Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 22.05.2003, Az.: L 16 U 21/03

Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit ; Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit; Minderung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge der Berufskrankheit um wenigstens 1/5 ; Minderung der Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten jeweils um mindestens 10 von Hundert und insgesamt wenigstens 20 von Hundert; Feststellung eines Schwerhörigkeitsgrads in Form einer "beginnenden Schwerhörigkeit" durch Tonaudiogramm

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
22.05.2003
Aktenzeichen
L 16 U 21/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 19990
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0522.L16U21.03.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Oldenburg - AZ: S 7 U 69/02

Redaktioneller Leitsatz

Eine Verletztenrente wird nur gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge der Berufskrankheit um wenigstens 1/5 oder die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten jeweils um mindestens 10 von Hundert gemindert ist und die Summe der durch die einzelnen Unfälle/Berufskrankheiten verursachte Minderungen der Erwerbsfähigkeit (MdE) wenigstens 20 von Hundert beträgt.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. Januar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Streitig ist die Zahlung einer Verletztenrente wegen einer Berufkrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Lärmschwerhörigkeit.

2

Der am 5. Mai 1944 geborene Kläger war nach seinen Angaben in einer Beschäftigungsaufstellung vom 23. November 1999 zunächst als Friseur in der Türkei, von 1973 bis 1990 als Schweißer bei verschiedenen Werften in Brake und Blexen sowie von 1990 bis 1997 als Schweißer bei der F. (G.), Bremerhaven, tätig. Seitdem steht er nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis und bezieht Leistungen der Arbeitslosenversicherung sowie eine Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit.

3

Am 10. November 1999 erstattete der Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde H. eine "Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit" wegen einer beiderseitigen Schwerhörigkeit, die der Kläger auf Lärmarbeit zurückführt. Der Arzt fügte ein Tonaudiogramm vom 4. November 1999 bei.

4

Die Beklagte holte von der I. - Auffangunternehmen der G. - eine Auskunft vom 9. Dezember 1999 ein. Darin heißt es, der Kläger sei vom 9. Oktober 1990 bis 30. September 1997 als E-Schweißer überwiegend bei der Schiffbau-Vormontage und auf Außenbauplätzen beschäftigt gewesen; Lärmmessungen von Februar 1976 hätten bei der Vormontage einen Beurteilungspegel von durchschnittlich 108 dB(A) und von März/April 1976 in der Schiffbauhalle von durchschnittlich 98,15 dB(A) ergeben. Die J., Bremen, teilte der Beklagten in einem Fragebogen vom 15. Januar 2001 mit, der Kläger sei vom 4. März bis 19. September 1986 als E-Schweißer bei ihrer Werft tätig und dem üblichen Werftlärm ausgesetzt gewesen. In Fragebögen vom 7. Dezember 1999, 20. Juni 2000 und 15. Januar 2001 gab der Kläger die Lärmbelastung bei den Unternehmen K., Brake, L., Blexen, M., Bremen, und J., Bremen, an (vgl. Bl. 20/21, 59, 77 Verwaltungsakte).

5

Die Beklagte forderte Auskünfte über Mitgliedschafts- und Erkrankungszeiten des Klägers von der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Niedersachsen vom 10. Dezember 1999, von der AOK Bremen/Bremerhaven vom 17. Februar 2000, 9. Mai 2000 und 30. November 2000 sowie von der AOK Hamburg vom 26. Juni 2000 an. Aus der Auskunft der AOK Bremen/Bremerhaven vom 17. Februar 2000 ergibt sich, dass der Kläger ab 2. Juni 1997 arbeitsunfähig krank war. Im Übrigen wird auf Bl. 12, 25, 47, 60 und 74 Verwaltungsakte verwiesen. Ferner liegen Untersuchungsbogen "Lärm I" von Oktober 1990, 8. Oktober 1993 und 24. September 1996 vor (Bl. 38 - 40 Verwaltungsakte).

