Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 15.05.2003, Az.: L 6 U 176/02

Zahlung von Verletztenrente wegen der Erkrankung an einer Berufskrankheit; Tätigkeit als Kraftfahrer; Einatmen von Dieselabgasen beim Beladen bzw. Entladen; Chronisch obstruktive Atemwegserkrankung mit unspezifischer Hyperreaktivität; Voraussetzungen der Berufskrankheit Nr. 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV); Kausalzusammenhang zwischen obstruktiven Atemwegserkrankungen und Einatmen von Dieselruß und anderen Umweltfaktoren

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
15.05.2003
Aktenzeichen
L 6 U 176/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21057
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0515.L6U176.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 14.03.2002 - AZ: S 36 U 94/97

Fundstelle

  • Breith. 2004, 29-32

Redaktioneller Leitsatz

Erfasst werden von der BK Nr. 4302 chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe nur insoweit, als sie "generell" geeignet sind, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu verursachen oder zu verschlimmern. Die "generelle" Geeignetheit steht fest, wenn nachgewiesen ist, dass die Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als in der übrigen Bevölkerung. Es ist zwar eine ungünstige Beeinflussung obstruktiver Atemwegserkrankungen durch Dieselruß und anderen Umweltfaktoren anzunehmen. Eine kausale Bedeutung ist jedoch nicht nachzuweisen.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. März 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der 1941 geborene Kläger begehrt die Zahlung von Verletztenrente wegen einer obstruktiven Atemwegserkrankung, die er auf die jahrzehntelange berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer zurückführt (Berufskrankheit - BK - Nr. 4302 der Anlage - Anl - zur Berufskrankheitenverordnung - BKV).

2

Auf die Anzeigen des Lungenarztes und Internisten Dr. C. und des Transportunternehmens D. über eine BK vom 4. Februar 1992 und 10. Februar 1993 zog die Beklagte zunächst medizinische Unterlagen bei und ermittelte die berufliche Belastung des Klägers. In der Stellungnahme vom 8. August 1995 führte ihr Technischer Aufsichtsdienst (TAD) aus, der Kläger sei von 1977 bis 1992 bei Be- und Entladearbeiten im Freien Dieselabgasen (im Folgenden: Dieselmotoremissionen - DME) ausgesetzt gewesen. Infolge des im Freien vorhandenen Verdünnungseffektes seien jedoch Grenzwertüberschreitungen der Abgaskomponenten auszuschließen. Eine Gefährdung i.S.d. BK Nr. 4302 liege aus technischer Sicht nicht vor. Auf Empfehlung des gewerbeärztlichen Dienstes (vgl die Stellungnahme des Dr. E. vom 24. November 1995) holte die Beklagte die ergänzende Stellungnahme des TAD vom 12. Januar 1996 ein und ließ den Kläger stationär untersuchen. Der Internist und Allergologe Dr. F. diagnostizierte im Gutachten vom 29. Februar 1996 eine chronisch obstruktive Atemwegserkrankung mit unspezifischer Hyperreaktivität der Atemwege. Einen wesentlichen ursächlichen Zusammenhang dieser Erkrankung mit der Tätigkeit als Kraftfahrer vermochte er nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu begründen: Nach Aufgabe des Berufs sei es ohne mögliche Einwirkung angeschuldigter Schadstoffe zu einer weiteren Intensivierung der obstruktiven Ventilationsstörung und der Lungenüberblähung gekommen. Des Weiteren sei die Schadstoffeinwirkung nicht intensiv genug gewesen, um eine BK auszulösen. Im Rahmen einer Vielzahl von Begutachtungen bei Verdacht auf die BK Nr. 4302 seien bislang keine Fälle bekannt geworden, bei denen Berufskraftfahrer Erkrankungssymptome entwickelt hätten, die auf die Exposition gegenüber DME zurückzuführen gewesen seien. Daraufhin lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab (Bescheid vom 28. Mai 1996). Im Widerspruchsverfahren hob der Kläger hervor, dass er nicht nur im Freien DME ausgesetzt gewesen sei. Auf Grund technischer Mängel seien DME auch in die Fahrerkabine gedrungen. Daraufhin ermittelte der TAD erneut. In der Stellungnahme vom 18. Oktober 1996 führte er aus, dass Anfang des Jahres 1990 "gewisse technische Mängel" bestanden hätten, die in einem Bericht vom September 1990 als behoben vermerkt worden seien. Nach übereinstimmender Meinung des Technischen Aufsichtsbeamten und des Dekra-Prüfers, der sich an das Fahrzeug erinnere, lasse die im Prüfbericht erwähnte Durchrostung am Einstieg des Fahrerhauses keinen Rückschluss auf das Eindringen von DME zu. Diese könnten nur dann in das Fahrerhaus gelangen, wenn ein gravierender Defekt an der Abgas- und Lüftungsanlage vorgelegen habe, der jedoch nicht festgestellt worden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 11. März 1997).

