Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 06.05.2003, Az.: L 6 U 228/02

Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente wegen einer als Berufskrankheit anerkannten Hepatitis-C-Erkrankung ; Erwerbsminderung wegen Einschränkung der Leistungsfähigkeit auf weniger als drei Stunden Erwerbstätigkeit täglich und mindestens 20 von Hundert; Beweis der Gesundheitsstörung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ; Berücksichtigung eines Erschöpfungszustands bei der Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.05.2003
Aktenzeichen
L 6 U 228/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 21006
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0506.L6U228.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - 24.04.2002 - AZ: S 7 U 208/01

Redaktioneller Leitsatz

Eine Verletztenrente wird nur gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge der Berufskrankheit um wenigstens 1/5 oder die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Berufskrankheiten jeweils um mindestens 10 von Hundert gemindert ist und die Summe der durch die einzelnen Berufskrankheiten verursachte Minderungen der Erwerbsfähigkeit (MdE) wenigstens 20 von Hundert beträgt.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. April 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von Verletztenrente. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine "Leistungsschwäche" Folge einer Hepatitis-C-Erkrankung ist, die 1995 auftrat und von der Beklagten als Berufskrankheit (BK) anerkannt worden ist (Bescheid vom 26. März 1996).

2

Nachdem sich im Jahr 1995 die Leberwerte zunächst besserten, stiegen sie gegen Ende des Jahres wieder an, sodass stationär eine Interferontherapie eingeleitet wurde (Krankenberichte vom 26. September 1995, 28. Februar und 2. Mai 1996). Wegen von der Klägerin angegebener und seit der Erkrankung bestehender "Müdigkeit" und "Schwäche" (Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. vom 2. Juni 1998, internistisches Gutachten des Prof. Dr. D. vom 23. Juni 1998) wurde auf Anregung des die Beklagte beratenden Arztes Prof. Dr. E. (Stellungnahme vom 27. Juli 1998) ein Heilverfahren in der Klinik F., in den Monaten Oktober und November 1998 durchgeführt. Daraus wurde die Klägerin als arbeitsfähig für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Arzthelferin entlassen. Die Ärzte diagnostizierten eine abgeheilte Hepatitis-C-Erkrankung nach Interferon-Alpha-Therapie mit inaktiver Leberfibrose ohne Funktionseinschränkungen und empfahlen eine stufenweise Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess (ärztlicher Entlassungsbericht vom 21. Dezember 1998, internistisches Gutachten vom 4. Januar 1999), die ab dem 1. Oktober 1999 erfolgte und noch im selben Monat wegen unklarer Gewichtsabnahme und erheblicher gastrointestinaler Beschwerden abgebrochen werden musste (Befundbericht des Arztes für Innere Medizin G. vom 2. November 1999). Während des anschließenden stationären Aufenthalts in der Medizinischen Klinik des H. wurden eine Laktoseintoleranz und eine Gastritis festgestellt (Krankenbericht vom 28. Oktober 1999). Zur Klärung der Folgen der als BK anerkannten Hepatitis-C-Erkrankung ließ die Beklagte die Klägerin internistisch und nervenärztlich untersuchen.

3

Dr. Dr. I. verneinte im Gutachten vom 2. Mai 2000 eine Störung des zentralen und peripheren Nervensystems. Insbesondere liege keine psychische Erkrankung vor. Auch ein chronischer Erschöpfungszustand könne "definitiv ausgeschlossen werden". Die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei wegen der Folgen der Hepatitis-C-Erkrankung nervenärztlicherseits nicht gemindert (vgl. auch das klinisch-psychologische Zusatzgutachten des Dipl.-Psych. J. vom 15. Mai 2000). Im internistischen Gutachten vom 22. Mai 2000 führte Dr. K. aus, dass eine Viruslast infolge der Hepatitis nicht mehr nachgewiesen werden könne. Die von der Klägerin angegebene erhebliche Minderung der körperlichen Leistungsfähigkeit stehe in Diskrepanz zum klinischen Verlauf der Hepatitis. Als Folge der Hepatitis liege allenfalls eine Anpassungsstörung vor, die die Erwerbsfähigkeit der Klägerin um 10 vom Hundert (v.H.) mindere. Die auf die Folgen der BK zurückzuführende Arbeitsunfähigkeit ende nach Durchführung der medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in L. mit dem Arbeitsversuch im September 1999. Daraufhin lehnte die Beklagte die Zahlung von Verletztenrente ab (Bescheid vom 2. August 2000) und stellte die Zahlung von Verletztengeld ein (Bescheid vom 17. August 2000). Die Widersprüche wurden nach Einholung der beratungsärztlichen Stellungnahme des Prof. Dr. E. vom 19. Dezember 2000 zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 12. Juni 2001).

4

Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat die am 12. Juli 2001 erhobene Klage durch Urteil vom 24. April 2002 abgewiesen.

5

Mit der am 10. Mai 2002 eingelegten Berufung hält die Klägerin unter Hinweis auf die - vor dem SG vorgelegte - Stellungnahme des Arztes für Innere Medizin G. vom 7. November 2001 an ihrer Auffassung fest, infolge der anerkannten BK an einer "starken allgemeinen Schwäche" zu leiden, die ihre Erwerbsfähigkeit dauerhaft mindere.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des SG Oldenburg vom 24. April 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 2. August 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juni 2001 zu ändern,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihr Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.

