Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.09.1998, Az.: 13 Sa 236/98

Anfechtung eines Auflösungsvertrages wegen Drohung und Arglist; Androhung einer außerordentlichen Kündigung, um den Abschluss eines Aufllösungsvertrages zu erreichen; Notwendigkeit der Personalratsbeteiligung bevor die Kündigung ausgesprochen wird; Voraussetzung für das Vorliegen einer Drohung mit empfindlichen Übel

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
08.09.1998
Aktenzeichen
13 Sa 236/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 16983
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1998:0908.13SA236.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 12.12.1997 - AZ: 4 Ca 539/96

In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 08.09.98
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 12.12.1997, 4 Ca 539/96, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 12.000,00 DM festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis durch den Auflösungsvertrag vom 19.07.1996 zum 31.08.1996 nicht aufgelöst worden ist. Er hat mit Klageschrift den Auflösungsvertrag wegen Drohung und Arglist angefochten.

2

Der 1945 geborene Kläger war seit 1971 als technischer Angestellter, zuletzt Verg.Gr. VI b BAT, bei dem beklagten Wasserverband beschäftigt. Gemäß Arbeitsvertrag (Bl. 6 d.A.) ist die Anwendung des BAT vereinbart. Bei dem Beklagten besteht eine Gleitzeitregelung, die Angestellten sind verpflichtet, ein Zeiterfassungsgerät zu bedienen.

3

Am 16.07.1996 verließ der Kläger gegen 15:30 Uhr seinen Arbeitsplatz, er hatte um 15:40 Uhr einen Massagetermin. Das Arbeitsende ist in der Zeiterfassung nicht eingeben, der Kläger hat - so seine Einlassung - entweder die Betätigung vergessen oder es liege ein Einlesefehler vor. Am 17.7. reichte der Kläger ein Zeitausgleichsformular, datiert auf den 16.07.1996, ein, auf dem er als Arbeitsende 16:00 Uhr eintrug (Bl. 20 d.A.). Ebenfalls unter dem Datum vom 16.07.1996 beantragte er für Freitag, den 19.07.1996 Kernzeitverletzung, d. h. einen freien Tag unter Anrechnung auf das Zeitkonto (Bl. 21 d.A.).

4

Der Zeuge ... recherchierte wegen des Arbeitsendes am 16.7. Er erfuhr von dem Massagetermin, fragte den Kläger zwei- oder dreimal, ob das Arbeitsende richtig angegeben sei. Der Kläger räumte ein, daß er sich um einige Minuten versehen haben könnte und korrigierte das Arbeitsende schließlich auf 15:55 Uhr.

5

Am 18.07.1996 informierte der Beklagte den Personalratsvorsitzenden des neunköpfigen Personalrats über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung des Klägers. Eine Personalratssitzung wurde für den 20.07.1996 anberaumt. Ebenfalls am 18.07.1996 wurde der auf den 19.07.1996 datierte Auflösungsvertrag (Bl. 5 d.A.) erstellt und bereits an diesem Tag vom Verbandsvorsteher unterzeichnet. Außerdem wurde das Kündigungsschreiben vom 19.07.1996 (Bl. 22 d.A.) erstellt. Auf Aufforderung des Beklagten erschien der Kläger am 19.07.1996 morgens gegen 7:00 Uhr zu einem Gespräch. Teilnehmer waren außer dem Kläger der Geschäftführer des Beklagten und der Zeuge ... Im ersten Gesprächsteil waren die Zeugen ... (Personalratsmitglieder) anwesend, im zweiten Gesprächsteil die Zeugin ... Der Gesprächsablauf ist streitig. Im Ergebnis steht fest, daß der Kläger durch Unterschrift den Empfang des Kündigungsschreibens bestätigt hat und den Auflösungsvertrag unterschrieben hat.

6

Der Kläger hat vorgetragen, er sei vor die Alternative gestellt worden, daß entweder eine sofortige Kündigung ausgesprochen werde oder daß eine Auflösungsvereinbarung getroffen werde. Die Androhung der außerordentlichen Kündigung sei widerrechtlich. Er habe sich an das Arbeitsende des Vortages, den Vordruck Zeitausgleich habe er am 17.07.1996 ausgefüllt, nicht mehr genau erinnert, wahrscheinlich habe er die übliche Weggangszeit 16:00 Uhr eingetragen. Er habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, sich Zeitguthaben zu erschleichen. Ein verständiger Arbeitgeber hätte in dieser Situation allenfalls eine Abmahnung in Betracht gezogen.

