Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 22.05.2003, Az.: L 1 RA 75/03
Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Abweisung einer Klage aus prozessualen Gründen; Nichtvorlage einer Prozessvollmacht im gerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht; Nachträgliche Vorlage spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. bis zum Erlass des angekündigten Gerichtsbescheides; Keine Heilung des Fehlens der Vollmacht durch die Vollmachtvorlage im Berufungsverfahren; Fehlende Aufforderung zur Vorlage der Prozessvollmacht zur Fristsetzung durch das erstinstanzliche Gericht
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 22.05.2003
- Aktenzeichen
- L 1 RA 75/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21126
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0522.L1RA75.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - AZ: S 6 RA 42/02
Rechtsgrundlage
- § 73 Abs. 2 SGG
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der im Jahre 1948 geborene Kläger war nach eigenen Angaben zuletzt als Außendienstmitarbeiter auf der Insel I. tätig und erlitt anlässlich eines Kundenbesuches am 27. März 2000 mit seinem Fahrrad einen Unfall, bei dem er stürzte. Seit November 2000 ist er arbeitslos und bezieht Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA).
Im November 2000 stellte der Prozessbevollmächtigte (PB) des Klägers bei der Beklagten für den Kläger einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und erklärte, dass dem formlosen Antrag eine Vollmacht im Original beigefügt sei. Eine Vollmacht war dem Antrag jedoch nach der Verwaltungsakte der Beklagten nicht beigefügt. Die dem PB übersandten Antragsformulare sandte er nicht zurück. Nachdem auch auf Erinnerung keine weiteren Erklärungen gefolgt waren, lehnte die Beklagte den geltend gemachten Rentenanspruch mit Bescheid vom 22. Februar 2001 mit der Begründung ab, dass der Kläger seiner Mitwirkungspflicht gem. §§ 60ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB) I nicht nachgekommen sei.
Mit dem Widerspruch, dem erneut keine Vollmacht beigefügt war, reichte der PB die Antragsformulare - vom Kläger persönlich unterschrieben - ein und verwies zur Begründung des Rentenantrages auf die Unfallfolgen des Fahrrad-Sturzes, die in Form von Schmerzen der Wirbelsäule mit Ausstrahlungsbeschwerden bestünden. Eine Arbeitsunfähigkeit sei nicht bescheinigt worden, um den Arbeitsplatz des Klägers nicht zu gefährden. Die Beklagte zog medizinische Befundunterlagen bei und ließ den Kläger untersuchen und begutachten von dem Facharzt für Orthopädie Dr. J., der den Kläger in seinem Gutachten vom 25. Juni 2001 weiterhin für vollschichtig leistungsfähig als Außendienst-mitarbeiter sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung hielt. Sodann lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 17. Juli 2001 mit der Begründung ab, dass der Kläger in seinem bisherigen Beruf weiterhin vollschichtig leistungsfähig sei.
Den hiergegen vom PB - wiederum ohne Vorlage einer Vollmacht - erhobenen Widerspruch begründete er nicht. Mit dem Widerspruchsbescheid vom 6. März 2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Gegen den laut Aktenvermerk noch am 6. März 2002 mittels Einschreiben zur Post gegebenen Widerspruchsbescheid hat der PB am 15. April 2002 vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben und diese damit begründet, dass der Kläger seit dem erlittenen Unfall dauernd unter Lumboischialgien und Wirbelsäulenbeschwerden leide, weshalb er keiner regelmäßigen Tätigkeit mehr nachgehen könne. Eine Prozessvollmacht hat der Prozessbevollmächtigte nicht vorgelegt, und zwar auch dann nicht, nachdem er mit Verfügungen des SG vom 2. Dezember 2002 und 24. Januar 2003 jeweils unter Fristsetzung (bis zum 31. Dezember 2002 bzw. 26. Februar 2003) dazu aufgefordert worden war. Das SG hat die Klage - nach vorheriger Anhörung der Beteiligten - mit Gerichtsbescheid vom 4. März 2003 als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klage wegen fehlender Prozessvollmacht nicht wirksam erhoben worden sei.
