Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 15.05.2003, Az.: L 12 RA 37/00
Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit; Verkäuferin in einem Foto-Geschäft; Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, der Hüften und der rechten Schulter; Übergewicht; Voraussetzungen der vollen Erwerbsminderung; Aufhebung der Wegefähigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 15.05.2003
- Aktenzeichen
- L 12 RA 37/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21055
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0515.L12RA37.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 20.06.2000 - AZ: S 8 RA 128/99
Rechtsgrundlage
- § 43 Abs. 2 SGB VI
Redaktioneller Leitsatz
Zur Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gehört auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Dementsprechend bildet das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität einen Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit der Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß zu bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Bei der Beurteilung der Mobilität der Versicherten sind alle ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Die Einschränkung der Wegefähigkeit verschließt der Versicherten den Arbeitsmarkt deshalb nicht, wenn sie einen Arbeitsplatz innehat, der die zumutbaren Wegebedingungen aufweist oder mit einem vorhandenen Kraftfahrzeug erreichbar ist, oder ihr ein solcher Arbeitsplatz tatsächlich angeboten wird oder der Versicherungsträger diesbezügliche Leistungen zur Rehabilitation anbietet.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juni 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 7. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1999 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin ab 1. Mai 2001 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen. Die Beklagte hat die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.
Die am 22. Juli 1945 geborene Klägerin durchlief von April 1961 bis September 1963 eine Ausbildung zur Fotolaborantin. Eine weitere Ausbildung gab sie auf Grund von Ekzemen und Allergien auf. Sie war anschließend noch bis Ende 1964 berufstätig. Erneut nahm sie im Dezember 1974 eine Berufstätigkeit auf, zunächst als Verkaufshelferin und ab August 1976 als Verkäuferin, überwiegend in einem Foto-Geschäft. Ab Februar 1998 bestand Arbeitsunfähigkeit.
Am 23. September 1998 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Rentenantrag unter Hinweis auf Beschwerden im Bereich der rechten Hüfte, der Lendenwirbelsäule und des linken Knies. Die Beklagte zog den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Bad Salzuflen vom 9. September 1998 bei. Danach wurde die Klägerin aus dem in der Zeit vom 16. Juli bis 13. August 1998 durchgeführten Heilverfahren als arbeitsunfähig entlassen. In dem Bericht sind folgende Diagnosen aufgeführt: Gonarthrose links, Spondylolisthese L4, Osteochondrose der Lendenwirbelsäule und der Halswirbelsäule und initiale Koxarthrose beidseits. In der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung heißt es, als Verkäuferin könne die Klägerin nur in einem Umfange von zwei Stunden bis unter halbschichtig tätig sein. Sie könne jedoch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung überwiegend im Sitzen verrichten, sofern keine längere Zwangshaltung oder häufiges Bücken, Hocken sowie Treppensteigen anfielen; bei einer sitzenden Tätigkeit müsse ein individueller Haltungswechsel möglich sein. Weiter zog die Beklagte Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) bei. In einem von dem Orthopäden Dr. I. erstatteten Gutachten vom 1. September 1998 wurde in etwa die gleiche Leistungsbeurteilung wie in dem erwähnten Reha-Entlassungsbericht abgegeben. Die Beklagte holte sodann ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. J. vom 13. November 1998 ein. Dieser stellte die Diagnosen einer Adipositas per magna (Gewicht von 107 kg bei einer Körpergröße von 161 cm), einer Kniegelenksarthrose links, einer Lumbalgie bei Spondylolisthesis L4/5, einer beginnenden Omarthrose beidseits und einer beginnenden Koxarthrose. Angesichts von zum Teil durch das Gewicht zu erklärenden Schmerzen und Bewegungseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule, der Hüften und der rechten Schulter sei das Leistungsvermögen der Klägerin dahingehend eingeschränkt, dass sie als Verkäuferin nur noch im Umfange von zwei Stunden bis unter halbschichtig arbeiten könne; leichte körperliche Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen ohne Überkopfarbeiten seien noch halb- bis unter vollschichtig durchführbar. In einer abschließenden internen beratungsärztlichen Stellungnahme wurde eine vollschichtige Leistungsfähigkeit angenommen.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 1998 lehnte daraufhin die Beklagte den Rentenantrag mit der Begründung ab, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig tätig sein.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie sei immerhin 20 Jahre lang als Verkäuferin tätig gewesen, sodass sie Berufsschutz habe. Es bestehe zumindest Berufsunfähigkeit. Die Klägerin legte einen Bericht des Neurochirurgen K. vom 8. Januar 1999 vor, wonach sie wegen ihres Wirbelsäulenleidens und eines Karpaltunnelsyndroms nicht als Verkäuferin tätig sein könne. Zu der gleichen Aussage gelangte der Orthopäde Dr. L. in einem von der Klägerin eingereichten Attest vom 8. April 1999.
