Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 12.05.2003, Az.: L 1 RA 195/02
Anspruch auf Rente wegen verminderter Leistungsfähigkeit; Voraussetzungen einer Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn ; Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit bei Altenpflegern
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 12.05.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 195/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21027
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0512.L1RA195.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Braunschweig - 31.07.2002 - AZ: S 7 RA 53/01
Rechtsgrundlagen
- § 155 SGG
- § 124 Abs. 2 SGG
- § 143 SGG
- § 43 SGB VI
- § 44 SGB VI
- § 240 SGB VI
Redaktioneller Leitsatz
Die Voraussetzungen einer Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn sind andere als diejenigen der Erwerbsunfähigkeit und der Berufsunfähigkeit im rentenversicherungsrechtlichen Sinn. Einer der maßgebenden Unterschiede ist dabei, dass sich die Arbeitsunfähigkeit auf den engen Kreis der vom Versicherten zuletzt ausgeübten konkreten Tätigkeiten bezieht, während die Berufsunfähigkeit auch Verweisungstätigkeiten und die Erwerbsunfähigkeit noch weiter gehend Tätigkeiten auf dem gesamten Arbeitsmarkt umfasst.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Die im Jahre 1949 geborene Klägerin hat keinen förmlichen Beruf erlernt und zunächst - unterbrochen durch Zeiten als Hausfrau und der Erziehung dreier Kinder - bis Ende der siebziger Jahre als Arbeiterin, Näherin, Ladenhilfe und Raumpflegerin gearbeitet. Später absolvierte sie einen vierwöchigen Lehrgang zur Schwesternhelferin sowie einen 20-tägigen Ergänzungslehrgang für die Altenpflege und arbeitete sodann als Altenpflegehelferin, zuletzt seit 1990 in einem Altenpflegeheim in Ganztagsarbeit bei Wechselschicht. Nach der Arbeitgeberauskunft handelte es sich um normale ungelernte Arbeiten mit einer Bezahlung nach Tarif KR 2.
Im Herbst 1998 wurde bei der Klägerin eine Bandscheiben-Vorwölbung (Protusion, nicht: Bandscheibenvorfall = Prolaps) bei L5/S1 festgestellt. Im März 1999 erfolgte eine Carpaltunnel-Operation rechtsseitig. Seit November 1999 ist die Klägerin arbeitsunfähig krank, durchlief eine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation, bezog im Anschluss Krankengeld sowie schließlich Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA). - Bei der Klägerin ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 festgestellt.
Im Dezember 1999 stellte die Klägerin den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU) und begründete ihn mit einem Bandscheibenschaden und Schmerzen der Wirbelsäule. Die Beklagte holte eine Arbeitgeberauskunft sowie einen Befundbericht des Arztes D. vom 2. Mai 2000 ein, zog das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vom 24. Januar 2000 sowie den Reha-Entlassungsbericht vom 7. Dezember 1999 bei und veranlasste das Gutachten des Chefarztes der Chirurgischen Klinik des E.-Krankenhauses in F., Prof. Dr. G., vom 10. August 2000. Nach dem MDK-Gutachten bestand bei der Klägerin Arbeitsunfähigkeit. Nach den sozialmedizinischen Beurteilungen im Reha-Entlassungsbericht sowie im Gutachten des Prof. Dr. G. verfügte die Klägerin über eine vollschichtige Leistungsfähigkeit für leichte Arbeiten in Wechselhaltung, ohne Heben und Tragen über 10-15kg, ohne Zwangshaltungen, ohne belastendes Bücken und ohne kniende Tätigkeiten sowie unter Witterungsschutz. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2001 ab und führte zur Begründung u.a. aus, dass Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinne nicht gleich bedeutend mit EU/BU im rentenversicherungsrechtlichen Sinne sei.
Mit ihrer hiergegen am 7. März 2001 vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, auf Grund ihrer Erkrankungen weder ihren Haushalt allein führen noch einer regelhaften Erwerbstätigkeit mehr nachgehen zu können. Das SG hat eine weitere Arbeitgeberauskunft sowie einen weiteren Befundbericht des behandelnden Arztes D. vom 7. Mai 2001 eingeholt und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31. Juli 2002 mit der Begründung abgewiesen, dass zwar Zweifel bestehen, ob die Klägerin mit ihrem festgestellten gesundheitlichen Leistungsvermögen noch als Altenpflegehelferin arbeiten könne. Jedenfalls aber sei sie als Angelernte im unteren Bereich auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt mit näher bezeichneten Tätigkeiten verweisbar.
Gegen den am 16. August 2002 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 13. September 2002 eingelegte Berufung, mit der die Klägerin geltend macht, dass das SG ihre gesundheitliche Situation zu günstig beurteilt und namentlich die Feststellungen im MDK-Gutachten sowie die Mitteilungen ihres behandelnden Arztes vernachlässigt habe. Zudem leide sie auch unter Depressionen. Deshalb sei ein weiterer Befundbericht sowie im Anschluss daran gegebenenfalls ein weiteres Gutachten einzuholen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 31. Juli 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 7. April 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2001 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, höchst hilfsweise wegen voller/teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf den Gerichtsbescheid des SG.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren Befundberichte von dem Facharzt für Orthopädie Dr. H. vom 7. November 2002 sowie - abermals - von dem Arzt D. vom 29. Dezember 2002 eingeholt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gem. § 155 Abs. 4, 3, 1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor hiermit einverstanden erklärt haben.