6

Der Präventionsbezirk (PB) Bremen der Beklagten führte in Ermittlungsberichten vom 23. Februar 2000, 20. Juli 2000 und 21. Februar 2001 aus, der Kläger sei bei seinen Tätigkeiten als Schmelzschweißer bei der N. von 1973 bis 1978, bei der G. vom 9. Oktober 1990 bis 30. September 1997 und bei der J., Bremen, vom 4. März 1986 bis 19. September 1986 einem Beurteilungspegel von mehr als 85 dB(A) ausgesetzt gewesen; das Gleiche gelte für seine Tätigkeiten als Schweißer bei der O. im Zeitraum Mai 1979 bis September 1985 (mit Unterbrechungen). Die Abteilung Prävention der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft führte in einer Stellungnahme vom 9. Oktober 2000 aus, während der Tätigkeit des Klägers als Schweißer/ Schlosser bei der P., Hamburg, in der Zeit vom 15. Februar 1989 bis 4. Oktober 1990 seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Entstehen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV gegeben gewesen. In einem Untersuchungsbericht vom 14. Dezember 2000 teilte die Präventionsabteilung der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik der Beklagten mit, bei der Tätigkeit des Klägers von November 1978 bis 9. März 1979 in dem früheren Unternehmen Q., Brake, und später R., Brake, sei der Kläger als Schlosser in der Werkstatt beschäftigt gewesen, die nicht zu dem Lärmbereich gehört habe. Eine relevante Lärmexposition habe somit in diesem Unternehmen nicht vorgelegen.

7

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des HNO-Arztes Dr. med. S. vom 27. März 2000 ein, der empfahl, ein Formulargutachten anzufordern, da eine Lärmexposition in gehörschädigendem Ausmaß nachgewiesen sei und die Vorsorgeuntersuchungen in den Jahren 1990 bis 1996 eine funktionell unerhebliche Hochtonsenke zeigten, die möglicherweise auf die lärmexponierte Tätigkeit bis 1997 zurückgeführt werden könne.

8

Die Beklagte holte daraufhin ein HNO-ärztliches Gutachten von Prof. Dr. med. T. U. vom 11. Juli 2001 ein. Zusammenfassend führten sie aus, bei dem Kläger bestehe eine symmetrische sensoneurale Schwerhörigkeit beiderseits. Das Sprachaudiogramm und das Tonaudiogramm seien im Vergleich miteinander different; das Sprachverstehen sei schlechter, als nach dem Tonaudiogramm zu erwarten sei (Tonaudiogramm Hörverlust beiderseits 20 v.H., Sprachaudiogramm Hörverlust rechts 20 v.H., links 30 v.H.). Die Ergebnisse der überschwelligen Audiometrie seien uneinheitlich. Die Ergebnisse des SISI (Short Increment Sensitivity Index)-Tests sprächen für eine retrokochleäre Störung, auch die ausgeprägte Schwellenabwanderung im CARHART-Test sei mit einer retrokochleären Schädigung vereinbar. Die Ergebnisse des LÜSCHER- und LANGENBECK-Tests entsprächen einem positiven Rekruitment als Ausdruck einer Innenohrschädigung; das Gleiche gelte für den Ausfall der TEOAE (Transitorisch evozierte otoakustische Emissionen) auf beiden Seiten sowie das Ergebnis der BERA (Brainsten Evoked Response Audiometry). Danach schienen bei dem Kläger sowohl eine kochleäre als auch eine retrokochleäre Schädigung vorzuliegen. Als Ursache des Innenohrschadens komme die Lärmarbeit mit einem personenbezogenen Beurteilungspegel von mehr als 85 dB(A) in Betracht; dafür spreche auch der muldenförmige Verlauf der Hörschwelle im Hochtonbereich. Die Ursache der retrokochleären Schädigung sei unklar. Insgesamt sei die Lärmschädigung nicht als alleinige Ursache der jetzt bestehenden Hörstörung anzusehen. Die anteilige retrokochleäre Hörstörung sei als Vorschaden zu betrachten, da sich die Schwerhörigkeit ausweislich des Tonaudiogramms vom 4. November 1999 und der Vorsorgeuntersuchung "Lärm I" vom 24. September 1996 nach Ende der Lärmarbeit nicht verschlimmert habe. Im Rahmen dieser Untersuchungen in den Jahren 1990 bis 1996 während der Lärmtätigkeit sei ein progredienter Hörverlust nachweisbar. Seit Ende der Lärmarbeit im Jahr 1997 sei im Vergleich mit dem jetzigen Befund kein wesentlicher weiterer Hörverlust aufgetreten. Dies spreche ebenfalls dafür, dass die Lärmbelastung eine wesentliche Ursache der jetzt bestehenden Hörstörung sei. Nach der Tabelle von BOENNINGHAUS und RÖSER (1973) bestehe bei dem Kläger rechts ein prozentualer Hörverlust von 20 v.H. und links von 30 v.H. Da sich die retrokochleäre Hörstörung besonders im Sprachverstehen auswirke und zudem Deutsch nicht die Muttersprache sei, könne die Differenz vom Hörverlust Ton zum Hörverlust Sprache zur Abgrenzung der anteiligen Schwerhörigkeitskomponenten dienen. Wenn zur Beurteilung der Berufskrankheit Nr. 2301 der Anlage zur BKV der Hörverlust im Tonaudiogramm herangezogen werde, sei entsprechend dem rechten Ohr der retrokochleäre Anteil berücksichtigt. Darüber hinausgehende retrokochleäre Anteile (Hörverlust nach dem Sprachaudiogramm links 30 v.H.) könnten nicht zur Erhöhung der MdE führen, da ihnen zum Beispiel mangelnde Sprachkenntnisse zu Grunde liegen könnten. Somit bestehe versicherungsrechtlich eine knapp geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits. Nach der Tabelle von FELDMANN ergebe sich eine MdE von 10 v.H. Als Zeitpunkt des Versicherungsfalls sei das Datum der ärztlichen Anzeige (8. November 1999) zu bewerten.

