Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.09.2003, Az.: L 5 VG 2/03
Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG); Entfallen von "psycho-reaktiven Störungen" als Schädigungsfolgen; Anforderungen an eine Einstufung der Behinderung höher als 60 v.H.
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.09.2003
- Aktenzeichen
- L 5 VG 2/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 25927
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0918.L5VG2.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - AZ: S 7 VG 3/97
Rechtsgrundlagen
- § 1 OEG
- § 30 Abs. 1 BVG
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Rechtsstreit betrifft Ansprüche des Klägers nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).
Der am F. geborene Kläger erlitt am 23. Oktober 1992 Schussverletzungen. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden.
Nachdem zunächst im Schwerbehindertenverfahren auf der Grundlage eines Untersuchungsgutachtens der Frau Dr. G. vom 9. Juli 1993 unter Heranziehung weiterer ärztlicher Unterlagen ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 festgestellt worden war (Bescheid vom 5. August 1993), beantragte der Kläger zu Beginn des Jahres 1994 die Feststellung von Ansprüchen nach dem OEG. Das Versorgungsamt (VA) zog den Arztbrief des Kreiskrankenhauses H. vom 5. Juli 1993 bei und holte ein thorax- und gefäßchirurgisches Untersuchungsgutachten der Prof. Dres. I. vom 15. März 1995 ein. Auf dieser Grundlage stellte es mit Bescheid vom 16. Mai 1995 eine MdE um 50 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab 1. Januar 1994 auf Grund schädigender Einwirkungen im Sinne der Entstehung gemäß § 1 OEG fest.
Eine Entscheidung über die besondere berufliche Betroffenheit im Sinne von § 30 Abs. 2 BVG wurde angekündigt (ist bisher aber formell nicht getroffen). Auf den am 6. Juni 1995 eingegangenen Widerspruch holte das VA ein Untersuchungsgutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. J. vom 8. Februar 1996 ein und stellte mit Bescheid vom 1. Oktober 1996 ab 1.Januar 1994 eine MdE um 70 v.H. nach § 30 Abs. 1 BVG mit den nachfolgenden Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung fest:
- 1.
Teillähmung des linken Armnervenplexus mit Gebrauchsbehinderung der linken Hand und des Unterarmes.
- 2.
Relative Durchblutungsminderung des linken Armes nach traumatischer Schädigung der linken Schulterarterie mit Zwischenschaltung einer Gefäß-Kunststoffprothese.
- 3.
Multiple Narbenbildung des Brustkorbes nach Schussverletzung.
- 4.
Vernarbung der Lunge mit Verschwartung beider Zwerchfell-Rippen-winkel.
- 5.
Knochennarben des 8. Brustwirbelkörpers nach Vorderkantenabsprengung.
- 6.
Psycho-reaktive Störungen.
Mit Wirkung vom 1. November 1995 stellte das VA die MdE mit 60 v.H. fest, weil die Schädigungsfolge zu 6. entfallen sein sollte.
Der weiter gehende Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1997).
Mit der am 10. Februar 1997 erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, er könne nicht hinnehmen, dass die psycho-reaktiven Störungen als Schädigungsfolge ab 1. November 1995 mit der Konsequenz der Reduzierung der MdE auf 60 v.H. entfallen seien.
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat Befundberichte des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. K. und des Nervenarztes Dr. L. eingeholt und Beweis erhoben durch Untersuchungsgutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. M. vom 12. Juni 1998. Dr. M. hat ausgeführt, dass die jetzt noch feststellbare psycho-reaktive Störung Folge der sozialen Problematik, aber nicht Schädigungsfolge sei.
Dem Gutachten folgend hat das SG durch Urteil vom 4. Juli 2000 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass über den 31. Oktober 1995 hinaus "psycho-reaktive Störungen" als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG nicht mehr vorlägen. Die angefochtenen Bescheide hätten die MdE um 60 v.H. ab 1. November 1995 zutreffend nach den Maßstäben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP) festgestellt.
Gegen das am 10. August 2000 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 24. August 2000 eingegangenen Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich dem Sinne nach,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 4. Juli 2000 aufzuheben und den Bescheid vom 1. Oktober 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 1997 zu ändern,
- 2.
"psycho-reaktive Störungen" über den 1. November 1995 hinaus weiterhin als Schädigungsfolgen festzustellen,
- 3.
den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger Beschädigtenversorgung über den 31. Oktober 1995 hinaus nach einer MdE um 70 v.H. zu zahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die den Kläger betreffenden Beschädigtenakten (Az: N.) sowie die Schwerbehinderten-Akten (Az: O.) des VA P. und die Akte S 14 VS 226/95 SG Hildesheim vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
II.
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. An dieser Entscheidung ist der Senat nicht durch den entgegenstehenden Wunsch des Klägers gehindert. Denn seit dem Beschluss vom 3. Juli 2003, mit dem der Senat die vom Kläger beantragte Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung versagt hat, hat der Kläger nichts vorgetragen.
Die nach § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Denn nach den medizinischen Ermittlungen ist zu verneinen, dass der Kläger über den 31. Oktober 1995 hinaus an psycho-reaktiven Störungen als Folge der Gewalttat vom 23. Oktober 1992 leidet. Infolgedessen kann die MdE ab 1. November 1995 nicht höher als 60 v.H. bewertet werden.
Zur Begründung verweist der Senat auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 3. Juli 2003 und die dort enthaltene Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens, § 128 Abs. 1 SGG. Angesichts fehlenden anderweitigen Vortrags des Klägers sieht der Senat keine Veranlassung, hiervon abzuweichen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.