Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.05.2003, Az.: L 10 LW 17/02

Befreiung von der Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung; Erfüllung der Wartezeit für eine Altersrente; Anrechnung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung; Ablehnung des Antrag auf Befreiung bei Erfüllbarkeit der Wartezeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
21.05.2003
Aktenzeichen
L 10 LW 17/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21116
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0521.L10LW17.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 17.01.2002 - AZ: S 1 LW 9/01

Redaktioneller Leitsatz

Ist es dem Antragsteller in der Zeit seiner Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung möglich, die Wartezeit zu erfüllen, ist es nicht erforderlich, dass Beitragsmonate zur Alterssicherung der Landwirte zurückgelegt werden, vielmehr genügt auch insoweit das Vorliegen von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Für eine Befreiung von der Versicherungspflicht ist allein entscheidend, ob der Betreffende das Wartezeiterfordernis bis zum Eintritt seines 65. Lebensjahres noch erfüllen kann.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 17. Januar 2002 geändert und wie folgt neugefasst: Die Klage wird insgesamt abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Beteiligten haben auch im Berufungsverfahren einander Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darum, ob die am 18. Mai 1950 geborene Klägerin gemäß § 3 Abs. 3 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) für die Zeit von Januar 1995 bis September 1997 von der Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung zu befreien ist.

2

Mit Bescheid vom 24. Februar 2000 stellte die Beklagte die Versicherungs- und Beitragspflicht der Klägerin als Ehefrau eines Landwirts gemäß § 1 Abs. 3 ALG für die Zeit von Januar 1995 bis September 1997 fest. Mit weiterem Schreiben vom 5. April 2000 ließ die Beklagte ihre Beitragsforderung für das Jahr 1995 wegen Verjährung fallen. Den im März bzw. April 2000 gestellten Antrag der Klägerin auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 3 ALG wies die Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2000 zurück, weil die Klägerin bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres die Wartezeit für eine Altersrente im Sinne § 11 ALG noch erfüllen könne. Die Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 24. Februar und 9. Mai 2000 blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2000).

3

Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die Klägerin weiter geltend gemacht, in der Zeit von Januar 1995 bis September 1997 nicht als Ehefrau eines Landwirts versicherungspflichtig gewesen zu sein. Jedenfalls müsse sie auf ihren Antrag gemäß § 3 Abs. 3 ALG von der Versicherungspflicht befreit werden, da sie angesichts der Verpachtung des landwirtschaftlichen Betriebes für die Zeit von Oktober 1997 bis September 2009 die Wartezeit für eine Altersrente nach § 11 ALG nicht mehr erfüllen könne. Die Klägerin hat während des Klageverfahrens einen Versicherungsverlauf der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) vom 28. November 2001 zu den Akten gereicht, worin für sie in der Zeit von April 1966 bis Februar 1978 131 Pflichtbeiträge festgestellt sind. Das SG hat sodann mit Urteil vom 17. Januar 2002 die gegen den Bescheid vom 24. Februar 2000 gerichtete Klage abgewiesen, weil die Klägerin auch als Ehefrau eines seinerseits von der Versicherungspflicht befreiten Landwirts gemäß § 1 Abs. 3 ALG versicherungspflichtig sei, und der Klage im Übrigen stattgegeben. Insoweit hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2000 aufgehoben und festgestellt, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 3 ALG ab 1. Januar 1995 vorliegen. In den Entscheidungsgründen hat es hierzu ausgeführt, dass es nicht wahrscheinlich sei, dass die Klägerin die für die Erfüllung der Wartezeit erforderlichen Beiträge noch erbringen könne.

4

Die Beklagte hat gegen das ihr am 7. Mai 2002 zugestellte Urteil am 8. Mai 2002 Berufung eingelegt. Sie hält ihren Bescheid vom 9. Mai 2000 für rechtmäßig, weil die Klägerin bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres die Wartezeit für eine Altersrente gemäß § 11 ALG objektiv noch erfüllen könne.

5

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Hildesheim vom 17. Januar 2002 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

6

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 17. Januar 2002 zurückzuweisen.

7

Sie hält das Urteil des SG Hildesheim vom 17. Januar 2002, soweit es mit der Berufung angefochten worden ist, für zutreffend.

8

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugestimmt.

9

Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

10

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und insgesamt zulässig. Sie ist auch begründet und führt zur Änderung des angefochtenen Urteils und vollständigen Abweisung der Klage.