9

Die Beklagte legte den Vorgang der Landesgewerbeärztin beim Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales der Freien Hansestadt Bremen vor, die sich in einer Stellungnahme vom 24. Juli 2001 dem Gutachten anschloss (Stellungnahme von Frau V.).

10

Die Beklagte holte ferner eine Stellungnahme von Dr. med. S. vom 6. August 2001 ein. Er führte (unter Berücksichtigung u.a. der Empfehlungen im "Königsteiner Merkblatt", 4. Auflage 1996 &61531;KM&61533;) aus, die Vorsorgeuntersuchungen in den Jahren 1990 bis 1996 zeigten eine funktionell unerhebliche Hochtonsenke beiderseits, die 1990 bei 3000 Hz rechts 15 dB und links 20 dB erreicht habe und 1996 mit 40 dB rechts und 50 dB links bestimmt werde. In dem Zeitraum der lärmexponierten Tätigkeit bis 1997 habe sich demnach ein Innenohrhochtonverlust entsprechend einem prozentualen Hörverlust von rechts 0 v.H. und links 5 v.H. entwickelt. Dies bedeute eine lärmbedingte MdE von unter 10 v.H. Die gutachterliche Untersuchung bei Prof. Dr. med. W. am 11. Juli 2001 ergebe ebenfalls eine Innenohrhochtonschwerhörigkeit, die nach Auswertung der überschwelligen Hörprüfmethoden sowohl auf eine lärmbedingte Schädigung des Hörorgans als auch auf eine lärmunabhängige retrokochleäre Schädigung zurückgeführt werde. Der Vergleich des Tonaudiogramms der gutachterlichen Untersuchung mit dem Tonaudiogramm gegen Ende der lärmexponierten Tätigkeit zeige eine diskrete Zunahme des Hörverlustes in den Frequenzbereichen 1000 bis 3000 Hz, sodass der prozentuale Hörverlust, ermittelt aus dem Tonaudiogramm der gutachterlichen Untersuchung vom 11. Juli 2001, beiderseits mit 20 v.H. zu beziffern sei. Die Annahme der Gutachter, dass sich das Hörvermögen nach Ende der Lärmarbeit nicht verschlechtert habe, sei durch die vorliegenden tonschwellenaudiometrischen Untersuchungen nicht belegt. Das Ausmaß der Verschlechterung sei als rechtlich relevant einzustufen, da die Zunahme des prozentualen Hörverlustes bei 20 v.H. liege und damit einem Schwerhörigkeitsgrad entspreche. Die weitere Verschlechterung des Hörvermögens nach 1997 müsse auf die retrokochleäre, endogene Schädigungskomponente zurückgeführt werden, da der Versicherte seit 1997 einer beruflichen Lärmexposition in gehörschädigendem Ausmaß nicht mehr ausgesetzt gewesen sei. Diese Verschlechterung des Hörvermögens sei als Nachschaden aufzufassen und könne bei der Ermittlung der berufsbedingten MdE keine Berücksichtigung finden.

