Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.10.1998, Az.: 12 Sa 2487/97
Anspruch auf Geriatriezulage; Korrektur der Eingruppierung durch Gewährung der Geratriezulage; Sinn und Zweck der Geriatriezulage
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 20.10.1998
- Aktenzeichen
- 12 Sa 2487/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 16995
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1998:1020.12SA2487.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 17 BMT-AW II
- § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz
In dem Rechtsstreit
hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 20.10.98
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Wert des Berufungsverfahrens 931,68 DM.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der teilzeitbeschäftigten Klägerin eine sogenannte Geriatriezulage in voller Höhe zusteht.
Die Klägerin ist seit dem 16. Januar 1979 im Seniorenzentrum Vahrenwald des Beklagten als Altenpflegehelferin tätig. Ihre regelmäßige Arbeitszeit beträgt 24,66 Stunden wöchentlich. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt Anwendung.
Hinsichtlich der Vergütung nicht Vollbeschäftigter heißt es in § 17 des Bundes-Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt (BMT-AW II) unter anderem:
(1)
Nicht vollbeschäftigte Arbeitnehmer erhalten von der Vergütung/von dem Lohn (§ 23, 28), die für entsprechende vollbeschäftigte Arbeitnehmer festgelegt ist, den Teil, der dem Maß der mit ihnen vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit entspricht. Für jede Arbeitsstunde, die der Arbeitnehmer darüber hinaus leistet, erhält er den für eine Stunde entfallenden Anteil der Vergütung/des Lohnes eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers; § 13 Abs. 1 bleibt unberührt....
(2)
Abs. 1 gilt entsprechend für die in Monatsbeträgen festgelegten Zulagen, soweit diese nicht nur für vollbeschäftigte Arbeitnehmer vorgesehen sind.
Die Klägerin erhält eine tariflich vorgesehene Geriatriezulage. Diese ist im Tarifvertrag über die Tätigkeitsmerkmale zum Bundesmanteltarifvertrag (BMT-AW II) für die Arbeitnehmer der Arbeiterwohlfahrt, Teil II Abschnitt B in der Protokollerklärung Nr. 1 geregelt, welche lautet:
(1)
Pflegepersonen der Vergütungsgruppen AW-KrTI bis AW-KrTVII, die die Grund- und Behandlungspflege seitlich überwiegend beia)
an schweren Infektionskrankheiten erkrankten Patienten (z. B. Tuberkulose-Patienten), die wegen der Ansteckungsgefahr in besonderen Infektionsabteilungen oder Infektionsstationen untergebracht sind,b)
Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen (Open-door-System) psychiatrischen Abteilungen oder Stationen,c)
Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen,d)
gelähmten oder an multipler Sklerose erkrankten Patientenausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,00 DM.
(2)
Pflegepersonen der Vergütungsgruppen AW-KrT IV bis AW-KrT VIII, die alsa)
Stationspflegerinnen oderb)
Pflegepersonen in anderen Tätigkeiten mit unterstellten Pflegepersoneneingesetzt sind, erhalten die Zulage nach Abs. 1 ebenfalls, wenn alle ihnen durch ausdrückliche Anordnung ständig unterstellten Pflegepersonen Anspruch auf eine Zulage nach Absatz 1 haben. Die Zulage steht auch Pflegepersonen zu, die durch ausdrückliche Anordnung als ständige Vertreterinnen einer in Satz 1 genannten Anspruchsberechtigten bestellt sind
Der Beklagte kürzt die Geriatriezulage der Klägerin entsprechend dem Verhältnis ihrer Teilzeit-Arbeitszeit zur Arbeitszeit einer Vollbeschäftigten. Die Klägerin ist damit nicht einverstanden und meint, ihr stehe auch als Teilzeitbeschäftigter die Geriatriezulage in voller Höhe zu.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin die Differenzbeträge zwischen anteiliger gezahlter und voller Zulage für den Zeitraum vom 1. Juni 1995 bis zum 31. Juli 1997 geltend.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 744,05 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 05.05.1997 und weitere 97,05 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag ab 08.08.1997 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, aus dem Entgelt-Charakter der Geriatriezulage folge, daß deren Kürzung bei teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern ohne Verstoß gegen § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz möglich sei.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 36, 37 d.A.) sowie den Inhalt der zu den Akten I. Instanz gelangten Schriftsätze und Anlagen der Parteien verwiesen.
