Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 08.09.2003, Az.: L 7 B 44/03 AL
Höhe der festzusetzenden Vergütung einer im Weg der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwältin; Angemessenheit einer vom Rechtsanwalt bestimmten Rahmengebühr für ein Verfahren vor dem Landessozialgericht; Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger; Schwierigkeiten der Angelegenheit in rechtlicher Hinsicht
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 08.09.2003
- Aktenzeichen
- L 7 B 44/03 AL
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 16019
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0908.L7B44.03AL.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 12.02.2001 - AZ: S 9 AL 1680/99
Rechtsgrundlagen
- § 121 BRAGO
- § 116 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO
- § 12 Abs. 1 BRAGO
Redaktioneller Leitsatz
Nach § 12 Abs. 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten, der Landeskasse, zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Insbesondere hat der Rechtsanwalt sein Ermessen sachgerecht auszuüben.
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Im Verfahren zum Az: S 9 AL 1680/99 des Sozialgerichts (SG) Braunschweig wandte sich Herr E. (Sch.) gegen den Bescheid der Bundesanstalt für Arbeit vom 22. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Oktober 1999, mit dem diese ihre Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 15. Juli bis 1. September 1998 aufgehoben und die Erstattung ihres Erachtens überzahlter Leistungen in Höhe von 3.443,95 DM einschließlich der erbrachten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangt hatte. Durch Beschluss des SG vom 12. Februar 2001 ist Sch. für das Verfahren vor dem SG Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung der Beschwerdeführerin bewilligt worden.
Nachdem das SG Braunschweig durch Urteil vom 26. September 2002 unter Änderung des angefochtenen Bescheids den Erstattungsbetrag auf 2.922,82 DM (1.494,41 EUR) festgesetzt und im Übrigen die Klage abgewiesen hat, hat die Beschwerdeführerin die Festsetzung und Erstattung ihrer Vergütung aus der Landeskasse in Höhe von 769,72 EUR beantragt. Sie hat dabei die Gebühr nach § 116 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) mit 613,55 EUR und eine Dokumentenpauschale für 76 Ablichtungen in Höhe von 29,55 EUR angesetzt. Die Urkundsbeamtin hat den Erstattungsbetrag auf insgesamt 545,06 EUR festgesetzt, die Gebühr nach § 116 BRAGO mit 850,00 DM (434,60 EUR) und Fotokopierkosten in Höhe von 29,00 DM (14,83 EUR) für 29 Fotokopien zu Grunde gelegt. Zur Begründung hat die Urkundsbeamtin ausgeführt, die beantragte Gebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO in Höhe von 613,55 EUR sei nicht angemessen im Sinn des § 12 BRAGO, weil die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit lediglich geringfügig über einer durchschnittlichen Schwierigkeit gelegen habe. Zudem sprächen hiergegen auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers.
Die Beschwerdeführerin hat hiergegen Erinnerung mit der Begründung eingelegt, dass die Bedeutung der Angelegenheit die von ihr festgesetzte Gebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO rechtfertige.
Das SG Braunschweig hat der Erinnerung durch Beschluss vom 19. Mai 2003 nicht abgeholfen. Nach Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des Sch. handele es sich um ein durchschnittliches Verfahren. Vorrangig sei es um die Abklärung der tatsächlichen Frage gegangen, wie lange Sch. jeweils gearbeitet habe und ob mit seiner Tätigkeit die Zeitgrenze von 15 Stunden wöchentlich erreicht worden sei. Die Klärung dieser Fragestellung sei zwar unter Berücksichtigung der Beweis- und Darlegungslast im gerichtlichen Verfahren insgesamt umfangreich gewesen. Aus Sicht des Sch. sei sie auf Grund seiner Erinnerung und des tatsächlichen Ablaufs indes darzustellen und daher ohne besondere Schwierigkeiten gewesen. Auch die Dauer des Verfahrens von knapp drei Jahren könne nicht zu einer Erhöhung führen, da dieser Umstand unberücksichtigt bleiben müsse. Erhöhter Aufwand der Beschwerdeführerin durch das PKH-Verfahren müsse ebenfalls insoweit unberücksichtigt bleiben. Zudem sei dieser teilweise durch unvollständige Vorlage zum Teil veralteter Unterlagen erforderlich gewesen.
Gegen den am 2. Juni 2003 zugestellten Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin am 2. Juli 2003 mit ihrer Beschwerde und rügt zum einen die Verrechnung ihrer Vergütung mit Forderungen der Landeskasse aus einem anderen Rechtsstreit sowie die Festsetzung der Gebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO. Die Bedeutung des Verfahrens sei für Sch. als besonders hoch anzusetzen, weil dieses auch Auswirkungen auf seine persönlichen Lebensumstände gehabt habe. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht hätten ebenfalls über dem Durchschnitt der Verfahren gelegen. Schließlich folge dies auch aus der Dauer des Verfahrens von knapp drei Jahren. Da Sch. seit Februar 2002 wieder unbefristet beschäftigt sei, sei davon auszugehen, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprächen.