11

Mit Bescheid vom 14. August 2001 erkannte die Beklagte eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV mit den Folgen: "Beginnende Hochtonschwerhörigkeit beiderseits" an. Ferner führte sie aus, daneben leide der Kläger an einer lärmunabhängigen Schädigung des Innenohres mit zunehmendem Hörverlust, die nicht im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe. Die Zahlung einer Verletztenrente lehnte sie ab, da die Berufskrankheit keine MdE von mindestens 20 v.H. bedinge. Sie stützte sich auf die Arbeitsplatzanalysen und die ärztlichen Stellungnahmen.

12

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 7. September 2001 Widerspruch ein, den er damit begründete, die MdE betrage mindestens 20 v.H., da er während seiner Berufstätigkeit ständig erheblichen Lärmeinwirkungen ausgesetzt gewesen sei.

13

Die Beklagte holte eine ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. med. X. vom 9. Januar 2002 ein. Er führte aus, er stimme Dr. med. S. in der Einschätzung der Schwerhörigkeit, der Entstehung und dem Schädigungsort nach, überein. Da die Lärmarbeit im Juni 1997 beendet worden sei, müssten die zeitnächsten Audiogramme zur Beurteilung herangezogen werden. Das letzte Audiogramm während der Lärmarbeit sei am 24. September 1996 erstellt worden, das erste Audiogramm nach Beendigung der Lärmarbeit stamme vom 4. November 1999. Im Jahr 1996 sei der 1000 Hz-Wert mit beiderseits 10 dB recht gut gemessen worden, da er 1993 15/20 dB betragen habe. Wenn man in das Tonaudiogramm von 1996 die 1000 Hz-Werte von 1993 übernehme, errechne sich aus diesem Audiogramm nach der Tabelle RÖSER (1980) ein Hörverlust von rechts 10 v.H. und links 15 v.H. Bei einem Vergleich mit dem Hörverlust des Tonaudiogramms von 1999 (rechts 15 v.H., links 20 v.H.) ergebe sich eine Zunahme des Hörverlustes um 5 v.H. beiderseits. Daher sei Dr. med. S. zuzustimmen, dass die lärmbedingte Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits als beginnende Schwerhörigkeit zu bezeichnen sei. Die daraus resultierende MdE sei "wohl mit kleiner als 10 v.H. zu bewerten".

14

Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2002 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. August 2001 zurück. Zur Begründung führte sie wiederum aus, die lärmbedingte MdE betrage unter 10 v.H. Dieser Einschätzung habe sich nunmehr auch Prof. Dr. med. X. angeschlossen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Widerspruchsbescheid (Bl. 143/144 Verwaltungsakte) Bezug genommen.

15

Der Kläger hat am 21. März 2002 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg Klage erhoben und die Zahlung einer Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente begehrt. Er hat geltend gemacht, es sei nicht nachzuvollziehen, dass trotz des ausführlichen Gutachtens von Prof. Dr. med. W. vom 11. Juli 2001 die MdE mit unter 10 v.H. bewertet worden sei.

16

Die Beklagte hat sich auf die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Feststellungen bezogen und insbesondere auf die ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. med. X. vom 9. Januar 2002 verwiesen.

17

Mit Urteil vom 29. Januar 2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die MdE wegen der Lärmschwerhörigkeit sei auf unter 10 v.H. einzuschätzen. Entscheidend seien die Befunde am Ende der Lärmexposition, da nach allgemein anerkanntem medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand eine Lärmschwerhörigkeit nach Beendigung der Exposition nicht fortschreite. Ohrgeräusche seien nicht zu berücksichtigen, da der Kläger solche bei der gutachterlichen Befragung ausdrücklich verneint habe. Da eine MdE von unter 10 v.H. anzunehmen sei, stelle sich die Frage einer Stützrente nicht. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf das Urteil (Bl. 17 bis 21 Prozessakte) Bezug genommen.

