durch seine Tochter benötigt. Ihre Mutter habe an einer Herzinsuffizienz gelitten, die im Frühjahr 1990 so weit fortgeschritten gewesen sei, dass sie zwar nach wie vor sich selbstständig in ihrer Wohnung habe bewegen können, aber nicht mehr das Haus verlassen habe. Die Klägerin habe für ihre Mutter sämtliche Einkäufe und Reinigungsarbeiten erledigt und sie beim Waschen und Baden sowie beim An- und Ausziehen unterstützt. Im Januar 1992 habe die Klägerin ihre Mutter bei sich aufgenommen, da diese sich bei einem Sturz ein Schädeltrauma zugezogen habe. Seit Januar 1992 sei die Mutter auf die Hilfe ihrer Tochter vollkommen angewiesen gewesen und in die Pflegestufe III eingestuft gewesen. Auf Grund der pflegerischen Tätigkeiten mit einer Dauer von mehr als 8 Stunden pro Tag und der Pflege des noch weit gehend mobilen Vaters beginne zu diesem Zeitpunkt die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit. Mit dem Tod der Mutter im November 1994 habe die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit geendet und erst wieder im Juni 1995 begonnen, als der Vater einen Schlaganfall erlitten habe. Seit diesem Schlaganfall sei ihr Vater bettlägerig gewesen und habe eine 24-stündige Betreuung benötigt. Daher sei die Klägerin im Januar 1996 zu ihrem Vater gezogen. Bis zu ihrem eigenen Bandscheibenvorfall im Dezember 1998 habe die Klägerin ohne fremde Hilfe gepflegt und sei dabei wirbelsäulenbelastend tätig gewesen. Seit dem Bandscheibenvorfall übe die Klägerin keine Tätigkeiten mehr aus, die mit Heben und Tragen schwerer Lasten verbunden seien. Für die Pflege ihres Vaters unterstütze ihre Familie sie. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV seien für die Zeiten vom 1. Januar 1992 bis 29. November 1994 (2 Jahre, 11 Monate) und vom 1. Juni 1995 bis 3. Dezember 1998 (3 Jahre, 6 Monate) erfüllt.

6

Nachdem die Beklagte den Vorgang dem Landesgewerbearzt beim Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales vorgelegt hatte, der in einer Stellungnahme vom 21. September 1999 (Dr. G.) ausführte, da die Klägerin ausweislich der Ermittlungen des TAD nicht ausreichend lange wirbelsäulenbelastend tätig gewesen sei, könne eine Berufskrankheit nicht zur Anerkennung vorgeschlagen werden, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. November 1999 die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit ab. Zur Begründung führte sie aus, ausweislich des Berichtes ihres TAD vom 27. August 1999 könne nur für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 29. November 1994 und vom 1. Juni 1995 bis 3. Dezember 1998 von einer wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit ausgegangen werden. Für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 und vom 30. November 1994 bis 31. Mai 1995 hätten keine wirbelsäulenbelastenden Tätigkeiten vorgelegen, da die zu dieser Zeit zu pflegenden Personen teilweise mobil gewesen seien und sich selbstständig hätten bewegen können. Insgesamt sei von einer wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit von 6 Jahren und 5 Monaten auszugehen. Langjährigkeit bedeute eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit von mindestens 10 Jahren, sodass im vorliegenden Fall eine solche langjährige wirbelsäulenbelastende Tätigkeit nicht anzunehmen sei. Ebenso sei von keiner außergewöhnlichen Belastung auszugehen, sodass von der geforderten Langjährigkeit nicht abgewichen werden könne.

