Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 28.05.2003, Az.: L 6 B 11/03 U

Anspruch auf Gewährung ratenfreier Prozesskostenhilfe ( PKH ) hinsichtlich Erfolgsaussichten in der Klage; Schätzung der Lohnkosten der Eigenarbeiten bei Errichtung eines Eigenheims nach Abzug der Firmenleistungen für die Festsetzung des zu zahlenden Beitrags

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.05.2003
Aktenzeichen
L 6 B 11/03 U
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 20203
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0528.L6B11.03U.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 17.03.2003 - AZ: S 5 U 372/99

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. März 2003 wird aufgehoben. Den Klägern wird ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und ihnen Rechtsanwalt D. beigeordnet.

Gründe

1

I.

Die Kläger begehren Prozesskostenhilfe - PKH - für das Verfahren vor dem Sozialgericht - SG -, in dem sie die Aufhebung eines Beitragsbescheides der Beklagten erstreben.

2

Die Kläger sind Eheleute und haben zwei 1989 und 1990 geborene Kinder. Der Ehemann erzielt aus nicht selbstständiger Arbeit einen Bruttoverdienst von monatlich 934,30 EUR und bezieht Kinder- und Wohngeld; die Ehefrau hat keine Einnahmen (Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom 9. November 2002).

3

Im Jahr 1997 errichteten die Kläger ein Einfamilienhaus mit Garage. Baubeginn war Juni 1997, und bezogen wurde das Haus im November 1997. Im Meldebogen vom 24. September 1997 gaben die Kläger gegenüber der Beklagten an, dass bei den Gewerken Grundaushub, Dachdeckerarbeiten, Klempnerarbeiten, Gas-/Wasserinstallation, Elektroinstallation, Heizungsinstallation, Tischlerarbeiten, Maler-, Tapezierarbeiten, Pflasterarbeiten, Bodenlegearbeiten, Fliesenlegerarbeiten, Schlosserarbeiten und Erdarbeiten ...Eigenbauarbeiten mit privaten Helfern ausgeführt wurden und werden. Im beigefügten ...Eigenbaunachweis für die Zeit vom Baubeginn bis einschließlich Dezember 1997" teilten sie mit, dass ihnen E. (Schwager) bei allen Arbeiten geholfen habe. Mit Bescheid vom 24. April 1998 setzte die Beklagte ...auf Grund einer amtlichen Einschätzung gemäß § 165 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - SGB VII" den Gesamtbeitrag für das Bauvorhaben auf 3.255,00 DM fest. Im anschließenden Widerspruchsverfahren gaben die Kläger die Zahl der Arbeitsstunden des E. (für Dacharbeiten, Erdarbeiten, Trockenbau) mit 28,25 an (Eigenbaunachweis vom 11. Mai 1998).

4

Am 8. September 1998 suchte der technische Angestellte der Beklagten F. die Kläger in ihrem Einfamilienhaus auf. Auf Grund seines Berichts vom 11. September 1998 änderte die Beklagte ihren Beitragsbescheid mit Bescheid vom 23. Oktober 1998 und setzte den Beitrag auf 984,60 DM herab. Dabei schätzte sie die Lohnkosten der Eigenarbeiten nach Abzug der Firmenleistungen auf 86.000,00 DM und ging davon aus, dass diese zu 65 % von den Klägern und somit insgesamt 433 Arbeitsstunden von Hilfskräften geleistet worden seien (vgl. das Schreiben der Beklagten vom 1. Oktober 1998). Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 1999 (Absendevermerk: 5. Oktober 1999) zurück.