7

Der Kläger hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 04.02.1997 aufzuheben und festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch den Auflösungsvertrag vom 19.07.1996 nicht zum 31.08.1996 beendet worden ist.

8

Der Beklagte hat beantragt,

das Versäumnisurteil vom 04.02.1997 aufrecht zu erhalten.

9

Er hat vorgetragen, der Kläger sei in dem Gespräch auf sein Fehlverhalten hingewiesen worden, ihm sei erklärt worden, daß man sich entschlossen habe, ihm die fristlose Kündigung auszusprechen. Sodann sei ihm das Kündigungsschreiben überreicht worden, dessen Empfang er quittiert habe. Erst nach Zustellung der Kündigungserklärung sei über einen möglichen Aufhebungsvertrag gesprochen worden, diesen habe dann die Zeugin ... hereingebracht und dieser sei unterschrieben worden. In einem weiteren Gespräch am 03.08.1996 sei sodann noch einmal Einvernehmen darüber erzielt worden, daß das Arbeitsverhältnis beendet sei. Imübrigen sei er berechtigt gewesen, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen, da das Verhalten des Klägers den Tatbestand eines vorsätzlich begangenen Betruges erfülle. Wie aus dem Datum des Zeitausgleichsantrages ersichtlich, sei dieser bereits am 16.07.1996 ausgefüllt worden. Zu berücksichtigen sei weiter, daß der Kläger trotz dreimaliger Nachfrage des Zeugen ... das Arbeitsende von sich aus nicht auf den korrekten Zeitpunkt korrigiert habe.

10

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die gerichtliche Niederschrift vom 12.12.1997, Bl. 73 ff d.A..

11

Das Arbeitsgericht hat nach Klageantrag erkannt. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

12

Mit Berufung trägt der Beklagte vor, entscheidend sei darauf abzustellen, in welchem zeitlichen Ablauf die Kündigung ausgesprochen worden sei und der Aufhebungsvertrag abgeschlossen worden sei. Vorliegend sei die Kündigung ausgesprochen worden und dem Kläger zugegangen, nur so sei es im übrigen zu erklären, daß er deren Empfang bestätigt habe. Erst dann sei über den Aufhebungsvertrag verhandelt worden und dieser sei geschlossen worden. Im Rahmen der Aufhebungsvertragsvereinbarung habe deshalb keine Drohung, also ein Inaussichtstellen eines künftigen Übels bestanden, die Kündigung sei nämlich bereits ausgesprochen worden. Der vorgetragene Gesprächsablauf folge aus der erstinstanzlichen Beweisaufnahme und könne im übrigen bewiesen werden durch den Zeugen Jedenfalls sei aber zu berücksichtigen, daß der Kläger als Anfechtender die Beweislast für die Voraussetzungen einer widerrechtlichen Drohung habe. Darauf, daß die Kündigung wegen nicht abgeschlossener Personalratsbeteiligung unwirksam gewesen sei, könne nicht abgestellt werden. Der Zeuge ... habe als Personalratsvorsitzender ausgesagt, nach seiner Auffassung könne die Anhörung auch noch nachträglich erfolgen. Auf seiten des Personalrates und auf seiten des Beklagten hätten insoweit offenbar Wissenslücken bestanden, bösgläubiges Verhalten sei daraus aber nicht zu schließen. Im übrigen vertritt der Beklagte die Auffassung, daß eine Drohung mit fristloser Kündigung auch nicht widerrechtlich sei, weil aufgrund der Gesamtumstände von einem Betrugsversuch auszugehen sei. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.