18

Der Kläger hat gegen das ihm am 31. Januar 2003 zugestellte Urteil schriftlich am 24. Februar 2003 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Klage erhoben. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die MdE wegen der Lärmschwerhörigkeit 20 v.H., mindestens jedoch 10 v.H. betrage, sodass die Möglichkeit einer so genannten "Stützrente" in Höhe von 10 v.H. der Vollrente gegeben sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass Prof. Dr. med. X. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 9. Januar 2002 zu der gleichen Einschätzung der MdE mit unter 10 v.H. wie Dr. med. S. gekommen sei.

19

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 29. Januar 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 14. August 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2002 zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente in Höhe von wenigstens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.

20

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

21

Die Beklagte trägt vor, Prof. Dr. med. X. habe seine MdE-Einschätzung korrigiert, weil er in seinem Gutachten übersehen habe, dass sich das Hörvermögen des Klägers lärmunabhängig nach dem Ende der beruflichen Lärmexposition weiter verschlechtert habe. Für die MdE-Bewertung sei also nicht das aktuelle Hörvermögen ausschlaggebend gewesen, sondern der bis zum Ausscheiden aus dem beruflichen Lärm im Juni 1997 eingetretene Hörverlust. Ferner liege kein Stützrententatbestand vor, sodass auch kein Feststellungsinteresse für einen konkreten MdE-Wert von unter 20 v.H. bestehen dürfte.

22

Mit Schreiben vom 2. April 2003 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass angesichts der bereits vorliegenden Gutachten nicht beabsichtigt sei, ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen, und in Erwägung gezogen werde, über die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden und sie zurückzuweisen. - Der Kläger trägt vor, derzeit sei ein weiteres Verfahren gegen die Beklagte vor dem LSG Niedersachsen-Bremen anhängig, dessen Gegenstand die Zahlung einer Verletztenrente in Höhe von wenigstens 20 v.H. wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls vom 30. Mai 1997 sei. Das Gericht hat daraufhin mit Schreiben vom 14. April 2003 darauf hingewiesen, dass es für den vorliegenden Rechtstreit unerheblich sei, ob der Kläger ein weiteres Verfahren betreibe, denn die MdE wegen der Lärmschwerhörigkeit betrage unter 10 v.H., sodass die Zahlung einer Verletztenrente - auch in Höhe von 10 v.H. der Vollrente - nicht in Betracht komme und daher an der Erwägung, durch Beschluss zu entscheiden, festgehalten werde.

23

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten (Az. BKM 3.36566.992) beigezogen. Diese Akte und die Prozessakte (Az. S 7 U 69/02, L 16 U 21/03) sind Gegenstand der Beschlussfassung gewesen.

24

II.

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§ 153 SGG). Sie ist nicht begründet.

25

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV.

26

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 26 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung -, SGB VII) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Die Bundesregierung ist ermächtigt worden, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII).

27

Die Beklagte hat in ihrem Bescheid vom 14. August 2001 anerkannt, dass bei dem Kläger eine Lärmschwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV vorliegt. Zu Recht hat sie jedoch die Zahlung einer Verletztenrente abgelehnt, denn die Berufskrankheit bedingt keine rentenberechtigende MdE. Eine Verletztenrente wird nur gewährt, solange die Erwerbsfähigkeit des Verletzten infolge der Berufskrankheit um wenigstens 1/5 oder die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle/Berufskrankheiten jeweils um mindestens 10 v.H. gemindert ist und die Summe der durch die einzelnen Unfälle/Berufskrankheiten verursachten MdE wenigstens 20 v.H. beträgt (§ 56 Abs. 1 SGB VII). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

