Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 01.09.2003, Az.: L 6 U 396/02

Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss; Anspruch auf Anerkennung einer Berufskrankheit wegen bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule ( LWS ); Abgrenzung anlagebedingte Leiden und tätigkeitsbedingte Leiden im Bereich der Wirbelsäule

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
01.09.2003
Aktenzeichen
L 6 U 396/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 12423
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0901.L6U396.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 08.08.2002 - AZ: S 36 U 299/99

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. August 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt die Entschädigung von Bandscheibenschäden (Berufskrankheiten - BKen - Nrn. 2108 und 2109 der Anlage - Anl. - zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV: bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule - LWS - durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung und bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule - HWS - durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter), die er auf die berufliche Belastung insbesondere beim Einbau von Türen und Zargen (siehe hierzu den Vermerk des Technischen Aufsichtsbeamten C. vom 3. Dezember 1997) zurückführt (siehe zu der Arbeitsgeschichte des Klägers im Einzelnen die Angaben im Fragebogen vom 15. März 1998). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. März 1999 Entschädigungsleistungen ab, nachdem Prof. Dr. D. und Oberarzt Dr. E. im chirurgischen Gutachten vom 26. Dezember 1998 BKen verneint hatten: Die Röntgenaufnahmen der LWS ließen eine fortgeschrittene Osteochondrose im Bewegungssegment 4/5 sowie leichte degenerative Veränderungen in den beiden benachbarten Zwischenwirbelräumen erkennen. Diese Veränderungen manifestierten sich im Krümmungsscheitel einer ausgeprägten Seitverbiegung der unteren LWS, bei der es sich am ehesten um ein anlagebedingtes Leiden handle. Die übrige LWS lasse wesentliche, dem Lebensalter des Klägers deutlich vorauseilende degenerative Veränderungen nicht erkennen, sodass die Kriterien für die Anerkennung der BK Nr. 2108 nicht erfüllt seien. Wesentliche, dem Lebensalter des Klägers deutlich vorauseilende degenerative Veränderungen bestünden auch an der HWS nicht. Es seien lediglich leichte Verschleißerscheinungen im Bewegungssegment 5/6 nachzuweisen. Deshalb seien auch die Kriterien für die Anerkennung der BK Nr. 2109 nicht erfüllt. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 9. August 1999).

2

Gegen den am selben Tag zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 10. September 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben. Das SG hat den Facharzt für Orthopädie Dr. F. mit der Erstattung des Gutachtens vom 29. Juni 2000 und der Stellungnahme vom 21. September 2000 beauftragt, der die Wertung der im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachter bestätigt hat. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 8. August 2002 abgewiesen.

3

Gegen das ihm am 16. August 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. September 2002 Berufung eingelegt und medizinische Unterlagen eingereicht. Er betont seine berufliche Belastung und hält an der Ansicht fest, dass die Voraussetzungen zur Feststellung der BKen vorliegen. Denn auch die oberen Bereiche von LWS und HWS seien betroffen.

4

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Hannover vom 8. August 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 26. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 1999 aufzuheben,

  2. 2.

    die BKen Nrn. 2108 und 2109 der Anl. zur BKV festzustellen,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.

5

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 8. August 2002 zurückzuweisen.

6

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

7

Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung des Berichterstatters vom 27. Mai 2001 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen. Eine mündliche Verhandlung halte er nicht für erforderlich. Dazu hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15. August 2003 Stellung genommen.

8

Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

9

II.

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

10

Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Ziffer 3 SGG - zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Die BKen Nrn. 2108 und 2109 der Anl. zur BKV können nicht mit der im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Deshalb hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§ 56 Sozialgesetzbuch VII). Auf die zutreffenden und ausführlichen Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

11

Die im Berufungsverfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen ergeben keine andere Beurteilung. Insbesondere belegen sie keine wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)verursachte Reaktion von LWS und HWS. Die Beschreibung der Röntgenbefunde in diesen Unterlagen bestätigt Veränderungen der LWS ab dem mittleren Bereich L 3/4. Im Übrigen weckt das Gutachten des Landesmedizinaldirektors Dr. G. vom 13. Januar 1998 eher Zweifel, ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS im Vollbeweis überhaupt gesichert ist. Denn Dr. G. weist darauf hin, dass bei der klinischen Untersuchung objektivierbare Befunde von Bedeutung nicht erhoben werden konnten (ausführlich auf S. 4 -Epikrise- des Gutachtens). Der im Juni 2003 durch Dr. H. erhobene röntgenologische Befund der HWS führt schon deshalb nicht weiter, weil er auf Grund des langen zeitlichen Abstandes von über 5 Jahren seit Aufgabe der belastenden Tätigkeit zu einer verlässlichen Aussage über eine wahrscheinlich wesentlich berufliche (Mit)Verursachung keine Aussage machen kann. Entscheidend sind die zeitnah zu der Berufsaufgabe gefertigten Röntgenaufnahmen, die jedoch eine berufliche Einwirkung nicht belegen. Darüber hinaus hat schon das SG darauf hingewiesen, dass die berufliche Tätigkeit des Klägers von der BK Nr. 2109 nicht erfasst wird (S. 7 f. des angefochtenen Urteils). Des Weiteren hat bereits das SG hervorgehoben, dass auf den Nachweis einer Mitbeteiligung von oberer LWS und HWS zur Feststellung der BKen Nrn. 2108 und 2109 der Anl. zur BKV nicht verzichtet werden kann. Denn diese stellen das einzig brauchbare Unterscheidungsmerkmal dar, das eine Abgrenzung beruflich (mit)verursachter von schicksalhaften Erkrankungen mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ermöglicht. Wird auf sie verzichtet, wird im Ergebnis der - bei den in der Allgemeinbevölkerung verbreiteten bandscheibenbedingten Erkrankungen - rechtlich nicht zulässige Anscheinsbeweis (BSG, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 = SGb 1999, 39 mit Anm. von Ricke) geführt (ausführlich hierzu das Urteil des erkennenden Senats in Breith 2000, 1031 und das - zur Veröffentlichung vorgesehene - Urteil vom 25. August 2003 - L 6 U 326/02).

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

13

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.