Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.08.1998, Az.: 11 Sa 1455/97

Tätigkeit der internationalen Transportarbeiterförderation (ITF) als Spitzenorganisation ; Voraussetzung für das Vorliegen einer Gewerkschaft; Bewertung einer Vereinbarung als Übereinkunft nichttariflicher Art

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
25.08.1998
Aktenzeichen
11 Sa 1455/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 17004
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1998:0825.11SA1455.97.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Lingen - 19.03.1997 - 2 Ca 1209/96

In dem Rechtsstreit
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 25.08.98
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nimmerjahn und
die ehrenamtlichen Richter Christel Duchna und Friedhelm Schomaker
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 19.03.1997 - 2 Ca 1209/96 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.756,72 DM brutto abzüglich gezahlter 1.777,48 DM netto zuzüglich 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag ab dem 20.07.1996 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Der Streitwert wird auf 5.979,00 DM festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Heueransprüche des Klägers, die sich aus den Regelungen des Manteltarifvertrages sowie des Heuer-Tarifvertrages für die Deutsche Seefahrt ergeben.

2

Der Kläger ist am 06.03.1962 geboren, seit dem 01.03.1991 Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste Transport und Verkehr (ÖTV). Er war in der Zeit vom 04.12.1995 bis 26.01.1996 bei der Beklagten auf deren Motorschiff "..." als Decksmann/Koch im 2. bis 4. Berufsjahr beschäftigt. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Deutschland.

3

Die Beklagte gehört keinem Arbeitgeberverband an. Sie beauftragte die Firma ... damit, wesentliche Teile der Bereederung durchzuführen, insbesondere für die Partenreederei "..." die notwendigen Arbeitsverträge abzuschließen. Mit Datum vom 19.10.1995 schloß diese für die Beklagte mit der internationalen Transportarbeiterförderation (ITF) ein "GIS-FLEET AGREEMENT" und ein "SPECIAL AGREEMENT TO THE GIS-FLEET AGREEMENT" (Bl. 90-108 d. A.). Die ITF wurde dabei durch die ÖTV bei Abschluß des Vertrages vertreten.

4

In diesen Verträgen verpflichtete sich die Beklagte zur Anwendung des Manteltarifvertrags und des Heuertarifvertrages für die Deutsche Seeschiff fahrt für ihr Schiff "...". Die "..." wurde daraufhin in die Liste der tarifgebundenen Schiffe (Bl. 250 d. A.) aufgenommen.

5

§ 27 des ISR-Flottenvertrages verpflichtet die Beklagte keinen Seemann zur Unterzeichnung eines Dokumentes aufzufordern oder zu drängen, indem sich dieser durch Verzichtserklärung oder Abtretung oder in anderer Form bereit erklärt oder verspricht, Veränderungen der Bestimmungen des vorliegenden Vertrages zu akzeptieren oder Heuer oder andere Bezüge, die ihm nach dem vorliegenden Vertrag zustehen oder zustehen werden, an die Reeder, ihre Bediensteten oder Agenten zurück zu zahlen. Ferner verpflichtet sich die Beklagte, daß alle bereits existierenden derartigen Dokumente null und nichtig und ohne rechtliche Wirkung seien. Dementsprechend enthielt auch Artikel i) des Sondervertrages zum ISR-Flottenvertrag die Verpflichtung "keinen Seemann aufzufordern bzw. von diesem zu verlangen, Dokumente jeglicher Art zu unterschreiben, wonach er Rechte aufgibt, die ihm aufgrund dieses Vertrages zustehen. Die Reederei erklärt sich bereit, jegliche bereits existierende Dokumente dieser Art als null und nichtig und ohne rechtliche Konsequenz zu behandeln...".

6

Die ..., die für die ... mit der Vertreterin der Beklagten beide Verträge abgeschlossen hat, ist der ... angeschlossen. In der ... sind zum einen nationale Gewerkschaften organisiert, zum anderen hat die ... außerhalb der Bundesrepublik Deutschland auch noch 20.000 einzelne Mitglieder.