28

Zur Begründung wird auf das Urteil des SG Oldenburg und die Bescheide der Beklagten Bezug genommen. Hinzuweisen ist insbesondere darauf, dass für die Beurteilung des Ausmaßes der Lärmschwerhörigkeit das Audiogramm vom 24. September 1996 heranzuziehen ist, denn es ist das einzige, das relativ zeitnah zu dem Ausscheiden des Klägers aus der Lärmtätigkeit (2. Juni 1997) erstellt worden ist. Sowohl Prof. Dr. med. X. als auch Dr. med. S. haben zutreffend dargelegt, dass eine Lärmschwerhörigkeit nach Ausscheiden aus der Lärmexposition nicht mehr fortschreitet. Die Befunde, die anlässlich der Untersuchung bei Prof. Dr. med. W. zur Erstattung ihres Gutachtens vom 11. Juli 2000 erhoben wurden, sind deshalb zur Ermittlung des Ausmaßes des lärmbedingten Hörverlustes nicht heranzuziehen; ihnen ist zudem zu entnehmen, dass sich inzwischen eine nichtlärmbedingte retrokochleäre Hörstörung entwickelt hat. Abgesehen davon, dass aus der Zeit gegen Ende der Lärmtätigkeit kein Sprachaudiogramm vorliegt, ist auch deshalb das Tonaudiogramm vom 24. September 1996 zu Grunde zu legen, da der Kläger die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrscht und deshalb gemäß Ziff. 4.2.2. des KM der prozentuale Hörverlust aus dem Tonaudiogramm nach der Tabelle RÖSER (1980) zu bestimmen ist.

29

Dr. med. S. hat aus dem Tonaudiogramm vom 24. September 1996 in Anwendung der Tabelle RÖSER (1980) - vgl. KM, a.a.O. - eine MdE von unter 10 v.H. ermittelt. Er hat die seinerzeit festgestellten Werte übernommen und prozentuale Hörverluste von rechts 0 v.H. und links 5 v.H. errechnet. Prof. Dr. med. X. hat die 1000 Hz-Werte von 10/10 dB mit der Begründung nicht angesetzt, dass sie im Verhältnis zu den Ergebnissen in den Jahren 1990 und 1993 zu günstig gemessen worden seien. Er hat die 1993 erhobenen Werte (15/20 dB) herangezogen und einen Hörverlust von rechts 10 v.H. und links 15 v.H. (ebenfalls unter Anwendung der Tabelle RÖSER - 1980 -) ermittelt. Danach ergibt sich ein Schwerhörigkeitsgrad in Form einer "beginnenden Schwerhörigkeit" (wie sie in dem Bescheid vom 14. August 2001 anerkannt worden ist) mit einem Hörverlust von weniger als 20 v.H. und einer MdE von weniger als 10 v.H. (vgl. Tab. FELDMANN, Ziff. 4.3.2. KM). Die Anmerkung von Prof. Dr. med. X., die Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits sei als beginnende Schwerhörigkeit zu bezeichnen und die daraus resultierende MdE sei "wohl mit kleiner als 10 % zu bewerten" ist dahingehend zu verstehen, dass die MdE weniger als 10 v.H. beträgt.

30

Aus diesen Feststellungen folgt, dass dem Kläger keine Verletztenrente zusteht, und zwar auch nicht in Form einer Stützrente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente. Daher ist es für die vorliegende Entscheidung unerheblich, dass der Kläger wegen der Folgen eines weiteren Versicherungsfalls einen Rechtsstreit vor dem LSG Niedersachsen-Bremen führt.

31

Die Ausführungen des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren und in der Berufungsinstanz sind nicht geeignet, die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten (in Verbindung mit der ergänzenden Stellungnahme vom Prof. Dr. med. X. vom 9. Januar 2002) zu entkräften. Sie lassen erkennen, dass der Kläger die maßgeblichen Grundsätze für die Beurteilung einer Lärmschwerhörigkeit nicht hinreichend beachtet.

32

Da der Sachverhalt medizinisch aufgeklärt ist, ist die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht erforderlich. Zudem würde eine erneute Untersuchung voraussichtlich wiederum Hörverluste ergeben, die zum Teil nicht lärmbedingt sind, da der Kläger inzwischen fast 6 Jahre aus dem Lärmbereich ausgeschieden ist.

33

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen. Das Gericht hat durch einstimmigen Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entschieden, da eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich erscheint. Es hat die Beteiligten ferner ordnungsgemäß angehört.

34

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

35

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und der Senat weicht nicht von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab.