Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.1998, Az.: 11 Sa 1968/97
Lohnfortzahlung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall; Arbeitsunfähigkeit; Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 26.01.1998
- Aktenzeichen
- 11 Sa 1968/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 10769
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1998:0126.11SA1968.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Nienburg - AZ: 2 Ca 1034/97
Rechtsgrundlagen
- § 2 LohnFZG
- § 3 EFZG
- § 6 Abs. 6 RTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- u. Fertigteilindustrie und des Betonsteinhandwerks
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
§ 6 Abs. 6 RTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- und Fertigteilindustrie und des Betonhandwerks vom 14.06.1993 enthält hinsichtlich der Lohn-/Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall keine eigenständige Regelung, sondern nur eine Verweisung auf die gesetzliche Regelung.
In dem Rechtsstreit
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 26.01.98
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ...
und die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 27.08.1997 - 2 Ca 1034/97 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit im Monat Mai und Juni 1997 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu 100 % oder nur zu 80 % zusteht.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem Betonsteinhandwerk Norddeutschland vom 14.09.1993 (RTV) Anwendung.
Der § 6 Abs. 6 RTV hat folgenden Wortlaut:
Arbeitsausfall in Folge Krankheit
"Es gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall"
Der Kläger hat mit Schreiben vom 25. Juli 1997 für den Monat Mai 1997 einen Betrag von 430,40 DM und für den Monat Juni 1997 einen Betrag von 624,04 DM brutto geltend gemacht, den die Beklagte nicht ausbezahlt hatte, weil sie sich auf den Standpunkt stellte, nur zur 80 %igen Entgeltsfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet zu sein.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er habe aufgrund des § 6 Abs. 3 RTV Anspruch auf die 100 %ige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die durch das Gesetz zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung 1996 eingefügte Neuregelung der Entgeltsfortzahlung im Krankheitsfalle könne nicht zur Anwendung kommen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.154,44 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenen Nettobetrag seit dem 28. Juli 1997 zu zahlen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 1.154,44 DM festgesetzt.
Wegen der Urteilsbegründung im einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.
Der Kläger hat gegen das ihm am 11.09.1997 zugestellte Urteil am Montag, den 13.10.1997 Berufung eingelegt und diese am 13.11.1997 begründet.
Er ist der Auffassung, nach dem Tarifvertrag weiterhin Anspruch auf 100 %ige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu haben. Die textliche oder inhaltliche Übernahme gesetzlicher Regelungen in Tarifvertragsnormen sei ein Hinweis auf den von den Tarifparteien gewollten konstitutiven Charakter einer Regelung. Die Regelung sei im übrigen als statische Regelung zu verstehen, die die Lohnfortzahlung wie im Zeitpunkt des Tarifabschlusses (14.09.1993) festschreibe. Dies auch deshalb, weil bei Abschluß des Tarifvertrages nicht erkennbar gewesen sei, daß sich die gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung in der Weise ändern würde, daß statt der bisherigen 100 %igen Lohnfortzahlung in Zukunft nur noch eine 80 %ige Zahlung der Vergütung erfolgen würde. Deshalb sei der mutmaßliche Wille der tarifvertragschließenden Parteien dahin gegangen, die 100 %ige Lohnfortzahlung festzuschreiben, denn eine "Jeweiligkeitsklausel", mit der eine Dynamik hätte zum Ausdruck zum Ausdruck gebracht werden können, fehle.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Nienburg vom 27.08.1997 - 2 Ca 1034/97 - die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.154,44 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 26.11.1987 (Bl. 44-48 d. A.), auf den Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerechte und insgesamt zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Dem Kläger steht kein Anspruch auf restliche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von weiteren 20 % gestützt auf § 6 Abs. 3 RTV in Verbindung mit § 2 Lohnfortzahlungsgesetz (1969) zu.
Die erkennende Kammer schließt sich dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 26.09.1997 - 2 Sa 1225/97 - an und macht sich dessen Ausführungen zu eigen, die wie folgt lauten:
Das Bundesarbeitsgericht geht mit ständiger Rechtssprechung (vergleiche BAG, Urteil vom 14.02.1996, 2 AZR 166/95, in EZA Nr. 54 zu § 622 n. F. mit zahlreichen weiteren Nachweisen) davon aus, daß bei Tarifverträgen jeweils durch Auslegung zu ermitteln ist, inwieweit die Vertragsparteien eine selbständige, d. h. in ihrer normativen Wirkung von der außertariflichen Norm unabhängige eigenständige Regelung treffen wollen. Dieser Wille müsse im Tarifvertrag einen hinreichenden erkennbaren Ausdruck gefunden haben. Das sei regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spreche hingegen, wenn einschlägige gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert übernommen werden (so BAG a. a. O.).