13

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 12.12.1997 zum Az. 4 Ca 539/96 zu ändern und die Klage abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

15

Er trägt vor, er wisse heute nicht mehr, ob er Kündigung und Aufhebungsvertrag gleichzeitig, also kurz nacheinander oder aber zunächst die Kündigung und dann den Aufhebungsvertrag oder aber zunächst den Aufhebungsvertrag und dann die Kündigung unterschrieben habe. Das könne aber dahinstehen, weil Kündigung und Aufhebungsvertrag im unmittelbaren Zusammenhang unterschrieben worden seien, also von einem einheitlichen historischen Vorgang auszugehen sei. Imübrigen verteidigt der Kläger nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil.

16

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Herrn ... als Zeugen, wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die gerichtliche Niederschrift vom 08.09.1998, Bl. 162 d.A..

Gründe

17

Die Berufung des Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig. Die Berufung ist nicht begründet, der Aufhebungsvertrag ist vom Kläger wegen widerrechtlicher Drohung, § 123 BGB, wirksam angefochten worden.

18

Denkbar ist vorliegend zwar auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, § 123 BGB. Die Voraussetzungen der Arglist sind aber vom anfechtenden Kläger nicht dargelegt worden. Der Beklagte hat eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen, obwohl die Personalratsbeteiligung noch nicht abgeschlossen war, die am 19.07.1996 erklärte Kündigung war damit objektiv unwirksam. Es kann aber nicht festgestellt werden, daß der Beklagte den Kläger arglistig über die Wirksamkeit der Kündigung täuschen wollte. Arglist erfordert Täuschungswillen, d. h. der Handelnde muß die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen (Palandt, BGB, 57. Aufl., § 123, RdNr. 11). Für vorsätzliches Verhalten gibt es aber keine ausreichenden Anhaltspunkte. Der Beklagte beruft sich darauf, entsprechend der Aussage des Personalratsvorsitzenden ... sei auch er der Auffassung gewesen, daß die Personalratsbeteiligung noch nachträglich erfolgen könne. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß dieser Vortrag unrichtig ist, mithin kann Vorsatz nicht festgestellt werden. Gleiches gilt für einen weiteren möglichen Unwirksamkeitsgrund der Kündigung. Diese ist nur vom Geschäftsführer unterschrieben, nach § 13 Abs. 2 der Satzung vertritt aber der Verbandsvorsteher den Beklagten gerichtlich und außergerichtlich, der Geschäftsführer kann den Verband nur im Rahmen der laufenden Geschäfte vertreten. Auch insoweit kann der Vortrag des Beklagten, er sei der Auffassung, daß die außerordentliche Kündigung zu den laufenden Geschäften gehöre, nicht widerlegt werden. Mangels Feststellbarkeit der Arglist ist eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung damit nicht begründet.

19

Begründet ist dagegen die Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung. Dabei war davon auszugehen, daß die Besprechung vom 19.07.1996 in zwei Teilen abgelaufen ist. In einem ersten Teil ist über die fristlose Kündigung gesprochen worden, und zwar im Beisein der Personalratsmitglieder, der Zeugen ... Dies ergibt deren Aussage und die Aussage des Zeugen ... Dieser erste Teil endete damit, daß dem Kläger die außerordentliche Kündigung übergeben wurde. So hat der Zeuge ... bestätigt, daß die Kündigung noch im Beisein der Personalratsmitglieder übergeben wurde und vom Kläger gegengezeichnet wurde. Im Gegensatz dazu haben die Personalratsmitglieder in ihren Aussagen allerdings erklärt, daß in ihrem Beisein ein Kündigungsschreiben nicht übergeben wurde, der Zeuge ... hat lediglich erklärt, der Geschäftsführer habe in dem Gespräch eine mündliche fristlose Kündigung ausgesprochen. Andererseits steht fest, daß im zweiten Besprechungsteil über einen Aufhebungsvertrag gesprochen wurde und dieser schließlich unterschrieben wurde. Nach Aussage des Zeugen ... waren die Personalratsmitglieder nicht anwesend. Diese haben auch übereinstimmend bekundet, daß in ihrer Anwesenheit nichtüber den Aufhebungsvertrag gesprochen wurde. Nimmt man hinzu, daß der Empfang der Kündigung vom Kläger bestätigt wurde, was dafür spricht, daß erst die Kündigung ausgehändigt wurde und dann über den ... Aufhebungsvertrag verhandelt wurde, dann muß folgender Geschehensablauf als bewiesen angesehen werden: Im ersten Besprechungsteil ist über die Kündigung gesprochen worden und diese ist dem Kläger ausgehändigt worden, danach ist über einen Aufhebungsvertrag gesprochen worden und dieser ist unterzeichnet worden. Der Kläger hat diesem Geschehensablauf zumindest zweitinstanzlich auch nicht mehr substantiiert widersprochen, er kann sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern und hat das ganze als einheitlichen Vorgang empfunden. Zumindest ist dann aber davon auszugehen, daß der Kläger als beweisbelasteter Anfechtender einen abweichenden Besprechungsverlauf nicht nachgewiesen hat. Obwohl die Kündigung bereits ausgesprochen war und erst dann über einen Aufhebungsvertrag verhandelt wurde, ist Ursächlichkeit einer Drohung für den abgeschlossenen Aufhebungsvertrag zu bejahen.

