Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.09.2003, Az.: L 8 AL 233/03
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.09.2003
- Aktenzeichen
- L 8 AL 233/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 39762
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0925.L8AL233.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 28.04.2003 - AZ: S 41 AL 494/02
In dem Rechtsstreit
...
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2003 in Celle
durch die Richter am Landessozialgericht S.... -Vorsitzender-, W.... und V....
sowie die ehrenamtlichen Richter J.... und W....
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 28. April 2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der im März 1956 geborene Kläger hat am 4. Dezember 2002 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Er hat vorgetragen, dass die "zusammenfassende medizinische Beurteilung" der Arbeitsamtsärztin Dr W.... vom 23. Januar 2002 aus den Akten der Beklagten zu entfernen sei.
Die medizinische Beurteilung der Arbeitsamtsärztin Dr W.... vom 23. Januar 2002 hat folgenden Wortlaut:
"Herr W.... erschien pünktlich zum Termin. Er überreichte eine Selbstdarstellung, datierend vom 22.01.2002 mit 4 Anlagen. Keine gestellte Frage wurde beantwortet, ständig auf dieses inhaltlich bezüglich der Fragen keinerlei Aussage enthaltende Schriftstück verwiesen. Sein Verhalten ließ weder eine Erhebung der Vorgeschichte noch irgend eine andere übliche Kommunikation zu. Er versuchte, durch ein für den Gesprächspartner bezüglich des Inhalts nicht nachvollziehbare pausenlose Folge von Fragen zu dominieren, was sich in weiten Passagen zu lautem Brüllen und bedrohendem Verhalten steigerte. Dass dieses Verhalten einer Willenssteuerung unterlag, war nicht erkennbar. Die Aufforderung, sich zur klinischen Untersuchung bis auf Unterhose und Socken zu entkleiden, führte zu einem weiteren Eklat im Verhalten. Eine Begutachtung unter üblichen Bedingungen war in keiner Weise möglich.
Nach dem hiesigen Auftreten halte ich bei Herrn W.... eine der willentlichen Steuerung entzogene Störung mit aufgehobener Kommunikations- und Gemeinschaftsfähigkeit für gegeben. Nach Kenntnis des gesamten Vorganges halte ich diese Störung schon für seit Jahren bestehend, ein Leistungsvermögen unter den üblichen Bedingungen ist durch die Schwere der Störung aufgehoben. Bezüglich eventuell bestehender körperlicher Einschränkungen kann ich aufgrund fehlender Mitarbeit des Herrn W.... keine zusätzlichen Aussagen treffen.
Obige Ausführungen basieren darauf, dass ich aus ärztlicher Sicht nicht davon ausgehen kann, dass Herr W.... willentlich eine Begutachtung durch eine ihm unvoreingenommen begegnende Gutachterin vereiteln möchte. Die Schwere der Störung läßt erwarten, dass diese auch im Rahmen der gerichtlichen Befragung offenbar wird."
Die Aussagen über seine Person müssten entfernt werden, weil er durch die Arbeitsamtsärztin gar nicht begutachtet worden sei.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2003 abgewiesen. Die Arbeitsamtsärztin habe das Ergebnis des Untersuchungstermins vom 22. Januar 2002 zusammenfassend medizinisch beurteilen dürfen, und zwar allein aufgrund des Verhaltens des Klägers an diesem Untersuchungstag.
Der Kläger hat am 26. Mai 2003 Berufung eingelegt. Er trägt nochmals vor, dass aufgrund seiner mangelnden Untersuchung kein Gutachtenergebnis hätte mitgeteilt werden dürfen. Die zusammenfassende Beurteilung müsse daher aus den Akten der Beklagten entfernt werden.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
- 1.
