Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 04.09.2003, Az.: L 9 B 27/03 U
Prozesskostenhilfe im Sozialgerichtsverfahren; Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKVO (Infektion mit Hepatitis C); Nachweis einer konkreten beruflichen Ansteckungsquelle
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 04.09.2003
- Aktenzeichen
- L 9 B 27/03 U
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 20992
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0904.L9B27.03U.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 26.06.2003 - AZ: S 2 U 2/03
Rechtsgrundlagen
- § 73a Abs. 1 S. 1 SGG
- § 214 S. 1 ZPO
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 26. Juni 2003 wird aufgehoben. Der Beschwerdeführerin wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C. bewilligt.
Gründe
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Beschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführerin ist auf ihren Antrag vom 30. Januar 2003 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C. zu gewähren.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 214 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO - erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin ergibt sich dies aus dem von ihr vorgelegten Sozialhilfebescheid vom 18. November 2002, nach dem davon ausgegangen werden kann, dass zum maßgeblichen Antragszeitpunkt wegen unzureichender Einkünfte laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gezahlt worden ist. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet darüber hinaus auch hinreichende Aussicht auf Erfolg. Hinreichend in diesem Sinne sind die Erfolgsaussichten einer Klage bereits dann, wenn der mit ihr geltend gemachte Rechtsstandpunkt vertretbar erscheint und hinsichtlich der maßgeblichen Tatsachen die Möglichkeit der Beweisführung besteht. Hiervon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn durchschlagende Gründe dafür bestehen, von Amts wegen weiteren Zeugen- oder Sachverständigenbeweis zu erheben (Meyer - Ladewig, SGG, 7. Aufl. 202, § 73a Rdnr. 7, Seite 417 m.w.N). So verhält es sich hier.
Das Sozialgericht hat in seinem angefochtenen Beschluss die Klage bereits deshalb für aussichtslos gehalten, weil sich im Fall der Beschwerdeführerin eine konkrete berufliche Ansteckungsquelle nicht nachweisen lasse. Ob es für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage zur BKVO im Fall der Infektion mit Hepatitis C eines solchen konkreten Nachweises überhaupt bedarf oder ob es nicht vielmehr für die Bejahung der Ursächlichkeit ausreicht, wenn der Versicherte in einem signifikant höheren Maß als die Allgemeinbevölkerung dem Ansteckungsrisiko ausgesetzt gewesen ist, ist allerdings zumindest umstritten (vgl. Mehrtens / Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Ordnungsziffer M 3101, Rdnr. 11.2 mit Rechtsprechungsnachweisen). Mit Rücksicht auf die Angaben der Anstaltsärztin D. in ihren beiden Schreiben vom 15. Oktober 1999 und 4. April 2001, dass in den Justizvollzugsanstalten des Landes Niedersachsen eine Prävalenz der Hepatitis C von 20 - 25 % bestehe (gegenüber 0,6 % in der Normalbevölkerung, vgl. Schönberger / Mehrtens / Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998, Randnummer 9.2, Seite 719), davon in 2/3 der Fälle ansteckend, lässt sich auch nicht ohne weiteres von der Hand weisen, dass im Falle der Beschwerdeführerin ein solches gesteigertes Risiko, bei ihrer Tätigkeit als Zahnarzthelferin an Hepatitis C zu erkranken, bestanden hat. Dem steht auch nicht ohne weiteres entgegen, dass die Beschwerdeführerin nach den Angaben ihrer Arbeitgeberin nur selten und lediglich bei unblutigen Eingriffen am Behandlungsstuhl assistiert haben