7

Die Satzung der ... enthält keine ausdrückliche Bestimmung, nach der die ... zur Schließung von Tarifverträgen befugt ist. Nach der Satzung ist es ihr jedoch erlaubt, die einzelnen Gewerkschaften mit geeigneten Maßnahmen zu unterstützen. Art. XIV - Beistand bei Konflikten - lautet wie folgt:

"1.
Angeschlossene Organisationen können die ... bei größeren Konflikten um Beistand ersuchen.

2.
Solcher Beistand kann in organisierter, moralischer Unterstützung der Mitgliedsorganisation und ihre Standpunkte zu den Fragen bestehen, die den Konflikt auslösten, er kann Schritte bei nationalen Regierungen und zwischenstaatlichen Organisationen, finanzielle Unterstützung oder anderer Maßnahmen einschließen, die je nach den gegebenen Umständen als geeignet erscheinen ..."

8

In dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag vom 04.12.1995 vereinbarten diese unter anderem folgendes:

"Die Reederei ist nicht tarifgebunden, der jeweils gültige Heuer-Manteltarifvertrag für die Deutsche Seeschiff fahrt hat keine Gültigkeit. Es gelten die monatlich vereinbarten Bezüge des Heuerscheins ..."

9

Der Kläger ist der Auffassung, daß er von der Beklagten während seiner Tätigkeit bei dieser einen Betrag in Höhe von 7.756,72 DM brutto abzüglich 1.777,48 DM netto zuwenig erhalten habe, weil diese entgegen ihrer Verpflichtung gegenüber der ... nicht den gültigen Heuer-/Manteltarifvertrag für die Deutsche Seeschiff fahrt angewandt habe. Ihm stehe daher noch ein Restbetrag von 7.756,72 DM brutto abzüglich gezahlter 1.777,48 DM netto gegenüber der Beklagten zu. Hinsichtlich der Berechnung der unstreitigen Klageforderung wird auf den Inhalt des außergerichtlichen Schreibens des Klägers vom 28.02.1996 nebst Anlagen (Bl. 10-14 d. A.) Bezug genommen.

10

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 7.756,72 DM brutto abzüglich gezahlter 1.777,48 DM netto zuzüglich 4 % Zinsen auf den sich ergebenen Nettobetrag ab 20.07.1996 zu zahlen.

11

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Sie ist der Auffassung, es sei vollkommen unklar, in welcher Rechtsform die ... organisiert sei. Zum andern sei auch unklar, inwieweit es satzungsmäßige Aufgabe der ... sei, mit einzelnen Unternehmern oder Verbänden Tarifverträge abzuschließen.

13

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 5.979,24 DM festgesetzt.

14

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Forderung sei nicht begründet, denn der Heuer- und Manteltarifvertrag der Deutschen Seeschifffahrt finde auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Die Tarifverträge für die Deutsche Seeschifffahrt seien nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden. Auch haben die Parteien dieses Rechtsstreits deren Anwendung nicht im Arbeitsvertrag vereinbart sondern sie hätten im Gegenteil dessen Anwendung im Heuervertrag vom 04.12.1995 ausgeschlossen. Die Beklagte sei auch nicht Mitglied eines diesen Tarifvertrag abschließenden Arbeitgeberverbandes. Aus dem ISR-Flottenvertrag und dem Sondervertrag zum ISR-Flottenvertrag könne der Kläger keine Rechte herleiten. Die ITF als Spitzenorganisation im Sinne des § 2 Abs. 2 und 3 TVG könne nur dann Partei eines Tarifvertrages sein, wenn der Abschluß von Tarifverträgen zu ihren satzungsgemäßen Aufgaben gehöre. Dies müsse klar und deutlich der Satzung der Spitzenorganisation zu entnehmen sein, um Rechtssicherheit und Rechtsklarheit auch im Hinblick auf die Haftung der der Spitzenorganisation angeschlossene Verbände nach § 2 Abs. 4 TVG herzustellen. Es bedürfe daher in der Satzung einer ausdrücklichen Klarstellung, daß der Abschluß von Tarifverträgen zu den satzungsmäßigen Aufgaben der Spitzenorganisation gehöre. Allgemeine Aufgabenbeschreibungen oder Ziele der Spitzenorganisation genügten diesem gesetzlichen Gebot des§ 2 Abs. 3 Tarifvertrag nicht. Die Satzung der ... werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Die Regelungen in der Satzung, daß die ... die einzelnen Gewerkschaften mit geeigneten Maßnahmen unterstützen wolle, reiche nicht aus. Was geeignete Maßnahmen bei größeren Konflikten sei, sei in der Satzung nicht näher beschrieben. Daraus könnten die einzelnen angeschlossenen Gewerkschaften nicht ersehen, daß die Spitzenorganisation auch befugt sei, im eignenen Namen Tarifverträge abzuschließen. Daß die ... in der Vergangenheit Tarifverträge abgeschlossen habe, sei für sich allein genommen auch nicht geeignet, eine Tariffähigkeit zu bejahen, denn das bloße Tätigwerden außerhalb der satzungsgemäßen Aufgaben könne diese nicht erweitern und auch keine fehlende Tarif Zuständigkeit begründen.