3

Dagegen hat der Kläger noch im selben Monat vor dem Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben. Zur Stützung des Vortrags einer Exposition gegenüber DME auch während der Fahrt hat er die Klageschrift vom 1. August 1990 wegen Instandsetzung der Arbeitsgeräte vorgelegt. Des Weiteren hat er vorgetragen, dass sich die Atemwegserkrankung seit der Berufsaufgabe im Jahr 1992 nicht verändert habe. Die Beklagte hat die Stellungnahmen des TAD vom 30. Juli 1997 und des Dr. F. vom 18. September 1997 vorgelegt. Das SG hat nach Beiziehung von Befundberichten Prof. Dr. G. zum Sachverständigen ernannt und den Kläger stationär untersuchen lassen.

4

Der Sachverständige führte im internistisch-allergologischen Gutachten vom 19. Juni 1998 aus, nasale Expositions- und Provokationstestungen auch mit DME eines Kfz-Motors seien ohne Reaktion, negativ verlaufen. Bronchiale Expositions- und Provokationstestungen mit DME hätten zu einer leichten und insignifikanten Zunahme der vorbestehenden Bronchoobstruktion geführt, die Ausdruck der starken unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität sei. Der Sachverständige schloss sich der Wertung des Dr. F. an: Der Kläger habe sich 1977 eine schwere doppelseitige Lungenentzündung mit Rippenfellbeteiligung zugezogen. Bereits zuvor hätten mehrfach behandlungsbedürftige Nasennebenhöhlenentzündungen bestanden. Chronisch-entzündliche Prozesse in den Nasennebenlufträumen seien auch jetzt radiologisch nachweisbar. Im weiteren Verlauf sei das Krankheitsgeschehen nach 1977 wesentlich durch rezidivierende Atemwegsinfekte beeinflusst worden, deren Auftreten durch die Nasennebenhöhleninfekte im Sinne eines sinubronchialen Syndroms begünstigt worden seien. Ferner sei die Entwicklung eines obstruktiven Atemwegsleidens durch einen im Alter von 16 Jahren begonnenen erheblichen Zigarettenabusus bis zum Jahr 1977 gebahnt worden. Die medizinischen Unterlagen belegten, dass sich das inzwischen chronifizierte obstruktive Atemwegsleiden des Klägers bereits viele Jahre vor dem erstmaligen Auftreten arbeitsplatzbezogener Beschwerden außerberuflich - Atemnot bei Wetterwechsel, Erkältungsinfekte - manifestiert habe. Das Krankheitsbild sei von einer starken unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität begleitet. Hierdurch würden bei Exposition gegenüber unspezifisch atemwegsreizenden Substanzen sowohl im Privatleben als auch im Beruf Beklemmungen und Hustenreiz hervorgerufen. Es sei deshalb plausibel, dass der Kläger ab 1987 derartige Beschwerden auch am Arbeitsplatz verspürt habe. Möglich sei auch, dass ungünstige Bedingungen im Beruf als Lkw-Fahrer mit häufigem Wechsel von kalter zu warmer Umgebungsluft und umgekehrt sowie Exposition gegenüber Zugluft in gewissem Umfang zum rezidivierenden Auftreten von Atemwegsinfekten beigetragen hätten. Eine wesentlich berufliche Teilursächlichkeit von DME an der chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung sei jedoch nicht zu erkennen.

5

Anschließend ist auf Antrag des Klägers Dr. H. gehört worden. Der Sachverständige führte im Gutachten vom 20. September 1999 aus, dass der langjährige Nikotinabusus mit den anamnestisch bekannten rezidivierenden Infekten der oberen Atemwege eine wesentliche Ursache der obstruktiven Atemwegserkrankung sei. Auch ohne relevante Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz sei davon auszugehen, dass sich die Erkrankung in ungefähr demselben Zeitraum und in ungefähr demselben Ausmaß entwickelt hätte. Eine chemisch-irritative oder toxische Genese sei nur anzunehmen bei einer überdurchschnittlich hohen Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz. Daraufhin hat das SG das Gutachten über die Belastung mit gesundheitsgefährdenden Stoffen am Arbeitsplatz des Dr. I. vom 7. August 2001 eingeholt. Der Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass die Belastung durch DME, insbesondere durch Russpartikel während des Ladevorganges deutlich gewesen sei. Es sei davon auszugehen, dass die maximal zulässigen Werte für Kurzzeitexpositionen nicht eingehalten worden seien. Die ermittelte Belastung sei deshalb generell geeignet, eine Atemwegserkrankung zu verursachen. Daraufhin kam Dr. H. in der ergänzenden Stellungnahme vom 27. August 2001 zu dem Schluss, dass die obstruktive Atemwegserkrankung des Klägers beruflich verursacht sei. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit betrage 50 vom Hundert (vH).