Gegen den am 11. März 2003 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 9. April 2003 durch den PB eingelegte Berufung, die er in sachlicher Hinsicht damit begründet, dass der Kläger unter einem CT-belegten Bandscheibenvorfall leide und deshalb keiner Erwerbstätigkeit mehr nachgehen könne. Dabei legt der PB eine Vollmacht vom 4. April 2003 vor.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 4. März 2003 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. März 2002 aufzuheben, 2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren dem PB des Klägers einen rechtlichen Hinweis zu den Rechtsfolgen einer im erstinstanzlichen Sozialgerichtsverfahren fehlenden Vollmacht erteilt und einschlägige Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) und des Landessozialgerichts Niedersachsen (LSG) zum Verbleib beigefügt. Der Prozessbevollmächtigte betreibt die Berufung weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gem. §§ 143f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet. Der Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden, denn das SG hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.
Zwar ist prozessual unschädlich, dass der PB bereits im Widerspruchsverfahren keine Vollmacht vorlegen konnte, denn diese ist nur auf Verlangen der Behörde vorzulegen, § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X. Und ein solches Verlangen ist weder aus der Verwaltungsakte ersichtlich noch hat es die Beklagte vorgetragen.
Prozessual schädlich ist jedoch, dass der PB auch im gerichtlichen Verfahren vor dem SG eine Prozessvollmacht nicht vorgelegt hat. Denn zwar sind die Prozesshandlungen des voll machtlosen Vertreters je Gerichtsinstanz (also vorliegend vor dem SG) bis zur nachträglichen Vorlage der Vollmacht schwebend unwirksam. Jedoch hat die nachträgliche Vorlage spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. bis zum Er-lass des angekündigten Gerichtsbescheides zu erfolgen, vgl. § 73 Abs. 2 SGG. Wird bis zu diesem Zeitpunkt die Prozessvollmacht nicht nachträglich vorgelegt, werden aus den zunächst schwebend unwirksamen dann (endgültig) unwirksame Prozesshandlungen (allgemeine Ansicht; vgl. nur: Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Aufl. 1998, § 73, Rn. 18). Auch die Klagerhebung ist eine Prozesshandlung. Daher war auch sie im vorliegenden Fall durch die fehlende (nachträgliche) Vorlage einer Vollmacht unwirksam (geworden) und die Klage daher vom SG zu Recht aus prozessualen Gründen abgewiesen worden.
Schließlich ist auch eine Heilung des Fehlens der Vollmacht durch die Vollmachtvorlage im Berufungsverfahren nicht eingetreten. Denn nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat nach eigener Überzeugung anschließt, kommt eine solche Heilung allenfalls dann in Betracht, wenn eine (auch) für das erstinstanzliche Verfahren geltende Prozessvollmacht erst in zweiter Instanz vorgelegt wird und das erstinstanzliche Gericht es unterlassen hatte, unter Fristsetzung zur Vorlage der Prozessvollmacht aufzufordern. Hatte das erstinstanzliche Gericht hingegen zur Vorlage unter Fristsetzung aufgefordert, dann muss sich der Beteiligte bei gleichwohl unterbliebener Vollmachtvorlage ihr Fehlen entgegenhalten lassen; die Klage war dann unzulässig (BSG, Urteil vom 23.01.1986, 11 a RA 34/85, Breithaupt 1986, S. 819; ebenso: Meyer-Ladewig, a.a.O., § 73, Rn. 18a; eine Heilung durch Vollmachtvorlage in zweiter Instanz gänzlich ablehnend: Zeihe, Kommentar zum SGG, § 73, Anm. 14 b cc)). Vorliegend hatte das SG gleich mehrfach zur Vorlage der Vollmacht unter Fristsetzung aufgefordert, nämlich mit den Verfügungen vom 2. Dezember 2002 und 24. Januar 2003 (jeweils unter Fristsetzung (bis zum 31. Dezember 2002 bzw. 26. Februar 2003). Daneben hatte es zusätzlich mit Verfügung vom 24. Januar 2003 ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Klage wegen fehlender Prozessvollmacht hingewiesen.
Ob es sich bei der in zweiter Instanz vorgelegten "Vollmacht" überhaupt um eine Prozessvollmacht für die 1. Instanz handelt, war daher nicht weiter zu prüfen. Gegen eine rückwirkende Geltung derselben spricht jedenfalls, dass die Vollmacht vom Kläger am 4. April 2003 unterzeichnet war, also erst nach dem Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens (vgl. hierzu nochmals BSG, a.a.O.).
Ebenso kann dahinstehen, ob die Klagerhebung - wäre sie zulässig gewesen - überhaupt fristgerecht erfolgt wäre (Absendung des Widerspruchsbescheides am 9. März 2002, Klageingang erst am 15. April 2002).
Nach alledem war der Berufung der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund gem. § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.