20

Eine Drohung setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Darunter fällt auch die Androhung einer außerordentlichen Kündigung oder einer Strafanzeige. Das Ausnutzen einer seelischen Zwangslage stellt dagegen noch keine Drohung dar (z. B. BAG vom 09.03.1995, 2 AZR 644/94, BB 1996, S. 434; BGH AP Nr. 33 zu§ 123 BGB). Das LAG Brandenburg (NZA-RR 1998, S. 248 [LAG Brandenburg 16.10.1997 - 3 Sa 196/97]; ebenso Bauer NzA 1992, S. 1016) folgert aus diesen Grundsätzen: Wenn eine Kündigung bereits ausgesprochen ist, liege keine Drohung mit einer einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses mehr vor. Während der nachfolgenden Aufhebungsvertragsverhandlungen bestehe möglicherweise für den Arbeitnehmer eine Zwangslage. Diese berechtige aber nicht zur Anfechtung, weil ein zukünftiges Übel nicht mehr in Aussicht gestellt werde. Auch das BAG geht im Urteil AP Nr. 22 zu § 123 BGB unter I 5. offenbar davon aus, daß nach Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung nur das Ausnutzen einer Zwangslage bestehe, das nicht zur Anfechtung berechtige.

21

Nach Auffassung der Kammer ist eine Drohung nicht deshalb zu verneinen, weil die Kündigung bereits ausgesprochen ist, also ein zukünftiges Übel nicht mehr in Aussicht gestellt werde. Ob eine Drohung vorliegt, ist vom Empfängerhorizont zu beurteilen (BAG BB 1996, S. 434 [BAG 09.03.1995 - 2 AZR 644/94]), beim Bedrohten muß der Eindruck entstehen, daß der Eintritt des Übels vom Willen des Drohenden abhängig ist (Palandt, a.a.O., Nr. 16). Unabhängig davon, ob eine außerordentliche Kündigung bereits ausgesprochen ist oder nur angekündigt/in Aussicht gestellt ist, für den Erklärungsempfänger ist nicht der Ausspruch der Kündigung als solcher maßgebend, sondern der Arbeitsplatzverlust (dazu Herschel, Anm. zu BAG AP Nr. 22 zu § 123 BGB) verbunden mit dem Makel der außerordentlichen Kündigung. Rechtlich betrachtet ist der Arbeitsplatzverlust mit Ausspruch der Kündigung zwar eingetreten, der Arbeitnehmer wertet in einer solchen Situation typischerweise aber nicht nach rechtlichen, sondern nach tatsächlichen Gesichtspunkten. Gerade wenn ihm nach Kündigungserklärung in einer sich unmittelbar anschließenden Verhandlung ein Aufhebungsvertrag angeboten wird, ihm die Chance gegeben wird, die außerordentliche Kündigung noch abzuwenden, wirkt die ursprüngliche Drohung fort. Das zukünftige Übel, Arbeitsplatzverlust durch außerordentliche Kündigung, ist gerade aus Sicht des Arbeitnehmers durch die Kündigungserklärung noch nicht endgültig eingetreten, die Drohwirkung wird dadurch noch verstärkt.