11

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die Frage, ob die Klägerin gemäß § 3 Abs. 3 ALG für die Zeit ab Januar 1995 von der Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung zu befreien ist. Hinsichtlich der gegen die mit Bescheid vom 24. Februar 2000 festgestellte Versicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 3 ALG in der Zeit von Januar 1995 bis September 1997 gerichteten Klage ist das abweisende Urteil des SG mangels Anfechtung rechtskräftig geworden.

12

Der Bescheid der Beklagten vom 9. Mai 2000 ist nicht rechtswidrig. Der Klägerin steht nach Auffassung des erkennenden Senats für die Zeit ab Januar 1995 kein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 3 ALG zu. Nach dieser Vorschrift wird von der Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung befreit, wer die Wartezeit für eine Altersrente vom 65. Lebensjahr an bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr erfüllen kann. Das ist bei der Klägerin in Bezug auf ihre Versicherungspflicht im Zeitraum von Januar 1995 bis September 1997 nicht der Fall. Die Wartezeit für eine Altersrente vom 65. Lebensjahr an beträgt gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 ALG 180 Monate. Auf die Wartezeit werden gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ALG neben Beitragszeiten zur landwirtschaftlichen Alterssicherung auch gezahlte Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung angerechnet. Damit lagen bei Beginn der Versicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 3 ALG am 1. Januar 1995 bereits auf die Wartezeit anrechenbare Beitragszeiten im Umfang von 131 Monaten vor, nämlich die im Versicherungsverlauf der BfA vom 28. November 2001 ausgewiesenen Pflichtbeiträge. Ob daneben zusätzlich zu berücksichtigende Kindererziehungszeiten im Sinne von § 56 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) vorliegen, vermag der Senat den Akten nicht zu entnehmen; dies kann im Ergebnis hier jedoch dahinstehen. Ausgehend von den am 1. Januar 1995 vorliegenden 131 Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung benötigte die Klägerin noch 49 Beitragsmonate, um die Wartezeit nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 ALG zu erfüllen. Hierfür stand aus damaliger Sicht ein Zeitraum von 20 Jahren und 5 Monaten zur Verfügung. Nachdem die Klägerin sodann für die Zeit von Januar 1996 bis September 1997 für 21 Kalendermonate zur landwirtschaftlichen Alterssicherung beitragspflichtig war, verblieben noch 17 Jahre und 8 Monate, um in dieser Zeit die nun noch fehlenden 28 Beitragsmonate zu erfüllen. Aus diesen Gegenüberstellungen folgt ohne Weiteres, dass es der Klägerin in der Zeit ihrer Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung möglich war, die Wartezeit gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 ALG zu erfüllen. Dabei ist es mit Rücksicht auf § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ALG nicht erforderlich, dass Beitragsmonate zur Alterssicherung der Landwirte zurückgelegt werden, vielmehr genügt auch insoweit das Vorliegen von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.

13

Entgegen der Auffassung des SG kommt es in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob es wahrscheinlich ist, dass die Klägerin bis zur Vollendung ihres 65. Lebensjahres noch einmal versicherungspflichtig nach den Bestimmungen des ALG oder des SGB VI wird. Es kommt insbesondere auch nicht darauf an, ob die Klägerin solches beabsichtigt oder nicht. Nach dem klaren und eindeutigen Wortlaut von § 3 Abs. 3 Satz 1 ALG ist es für eine Befreiung von der Versicherungspflicht allein entscheidend, ob der Betreffende das Wartezeiterfordernis bis zum Eintritt seines 65. Lebensjahres noch erfüllen kann (ebenso: Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 27. Juni 2002, Az.: L 5 LW 6/01). Das Gesetz will in diesem Zusammenhang einen Landwirt vor der Last der Beitragsentrichtung bewahren, wenn auf Grund des bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Betreffenden verbleibenden Zeitraums feststeht, dass er die Wartezeit für eine Altersrente nach § 11 ALG nicht erfüllen kann. Das indes ist im Fall der Klägerin nicht zu besorgen. Sowohl zum Zeitpunkt des Beginns ihrer Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung als auch bei deren Beendigung verblieb noch ein genügend langer Zeitraum, um im Rahmen einer Versicherungspflicht nach dem ALG oder in der gesetzlichen Rentenversicherung das Wartezeiterfordernis zu erfüllen. Steht damit fest, dass der Klägerin in der Zeit ihrer Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterssicherung die vollständige Erfüllung der Wartezeit für eine Altersrente nach § 11 ALG nicht unmöglich war, so folgt hieraus ohne Weiteres, dass die Beklagte den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 3 ALG ablehnen musste.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

15

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.