Der Beschwerdegegner hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Prozessakte zum Az S 9 AL 1680/99 des SG Braunschweig Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 128 Abs. 4 BRAGO statthafte und zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das SG Braunschweig hat der Erinnerung der Beschwerdeführerin durch Beschluss vom 19. Mai 2003 zu Recht nicht abgeholfen.
Die im Weg der PKH beigeordnete Rechtsanwältin erhält nach § 121 BRAGO die gesetzliche Vergütung in Verfahren vor den Gerichten des Landes aus der Landeskasse. Diese wird gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 BRAGO von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Gerichts des Rechtszugs festgesetzt. Über Erinnerungen des Rechtsanwalts gegen die Festsetzung entscheidet nach § 128 Abs. 3 BRAGO das Gericht des Rechtszugs, bei dem die Vergütung festgesetzt ist, durch Beschluss. Dies ist hier durch den angefochtenen Beschluss des SG Braunschweig vom 19. Mai 2003 geschehen.
Im Verfahren vor dem Landessozialgericht erhält der Rechtsanwalt nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 30. März 1998 eine Gebühr zwischen 100,00 DM bis 1.300,00 DM. Dieser Gebührenrahmen ist hier maßgebend.
Nach § 12 Abs. 1 BRAGO bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten, der Landeskasse, zu ersetzen, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Die von der Beschwerdeführerin bestimmte Gebühr von 613,55 EUR (1.200,00 DM) ist unbillig, weil sie den vorgegebenen Gebührenrahmen nahezu vollständig ausschöpft. Zwar beinhaltet die Zulässigkeit der Ermessensentscheidung gleichzeitig einen Spielraum des Rechtsanwalts bei seiner Festsetzung. Dieses Ermessen ist indes sachgerecht auszuüben. Der von der Beschwerdeführerin angesetzte Betrag überschreitet die Mittelgebühr von 700,00 DM um immerhin 500,00 DM. Dies ist unter Berücksichtigung der durch die Regelung des § 12 Abs. 1 BRAGO vorgegebenen Entscheidungsgesichtspunkte nicht angemessen.
Unter den danach zu berücksichtigenden Umständen nennt § 12 Abs. 1 BRAGO an erster Stelle die Bedeutung der Angelegenheit, das heißt hier die wirtschaftliche Bedeutung für den Kläger des Hauptsacheverfahrens. Diese ist als durchschnittlich zu bewerten; insofern wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss vom 19. Mai 2003 verwiesen. Zwar handelt es sich bei dem von der Bundesanstalt für Arbeit verlangten Erstattungsbetrag in Höhe von zunächst 3.443,95 DM um eine aus Sicht des Sch. nicht unerhebliche Summe. Hiervon hängt indes seine wirtschaftliche Existenz nicht in dem gleichen Maße ab, wie bei für sozialrechtliche Streitigkeiten typischen Dauerleistungen, die ein Überschreiten der Mittelgebühr rechtfertigen können.
Erhöhte Schwierigkeiten in rechtlicher Hinsicht sind nicht festzustellen. Verfahren, in denen es, wie hier, um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung der Bundesanstalt für Arbeit geht, sind für sozialgerichtliche Verfahren geradezu typisch.
Zwar übersteigt das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht auf Grund der umfangreichen Ermittlungen den üblicherweise im sozialgerichtlichen Verfahren anfallenden Aufklärungsbedarf. Dem ist indes durch eine Erhöhung der Mittelgebühr Rechnung getragen.
Schließlich sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Sch., dem PKH bewilligt worden ist, auch nach seinen eigenen Ausführungen allenfalls durchschnittlicher Art. Eine Erhöhung der festzusetzenden Gebühr nach § 116 Abs. 1 BRAGO ist daher nicht gerechtfertigt.
Soweit die Beschwerdeführerin die Verrechnung ihrer Gebührenforderung mit einer Forderung der Landeskasse rügt, ist dies nicht Gegenstand des hier anhängigen Kostenfestsetzungsverfahrens nach § 128 BRAGO; hierauf hat der Direktor des SG Braunschweig die Beschwerdeführerin bereits unter dem 20. März 2003 hingewiesen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 5 BRAGO.
Dieser Beschluss ist nach § 177 SGG mit der Beschwerde nicht anfechtbar.