Die Beklagte holte im Widerspruchsverfahren ein weiteres Gutachten von dem Neurologen/Psychiater Dr. M. vom 7. Mai 1999 ein. Dieser diagnostizierte ein Halswirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei langjährig bestehender neurotischer Fehlhaltung und Adipositas per magna. Der Gutachter hielt die Klägerin für fähig, vollschichtig als Verkäuferin mit der Gelegenheit zum Wechsel von Sitzen und Stehen, ohne ausgeprägte Zwangshaltungen, tätig zu sein. Ferner gab er an, die Wegefähigkeit der Klägerin sei nicht beschränkt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juli 1999 wies die Beklagte sodann den Widerspruch unter Hinweis auf das eingeholte fachärztliche Gutachten zurück.
Die Klägerin hat am 26. Juli 1999 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Sie hat ein weiteres Attest (vom 2. Dezember 1999) von dem Orthopäden Dr. L. eingeholt, der über Schulter- und Rückenschmerzen sowie die Notwendigkeit von starken Schmerzmitteln berichtet hat. Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin erneut vorgetragen, sie könne nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden. Im Übrigen habe sie im kaufmännischen Bereich oder in der Verwaltung keine Kenntnisse, insbesondere keine Computer- oder Schreibmaschinenkenntnisse.
Die Beklagte hat zur Erwiderung vorgetragen, mit ihrem Restleistungsvermögen könne die Klägerin auf die Tätigkeit einer kaufmännischen Angestellten oder Verwaltungsangestellten für Bürohilfstätigkeiten im kaufmännisch-verwaltenden Bereich von Handels- und Wirtschaftsunternehmen und in Behörden nach der Gehaltsgruppe K1 im Einzelhandel bzw. Vergütungsgruppe IX BAT verwiesen werden.
Das SG Bremen hat die Klage mit Urteil vom 20. Juni 2000 abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, die Klägerin könne zumutbar auf eine Beschäftigung als Kassiererin an Packtischen verwiesen werden. Für eine solche Tätigkeit habe sie auf Grund ihrer Berufsausbildung und ihrer langjährigen Verkäuferinnentätigkeit ausreichende Vorkenntnisse. Auch dem Erfordernis, wechselnde Körperhaltungen einzunehmen, könne bei Tätigkeiten dieser Art Rechnung getragen werden.
Gegen dieses ihr am 26. Juli 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. August 2000 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Bremen eingelegt. Sie hat einen Neufeststellungsbescheid des Versorgungsamts Bremen über die Feststellung eines Grades der Behinderung von 50 ab März 2001, einen Bescheid des Arbeitsamts Bremerhaven über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 18. September 2001, einen Bericht des Radiologen Dr. N. vom 11. Februar 2002 über eine Magnetresonanz-Tomographie des rechten Kniegelenks und einen Bericht des Radiologen Dr. O. vom 17. Mai 2002 über ein Knochenszintigramm eingereicht. Zur Begründung ihrer Berufung trägt sie vor, die Verweisung auf eine Tätigkeit als Kassiererin sei für sie angesichts ihrer vielfältigen körperlichen Beschwerden nicht nachvollziehbar. Im Übrigen hat die Klägerin angegeben, nicht im Arbeitsprozess zu stehen, im Besitz eines Führerscheins zu sein und nicht über einen Pkw zu verfügen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juni 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 1999 zu verurteilen, ihr ab 1. Mai 2001 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Erwiderung auf die nach ihrer Auffassung zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils.
Das Gericht hat einen Befundbericht von Herrn Dr. L. vom 10. Oktober 2000 eingeholt, welcher über eine Verschlimmerung der Beschwerden und eine Chronifizierung der Schmerzen berichtet hat. Einen weiteren Befundbericht hat der Neurochirurg K. unter dem 8. November 2000 abgegeben. Der Neurologe/Psychiater Dr. P. hat einen Arztbericht vom 20. Januar 2000 über eine einmalige Untersuchung eingereicht; darin wird über ein chronisches Schmerzsyndrom berichtet und eine wesentliche Persönlichkeitsstörung verneint.