7

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 6. Dezember 1999 Widerspruch ein und machte geltend, sie habe wesentlich länger als 6 Jahre und 5 Monate ihre Eltern gepflegt, denn die Pflegetätigkeit habe bereits spätestens 1987 begonnen. Ein Antrag auf Feststellung der Pflegebedürftigkeit der Mutter sei erst 1992 gestellt worden, da vor dieser Zeit wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ein Antrag aussichtslos erschienen sei. Auch die Pflegetätigkeit ab 1987 sei wirbelsäulenbelastend gewesen. Ihre Mutter habe bereits seit 1954 unter einen schweren Polyarthrose gelitten und sei zudem an einer Herzinsuffizienz erkrankt gewesen, sodass ihr im Jahr 1980 ein Grad der Behinderung (GdB) zuerkannt worden sei, der im Jahr 1984 auf 80 festgestellt worden sei. Sie habe mehrmals wöchentlich ihrer Mutter beim Baden geholfen, indem sie sie aus der Wanne gehoben habe. Nach der Trennung der Eltern habe sie diese Tätigkeit ab 1975 regelmäßig übernommen. Etwa im September 1991 sei die Herzinsuffizienz derart fortgeschritten gewesen, dass ihre Mutter wegen schwerer Herzschwäche, Lungenstau und akuter Luftnot mit deutlicher allgemeiner Schwäche stationär habe behandelt werden müssen. Damit sei die Mutter spätestens seit 1990 in die Pflegestufe II einzuordnen gewesen, denn sie habe unstreitig der Hilfe mindestens bei der Körperpflege und der Mobilität bedurft. Diese Hilfe habe mindestens 3 mal täglich zu verschiedenen Tageszeiten erfolgen müssen. Im Januar 1992 habe sie ihre Mutter in ihrer Wohnung aufgenommen und ständig gepflegt. Ihr Vater habe bis 1995 wegen seiner Sehschwäche und eines Diabetes nur einer leichten Unterstützung zur Bewältigung des täglichen Lebens bedurft. Im Juni 1995 habe er einen Schlaganfall erlitten und sei dadurch teilweise gelähmt gewesen. Nach allem müsse davon ausgegangen werden, dass sie mindestens seit 1987 wirbelsäulenbelastende Pflegetätigkeiten ausgeübt habe. Seit dieser Zeit sei sie allein stehend gewesen und habe die gesamte Versorgung ihrer Eltern übernommen gehabt. Sie habe schwere Lasten heben und tragen müssen. Zur Unterstützung ihres Vorbringens hat die Klägerin verschiedene medizinische Unterlagen, u.a. Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Bremen überreicht.

8

Die Beklagte legte die Widerspruchsbegründung ihrer Präventionsabteilung und ihrem beratendem Arzt, dem Chirurgen Dr. med. H., vor, die in Stellungnahmen von April 2000 keinen Anlass für eine Änderung der bisherigen Beurteilung sahen. - Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. September 2000, auf den verwiesen wird - Bl. 85 - 88 Verwaltungsakte -).

9

Die Klägerin hat am 25. September 2000 beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben und weiterhin die Anerkennung ihrer Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit und die Zahlung einer Verletztenrente begehrt. Sie hat vorgetragen, zu Unrecht sei ihre Mehrbelastung infolge der umfassenden ganztätigen Pflege ihrer Eltern bei der Berechnung der Belastungszeit nicht berücksichtigt worden. Sie habe durch die zeitweise ganztätige Pflege der Eltern den 2- bis 3-fachen Zeitaufwand der Belastungen gehabt. Zeiten besonders intensiver Pflege seien mehrfach anzurechnen. Nur auf diese Weise könne die Pflegetätigkeit in eine Relation gesetzt werden zu der Berufstätigkeit von Pflegekräften, die nur eine begrenzte tägliche Arbeitszeit zu absolvieren hätten.

10

Die Beklagte hat vorgetragen, weder die haftungsbegründende noch die haftungsausfüllende Kausalität lägen vor. Selbst wenn den angegeben Zeitangaben der Klägerin zu folgen sei und die Zeit vom 1. Januar 1992 bis 3. Dezember 1998 durchgehend als wirbelsäulenbelastende Tätigkeit berücksichtigt werde, sei insgesamt eine Zeit von 7 Jahren anzunehmen. Darin enthalten seien aber auch Zeiten, in denen keine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeübt worden sei. Eine Langjährigkeit der Dauer der belastenden Tätigkeit in dem Sinne, dass 10 Berufsjahre erfüllt seien, werde nicht erreicht. Es gebe keine nachvollziehbare Grundlage für die Auffassung, dass Zeiten intensiver Pflege doppelt anzurechnen seien.

11

Mit Urteil vom 15. Dezember 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ebenso wie die Beklagte angenommen, dass die Voraussetzung, dass 10 Jahre lang eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit ausgeübt werden müsse, nicht erfüllt sei. Es hat sich insbesondere der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 27. August 1999 angeschlossen und ferner darauf hingewiesen, dass die Klägerin neben der wirbelsäulenbelastenden Pflegetätigkeit ab 1. August 1997 eine Bürotätigkeit ausgeübt habe, sodass bereits aus diesem Grunde seitdem eine Pflegetätigkeit von etwa 16 Stunden täglich nicht angenommen werden könne. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil (Bl. 39 - 48) Prozessakte Bezug genommen. Die Klägerin hat gegen das ihr am 16. März 2001 zugestellte Urteil am 11. April 2001 schriftlich beim Landessozialgericht (LSG) Bremen Berufung eingelegt. Sie trägt weiterhin vor, sie habe mindestens seit 1987 bis 3. Dezember 1998 ihre Eltern gepflegt. Ihr Vater sei seit dem Schlaganfall im Juni 1995 extrem pflegebedürftig gewesen, ihre Mutter sei seit dem Frühjahr 1990 nicht mehr in der Lage gewesen, das Haus zu verlassen. Nach einem Sturz der Mutter im Januar 1992 sei sie in ihrem Haushalt aufgenommen worden und extrem pflegebedürftig gewesen. Das SG habe zu Unrecht den Begriff "Langjährigkeit" nicht als erfüllt angesehen. Es hätte die Zeit ab 1987 berücksichtigen müssen. Insbesondere seit dem Frühjahr 1990 sei die Mutter nicht mehr in der Lage gewesen, sich selbst zu versorgen, sodass sie, die Klägerin, sämtliche Einkäufe und Reinigungsarbeiten habe erledigen müssen. Das SG habe ferner nicht berücksichtigt, dass die ganztätige Betreuung der Eltern um ein vielfaches über der normalen Belastung einer vergleichbaren Pflegekraft gelegen habe. Diese 2- bis 3-fach höhere Mehrbelastung sei vom SG nicht zutreffend erkannt worden. Sie habe ihre Eltern an 7 Tagen pro Woche mit mindestens 8-stündiger wirbelsäulenbelastender Tätigkeit pro Tag gepflegt. Dies ergebe im Jahr rund 2.900 Stunden. Unter Berücksichtigung dieser Stundenzahl seien 10 Jahre wirbelsäulenbelastender Tätigkeit erfüllt gewesen. Die ab 1. August 1997 ausgeübte Bürotätigkeit sei geringfügig gewesen und könne bei der Prüfung der Langjährigkeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit nicht zu ihrem Nachteil berücksichtigt werden. Die stationären Krankenhausaufenthalte ihres Vaters seien dadurch gekennzeichnet gewesen, dass auf Grund seines hohen Alters das Krankenhauspersonal auch von den Angehörigen Unterstützung erwartet habe, da für diese Altersgruppe nicht ausreichend Pflegezeit zur Verfügung habe gestellt werden können. Bei allen stationären Behandlungen ihres Vaters habe sie täglich 5 - 6 Stunden geholfen.

12

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 15. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte und Aufhebung ihres Bescheides vom 11. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2000 zu verurteilen, ihr ab 19. Februar 1999 Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

13

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Die Beklagte macht geltend, die von der Klägerin vorgebrachten Argumente seien nicht geeignet, die Sach- und Rechtslage anders als das SG zu beurteilen. Es habe überzeugend dargelegt, dass die Klägerin nicht die erforderliche Langjährigkeit der Dauer der belastenden Tätigkeit erreicht habe.