Das Arbeitsgericht Hannover hat durch das am 30. September 1997 verkündete, hiermit in Bezug genommene Urteil (Bl. 35-40 d.A.) die Klage kostenpflichtig abgewiesen und den Streitwert auf 841,10 DM festgesetzt. Es hat angenommen, die Kürzung der Geriatriezulage auf zeitanteilige Leistung verletze im vorliegenden Fall nicht § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz. Mit dem Bundesarbeitsgericht sei davon auszugehen, daß allein der Umfang der Arbeitsleistung keinen Sachgesichtspunkt zu differenzierender Zahlung bilden könne, sondern auf den Zweck der Leistung abzustellen sei. Solle eine generelle Belastung ausgeglichen werden, dürfe den Teilzeitbeschäftigten keine gekürzte Zulage gezahlt werden, weil dies gegen § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz verstoße. Handele es sich dagegen nicht um eine generelle Belastung, so sei die Kürzung rechtens, sofern dies sachliche Gründe rechtfertigten. Im Streitfall sei bei der Geriatriezulage keine generelle Belastung, die auszugleichen wäre, erkennbar. Deutlich unterscheide sich diese Zulage etwa von einer Wechselschichtzulage, welche in den Lebensrhythmus des Menschen eingreife. Mit dieser vergleichbar liege die Zahlung der Zulage wegen Ansteckungsgefahr nach Buchstabe a) der Protokollerklärung. Einem solchen Risiko seien vollzeitbeschäftigte und teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gleichermaßen ausgesetzt. Entsprechende Risiken seien für den Einsatz der Klägerin in der Geriatrie nicht erkennbar. Hier seien keine generellen Belastungen zu nennen, welche die Pflege schwieriger oder risikoreicher machten als in anderen Abteilungen. Insofern sei es Zweck der Geriatriezulage, die Eingruppierung zu korrigieren. Die Zulage habe deshalb Entgelt-Charakter und könne an teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer zeitanteilig gekürzt gezahlt werden.
Gegen das ihr am 3. November 1997 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Dezember 1957 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Februar 1998 am nämlichen Tage begründet.
Sie macht geltend, die Interpretation des Arbeitsgerichts hinsichtlich des Zweckes der Zulage lasse sich dem einschlägigen Tarifrecht nicht entnehmen. Die Protokollerklärung Nr. 1 der Eingruppierungsmerkmale für das Pflegepersonal in Anstalten und Heimen des BMT-AW II codifiziere diejenigen Tätigkeiten, welche nach Auffassung der Tarifvertragsparteien mit besonderen Erschwernissen und Belastungen verbunden seien. Dies seien die Behandlung und Betreuung von Patienten:
- mit Infektionskrankheiten,
- in der Psychiatrie,
- in der Geriatrie,
- mit Lähmungen oder multipler Sklerose.
Nach Meinung der Tarifvertragsparteien sei die Behandlung und Betreuung in diesen Fällen besonders schwierig und belastend im Vergleich zu derselben Arbeit mit anderen Menschen. Als Ausgleich dafür werde die Zulage von 90,00 DM gewährt. Der Zulagenzweck bestehe darin, diese besonderen Belastungen auszugleichen. Die Belastungen und Erschwernisse träfen jeden Arbeitnehmer voll und ganz, gleich ob ein Vollzeit- oder ein Teilzeitarbeitsverhältnis bestehe. Es handele sich um eine Zulage, die generell unter anderem auf die Arbeit mit geriatrischen Menschen abstelle. Der damit einhergehenden generellen Belastung sei die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte in gleicher Weise ausgesetzt, wie vollzeitbeschäftigte Angestellte.
Der seinem Wortlaut nach möglicherweise entgegenstehende§ 17 Abs. 2 BMT-AW II sei wegen Verstosses gegen§ 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz nichtig.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 744,05 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 05.05.1997 und weitere 97,05 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 08.08.1997 zu zahlen,
- 2.