15

Gegen dieses ihm am 10.07.1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.08.1997 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 07.11.1997 am 04.11.1997 begründet.

16

Er ist weiterhin der Auffassung, daß die ... kraft Satzung befugt sei, Tarifverträge abzuschließen. Nach Art. XIV Abs. 2 der Satzung sei sie zur Einleitung "geeigneter Maßnahmen bei größeren Konflikten" ermächtigt. Hierzu gehörten Arbeitskampf maßnahmen wie Streik und Boykott sowie der Abschluß von Tarifverträgen in Folge oder zur Vermeidung von Arbeitskampfmaßnahmen. Dementsprechend schließe die ... auch seit mehreren Jahrzehnten Tarifverträge ab. Diese Befugnis müsse auch im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.01.1995 zum Zweitregister gesehen werden. Dort beschränke das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte der ÖTV. Dies führe aber zu einem Kompensationsbedarf auf Seiten der Arbeitnehmer bzw. deren Vertretung. Im Falle des deutschen Zweitregisters vertrete die ITF in Bereichen, auf denen die ÖTV keinen Einfluß oder direkten Einfluß mehr habe die Arbeitnehmer. Dazu gehöre auch der Abschluß von Tarifverträgen, was nach englischem Recht keinem Zweifel unterliege. Im übrigen müsse davon aus gegangen werden, daß die Vollmacht zum Abschluß von Tarifverträgen gehabt habe. Eine Vollmacht der Erteilung könne ausdrücklich oder stillschweigend und formlos erfolgen. Zumindestens stillschweigend sei die ... von der ÖTV bevollmächtigt worden, Tarifverträge abzuschließen. Dies sei insbesondere auch im Zuge der deutschen Zweitregisterkampagne durch die ÖTV an die ... verfolgt. Die Bevollmächtigung ergebe sich auch daraus, daß im Rahmen der ...-Strategie Arbeitskämpfe in Deutschland von der ÖTV und derenörtlich bestellten Inspektoren durchgeführt würden. Damit hafte sie auch persönlich als Gewerkschaft für die Arbeitskampffolgen.

17

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lingen vom 19.03.1997 - 2 Ca 1209/96 - die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.756,72 DM brutto abzüglich gezahlter 1.777,48 DM netto zuzüglich 4 % auf den sich ergebenen Nettobetrag ab dem 20.07.1996 zu zahlen.

18

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie ist der Auffassung, das collektive Agreement sei genau genommen kein Vertrag, denn die ... stelle diese nicht zur Verhandlung. ITF und Reeder verpflichteten sich lediglich, dieses als Bestandteil der Heuer-Verträge gelten zu lassen. Verweigere ein Reeder dies, komme er auf die schwarze Liste und werde Opfer von Boykott-Maßnahmen. Eine normative Wirkung im Sinne des Tarif rechtes könne davon nicht ausgehen. Auch nach dem Special Agreement werde der Reeder lediglich verpflichtet, ohne daß es sich dabei um einen Tarifvertrag im Sinne des Tarifvertragsgesetzes handele. Zweifel - haft sei auch, ob es sich bei den von den ...-Inspektoren organisierten Arbeitskampf maßnahmen um gewerkschaftliche Arbeitskampfmaßnahmen handele. Die von diesen durchgeführten Boykott-Maßnahmen dürften als rechtswidrig anzusehen sein. Hier sei unbekannt, in welcher Form die ... seit mehreren Jahrzehnten Tarifverträge abschließe.