soll; denn die möglichen Infektionswege beschränken sich nicht auf einen unmittelbaren, zum direkten Blutaustausch führenden Körperkontakt zu infizierten Personen (vgl. zu den Infektionswegen Mehrtens/ Perlebach, a.a.O., Rdnr. 11.1 unter Hinweis auf Verletzungen medizinischen Personals an virushaltigen Gegenständen). Um die Gefährdung der Beschwerdeführerin hinreichend genau abschätzen zu können, bedarf es vor diesem Hintergrund weiterer Ermittlungen darüber, mit welcher Häufigkeit die seinerzeitige Arbeitgeberin der Beschwerdeführerin Behandlungstage in der JVA durchgeführt hat, wie viele Patienten dabei behandelt worden sind, mit welcher Häufigkeit dabei welche Behandlungsmaßnahmen durchzuführen gewesen sind und in welcher Weise die Beschwerdeführerin an den Behandlungsmaßnahmen - etwa in Gestalt der Reinigung oder Verpackung benutzter Bestecke oder der Beseitigung blutigen Verbrauchsmaterials - beteiligt gewesen ist. Da die Beschwerdeführerin gegenüber ihren behandelnden Ärzten im Übrigen wiederholt anamnestisch darauf hingewiesen hat, sich zwei Mal mit benutzten Injektionsnadeln gestochen zu haben (vgl. etwa Befundbericht des Dr. E. ohne Datum, bei der Beschwerdegegnerin eingegangen am 23. September 1997), wird ggf. auch einer derartigen Entstehung ihrer Erkrankung an Hepatitis C noch weiter nachzugehen sein.
Die vor Klageerhebung von Prof. Dr. F. abgegebenen gutachtlichen Stellungnahmen vom 8. Mai 2000 und 31. Oktober 2000 reichen im Übrigen für eine negative Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs ebenfalls nicht aus. Mit ihnen ist Prof. Dr. F. von dem gegenteiligen Ergebnis seines zuvor unter dem 18. November 1998 erstatteten Gutachtens abgerückt, in dem er noch davon ausgegangen ist, dass die Infektion der Beschwerdeführerin mit Hepatitis C überwiegend wahrscheinlich auf ihre versicherte Tätigkeit als Zahnarzthelferin zurückzuführen sei. Für diesen Sinneswandel ist nach den ausdrücklichen Angaben des Sachverständigen maßgeblich gewesen, dass die Beschwerdeführerin - anders als ihr damaliger Ehemann - im Dezember 1996 noch einen negativen Antikörpertest aufgewiesen hat und eine konkrete (Stich-) Verletzung als Hinweis auf eine berufliche Verursachung nicht "dokumentiert" worden sei. Einerseits hängt damit die Überzeugungskraft der Stellungnahmen des Sachverständigen vom 8. Mai und 31. Oktober 2000 davon ab, ob und in welcher Weise die Beschwerdeführerin an gefährdenden zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen in der JVA G. beteiligt gewesen ist. Andererseits lässt die veränderte Beurteilung des Sachverständigen bis auf weiteres auch eine nähere Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob die im Dezember 1996 bei der Beschwerdeführerin und ihrem damaligen Ehemann ermittelten Testergebnisse auch unter Berücksichtigung der zwischen 15 und 150 Tagen variierenden Inkubationszeit (vgl. Schönberger / Mehrtens / Valentin, a.a.O., Seite 724 unter 9.2.2.3) sowie der bis zu 4 Monaten dauernden Serokonversion (vgl. Untersuchungsbefund Bl. 149 der Beiakten) den hinreichend zuverlässigen Schluss auf eine bestimmte Ansteckungsreihenfolge zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann zulassen. Soweit dabei davon ausgegangen wird, dass sich die Beschwerdeführerin bei ihrem Ehemann angesteckt habe, begegnet diese Annahme in Ermangelung einer näheren Begründung auch deshalb Bedenken, weil - anders als im Falle der Hepatitis B - ein sexueller Infektionsweg über das männliche Sperma bei der Hepatitis C nach allgemein zugänglichen, medizinischen Informationen (vgl. Mehrtens / Perlebach, a.a.O., Rdnr. 11.1) gerade fraglich erscheint.
Dieser Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.