Die Bestimmung des § 6 Abs. 3 RTV, die bei Abschluß des Tarifvertrages am 14.09.1993 in das Tarifwerk aufgenommen wurde lautet, "es gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall". Die Tarif Vertragsparteien haben damit seinerzeit keine eigenständige Regelung getroffen, sondern die konkrete Bezeichnung des damals geltenden Lohnfortzahlungsgesetzes gewählt. Dies spricht mangels anderer Anhaltspunkte mit dem Bundesarbeitsgericht dafür, daß lediglich ein deklaratorischer Charakter der Übernahme der gesetzlichen Bestimmung des Lohnfortzahlungsgesetzes vorliegt.
Die Tarifvertragsparteien machen durch diese Formulierung deutlich, daß sie für die Frage der Lohn/Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall keine eigenständige Regelung treffen, sondern sich der gesetzlichen Regelung unterwerfen. Diese Annahme ist insbesondere deshalb geboten, weil seit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.01.1988 (BAG Urteil vom 28.01.1988, 2 AZR 296/87, in AP Nr. 24 zu§ 622 BGB) das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, daß der Normsetzungswille der Tarifverragsparteien deutlich zum Ausdruck kommen müsse, wenn sie in einem Tarifvertrag eine gesetzliche Regelung als eigene Regelung übernehmen wollen (vgl. BAG a. a. O.; BAG Urteil vom 05.10.1995, 2 AZR 353/95, in NZA 1996, 325 (327)). Das Bundesarbeitsgericht hat insoweit ausgeführt, daß bereits die schlichte Einführung "unabhängig von der gesetzlichen Regelung" oder "auch bei Änderung der gesetzlichen Regelung" ebenso wie eine Anmerkung in einer Protokollnotiz den Normsetzungswillen der Tarifvertragsparteien dokumentiere.
Daran fehlt es vorliegend. Die Tarifvertragsparteien haben auf das 1993 geltende Lohnfortzahlungsgesetz verwiesen. Eine weitergehende Erklärung haben sie erkennbar nicht abgegeben. Dies läßt nur den Schluß zu, daß sie einen Normsetzungswillen im Sinne einer konstitutiven Regelung nicht besessen haben und eine solche deshalb nicht haben schaffen wollen, denn - so das Bundesarbeitsgericht - "die Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann von den Tarifvertragsparteien erwartet werden".
Diese Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist spätestens seit der Entscheidung vom 28.01.1988 (BAG a. a. O.) gefestigt und bekannt.
Die Bestimmung des § 6 Abs. 3 RTV kann daher nur als allgemeiner Hinweis auf die gesetzliche Regelung der Lohn/Entgeltsfortzahlung verstanden werden. Es ist auch unerheblich, daß sich die Gesetzesbezeichnung 1994 änderte und das Lohnfortzahlungsgesetz mit dem Feiertagslohnzahlungsgesetz redaktionell verbunden wurde und im Entgeltfortzahlungsgesetz zusammengesetzt wurde. Die Bestimmung des§ 6 Abs. 3 RTV weist ab 1994 für den "Arbeitsausfall infolge Krankheit" weiterhin auf das einschlägige Gesetz, nunmehr das Entgeltfortzahlungsgesetz hin, daß die Tarif Verweisung als eine daklaratorische und dynamische Verweisung in die einschlägige gesetzliche Regelung der Lohn/Entgeltfortzahlung zu verstehen ist.
Die Dynamik der Verweisung auf die gesetzliche Bestimmung der Lohn/Entgeltfortzahlung folgt daraus, daß die Tarifvertragsparteien es unterlassen haben, eine bestimmte Rechtslage dadurch festzuschreiben, daß sie das Gesetz, auf das verwiesen wird, datumsmäßig festgehalten haben. Die Tarifvertragsparteien müssen bei dem Hinweis auf ein Gesetz stets damit rechnen, daß dieses Gesetz im Laufe der Jahre durch Maßnahmen des Gesetzgebers Veränderungen unterworfen ist. Wollen sie, obwohl sie in ihrem Tarifvertrag auf ein Gesetz Bezug nehmen, diese Veränderungen nicht gegen sich gelten lassen, so bedarf es einer ausdrücklichen Regelung.
Dies gilt im vorliegenden Fall bereits deshalb, weil am 24.06.1993 der Entwurf des ab 1994 geltenden Entgeltfortzahlungsgesetzes eingebracht worden war. Die erste Lesung fand am 01.07.1993 statt (vergleiche Darstellung bei Geyer/Knorr/Krasney, Entgeltfortzahlung, Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Einführung zum Entgeltfortzahlungsgesetz Seite E 312). Die Tarifvertragsparteien mußten also damit rechnen, daß sich möglicherweise Änderungen des Gesetzes gegenüber bestehenden Regelung im Entgeltfortzahlungsgesetz ergeben würden, wenn auch nicht im Bereich der Höhe der Entgeltfortzahlung. Wenn die Tarif Vertragsparteien sodann ohne datumsmäßige Fixierung auf die gesetzliche Regelung zur Lohnfortzahlung verweisen, so kann dieser Verweis nicht als statische Verweisung verstanden werden."
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Berufung war daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 77 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.