Gründe

20

Die form- und fristgerecht eingelegte und auch insgesamt zulässige Berufung hat Erfolg.

21

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Zahlung eines Betrag in Höhe von 7.756,72 DM brutto abzüglich bereits gezahlter 1.777,48 DM netto.

22

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus dem Heuer- und dem Manteltarifvertrag der Deutschen Seeschiff fahrt, der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

23

Bei der ... handelt es sich um eine Gewerkschaft, die berechtigt ist, Tarifverträge abzuschließen. Nicht nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, sondern auch ihre Zusammenschlüsse in Spitzenorganisationen können nach deutschem Recht Tarifverträge abschließen. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 2 und Abs. 3 TVG.

24

Gemäß § 2 Abs. 3 TVG können Spitzenorganisationen selbst Parteien eines Tarifvertrages sein, wenn der Abschluß von Tarifverträgen zu ihren satzungsmäßigen Aufgaben gehört. Der Wortlaut des § 2 Abs. 2 TVG erfordert für die Spitzenorganisation als "Zusammenschluß von Gewerkschaften" lediglich, daß sich mindestens zwei tariffähige Organisationen in einem Dachverband zusammengetan haben (Wiedemann in RdA 1995, 280). Dies ist der Fall, denn unstreitig sind in der ... nationale Gewerkschaften, in Deutschland z. B. die ÖTV, organisiert. Die ... als Spitzenorganisation ist auch berechtigt, selbst Partei eines Tarifvertrages zu sein, denn nach Auffassung der Kammer gehört es zu ihrem satzungsmäßigen Aufgaben auch, Tarifverträge abzuschließen (§ 2 Abs. 3 TVG). Zwar enthält die Satzung der ITF keine ausdrückliche Bestimmung, nach der sie zum Abschluß von Tarifverträgen befugt ist. Die Satzung erlaubt es jedoch der ..., die einzelnen Gewerkschaftsmitglieder mit geeigneten Maßnahmen zu unterstützen. Mitglieder der ITF sind auch die in ihr organisierten Gewerkschaften wie die ÖTV in Deutschland.

25

Bei der Auslegung der Satzung der ... muß berücksichtigt werden, daß es sich nicht um eine rein deutsche Spitzenorganisation handelt. Nach Art. XIV der Satzung der ..., der dem Beistand bei Konflikten Regelt, können die Organisationen, also die bei ihr organisierten Gewerkschaften, bei der ... bei größeren Konflikten um Beistand ersuchen. Solcher Beistand kann nach Ziffer 2 dieses Artikels neben organisierter moralischer Unterstützung mit Schritten bei nationalen Regierungen und zwischenstaatlichen Organisationen auch andere Maßnahmen einschließen, die je nach den gegebenen Umständen als geeignet erscheinen. Andere Maßnahmen, die nach den gegeben Umständen geeignet sind, eine Unterstützung der in der ... organisierten Gewerkschaften zu leisten, ist auch der Abschluß von Tarifverträgen. Dies ist hier zwar nicht ausdrücklich erwähnt, ergibt sich aber bei einer sachgerechten Auslegung. Die ... ist eine internationale Arbeiterorganisation, deren Ziel es unter anderem ist, international die Belange von Seeleuten auf Schiffen verschiedener Flagge zu vertreten. In diesem Zusammenhang schließt sie auch unstreitig Tarifverträge ab. Gerade weil die ... international tätig ist, können andere Maßnahmen auch der Abschluß von Tarifverträgen sein, die sonst auf nationaler Ebene nicht abgeschlossen werden könnten. Daraus folgt nach Ansicht der Kammer, daß unter andere Maßnahmen auch der Abschluß von Tarifverträgen zu verstehen ist.