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine monatliche Geriatriezulage von. 90,00 DM brutto zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
Die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 3. März 1998 (Bl. 60-62 d.A.).
Wegen des weiteren Parteivorbringens zweiter Instanz wird auf den Inhalt der vor dem Berufungsgericht gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsniederschrift vom 20. Oktober 1998 (Bl. 70, 71 d.A.) verwiesen.
Gründe
Die nach der Beschwer statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung (§§ 66 ArbGG, 518, 519 ZPO), hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden und angenommen, daß der Klägerin ein Anspruch auf die volle Geriatriezulage nicht zusteht. Dem folgt die Kammer.
Das Landesarbeitsgericht schließt sich der Begründung des Arbeitsgerichts an und sieht von einer nochmaligen ausführlichen Darlegung der Rechtslage deshalb gemäß § 543 Abs. 1 ZPO ab. Im Hinblick auf die Angriffe der Berufung ist ergänzend noch folgendes auszuführen:
Die Klägerin wird nicht "wegen der Teilzeitarbeit" (vgl.§ 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz) gegenüber vollzeitbeschäftigten Altenpflegehelferinnen benachteiligt. Eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern im Sinne der Regelung des § 2 Abs. 1 Beschäftigungsförderungsgesetz liegt nicht vor, wenn das "Arbeitsentgelt" eines teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entsprechend seiner verminderten Arbeitszeit gemindert wird (BAG, NZA 97, 661 ff [BAG 11.12.1996 - 10 AZR 359/96]). Bei der Geriatriezulage handelt es sich um Arbeitsentgelt dessen Höhe durch die Dauer der Arbeitszeit bestimmt wird.
Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, daß gemäß dem Eingangssatz von Absatz 1 der Protokollerklärung Nr. 1 die Zulage nur zu zahlen ist, wenn die Grund- und Behandlungspflege bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen "zeitlichüberwiegend" ausgeübt wird. Daraus folgt, daß nicht allein die bloße Tätigkeit der Grund- und Behandlungspflege bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen den Anspruch auf die Zulage auslösen soll. Die Geriatriezulage soll deshalb nach dem Willen der Tarif Vertragsparteien keineswegs Erschwernisse oder Aufwendungen abwenden, welche Vollzeit- und Teilzeitkräfte gleichermaßen treffen, sondern Sinn und Zweck der Zulage ist, die jeweilige konkrete Belastung abzugelten. Nicht die generelle Pflege alter und kranker Menschen - einer derartigen Belastung wäre die Klägerin als Teilzeitkraft in gleicher Weise ausgesetzt, wie die vollzeitbeschäftigten Angestellter. - soll ausgeglichen werden, sondern die zusätzliche Anstrengung, welche darin besteht, daß zeitlich überwiegend Kranke in geriatrischen Abteilungen oder Stationen gepflegt werden. Damit wird gerade nicht allein die sich aus der Arbeit in derartigen Abteilungen oder Stationen überhaupt ergebende Belastung vergütet.
Hinzu kommt, daß nach Absatz 2 der Protokollerklärung Nr. 1 Stationspflegerinnen oder Pflegepersonen in anderen Tätigkeiten mit unterstellten Pflegepersonen, die Zulage ebenfalls erhalten, wenn alle ihnen durch ausdrückliche Anordnung ständig unterstellten Pflegepersonen Anspruch auf eine Zulage nach Abs. 1 haben. Hierdurch bringen die Tarifvertragsparteien deutlich zum Ausdruck, daß es sich bei der Geriatriezulage um Arbeitsentgelt und nicht um die Abgeltung von allgemein mit der Arbeit verbundenen Erschwernissen und Aufwendungen handelt. Denn die Zahlung der Zulage ist im Falle des Absatz 2 lediglich abhängig von dem Zulagenanspruch der unterstellten Pflegepersonen.
Die Berufung war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. I ZPO zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. II Nr. 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Wert des Berufungsverfahrens 931,68 DM.