22

Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß mit Ausspruch der Kündigung der Arbeitgeber diese nicht mehr einseitig zurücknehmen kann und der Arbeitnehmer gegen die Kündigung Klage erheben kann. Dies sind rechtliche Erwägungen, die der Kläger erkennbar nicht vornehmen konnte und vorgenommen hat. Andernfalls hätte er nach 25 Jahren Beschäftigungszeit und Ausschluß der ordentlichen Kündigung nach BAT nicht den vorliegenden Aufhebungsvertrag unterzeichnet, der gegenüber der fristlosen Kündigung nur eine Auslauffrist von 1 1/2 Monaten gewährte. Ursächlich für sein Einverständnis mit der Vertragsauflösung war die Drohung des künftigen Arbeitsplatzverlustes durch außerordentliche Kündigung.

23

Nicht jede Verhandlung, die ein Arbeitgeber mit einem Arbeitnehmer nach Kündigungserklärung über einen Aufhebungsvertrag führt, steht unter der fortwährenden Drohung des Arbeitsplatzverlustes. Es ist durchaus denkbar, daß nach Kündigungserklärung Vergleichsverhandlungen geführt werden (wie in dem vom LAG Brandenburg entschiedenen Fall), etwa über Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindungszahlung. Derartige Verhandlungen basieren auf einer ausgesprochenen Kündigung und stehen nicht mehr in unmittelbarem Zusammenhang mit einer angedrohten Kündigung. Solche, von der Kündigungsandrohung losgelösten Verhandlungen haben hier aber gerade nicht stattgefunden. Der Beklagte hatte den Aufhebungsvertrag bereits vorbereitet, er war am Vortag vom Verbandsvorsteher unterschrieben worden. Ziel des Beklagten war es also offenkundig, in der Besprechung vom 19.7. den Abschluß eines Aufhebungsvertrages zu erreichen. Die Besprechung vom 19.7. beschränkte sich nicht auf Aufhebungsvertragsverhandlungen, sie wurde nicht durch Übergabe der Kündigung eingeleitet, vielmehr wurden, so die Aussage des Zeugen ... zuerst die Kündigungsgründe erörtert, dann wurde dem Kläger vom Geschäftsführer erklärt, er müsse fristlos gekündigt werden. Erst danach wurde die Kündigungserklärung ausgehändigt. Für den Kläger war die Gesamtbesprechung von der Erörterung der Kündigungsgründe über die Ankündigung der außerordentlichen Kündigung über die Übergabe der Kündigungserklärung bis zum Abschluß des Aufhebungsvertrages eine Einheit. Es ist dann aber nicht möglich, von zwei abgeschlossenen Teilen auszugehen und die Verhandlung und Vereinbarung eines Aufhebungsvertrages isoliert zu bewerten. Die Drohung mit Arbeitsplatzverlust durch außerordentliche Kündigung, die auch ursächlich für den Abschluß des Aufhebungsvertrages war, ist damit gegeben.

24

Die Drohung mit außerordentlicher Kündigung war vorliegend auch widerrechtlich. Widerrechtlichkeit ist zu bejahen, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Zu berücksichtigen sind dabei die Schwere der festgestellten Vertragspflichtverletzung, also die Frage, ob ein wichtiger Grund für die Kündigung an sich gemäß § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Zu berücksichtigen ist weiter, ob unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre und ob unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles die Kündigung die angemessene Reaktion auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers darstellt (z. B. BAG BB 1996, S. 434 [BAG 09.03.1995 - 2 AZR 644/94]).