5

Dagegen richtet sich die am 4. November 1999 vor dem Sozialgericht - SG - Osnabrück erhobene Klage. Zur Begründung haben die Kläger im Wesentlichen geltend gemacht: Bei Einzug im Sommer 1997 seien die Arbeiten am Bauvorhaben nicht abgeschlossen und das Haus ...noch eine einzige Baustelle" gewesen. In der Zeit, bevor der Außendienstmitarbeiter der Beklagten erschienen sei (8. September 1998), hätten sie jede freie Minute im eigenen Haus gearbeitet. Demgemäß sei eine geschätzte Eigenleistung von 1236 Arbeitsstunden - bei wöchentlich 20 Arbeitsstunden - ihnen auch nicht unmöglich gewesen. Darüber hinaus seien nur 28,5 und nicht 433 Helferstunden angefallen.

6

Am 7. Dezember 2000 haben die Kläger PKH ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Rechtsanwalts G., Osnabrück, beantragt. Das SG hat diesen Antrag mit Beschluss vom 17. März 2003 abgelehnt: Nach summarischer Prüfung seien die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht zu beanstanden. Die Angabe von 28,25 Stunden für die Mithilfe des Schwagers entbehre jeglicher Überzeugungskraft und Nachvollziehbarkeit.

7

Gegen diesen ihnen am 24. März 2003 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 24. März 2003 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung haben sie im Einzelnen die Leistungen der am Bauvorhaben beteiligten gewerblichen Unternehmer aufgeführt und geltend gemacht, dass sie jede freie Minute am Bauvorhaben gearbeitet hätten. Ihre Darstellung könne nicht einfach als absurd abgetan werden.

8

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

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II.

Die fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§ 73a Sozialgerichtsgesetz - SGG - i.V.m. § 127 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Sie ist auch begründet. Denn die wirtschaftlichen Voraussetzungen der ratenfreien PKH sind, wie sich aus der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kläger ergibt, erfüllt, und die Rechtsverfolgung bietet auch eine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO). Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, sofern ein Erfolg oder Teilerfolg als durchaus möglich erscheint. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn nach der gebotenen summarischen Prüfung weitere Ermittlungen von Amts wegen geboten sind, die den geltend gemachten Anspruch möglicherweise stützen. So liegt es hier.

10

Entscheidungserheblich ist allein, ob die Beklagte bei der Festsetzung des Beitrags gegenüber den Klägern die Anzahl der Helferstunden mit 433 zu hoch angesetzt hat. Sie kann den Arbeitsumfang insoweit zwar nach § 165 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - SGB - VII schätzen, wenn die Unternehmer die erforderlichen Nachweise - hier: die von arbeitnehmerähnlichen Helfern geleisteten Arbeitsstunden - nicht, nicht rechtzeitig, falsch oder unvollständig machen. Der Senat hat nicht abschließend festzustellen, ob unter Berücksichtigung der Angaben der Kläger die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorliegen. Denn grundsätzlich haben die tatsächlichen Verhältnisse Vorrang vor der Schätzung, wenn diese sich im Nachhinein als unrichtig erweist (vgl. Freischmidt in: Hauck, SGB VII, Kommentar, K § 165 Rdn 7). Eine solche Klärung der tatsächlichen Verhältnisse ist im vorliegenden Fall durch die nahe liegende Vernehmung des Herrn E. möglich. Denn dieser ist von den Klägern durchgängig als einziger Helfer benannt worden und kann zum zeitlichen Umfang seiner Mithilfe am Bauvorhaben der Kläger befragt werden. Auch können die Kläger, deren Glaubwürdigkeit die Beklagte bestreitet (vgl. insbesondere ihr Schreiben vom 18. Januar 1999, Beitragsakten Bl. 71) vom Gericht angehört werden (§ 106 Abs. 3 Nr. 7 SGG).

11

In diesem Zusammenhang ist wegen der nicht übereinstimmenden Angaben der Kläger zur Mithilfe des Herrn H. im Formular vom 24. September 1997 (... ... bei allen Arbeiten geholfen") und vom 11. Mai 1998 (28,25 Helferstunden) darauf aufmerksam zu machen, dass das Gericht die Bewilligung der PKH aufheben kann, wenn die Beteiligten entscheidungserhebliche Angaben unrichtig gemacht haben (§ 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 124 Nr. 1 ZPO).

12

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).