7

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 24. April 2002 zurückzuweisen.

8

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

9

Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung des Berichterstatters vom 11. März 2003 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

10

Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

11

II.

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 SGG).

12

Das SG hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente. Denn ihre Erwerbsfähigkeit ist infolge der anerkannten BK nicht in einem rentenberechtigenden Grad, d.h. um mindestens 20 v.H., gemindert (§ 56 Sozialgesetzbuch - SGB - VII).

13

Aus dem Vorbringen der Klägerin im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geht die Ansicht der Klägerin hervor, dass sie infolge der anerkannten BK einer Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen könne. Aus diesem Vortrag ergibt sich auch das Begehren der Klägerin, Verletzten(dauer)rente zu erhalten. Dahin hat der Senat den Prozessantrag der Klägerin im Berufungsverfahren ausgelegt (vgl. die Verfügung des Berichterstatters vom 11. März 2003). Dieser Antrag ist jedoch nicht begründet. Denn die Erwerbsfähigkeit der Klägerin ist infolge der anerkannten BK nicht um mindestens 20 v.H. gemindert.

14

Die von der Beklagten als Folge der BK anerkannte Anpassungsstörung des Körpers nach durchgeführter Interferon-Therapie in Form einer allgemeinen Schwäche mindert die Erwerbsfähigkeit der Klägerin ausweislich des internistischen Gutachtens vom 22. Mai 2000 nicht in rentenberechtigendem Grad um mindestens 20 v.H.. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann darüber hinaus der vorgetragene Erschöpfungszustand bei der Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht berücksichtigt werden. Denn eine solche Gesundheitsstörung hat Dr. Dr. I. im nervenärztlichen Gutachten vom 2. Mai 2000 (vgl. insbesondere S. 10 f.) ausgeschlossen. Die Gesundheitsstörung als solche muss jedoch voll, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein. Lediglich für ihre Zuordnung zu einem Versicherungsfall genügt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit (vgl. Bereiter-Hahn/ Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar, § 8 Anm. 10). Schon deshalb hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente.

15

Doch selbst wenn von der Gesundheitsstörung eines "Erschöpfungszustandes" ausgegangen würde, wäre kein für die Klägerin günstiges Ergebnis die Folge. Denn es fehlt ein medizinischer Anknüpfungsbefund, um einen "Erschöpfungszustand" der anerkannten BK mit Wahrscheinlichkeit zuordnen zu können: Der Leberbefund ist nach durchgemachter Hepatitis-C-Erkrankung wieder regelrecht (internistisches Gutachten des Dr. K. vom 22. Mai 2000), und die Ursachen des von der Klägerin beschriebenen Beschwerdekomplexes sind ungeklärt (Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. C. vom 2. Juni 1998, S. 5). Zwar wird nach den Ausführungen des Dr. C. in der medizinischen Literatur eine Assoziation zu ernsten internistischen Grunderkrankungen beschrieben. Ob darunter auch die im Jahr 1996 abgeklungene Hepatitis-C-Erkrankung gefasst werden kann, ist den Ausführungen im Gutachten vom 2. Juni 1998 nicht zu entnehmen. Jedenfalls ist ein ursächlicher wesentlicher Zusammenhang des noch Jahre nach dem Ende der Behandlung vorgetragenen "Erschöpfungszustandes" mit der Hepatitis nicht wahrscheinlich. Denn Prof. Dr. E. hat in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 19. Dezember 2000 (S. 4) darauf hingewiesen, dass Nebenwirkungen der Therapie einer Hepatitis-C-Erkrankung nach klinischer Erfahrung abklingen und nicht eigengesetzlich fortwirken. Auch aus dem internistischen Gutachten des Dr. K. vom 22. Mai 2000 ergibt sich, dass die von der Klägerin hervorgehobenen Beschwerden nicht mit der durchgemachten Hepatitis-C-Erkrankung erklärt werden können. Darauf geht der Arzt für Innere Medizin G. in der von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme vom 7. November 2001 nicht ein. Auch die Bewertungen des Dr. C. im Gutachten vom 2. Juni 1998 und des Prof. Dr. D. im Gutachten vom 23. Juni 1998 geben keine nachvollziehbare Begründung und überzeugen deshalb nicht.

16

Weil der Gesundheitszustand der Klägerin wahrscheinlich nicht (mehr) wesentlich infolge der anerkannten BK beeinträchtigt ist, hat die Beklagte im Übrigen auch die Zahlung von Verletztengeld zu Recht eingestellt. Der Abbruch der Belastungserprobung im Jahr 1999 und eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit beruhen seitdem nicht (mehr) auf Folgen der anerkannten BK (beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. E. vom 19. Dezember 2000, internistisches Gutachten des Dr. K. vom 22. Mai 2000), sondern sind von ihr unabhängig (Laktoseintoleranz, Helicobacter positive Gastritis - vgl. den Krankenbericht vom 28. Oktober 1999).

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

18

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.