25

Zur Vertragspflichtverletzung steht fest, daß der Kläger am 16.7. den Arbeitsplatz gegen 15:30 Uhr verlassen hat und im Zeitausgleichsantrag 16:00 Uhr, nachträglich korrigiert auf 15:55 Uhr, angegeben hat. Bei verständiger Würdigung der Tatsachen ist festzustellen, daß ein Betrugsversuch des Klägers zwar denkbar ist, aber nicht zwingend festgestellt werden kann. Für einen Betrugsverdacht spricht, daß der Kläger am ... 16.7. um 15:40 Uhr einen Massagetermin hatte, er konnte das Arbeitsende aufgrund dieses Termins ohne weiteres rekonstruieren. Der Zeitausgleichsantrag für den 16.07.1996 ist vom Kläger auf den 16.07.1996 datiert worden, ebenso wie der Antrag auf Kernzeitverletzung. Dies ist als Indiz dafür zu werten, daß sich der Kläger möglicherweise noch fehlendes Zeitguthaben beschaffen wollte. Schließlich spricht gegen den Kläger, daß er vom Zeugen ... dreimal gefragt worden ist, wann Arbeitsende war. Er hätte an sich auf die mehrmalige Nachfrage eine korrekte Angabe machen müssen. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß die Datumsangabe auf dem Zeitausgleichsantrag auch so verstanden werden kann, daß der Kläger meinte, das Datum des Tages der fehlenden Zeiterfassung eintragen zu können oder zu müssen. Ein inhaltlicher Zusammenhang mit dem Antrag auf Kernzeitverletzung etwa dergestalt, daß der Kläger noch Arbeitszeitguthaben benötigte für den freien Tag vom 19.07.1996, ist nicht zwingend. Der Beklagte hat zum Stand des Arbeitszeitkontos des Klägers im damaligen Zeitpunkt nicht vorgetragen. Schließlich ist auch denkbar, daß der Kläger bei Ausfüllung des Zeitausgleichsformulars versehentlich das Arbeitsende falsch angegeben hat, weil er nachlässig vorgegangen ist und den Vortag nicht ausreichend rekonstruiert hat, also den Massagetermin schlicht nicht bedacht hat. Derartige Nachlässigkeiten sind menschlich und müßten von einem verständigen Arbeitgeber in die Bewertung einbezogen werden. Gravierender ist, daß der Kläger auf mehrmalige Nachfragen nicht das korrekte Arbeitende angegeben hat. Dies kann aber auch damit erklärt werden, daß der Kläger Probleme damit hatte, ein Fehl verhalten einzuräumen und zu korrigieren. Auch dabei handelt es sich um ein menschliches, nicht untypisches Verhalten. Insgesamt bewertet wäre ein verständiger Arbeitgeber nicht von einem Betrugsversuch ausgegangen, er hätte dem Kläger als Vertragspflichtverletzungen vorgehalten nachlässiges Ausfüllen des Zeitausgleichsantrags und die unterlassene Korrektur trotz dreimaligen Nachfragens. Für eine außerordentliche Kündigung, die ordentliche Kündigung war nach dem vereinbarten Bundesangestellten-Tarifvertrag ausgeschlossen, sind derartige Vertragspflichtverletzungen nicht ausreichend. Hinzu kommt, daß von einem verständigen Arbeitgeber im Rahmen der Interessenabwägung, also der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, die 25 jährige Betriebszugehörigkeit des Klägers und sein Alter von 51 Jahren heranzuziehen waren. Es handelte sich um die erstmalige Pflichtverletzung im Rahmen der Zeiterfassung. Der Beklagte bescheinigt dem Kläger im Kündigungsschreiben, daß er das Zeitermittlungsterminal immer bedient habe. Es muß im übrigen auch von einer im wesentlichen beanstandungsfreien Tätigkeit des Klägers in der Vergangenheit ausgegangen werden. Der Beklagte hat zwar Abmahnungen bzw. Abmahnungsvermerke aus 1980, 1988 und 1990 vorgelegt, diese Abmahnungen und Vermerke enthalten im wesentlichen Werturteile, schriftsätzliche Erläuterungen fehlen. Die Abmahnungen liegen im übrigen mehrere Jahre zurück und stehen deshalb der Bewertung eines im wesentlichen beanstandungsfreien Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Gerade aufgrund dieser Interessenabwägung, insbesondere der langjährigen Beschäftigung des Klägers, war von einem verständigen Arbeitgeber eine außerordentliche Kündigung nicht in Betracht zu ziehen, selbst wenn er der Auffassung gewesen wäre, daß ein Anfangsverdacht für einen Arbeitszeitbetrug vorliegt.

26

Da die Berufung zurückzuweisen war, trägt der Beklagte die Kosten des - Rechtsmittels. Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 12.000,00 DM festgesetzt.

Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 12 Abs. 7 ArbGG.