26

Ist die ... aber als Spitzenorganisation tariffähig, dann kann sie auch in einzelnen Reedern Haustarife mit verbindlicher Wirkung für die Mitglieder der bei ihr organisierten Gewerkschaften, also auch derÖTV, abschließen.

27

Dies bedeutet, daß die mit der ... als Vertreter der Beklagten vereinbarten Verträge, nämlich den ISR-Flottenvertrag und den Sondervertrag zum ISR-Flottenvertrag rechtswirksam mit verbindlicher Wirkung auch für Mitglieder der ÖTV, also den Kläger gilt. Die im Heuervertrag vom 04.12.1995 unter Satz 1 vereinbarte Nichtanwendbarkeit des gültigen Heuer-Manteltarifvertrages für die Deutsche Seeschifffahrt ist wirkungslos mit der Folge, daß der Kläger, wie er es auch mit der Klage begehrt, gemäß diesem Tarifvertrag vergütet werden muß.

28

Der Anspruch des Klägers auf Abrechnung und Heuer gemäß den Regelungen des Manteltarifvertrages für Deutsche Seeschifffahrt sowie des Heuer-Tarifvertrages für die Deutsche Seeschifffahrt von 1994 ist aber auch dann gegeben, wenn der Auffassung, daß es sich bei dem Vertrag zwischen der ITF und der Beklagten nicht um einen Tarifvertrag handelt, gefolgt würde.

29

In diesem Falle würde es sich bei der Vereinbarung der ... mit der Beklagten um einen Koalitionsvertrag zugunsten Dritter handeln.

30

Bei der Bewertung der Vereinbarung der ... mit den Beklagten vom ... 19.10.1995 als nichttariflichen Vertrag, ist diese als Übereinkunft nichttariflicher Art anzusehen. Sie muß dann, weil eine der Beteiligten eine Koalition ist - und dies ist die ... als internationale Gewerkschaft - als Koalitionsvertrag zugunsten Dritter eingeordnet werden (vgl. BAG, Urt. v. 05.11.1997 - 4 AZR 872/95 - in NZA 1998, 654 m. w. N.).

31

Nach § 328 Abs. 1 BGB kann im Vertrag zugunsten eines Dritten eine Leistung an diesen mit der Wirkung vereinbart werden, daß der Dritte unmittelbar das Recht erwirkt, die Leistung zu fordern.

32

Die Auffassung der Beklagten, ein Vertrag sei deshalb mit der ... nicht zustande gekommen, weil sie diesen am 19.10.1995 nur abgeschlossen habe, um sonst drohenden Boykottmaßnahmen zu entgehen, ist unbegründet.

33

Die Beklagte hat offensichtlich eine Anfechtung des Vertrages gegenüber der ... wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) nicht erklärt. Sie hat eine solche innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB nicht einmal behauptet. Imübrigen wäre auch die Androhung eines Aufrufs zum Boykott durch die ITF nicht von vornherein rechtswidrig, denn neben Streik und Aussperrung gehört auch der Boykottaufruf zu den geschichtlich überkommenen Arbeitskampf maßnahmen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Er wird allgemein zu den rechtlich zulässigen Arbeitskampfmitteln gezählt (vgl. BAG, Urt. v. 19.10.1976 - 1 AZR 611/75 - in AP Nr. 6 zu § 1 TVG Form m. w. N.). Eine konkrete Androhung von Boykottmaßnahmen ihr gegenüber in Bezug auf die "..." hat die Beklagte zudem auch nicht vorgetragen.