6

Demgegenüber blieb der Sachverständige Prof. Dr. G. in der vom SG veranlassten Stellungnahme vom 2. Oktober 2001 bei seiner Wertung. Arbeitsmedizinisch und epidemiologisch bestünden keine Erkenntnisse über eine wesentliche Verursachung chronisch-obstruktiver Bronchitiden durch berufliche Einwirkung von DME. Unter 389 Tunnelarbeitern, die DME ausgesetzt gewesen seien, habe sich keine signifikante Korrelation zum Krankheitsbild der chronischen Bronchitis gefunden. Aus der medizinischen-wissenschaftlichen Literatur ergebe sich kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass sich im Fall des Klägers aus den individuellen Gegebenheiten der gefährdenden Tätigkeit eine wahrscheinliche ursächliche Beziehung zwischen der Einwirkung von DME und der chronischen Bronchitis herstellen lasse. Das sei anders zu beurteilen, wenn eine Atemwegsallergie vorliegen würde, die jedoch nicht bestehe. Die Schlussfolgerung des Sachverständigen Dr. H. stehe im Widerspruch zu seinen Ausführungen im Gutachten vom 20. September 1999. Die Krankheitsgeschichte des Klägers spreche gegen einen wahrscheinlich wesentlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der Exposition gegenüber DME.

7

Auf die Erwiderung des Klägers im Schriftsatz vom 1. November 2001 hat das SG die weitere Stellungnahme des Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 12. November 2001 eingeholt und die während der stationären Untersuchung des Klägers gefertigten handschriftlichen Aufzeichnungen beigezogen. Das SG ist den Ausführungen dieses Sachverständigen gefolgt und hat die Klage durch Urteil vom 14. März 2002 abgewiesen.

8

Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 12. April 2002 eingelegten Berufung. Unter Hinweis auf die Ausführungen der Sachverständigen Dres H. und I. hält er an einer wahrscheinlich wesentlich beruflichen (Mit)Verursachung der obstruktiven Atemwegserkrankung fest und beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Hannover vom 14. März 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 28. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März 1997 aufzuheben,

  2. 2.

    die BK Nr. 4302 der Anl zur BKV festzustellen,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 50 v.H. der Vollrente zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 14. März 2002 zurückzuweisen.

10

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

11

Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Ziff.3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§§ 551, 580 f der auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - vgl. Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch - SGB - VII - Reichsversicherungsordnung - RVO).

13

Nachgewiesen ist, dass der Kläger unter einer obstruktiven Atemwegserkrankung leidet. Der Senat geht auch davon aus, dass der Kläger beruflich chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen (DME) ausgesetzt war. Allerdings ist die vom Kläger behauptete besondere Belastung durch in die Fahrerkabine eines Lkw gelangte DME nicht bewiesen. Vielmehr haben die Ermittlungen des TAD keinen Hinweis auf einen Defekt an Abgas- und Lüftungsanlage ergeben, der erforderlich wäre, damit DME in die Fahrerkabine eindringen konnten. Die Durchrostung am Einstieg der Fahrerkabine erlaubt keinen Rückschluss auf das Eindringen von DME (Stellungnahme vom 18. Oktober 1996). Die Erkrankung des Klägers und die Exposition gegenüber DME erfüllen aber nicht die Voraussetzungen für eine Entschädigung der obstruktiven Atemwegserkrankung als BK (dazu unter 1). Selbst wenn der Senat eine außergewöhnliche Belastung durch in die Fahrerkabine eindringende DME unterstellt, ist kein für den Kläger günstiges Ergebnis die Folge. Denn es kann - unabhängig von der Höhe der beruflichen Belastung - auf Grund der medizinischen Befunde nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die Erkrankung beruflich wesentlich (mit)verursacht ist (dazu unter 2).

14

1.

BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO = § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Durch § 551 Abs. 1 Satz 3 RVO (§ 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII) wird die Bundesregierung (Verordnungsgeberin) ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Das geschieht in der BKV, der in der Anl eine Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist. Zu den von der Verordnungsgeberin bezeichneten BKen gehören nach Nr. 4302 der Anl zur BKV "durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen". Zwar leidet der Kläger unter der "Listenerkrankung", d.h. einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Die von ihm als ursächlich angesehenen DME sind jedoch kein "Listenstoff", d.h. sie stellen keinen chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoff i.S.d. BK Nr. 4302 dar. Schon deshalb handelt es sich bei der obstruktiven Atemwegserkrankung des Klägers nicht um eine BK.

15

Für die Atemwege ungünstige Komponenten in DME sind Stickoxide, Aldehyde und Schwefeldioxid (Stellungnahme des TAD vom 12. Januar 1996). Erfasst werden von der BK Nr. 4302 chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe aber nur insoweit, als sie "generell" geeignet sind, eine obstruktive Atemwegserkrankung zu verursachen oder zu verschlimmern. Die "generelle" Geeignetheit steht fest, wenn nachgewiesen ist, dass die Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als in der übrigen Bevölkerung (BSGE 59, 295, 298 m.w.N.). In dem ärztlichen Merkblatt zu der BK Nr. 4302 (BArbBl 7-8/1979, 74) wird zwar unter "I. Gefahrenquellen" ein Teil der in DME vorhandenen Komponenten genannt. Ob die Verordnungsgeberin DME als "generell" geeignet gesehen hat, obstruktive Atemwegserkrankungen zu verursachen oder zu verschlimmern, ist dem Merkblatt aber nicht zu entnehmen. Auf diese Frage kommt es entscheidend jedoch nicht an, weil die generelle Eignung nach dem maßgebenden aktuellen medizinischen Erkenntnisstand zu verneinen ist. Allerdings stellen die Merkblätter bei den BKen, die vor der Praxis der Verordnungsgeberin, die wissenschaftlichen Begründungen für die Aufnahme in die Anl zur BKV zu veröffentlichen, als BKen bezeichnet worden sind, oft die einzige Möglichkeit zur Ermittlung des Willens der Verordnungsgeberin dar, auch wenn sie rechtlich nicht verbindlich sind (näher dazu und zu der seit ungefähr 10 Jahren bestehenden Praxis, zu den neu in die Anl zur BKV aufgenommenen BKen die wissenschaftlichen Begründungen zu veröffentlichen, Blome, Die BG 2003, 22, 23 f). Sie können jedoch insoweit nicht mehr herangezogen werden, als sie durch den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand "überholt" sind. So liegt es hier.

16

Denn Prof. Dr. G. (S 6 der ergänzenden Stellungnahme vom 2. Oktober 2001) hat darauf aufmerksam gemacht, dass arbeitsmedizinische und epidemiologische Untersuchungen im vergangenen Jahrzehnt keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der beruflichen Einwirkung von DME und einer chronisch-obstruktiven Atemwegserkrankung ergeben haben. Dieses stimmt mit der von Dr. F. im Verwaltungsverfahren mitgeteilten klinischen Beobachtung überein, dass im Rahmen einer Vielzahl von Begutachtungen keine Fälle bekannt geworden seien, bei denen Berufskraftfahrer Erkrankungssymptome entwickelten, die auf eine Exposition gegenüber DME zurückzuführen gewesen seien (S 10 des Gutachtens vom 29. Februar 1996). Gestützt wird diese Beurteilung durch arbeitsmedizinische Veröffentlichungen. Danach wird zwar eine ungünstige Beeinflussung obstruktiver Atemwegserkrankungen durch Dieselruß und anderen Umweltfaktoren angenommen. Eine kausale Bedeutung wird ihnen jedoch nicht beigemessen (Norpoth, Zbl Arbeitsmed 1997, 200, 204: "wissenschaftlich nicht belegt"). Demgegenüber ist gesichert, dass inhalatives Zigarettenrauchen - ein langjähriger Nikotinabusus des Klägers ist belegt (siehe die anamnestischen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. G. im internistisch-allergologischen Gutachten vom 19. Juni 1998, S 10; vgl. auch das Gutachten des - auf Antrag des Klägers gehörten - Sachverständigen Dr. H. vom 20. September 1999, S 6) - das Risiko einer obstruktiven Atemwegserkrankung erheblich, d.h. um weit mehr als das Doppelte im Vergleich zur nichtrauchenden Bevölkerung steigert. Insgesamt weist Norpoth (a.a.O.) darauf hin, dass die Epidemiologie eine "zu einfache Gedankenverbindung" zwischen Schadstoffbelastung und obstruktiver Atemwegserkrankung verbietet. Selbst wenn die Verordnungsgeberin bei Abfassung des Merkblatts im Jahr 1979 also von der "generellen" Geeignetheit von DME zur Verursachung oder Verschlimmerung obstruktiver Atemwegserkrankungen ausgegangen wäre, wäre dieser Kenntnisstand deshalb überholt, sodass das o.g. Merkblatt insoweit nicht (mehr) maßgebend wäre (vgl BSG SozR 3-2200 § 551 Nr. 16, S 86) und somit die Feststellung der BK und die Zahlung von Verletztenrente schon deshalb nicht (mehr) möglich sind (vgl BSGE 7, 89, 97).