15

Das Gericht hat in einem Erörterungstermin am 1. September 2003 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Sie haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter allein (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) einverstanden erklärt. Auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 1. September 2003 (Bl. 69/70 Prozessakte) wird Bezug genommen.

16

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Az. 8808 BK) beigezogen. Diese Akte und die Prozessakte (Az. L 16/12 U 31/01, S 18 U 175/00) haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe

17

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 143 SGG). Sie ist nicht begründet.

18

Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Die Klägerin leidet nicht an einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV.

19

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 26 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung -, SGB VII) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt worden, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

20

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (Nr. 2108 der Anlage zur BKV) sind unter bestimmten Voraussetzungen, die bereits oben genannt sind, Berufskrankheiten. Bei der Klägerin liegt jedoch keine Berufskrankheit in dem in dieser Nr. aufgeführten Sinne vor.

21

In dem Verfahren zur Feststellung einer Berufskrankheit hat - wie beim Arbeitsunfall im engeren Sinne - eine doppelte Kausalitätsprüfung zu erfolgen, allerdings mit der Modifizierung, dass bei der Berufskrankheit an die Stelle des Unfalls in der Kausalkette die generellschädliche berufliche Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) tritt. Diese ist bei der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV damit umschrieben, dass die versicherte Person langjährig schwere Lasten zu heben oder zu tragen hatte oder langjährig Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung ausgeführt hat.

22

Für die Bejahung der haftungsbegründenden Kausalität bei der Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV ist es im Einzelnen erforderlich, dass die mit gewisser Regelmäßigkeit und gewisser Häufigkeit in der überwiegenden Zahl der Arbeitsschichten gehobenen oder getragenen Lastgewichte bestimmte Grenzen überschritten haben, die vom Lebensalter und Geschlecht der versicherten Person abhängig sind. Diese wirbelsäulenbelastende Tätigkeit muss langjährig ausgeübt worden sein. "Langjährig" bedeutet, dass 10 Berufsjahre als die untere Grenze der Dauer der belastenden Tätigkeit nach den genannten Kriterien zu fordern sind. Hierfür sprechen epidemiologische Studien bei Bauarbeitern, bei denen in der Regel bei mehr als 10-jähriger Expositionsdauer ein Anstieg in der Häufigkeit von degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen zu beobachten war. In begründeten Einzelfällen kann es jedoch möglich sein, dass bereits eine kürzere, aber sehr intensive Belastung eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule verursachen kann (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, Band 5, 3. Auflage, Anhang Seite 78/6 - Merkblatt, herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, zu der Berufskrankheit nach Nr. 2108 -). Wie der Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 27. August 1999 zu entnehmen ist, sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Das Gericht hält - ebenso wie das SG - diese Ausführungen für zutreffend.