Von dem Orthopäden Dr. Q. hat das Gericht ein Gutachten vom 14. Mai 2001 eingeholt. Der Sachverständige diagnostiziert ein generalisiertes degeneratives myostatisches Vertebralsyndrom mit schmerzhaften Bewegungsstörungen nahezu aller Wirbelsäulensegmente ohne neurologische Komplikationen, eine beiderseitige Koxarthrose mit schmerzhafter Bewegungsstörung, eine beiderseitige vorwiegend linksbetonte Valgus-Gonarthrose mit schmerzhafter Bewegungsstörung und herabgesetzter Belastbarkeit bei Zustand nach arthroskopisch durchgeführter linksseitiger Knorpelfurage, eine beiderseitige degenerative Periarthropathia humeroscapularis mit Belastungsschmerzen sowie eine hochgradige Adipositas (Angabe eines Gewichts von 114 kg). Er hält die Klägerin zwar für fähig, vollschichtig eine leichte Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung in geschlossenen Räumen ohne Kälte, Nässe, Hitze und Zugluft zu verrichten. Weiter vertritt er jedoch die Auffassung, wegen der Veränderungen und Beschwerden im Bereich der Kniegelenke, der Wirbelsäulenveränderungen und des Übergewichts sei die Klägerin nicht mehr in der Lage, ohne Gefährdung ihrer Gesundheit mehrmals am Tage Wegstrecken zurückzulegen, die mehr als 500 m betrügen; öffentliche Verkehrsmittel könnten jedoch benutzt werden. Das so beschriebene Leistungsvermögen bestehe seit Rentenantragstellung.
Die Beklagte hat zu diesem Gutachten Stellung genommen und ausgeführt, eine beschränkte Wegefähigkeit sei nicht zu erkennen. Insbesondere ergebe sich aus dem Gutachten nicht, dass ein starker Verschleiß der Knie- und Hüftgelenke vorliege. Das Gangbild werde nicht durch Hüftgelenksbeschwerden bestimmt, es werde auch keine Gehhilfe benutzt. Wegefähigkeit sei im Übrigen auch bereits dann anzunehmen, wenn für die Zurücklegung der Wege zum und vom Arbeitsplatz öffentliche Verkehrsmittel bzw. ein eigenes Auto benutzt werden könnten. Auch seien die medizinischen und verwaltungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kfz-Hilfe nicht erfüllt.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Januar 2002 gibt der Sachverständige Dr. Q. an, im Bereich beider Hüftgelenke liege schon eine deutlich ausgeprägte Arthrose mit Funktionsbehinderung vor. Eine betonte schmerzhafte Bewegungseinschränkung bestehe daneben im Bereich beider Kniegelenke, insbesondere links. Schließlich stelle das erhebliche Übergewicht der Klägerin für sich schon eine starke Behinderung dar. Röntgenologisch zeige sich seit 1998 eine deutliche Zunahme der arthrotischen gelenkumformenden Prozesse.
Das Gericht hat die Rentenakte der Beklagten - Versicherungsnummer 28 220745 S 509 - beigezogen. Der Inhalt dieser Akte und der Prozessakte des LSG Niedersachsen-Bremen/SG Bremen - Az. L 12 R 37/00, S 8 RA 128/99 - ist zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Auf Grund von Änderungen in den gesundheitlichen Verhältnissen, die während des Berufungsverfahrens eingetreten sind, sind das Urteil des SG Bremen und der angefochtene Bescheid der Beklagten zu ändern. Für den Zeitraum ab Mai 2001 liegen bei der Klägerin die Voraussetzungen für die Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vor.
Der Anspruch richtet sich gemäß § 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) nach §§ 43, 240 SGB VI i.d.F. des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl.. I S. 1827) - SGB VI n.F. -.
