Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 10.09.2003, Az.: L 7 B 43/03 AL

Bewilligung von Prozesskostenhilfe; Vorgehen gegen die Höhe des Abzweigungsbetrages; Selbstbehalt des Unterhaltsverpflichteten zur Sicherung der Zahlung von Unterhaltsleistungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
10.09.2003
Aktenzeichen
L 7 B 43/03 AL
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 16015
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0910.L7B43.03AL.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - 04.06.2003 - AZ: S 5 AL 130/02

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Aurich vom 4. Juni 2003 wird aufgehoben.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Weerda aus Emden bewilligt.

Ratenzahlung wird nicht angeordnet.

Gründe

1

I.

Der Kläger beansprucht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung eines Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Aurich, mit dem er sich gegen die Höhe des Abzweigungsbetrages wendet.

2

Der 1965 geborene Kläger nimmt seit 5. August 2002 an einer von der Beklagten geförderten beruflichen Weiterbildungsmaßnahme "Umschulung zum Tischler" des Berufsbildungs- und Technologiezentrums F. teil. Die Maßnahme gliedert sich in einen Berufsschul- und einen Praktikumsteil. Die Beklagte fördert die Maßnahme durch Gewährung von Unterhaltsgeld in Höhe von zunächst wöchentlich 197,28 EUR (Bescheid vom 18. Juli 2002), Fahrtkosten für Pendelfahrten zwischen Wohnung und Bildungsstätte sowie 23 Heimfahrten nach G. (Bescheid vom 8. August 2002).

3

Der Landkreis H. zahlt an die 1991 und 1993 geborenen Kinder des Klägers, die nicht in dessen Haushalt leben, Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.

4

Auf den im September 2002 gestellten Antrag des Landkreises H., einen angemessenen Teil der dem Kläger gewährten Leistungen gemäß § 48 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) abzuzweigen, zahlt die Beklagte dem Landkreis ab 1. Oktober 2002 täglich 4,19 EUR des Unterhaltsgeldes aus (Schreiben vom 21. Oktober 2002, Änderungsbescheid vom 23. Oktober 2002). Dabei ging die Beklagte von einer dem Kläger zustehenden monatlichen Geldleistung von 857,22 EUR sowie einem nach der so genannten "Düsseldorfer Tabelle" zu berücksichtigenden Selbstbehalt für Nichterwerbstätige von 730,00 EUR aus. Der Widerspruch, mit dem der Kläger einen Selbstbehalt von 840,00 EUR nach der Rechtsprechung des OLG Oldenburg geltend machte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. November 2002). Der Kläger hat am 26. November 2002 Klage vor dem SG Aurich erhoben und die Bewilligung von PKH für die Durchführung des Klageverfahrens beantragt.

5

Durch Beschluss vom 4. Juni 2003 hat das SG den PKH-Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Anwendung der "Düsseldorfer Tabelle" sowohl bei der Bestimmung der gesetzlichen Unterhaltspflicht als auch bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessen" sei nicht zu beanstanden; die Verwaltungsträger seien nicht gehalten, die Leitlinien der örtlichen Oberlandesgerichte zu Grunde zu legen.

6

Gegen den dem Kläger am 12. Juni 2003 zugestellten Beschluss führt er am 26. Juni 2003 Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat.

7

Die Beklagte tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

8

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte und die Erklärung des Klägers über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Bezug genommen.

9

Die den Kläger betreffende Leistungsakte der Beklagten (Kundennummer 224A104904) hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidung gewesen.

10

II.

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des SG Aurich vom 4. Juni 2003 PKH zu bewilligen, da sein Rechtsschutzbegehren hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 73a SGG in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) bietet.

11

Der Bescheid vom 23. Oktober 2002 könnte rechtswidrig sein, wenn sich ergibt, dass der Kläger bei der Berücksichtigung des notwendigen Selbstbehaltes einem Erwerbstätigen gleichzustellen ist.

12

Rechtsgrundlage für die Abzweigung ist § 48 Abs. 1 SGB III. Danach können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe u.a. an Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt (Abs. 1 Satz 1); die Auszahlung kann auch an die Stelle erfolgen, die einem Kind Unterhalt gewährt (Abs. 1 Satz 4).

13

Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 SGB III sind erfüllt. Der Kläger erhält von der Beklagten laufende Geldleistungen (Unterhaltsgeld), die der Sicherung des Lebensunterhaltes zu dienen bestimmt sind. Der Kläger hat auch in der Zeit ab 1. Oktober 2002 keinen Unterhalt an seine Kinder gezahlt. In dieser Zeit haben die Kinder Unterhaltsleistungen des Landkreises H. nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erhalten, weshalb ihr Unterhaltsanspruch auf den Landkreis H. übergegangen ist. Auf Grund der Zahlungen des Landkreises H. dürfte feststehen, dass die Kinder des Klägers außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten. Damit hängt die Beantwortung der Frage, ob der Kläger gesetzlich unterhaltsverpflichtet ist, davon ab, ob er unterhaltsfähig ist, und somit davon, welcher Betrag ihm für seinen eigenen angemessenen Unterhalt als Selbstbehalt zu belassen ist. Insoweit bedarf der von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden zu Grunde gelegte, den monatlichen Leistungsbetrag übersteigenden Selbstbehalt von 730,00 EUR entsprechend der "Düsseldorfer Tabelle" für Nichterwerbstätige der Nachprüfung.

14

Zwar trifft der Hinweis des SG zu, dass nach der Rechtsprechung des BSG im Anwendungsbereich des § 48 SGB I die Bestimmung des Selbstbehaltes des Unterhaltsverpflichteten in Anlehnung an die familiengerichtliche Praxis unter Heranziehung geeigneter schematisierender Werte z.B. der Düsseldorfer Tabelle erfolgen kann, da eine ins einzelne gehende Prüfung dem Charakter der Abzweigung als Sofortmaßnahme zuwider liefe (BSG Urteil vom 29. August 2002 - B 11 AL 95/01 R - SozR 3-1200 § 48 Nr. 4 m.w.N.).

15

Vorliegend ist jedoch abzugrenzen, ob der Eigenbedarf eines Unterhaltsschuldners, der an einer längerdauernden Umschulungsmaßnahme der Arbeitsverwaltung teilnimmt - anders als bei einem Unterhaltsschuldner, der keiner erwerbsbezogenen Beschäftigung nachgeht -, dem eines erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen gleichzusetzen ist. Diese Rechtsfrage ist in der Rechtsprechung bisher noch nicht geklärt. Nach einer Meinung ist einem Umschüler nur der Selbstbehalt eines Nichterwerbstätigen zuzubilligen, nach anderer Auffassung sind nur endgültig aus dem Arbeitsleben Ausgeschiedene als Nichterwerbstätige anzusehen, wieder andere stellen darauf ab, ob der Verpflichtete nach den Umständen nicht quantifizierbare Mehrkosten hat und die Belassung des Anreizes im Hinblick auf seine Arbeitsbemühungen (noch) gerechtfertigt ist (vgl: Kalthoehner/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 7. Auflage München 2000, RdZiff. 53). Wird aber eine Rechtsfrage aufgeworfen, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist, muss PKH gewährt werden (BVerfGE 81, 34 ff [BVerfG 03.10.1989 - 1 BvR 558/89]). PKH ist ab formgerechter Antragstellung ohne Ratenzahlung zu gewähren, da von den nachgewiesenen Einkünften nach Abzug des Freibetrages und der Wohnkosten kein anrechenbares Einkommen verbleibt.

16

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).