23

Als in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte wirbelsäulenbelastende Tätigkeit kommt zunächst nach § 2 Abs. 1 Nr. 17 SGB VII die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 3. Dezember 1998 in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Pflegepersonen im Sinne des § 19 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI versichert; die versicherte Tätigkeit umfasst Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und - soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugute kommen - Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung (§ 14 Abs. 4 SGB XI). Diese Vorschrift ist am 1. Januar 1997 in Kraft getreten (Art. 36 des Unfallversicherungs-EinordnungsgesetzesUVEG vom 7. August 1996). Davor galt § 539 Abs. 1 Nr. 19 Reichsversicherungsordnung (RVO), der mit Wirkung vom 1. April 1995 durch das Gesetz vom 26. Mai 1994 (BGBl.. I, Seite 1014) eingefügt worden ist. Danach waren versichert in der Unfallversicherung Pflegepersonen im Sinne des § 19 SGB XI bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 SGB XI, soweit die Pflegepersonen nicht bereits zu den nach den Nrn. 1, 5, 7 oder 13 Versicherten gehörten. Als versicherte Tätigkeit ist somit auch die Zeit vom 1. April 1995 bis 31. Dezember 1996 heranzuziehen. Davor könnte eine versicherte Tätigkeit in Betracht gezogen werden auf Grund der Vorschrift des § 539 Abs. 2 RVO. Nach dieser Bestimmung waren gegen Arbeitsunfall/Berufskrankheit ferner Personen versichert, die wie ein nach Abs. 1 Versicherter tätig wurden (u.a. Personen, die auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt waren). Voraussetzung wäre, dass die Klägerin wie eine Pflegekraft tätig war. Dieses Merkmal kann für die Zeit ab 1. Januar 1992 als erfüllt angesehen werden, als die Klägerin ihre Mutter in ihrem Haushalt aufnahm, da diese nach einem Schädeltrauma pflegebedürftig gewesen war. Die versicherte Tätigkeit dauerte bis zum Tode der Mutter am 29. November 1994 und vom 1. Juni 1995 bis 3. Dezember 1998, als die Klägerin ihren Vater, der einen Schlaganfall erlitten hatte, pflegte. Herauszurechnen sind jedoch die Zeiten des Krankenhausaufenthaltes ihres Vaters vom 16. Juni - 5. Juli 1995, 25. Juni - 18. Juli 1997, 25. August - 11. September 1997 und vom 11. - 18. Februar 1998. Der Auffassung der Klägerin, auch während dieser Krankenhausaufenthalte ihres Vaters habe sie ihn wirbelsäulenbelastend gepflegt, kann nicht gefolgt werden, denn es ist nicht üblich, dass besuchende Angehörige einen Patienten im Krankenhaus wirbelsäulenbelastend pflegen, indem sie ihn in einem erheblichen Umfang heben oder tragen.

24

Für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 kann eine wirbelsäulenbelastende Tätigkeit nicht angenommen werden. Zweifelhaft ist schon, ob die Klägerin nach § 539 Abs. 2 RVO wie eine Pflegekraft versichert war, denn es lässt sich die Auffassung vertreten, dass es sich um eine familienhafte Unterstützung der Eltern handelte. Keineswegs war eine solche Tätigkeit jedoch wirbelsäulenbelastend. Die von der Klägerin genannten Verrichtungen wie Einkaufen, Reinigung der Wohnung o. ä. bedeuten keine wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten. Insoweit käme nur in Betracht das Unterstützen ihrer Mutter beim Baden, indem die Klägerin sie in die Wanne hob und wieder heraushob. Dies geschah jedoch nicht mit der geforderten Regelmäßigkeit und insbesondere Häufigkeit (an fast jedem Tag mehrmals). Pflegetätigkeiten gegenüber ihrem Vater scheiden in diesem Zusammenhang erst recht aus, denn dieser war damals noch mobil.

25

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann die von dem TAD der Beklagten ermittelte Zeit der wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit nicht verdoppelt werden. Die von ihr angestellten Berechnungsmethoden überzeugen nicht, denn ein solches arithmetisches Verfahren sieht das genannte Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung nicht vor. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der 10-Jahres-Zeitraum einer wirbelsäulenbelastenden Tätigkeit deutlich unterschritten worden ist und diese unter Berücksichtigung der Krankenhausaufenthalte des Vaters lediglich gut 6 Jahre betrug. Eine Berufskrankheit kann daher schon aus arbeitstechnischen Gründen nicht angenommen werden. Dieses Ergebnis ist durch die Stellungnahme des Chirurgen Dr. med. H. von April 2000 und durch die arbeitsmedizinische Stellungnahme des Landesgewerbearztes Dr. med. G. vom 21. September 1999 fachärztlich untermauert worden.

26

Da somit die haftungsbegründende Kausalität nicht gegeben ist, ist es nicht erforderlich, den Sachverhalt medizinisch weiter aufzuklären in dem Sinne, ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule bei der Klägerin vorliegt und die Erkrankung durch die berufliche Tätigkeit wesentlich verursacht worden ist.

27

Das Gericht hat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter entschieden (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG).

28

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

30

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.