17

2.

Doch selbst wenn von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der BK Nr. 4302 ausgegangen würde, wäre kein für den Kläger günstiges Ergebnis die Folge. Denn es ist nicht wahrscheinlich, dass die obstruktive Atemwegserkrankung durch DME wesentlich (mit)verursacht ist. Gegen einen solchen Zusammenhang sprechen entscheidend die Ergebnisse der arbeitsplatzbezogenen Expositionstestungen durch den Sachverständigen Prof. Dr. G ... Diese sind zur Feststellung der Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen beruflicher Belastung und Erkrankung bei Vorliegen einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität unerlässlich (Urteil des erkennenden Senats vom 21. Januar 1999 - L 6 U 176/97, siehe das der Abhandlung von Nowak/Angerer - Begutachtungsproblem bei Atemwegserkrankungen, MedSach 2003, 59, 61 - beigefügte Ablaufdiagramm, vgl. auch Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. 1998, 17.9.7, S 1030). Sie ergaben jedoch keine signifikanten Änderungen der Messparameter (S 74 f des internistisch-allergologischen Gutachtens vom 19. Juni 1998). Dass der in der Begutachtung und Beurteilung von obstruktiven Atemwegserkrankungen erfahrene und über ausgewiesene Kompetenz verfügende Sachverständige Prof. Dr. G. den Ergebnissen der Expositionstestungen eine Bedeutung beigemessen hat, die ihnen - wie die Berufung meint - nicht zukommt, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Des Weiteren hat dieser Sachverständige überzeugend herausgearbeitet, dass auch der - durch den bereits oben erwähnten Nikotinabusus wesentlich begünstigte und bereits viele Jahre vor dem erstmaligen Auftreten von Beschwerden am Arbeitsplatz sich entwickelnde - Krankheitsverlauf gegen eine wahrscheinlich wesentlich berufliche (Mit)Verursachung spricht. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG) auf das angefochtene Urteil (S 10 letzter Absatz bis S 11 erster Absatz).

18

Die von der Berufung vor dem Hintergrund der Ausführungen der Sachverständigen Dres H. und I. hervorgehobenen Argumente vermögen an diesem Ergebnis nichts zu ändern. - Der Sachverständige Dr. I. hat die Annahme einer "generellen" Eignung der Exposition, gegenüber der der Kläger ausgesetzt war, zur Verursachung obstruktiver Atemwegserkrankungen nicht begründet. Hinweise auf technische Grenzwerte, zumal solcher über Kurzzeitexpositionen, vermögen eine Begründung nicht zu ersetzen. Denn sie werden unter präventiven Gesichtspunkten festgesetzt. Demgegenüber hat der Sachverständigen Prof. Dr. G. - wie ausgeführt - erläutert, dass eine "generelle" Geeignetheit von DME zur Verursachung oder Verschlimmerung obstruktiver Atemwegserkrankungen nicht gesichert ist. Im Übrigen hat der Sachverständige Dar I. darauf hingewiesen, dass die Frage der Ursächlichkeit der Erkrankung des Klägers vom ärztlichen Sachverständigen beantwortet werden muss (S 13 des Gutachtens vom 7. August 2001). - Die Schlussfolgerung eines Zusammenhangs in der ergänzenden Stellungnahme vom 27. August 2001 hat der Sachverständige Dr. H. jedoch nicht begründet. Sie ist auch unschlüssig. Denn im Gutachten vom 20. September 1999 (S 6) hat der Sachverständige eine wesentlich beruflich unabhängige Verursachung herausgearbeitet und hervorgehoben, dass sich die Erkrankung auch ohne relevante Schadstoffbelastung in ungefähr demselben Zeitraum und in ungefähr demselben Ausmaß entwickelt hätte. Dann ist der Anteil einer beruflichen Schadstoffbelastung an der Verursachung der obstruktiven Atemwegserkrankung aber nicht wesentlich und somit rechtlich unerheblich.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

20

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.