Die gem. §§ 143f. SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.
Weder der Gerichtsbescheid des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Leistungsfähigkeit, und zwar weder auf Rente wegen EU/BU nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden (§§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - a.F.) noch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht (§§ 43, 240 SGB VI n.F.).
Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, richtig angewendet, sachgerechte Ermittlungen angestellt, die erhobenen Beweise zutreffend gewürdigt und ist nach alledem zu dem richtigen Ergebnis gekommen, dass die Klägerin weder berufs- noch erwerbsunfähig ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Beurteilung der Sach- und Rechtslage an. Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt der Senat gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides. Im Berufungsverfahren hat sich gegenüber den Feststellungen des SG nichts Abweichendes ergeben.
Zusammenfassend und ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
Zutreffend hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen einer Arbeitsunfähigkeit im krankenversicherungsrechtlichen Sinn andere sind als diejenigen der EU/BU im rentenversicherungsrechtlichen Sinn. Einer der maßgebenden Unterschiede ist dabei, dass sich die Arbeitsunfähigkeit auf den (engen) Kreis der vom Versicherten zuletzt ausgeübten konkreten Tätigkeiten bezieht, während die BU auch Verweisungstätigkeiten und die EU noch weiter gehend Tätigkeiten auf dem gesamten Arbeitsmarkt umfasst (vgl. nur: Kasseler-Kommentar-Niesel, § 43 SGB VI, Rn. 21; BSG, Urteil vom 23.03.1977, 4 RJ 49/76, SozR 2200, § 1247 RVO Nr. 16). Zwar hat das MDK-Gutachten die Klägerin in Bezug auf ihre letzte Tätigkeit als Altenpflegehelferin für arbeitsunfähig gehalten. Im Übrigen hat es aber "leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter Vermeidung von Arbeiten in überwiegend bückender Haltung, und unter Vermeidung von Zwangshaltungen sowie ohne schweres Heben und Tragen" ohne zeitliche Einschränkung für verrichtbar angesehen. Es hat damit in Bezug auf den allgemeinen Arbeitsmarkt die im Wesentlichen selben Tätigkeiten für möglich gehalten wie auch der Reha-Entlassungsbericht und das Gutachten des Prof. Dr. G ... Das SG hat daher zutreffend festgestellt, dass die Klägerin zwar u.U. in ihrer letzten Tätigkeit der Altenpflegehelferin nicht mehr wird arbeiten können, jedoch in diesem Beruf mit einer nur ca. 1 1/2 Monate umfassenden Ausbildung allenfalls als Angelernte im unteren Bereich angesehen werden kann, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar ist und dort Arbeiten verrichten kann, die mit dem bei ihr festgestellten gesundheitlichen Leistungsvermögen vollschichtig geleistet werden können.
Im Vergleich zu diesen übereinstimmenden Feststellungen zum (rentenrechtlichen) Leistungsvermögen der Klägerin im MDK-Gutachten, dem Reha-Entlassungsbericht und dem Gutachten des Prof. Dr. G. haben sich aus den Befundberichten der behandelnden Ärzte D. und Dr. H. keine neuen Erkenntnisse ergeben, sodass sich der Senat - ebenso wenig wie das SG - nicht zu weiterer Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens gedrängt sieht (vgl. zur Rechtsprechung des BSG: Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, § 103 Rn. 5, 20). Zu dem im Vordergrund stehenden LWS-Bereich wird ein schmerzhaftes Lumbalsyndrom bei Bewegungseinschränkung mitgeteilt. Allerdings bleibe das Syndrom ohne neurologische Beteiligung. Der Beeinträchtigung kann daher vor allem durch die Beschränkung auf leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung und unter Witterungsausschluss Rechnung getragen, wie sie in den vorliegenden sozialmedizinischen Beurteilungen auch einheitlich gefordert werden. Die CTS-Beschwerden seien durch die im Jahre 1999 erfolgte operative Versorgung erfolgreich gebessert worden, machen also keine weiter gehende Einschränkung erforderlich. Und die im letzten Befundbericht des Arztes D. mitgeteilten klimakterischen Beschwerden sind als vorübergehende Erscheinungen nicht ausreichend, um eine Rentenberechtigung herbeizuführen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann die Klägerin weiterhin vollschichtig auf dem all-gemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein und daher weder Rente wegen BU noch wegen EU beanspruchen.
War die Klägerin nicht berufs- oder erwerbsunfähig nach §§ 43, 44 SGB VI a.F., so war sie erst recht nicht erwerbsgemindert im Sinne von §§ 43, 240 SGB VI in der ab dem 1. Januar 2001 geltenden Fassung, weil insbesondere eine zeitliche Leistungsbegrenzung nicht feststellbar ist.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund gem. § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.