Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 08.05.2003, Az.: L 6 U 361/02

Anspruch auf höhere Verletztenrente bei Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls ; Voraussetzungen für eine höhere Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
08.05.2003
Aktenzeichen
L 6 U 361/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20159
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0508.L6U361.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 20.06.2002 - AZ: S 14 U 10/99

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 20. Juni 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt höhere Verletztenrente. Der 1942 geborene Kläger stürzte am 13. November 1977 vor der von ihm betriebenen Gaststätte einer Treppe hinunter. Dabei zog er sich eine Speichenköpf-chenfraktur links und einen Hüftpfannenbruch links zu. Mit Bescheid vom 27. April 1979 erkannte die Beklagte als Unfallfolgen "Belastungsbeschwerden nach Abbruch vom oberen Pfannenrande des linken Hüftgelenkes" an und bewilligte für den Zeitraum 13. Januar 1978 bis 31. Mai 1978 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente.

2

Am 20. Dezember 1997 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und beantragte die Zahlung einer Verletztenrente. Die Beklagte holte das Gutachten von Prof. Dr. B. vom 16. April 1998 ein und erkannte mit Bescheid vom 14. Mai 1998 als Unfallfolgen an: Belastungsbeschwerden mit Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Ellenbogengelenkes mit Minderung der groben Kraft sowie leichter Verschmächtigung der Oberarmmuskulatur links. Außerdem gewährte sie ab 1. Dezember 1997 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, bei der MdE-Bewertung seien die Schmerzen im Ellenbogengelenk nicht ausreichend berücksichtigt worden. Außerdem seien auch Beschwerden im Bereich des Rückens, der Hüftgelenke und beider Schultern als Folgen des Arbeitsunfalls anzuerkennen. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 1998 zurück.

3

Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig hat der Kläger einen Verschlimmerungsantrag gestellt. Gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. C. vom 19. April 2000 hat die Beklagte eine Rentenerhöhung abgelehnt. Mit Gerichtsbescheid vom 20. Juni 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bewertung der Funktionsbeeinträchtigung des linken Ellenbogengelenkes mit einer MdE von 20 sei zutreffend. Die Beschwerden im Bereich des Rückens, der Hüftgelenke und der Schultergelenke seien unfallunabhängig.

4

Gegen diesen am 19. Juli 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 14. August 2002 Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

5

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des SG Braunschweig vom 20. Juni 2002 aufzuheben,

  2. 2.

    den Bescheid der Beklagten vom 14. Mai 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 1998 zu ändern,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 30 v.H. der Vollrente zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Braunschweig vom 20. Juni 2002 zurückzuweisen.

7

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin einverstanden erklärt.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.

Entscheidungsgründe

9

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet. Das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf höhere Verletztenrente verneint, weil dessen Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls vom 13. November 1977 nicht um mehr als 20 v.H. gemindert wird.

10

1.

Die Beeinträchtigungen im Bereich des linken Ellenbogengelenkes, die auf den Unfall zurückzuführen und von der Beklagten auch anerkannt worden sind, sind mit einer MdE um 20 v.H. zutreffend bewertet. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten eines Verletzten durch Unfallfolgen beeinträchtigt sind, liegt in erster Linie auf medizinisch-wissenschaftlichem Gebiet. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit sich derartige Beeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit des Verletzten auswirken, sind zwar nicht verbindlich, bilden aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE. Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bindend, aber als Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis heranzuziehen sind (BSG SozR 2200 § 581 RVO Nr. 23). Sie stellen in erster Linie auf die unfallbedingten Funktionseinschränkungen ab.

11

Bei der Bemessung der MdE bei Ellenbogenverletzungen wird eine eingeschränkte Beweglichkeit des Ellenbogens von 0-30-90 Grad (Beugung/Streckung) mit einer MdE um 20 v.H. bewertet, während erst eine Versteifung des Ellenbogens in Funktionsstellung mit zusätzlichem Verlust der Unterarmdrehung zu einer MdE um 30 v.H. führt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage 1998 S. 568). Die von der Beklagten vorgelegten Gutachten von Dr. D. vom 16. April 1998 und E. vom 19. April 2000, die auch im gerichtlichen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises und als von ärztlicher Sachkunde getragener qualifizierter Beteiligtenvortrag verwertet werden dürfen, lassen den eindeutigen Schluss zu, dass die unfallbedingte Funktionsbehinderung des linken Ellenbogens mit einer MdE um 20 v.H. nicht zu niedrig bewertet ist. Denn die hiernach festgestellten Bewegungsausmaße von 0-20-80 Grad bzw. 20-0-90 Grad bei kaum eingeschränkter Unterarmdrehung sind jedenfalls erheblich günstiger zu beurteilen als die erwähnte - eine MdE um 30 v.H. rechtfertigende - Versteifung in Funktionsstellung mit zusätzlichem Verlust der Unterarmdrehung.

12

Es liegen keine Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass sich die Funktionsfähigkeit des linken Ellenbogens nach der Untersuchung durch Prof. Dr. C. nennenswert verschlechtert hat. Auch der Kläger hat bei den Untersuchungen im Juli 2002 durch Prof. Dr. F. (G. Abteilung Anästhesiologie I - Schmerzambulanz) keine Verschlimmerung der Beschwerden im Bereich des Ellenbogens angegeben, sondern im Wesentlichen über Schulter- und LWS-Schmerzen geklagt.

13

2.

Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger angegebenen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, der Hüftgelenke und der Schultergelenke ist die Verletztenrente nicht zu erhöhen. Denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, Gesundheitsstörungen in diesen Bereichen als Unfallfolgen festzustellen. Den vorliegenden Gutachten ist zu entnehmen, dass die diesbezüglichen Beschwerden des Klägers wahrscheinlich nicht auf den Unfall vom 13. November 1977 zurückgehen. Hinsichtlich der Hüftverletzung haben Dr. D. darauf hingewiesen, dass es bei dem Unfall wahrscheinlich zu einem kleinen Kapselausriss gekommen sei, der ohne Formveränderung im Bereich des Acetabulums knöchern fest verheilt sei, dass jedoch unfall-unabhängig eine mäßige Coxa valga (Vergrößerung des Schenkelhals-Schaftwinkels) beiderseits mit angedeuteten arthrotischen Veränderungen im Bereich beider Hüftgelenke vorliege. Darüber hinaus fehlen Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich bei dem Unfall am 13. November 1977 eine dauerhafte strukturelle Verletzung der Wirbelsäule und/oder beider Schultern zugezogen haben könnte, sodass die Schulter- und Rückenbeschwerden des Klägers nicht auf diesen Unfall zurückgeführt werden können.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.