den Rechtstreit an das Sozialgericht Oldenburg zurückzuverweisen, hilfsweise
- 2.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 28. April 2003 aufzuheben,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, bezüglich des in der Anlage des Klageschriftsatzes vom 2. Dezember 2002 als Kopie beigefügten Schriftstücks "zusammenfassende medizinische Beurteilung" auf Grund des Termins vom 22. Januar 2002 von Frau Dr. W.... vom 23. Januar 2002, das die Beklagte in ihrer Verwaltungs- bzw Vermittlungsakte offenbar unter "Blatt 863" führt, den in diesem Schriftstück bzw darauf aufbauend gemachten Behauptungen, dass
bei mir eine "Störung der Kommunikations- und Gemeinschaftsfähigkeit" vorliegen würde,
bei mir deshalb mein Leistungsvermögen aufgehoben sei,
meine Leistungsfähigkeit deshalb so weit gemindert sei, dass ich nur noch eine Tätigkeit von weniger als 15 Stunden wöchentlich ausüben könne:
Die Beklagte soll verurteilt werden, dieses Schriftstück aus ihrer Verwaltungs- bzw Vermittlungsakte zu entfernen und die genannten Behauptungen zu widerrufen, in ihren Schriftstücken zu schwärzen und künftig zu unterlassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Gerichtsakten S.... und S.... des SG Oldenburg sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (5 Bände) verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Der Senat durfte den Rechtsstreit auch ohne die persönliche Anwesenheit des Klägers entscheiden. Sein persönliches Erscheinen war nicht angeordnet worden. In der Terminsmitteilung wurde er darüber unterrichtet, dass im Falle seines Ausbleibens auch ohne ihn entschieden werden kann.
Der Kläger hat die Terminsmitteilung rechtzeitig erhalten, sie ist bei ihm am 13. September 2003 eingegangen. Zwar ist damit die zweiwöchige Ladungsfrist der §§ 153 Abs 1, 110 Abs 1 Satz 1 SGG nicht eingehalten worden. Danach bestimmt der Vorsitzende Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Da die mündliche Verhandlung am 25. September 2003 stattfand, hätte die Ladung danach am 11. September 2003 beim Kläger eingehen müssen, die Ladungsfrist wäre daher um zwei Tage versäumt worden.
Allerdings darf die Zwei-Wochen-Frist des § 110 Abs 1 Satz 1 SGG unterschritten werden, da es sich um eine Soll-Vorschrift handelt. Als Mindestfrist für die Terminsmitteilung gilt die Drei-Tages-Frist des § 217 Zivilprozessordnung (ZPO), der gemäß § 202 SGG entsprechend gilt (vgl Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 19. März 1992 - 12 RK 62/91 - SozR 3-1500 § 110 SGG Nr 3 = Neue Zeitschrift für Sozialrecht <NZS> 1992, 160; Beschluss vom 18. August 1999 - B 2 U 313/98 B -; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage 2002, § 110 Rdnr 13a m.w.N.). Diese Drei-Tages-Frist ist eingehalten, weil der Kläger die Ladung zwölf Tage vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung erhalten hat.
Es ist weiterhin nicht ersichtlich, dass der Kläger durch das geringfügige Unterschreiten der Zwei-Wochen-Frist in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, § 62 SGG, verletzt worden ist. Aus dem Vorbringen des Klägers in seinem Schriftsatz vom 22. September 2003 wird nicht ersichtlich, welcher entscheidungserhebliche Vortrag durch Verkürzung der Frist unterblieben sein sollte. Der Kläger hatte bis zu dem Termin der mündlichen Verhandlung ausreichend Zeit und Gelegenheit, sein Anliegen dem Gericht nahe zu bringen. Er hat davon auch durch mehrere Schriftsätze Gebrauch gemacht.
Abgesehen davon hat der Kläger durch eine Eingabe vom 19. August 2003 an die Präsidentin des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen auf eine baldige Terminsanberaumung gedrängt. Ihm ist daraufhin mitgeteilt worden, dass eine Terminierung für Ende September 2003 beabsichtigt sei (Schreiben der Präsidentin vom 28. August 2003). Dem Kläger war daher frühzeitig bekannt, dass seine verschiedenen Berufungsverfahren Ende September vor dem LSG verhandelt werden sollten. Auch unter diesem Blickwinkel erscheint eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs als ausgeschlossen.
Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 159 Abs 1 SGG liegen nicht vor. Der Senat entscheidet in der Sache selber. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger dadurch Rechtsnachteile erleidet.
Das SG hat zu Recht entschieden, dass der geltend gemachte Anspruch des Klägers nicht besteht. Darauf wird verwiesen, § 153 Abs 2 SGG.
Ergänzend, auch im Hinblick auf das Berufungsvorbringen, wird Folgendes ausgeführt:
Als Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers kommt § 84 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht. Danach sind Sozialdaten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. Sie sind auch zu löschen, wenn ihre Kenntnis für die verantwortliche Stelle zur rechtmäßigen Erfüllung der in ihrer Zuständigkeit liegenden Aufgabe nicht erforderlich ist und kein Grund zu der Annahme besteht, dass durch die Löschung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor.
Die Erhebung des Gutachtens ist zulässig erfolgt. Sie beruht auf dem vom Kläger erwirkten Beschluss im vorläufigen Rechtsschutzverfahren S.... SG Oldenburg vom 7. Dezember 2001, Darin wurde die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zum 1. März 2002 ein ärztliches Gutachten über die gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Klägers auf dem Arbeitsmarkt erstellen zu lassen. Dieser Verpflichtung wollte die Beklagte durch den Gutachtertermin bei der Arbeitsamtsärztin Dr W.... am 22. Januar 2002 nachkommen. Das Ergebnis dieses Untersuchungstermins hat die Arbeitsamtsärztin in ihrer zusammenfassenden medizinischen Beurteilung vom 23. Januar 2002 festgehalten. Mithin steht fest, dass die Erhebung des Gutachtens zulässig erfolgt ist; das Gutachten bzw die zusammenfassende Beurteilung muss daher für die Zwecke der Beklagten gemäß § 67c Abs 1 SGB X in ihren Aktenunterlagen verbleiben. Denn die aufgrund des Zusammentreffens der Arbeitsamtsärztin rnit dem Kläger gewonnenen Erkenntnisse können für seine zukünftige Vermittlung und für die Leistungsgewährung von rechtlichem Belang sein. Denn sollte tatsächlich das Leistungsvermögen des Klägers aufgehoben sein, wäre er nicht mehr arbeitslos im Sinne der Vorschriften des SGB III und hätte keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III.
Für das weitere Begehren des Klägers auf Widerruf, Schwärzung und Unterlassung käme § 84 Abs 1 Satz 1 SGB X als Anspruchsgrundlage in Betracht. Danach sind Sozialdaten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Ein Berichtigungsanspruch kann sich nur auf Tatsachen beziehen. Bei der zusammenfassenden medizinischen Beurteilung der Arbeitsamtsärztin handelt es sich nicht um eine solche Tatsache. Darin liegt vielmehr ein medizinisches Werturteil (Verdachtsdiagnose), die aufgrund des Zusammentreffens mit dem Kläger erfolgt ist. Ein derartiges medizinisches Werturteil ist einer Korrektur nicht zugänglich (vgl LSG Berlin, Beschluss vom 12. Februar 2003 - L 10 AL 87/02 -; BGH, Urteil vom 23. Februar 1999 - VI ZR 140/98 - NJW 1999, 2736 [BGH 23.02.1999 - VI ZR 140/98]). Die Ärztin hat keine Tatsachen mitgeteilt, sondern eine auf ihrer Schlussfolgerung beruhende persönliche Wertung über den medizinischen Zustand des Klägers.
Dementsprechend besteht kein Unterlassungsanspruch und kein Anspruch auf Schwärzung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Da der Kläger unterliegt, trägt er seine etwaigen außergerichtlichen Kosten selber.
Die Revision bedarf der Zulassung (§ 160 SGG). Diese ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil nicht von höchstrichterlichen Entscheidungen abweicht.