Die Klägerin ist ab 1. Mai 2001 voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 SGB VI n.F. Nach dieser Vorschrift sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die Erwerbsminderung der Klägerin ist darauf zurückzuführen, dass ihr der Arbeitsmarkt praktisch verschlossen ist. Sie ist nach der Überzeugung des Gerichts jedenfalls seit April 2001 nicht mehr in der Lage, ihr vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem Arbeitsmarkt im Rahmen einer Erwerbstätigkeit einzusetzen. Maßgeblich ist dabei nicht die Tatsache, dass es der Klägerin und der Bundesanstalt für Arbeit in der zurückliegenden Zeit nicht gelungen ist, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Vielmehr ist entscheidend, dass die Klägerin nicht mehr als ausreichend wegefähig angesehen werden kann. Zur Erwerbsfähigkeit einer Versicherten gehört auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Dementsprechend bildet das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität einen Teil des in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Risikos. Hat eine Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihr ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihr möglich sein müssen, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass eine Versicherte für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von der Wohnung zum Verkehrs-mittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit der Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß zu bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Bei der Beurteilung der Mobilität der Versicherten sind alle ihr tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen. Die Einschränkung der Wegefähigkeit verschließt der Versicherten den Arbeitsmarkt deshalb nicht, wenn sie einen Arbeitsplatz innehat, der die zumutbaren Wegebedingungen aufweist oder mit einem vorhandenen Kraftfahrzeug erreichbar ist, oder ihr ein solcher Arbeitsplatz tatsächlich angeboten wird oder der Versicherungsträger diesbezügliche Leistungen zur Rehabilitation anbietet (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG vom 21.02.1989 - 5 RJ 61/88 = SozR 2200 § 1247 Nr. 56, vom 19.11.1997 - 5 RJ 16/97 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 10, und vom 14.03.2002 - B 13 RJ 25/01 R = SGb 2002, 329).
Nach den das Gericht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Q. in seinem Gutachten vom 14. Mai 2001, die er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20. Januar 2002 noch besonders verdeutlicht hat, ist die Klägerin nicht mehr in der Lage, vier Mal täglich eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb eines zumutbaren Zeitaufwands von jeweils 20 Minuten zurückzulegen. Grund für die eingeschränkte Gehfähigkeit sind die schmerzhaften Funktionseinschränkungen im Bereich der Hüft- und Kniegelenke in Kombination mit dem seit vielen Jahren bestehenden erheblichen Übergewicht. Der Einschätzung des Sachverständigen steht es nach Auffassung des Gerichts nicht entgegen, dass er noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung angenommen hat. Hieraus kann nicht der Schluss gezogen werden, dass die Verschleißerscheinungen der Knie- und Hüftgelenke nur gering ausgeprägt sind. Auch wenn die Klägerin an einem Arbeitsplatz gelegentlich kleinere Gehstrecken zurücklegen kann, bedeutet dies nicht, dass sie auch zur Zurücklegung eines Arbeitsweges von mehr als 500 m in der Lage ist. Ferner wird die Einschätzung des Sachverständigen nicht nur durch den klinischen Befund, sondern auch durch den Röntgenbefund belegt. So bestehen sowohl im Bereich der Hüftgelenke als auch im Bereich der Kniegelenke deutliche arthrotische Veränderungen.
Angesichts des im Termin zur mündlichen Verhandlung gestellten Antrags der Klägerin kann es dahinstehen, ob dieses Leistungsvermögen - und damit auch die eingeschränkte Wegefähigkeit - unverändert bereits seit Antragstellung bestanden hat. Jedenfalls bei der im April 2001 durchgeführten Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. Q. ist festgestellt worden, dass es der Klägerin nicht mehr möglich ist, eine im Allgemeinen für die Zurücklegung eines Arbeitswegs erforderliche Strecke (ohne Gefährdung ihrer Gesundheit) zurückzulegen. Der Sachverständige hat hierzu in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. Januar 2002 hervorgehoben, dass die vergleichende Beurteilung der Röntgenaufnahmen aus den Jahren 1998 bis 2001 ein deutliches Fortschreiten der arthrotischen gelenkumformenden Prozesse zeige. Ferner haben der behandelnde Orthopäde R. in seinem Befundbericht vom 10. Oktober 2000 bereits Angaben über eine der Klägerin noch mögliche Gehstrecke im grenzwertigen Bereich von 500 m gemacht und der Neurochirurg und Schmerztherapeut K. in seinem Bericht vom 8. November 2000 die "freie" Gehstrecke mit um 100 m angegeben.
Auch die weiteren Voraussetzungen für die Annahme eines verschlossenen Arbeitsmarkts auf Grund fehlender Wegefähigkeit sind im Falle der Klägerin gegeben. Sie hat weder einen Arbeitsplatz inne, den sie trotz der Einschränkung ihrer Gehfähigkeit erreichen kann, noch ist sie im Besitz eines Kraftfahrzeugs. Ihr sind auch weder ein solcher Arbeitsplatz noch Rehabilitationsleistungen in Form von Kfz-Hilfe angeboten worden. Schließlich liegen nicht die Voraussetzungen vor, unter denen nach § 102 Abs. 2 Satz 4 SGB VI die Rente befristet zu gewähren ist. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich die Leistungsfähigkeit der Klägerin künftig steigern wird.
Die Berufung hatte nach alledem Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision lag kein gesetzlicher Grund im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG vor.