34

Die zwischen der ITF und der Beklagten abgeschlossenen Verträge vom 19. Oktober 1995 verpflichten die Beklagte, die bei ihr auf der "..." beschäftigten Besatzungsmitglieder gemäß den Bedingungen des ISR-Flottenvertrages und des Sondervertrages zum ISR-Flottenvertrag zu beschäftigen. Damit erwächst den an Bord der "..." beschäftigten Seeleuten ein Anspruch auf die Leistung aus diesen Tarifverträgen. Sie erwerben als Dritte aus dem Vertrag das Recht, diese Leistungen gegenüber der Beklagten zu fordern. Dies ergibt sich auch insbesondere noch daraus, daß in beiden Verträgen sich die Beklagte verpflichtet, keinen Seemann zur Unterschrift eines Dokuments aufzufordern oder zu drängen, indem sich der Seemann durch Verzichtserklärung oder Abtretung in anderer Form bereit erklärt, Veränderungen der Bestimmungen dieser abgeschlossenen Verträge zu akzeptieren. Solche Vereinbarungen sind, nach der weiteren Erklärung, null und nichtig.

35

Die Beklagte konnte ohne die Zustimmung des Dritten - also des Klägers - nicht dessen Rechte aus dem Koalitionsvertrag aufheben, denn§ 328 Abs. 2 BGB verlangt dafür einen ausdrücklichen Vorbehalt im Vertrag, der hier nicht vereinbart wurde. Ene solche Möglichkeit haben die Vertragsparteien des Vertrags zugunsten Dritter gerade ausgeschlossen.

36

Dies betrifft auch die Vereinbarung im Heuervertrag zwischen den Parteien vom 04.12.1995, in dem die Beklagte mit dem Kläger vereinbart hat, daß der jeweilige Heuer-/Manteltarifvertrag für die Deutsche Seeschiff fahrt keine Gültigkeit besitzt. Diese Vereinbarung verstößt eindeutig gegen die von der Beklagten gegenüber der ITF eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zugunsten der auf der "..." beschäftigten Seeleute.

37

Demgegenüber kann die Beklagte nicht einwenden, daß der Kläger im Heuervertrag vom 04.12.1995 auf die ihm zustehenden Rechte nach dem Heuer- und Manteltarifvertrag für die Deutsche Seeschiff fahrt verzichtet hat.

38

Nach § 333 BGB gilt das Recht zwar als nicht erworben, wenn der Dritte das aus dem Vertrag erworbene Recht dem Versprechenden gegenüber zurückweist. Diese Vorschrift beruht auf dem Gedanken, daß niemand gegen seinen Willen ein endgültiger Rechtserwerb auf gezwungen werden soll (vgl. Paland-Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 333 Anmerkung 1).

39

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Ein Verzicht setzt mindestens voraus, daß der begünstigte Dritte von den ihm begünstigenden Recht überhaupt Kenntnis erhalten hat, denn nur Rechte, die ihm als Dritten bekannt sind, kann dieser auch zurückweisen.

40

Daran fehlt es hier.

41

Nichteinmal die Beklagte hat vorgetragen, daß sie den Kläger vor Abschluß des Heuervertrages darauf hingewiesen hat, daß sie mit der ITF Verträge abgeschlossen hat, nach denen sie verpflichtet ist, auf sein Arbeitsverhältnis die gültigen Heuer- und Manteltarif vertrage für die Deutsche Seeschiff fahrt anzuwenden. Im Gegenteil erweckt sie mit ihrem ersten Satz des Heuervertrages, daß sie nicht tarifgebunden sei, bei dem Kläger den Eindruck, daß er keinen Anspruch auf Anwendung der hier strittigen Tarifverträge habe. Die dann folgende Vereinbarung, daß diese Tarifverträge keine Anwendung finden, kann daher nicht als Zurückweisung eines Rechts durch den Kläger angesehen werden, denn die Beklagte spiegelte ihm gerade vor, daß er in Beziehung auf Tarifverträge überhaupt keine Rechte hat.

42

Der Klage war daher im begehrten Umfange stattzugeben, denn die Beklagte hat die Klageforderung der Höhe nach nicht bestritten sondern nur den Standpunkt vertreten, die Heuer- und Manteltarifverträge für die Deutsche Seeschifffahrt fänden keine Anwendung.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

44

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz zuzulassen.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 5.979,00 DM festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 3 ZPO.

Nimmerjahn,
Duchna,
Schomaker