Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.05.1998, Az.: 11 Sa 695/98
Zulässigkeit von einstweiligen Verfügungen zu Zwecken der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 25.05.1998
- Aktenzeichen
- 11 Sa 695/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 17003
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1998:0525.11SA695.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lingen - 19.02.1998 - AZ: 1 Ga 1/98
Fundstelle
- AiB 1999, 43-44 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
In dem Rechtsstreit
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 25.05.98
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richterinnen ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 19.02.1998 - 1 Ga 1/98 - wird auf Kosten der Verfügungsklägerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Verfügungsklägerin im Wege der einstweiligen Verfügung von der Verpflichtung zur Beschäftigung des Verfügungsklägers befreit werden kann, zu dem gemäß § 78 a Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz ein Arbeitsverhältnis begründet worden ist.
Wegen des Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug sowie der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung, die dieses Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Lingen vom 19.02.1998 (Bl. 59-70 d. A.) Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen, die Kosten des Verfahrens der Verfügungsklägerin auferlegt und den Streitwert auf 3.993,59 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat das Arbeitsgerichts ausgeführt, der Verfügungsklägerin, stehe kein Anspruch auf Entbindung von der Weiterbeschäftigungspflicht gegenüber dem Verfügungsbeklagten zu. Das zwischen den Parteien gemäß § 78 a Abs. 2 BetrVG begründete Arbeitsverhältnis bestehe fort, solange er von der Verfügungsklägerin gestellte Auflösungsantrag nicht rechtskräftig positiv zu ihren Gunsten entschieden worden sei. Während des bestehenden Arbeitsverhältnisses bestehe auch ein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers. Gründe, die eine einseitige Suspendierung durch den Arbeitgeber zuließen, seien nicht ersichtlich. Solche ergäben sich nicht daraus, daß während der Laufdauer des Beschlußverfahrens vor den Verwaltungsgerichten über die Auflösung des begründeten Arbeitsverhältnisses im erheblichen Maße, jährlich ca. 50.000,00 DM, Vergütungsansprüche anfielen, während die Arbeitsleistung des Verfügungsbeklagten für sie wertlos sei. Dies schon deshalb nicht, da selbst bei einer Suspendierung des Arbeitsverhältnisses im Wege der einstweiligen Verfügung der Vergütungsanspruch des Verfügungsbeklagten als Arbeitnehmer nicht berührt würde. Auch die Behauptung der Verfügungsklägerin, es sei ihr faktisch unmöglich, den Kläger überhaupt zu beschäftigen, greife nicht. Unstreitig bilde nämlich die Verfügungsklägerin über den Bedarf hinaus Auszubildende aus und beschäftige diese nach Abschluß der Ausbildung weitere 6 Monate. Schon daraus ergebe sich, daß es nicht unmöglich sei, den Verfügungsbeklagten überhaupt zu beschäftigen.
Gegen dieses ihr am 23.02.1998 zugestellte Urteil hat die Verfügungsklägerin am 20.03.1998 Berufung eingelegt und diese am 08.04.1998 begründet.
Sie ist der Auffassung, sie könne im Wege der einstweiligen Verfügung sowohl von ihrer Verpflichtung zur Beschäftigung des Verfügungsbeklagten als auch von der Verpflichtung zur Vergütungszahlung bis zum rechtskräftigen Abschluß des vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Lüneburg anhängigen Verfahrens über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses des Verfügungsbeklagten entbunden werden. Dafür sei auch der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts habe der Jugendvertreter, der vor Ablauf des Ausbildungsverhältnisses einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt habe, einen Anspruch auf Beschäftigung, wenn zum Zeitpunkt der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses über den Feststellungsantrag noch nicht rechtskräftig entschieden sei. Das so gemäß § 78 a Abs. 2 u. 3 BetrVG begründete Arbeitsverhältnis bleibe bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Auflösungsentscheidung durch die Verwaltungsgerichte bestehen. Der Verfügungsbeklagte habe am 15.07.1997 seine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten abschlossen. Über den Auflösungsantrag habe das Verwaltungsgericht Osnabrück am 24.09.1997 entschieden und diesem entsprochen. Die Beschwerde des Verfügungsbeklagten werde das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen nach aller Erfahrung nicht mehr in diesem Jahr sondern wahrscheinlich erst Mitte des Jahres 1999 entscheiden. Eine Weiterbeschäftigung bis zu diesem Zeitpunkt sei ihr aber unzumutbar. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach der Arbeitgeber schon vor Beendigung des Ausbildungsverhältnisses die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung geltend machen könne und das Gericht vor Beendigung der Ausbildung endscheiden könne, sei lebensfremd. Ihr sei kein Fall bekannt, wo innerhalb der letzten drei Monate vor Beendigung des Ausbildungsverhältnisses eine solche rechtskräftige Entscheidung ergangen sei. Im Gegenteil bestehe eine lange Verfahrensdauer zumindestens bei den Verwaltungsgerichten, teilweise aber auch bei den Gerichten für Arbeitssachen. Einer Verpflichtung zur Beschäftigung, die sich aus dem Benachteiligungsverbot des § 9 Abs. 2 Bundespersonalvertretungsgesetz ergebe, könne nur dann greifen, wenn andere Auszubildende weiterbeschäftigt würden und gerade der Jugendvertreter nicht. Dies könne aber nicht gelten, wenn kein Auszubildender eines Jahrgangs überhaupt weiterbeschäftigt werde. Dann würde die Weiterbeschäftigung des Jugendvertreters zu einer unberechtigten Bevorzugung führen. Sie könne auch nicht darauf verwiesen werden, daß sie Auszubildende nach Abschluß der Ausbildungszeit für 6 Monate weiter beschäftige. Dies beruhe auf tarifvertraglichen Verpflichtungen. In Anbetracht der leeren Kassen der öffentlichen Hand sei ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers mit Kosten von monatlich ca. 4.000,00 DM nicht zuzumuten. Eine so hohe Belastung werde durch den gesetzlichen Schutzzweck nicht gedeckt. Der Gesetzgeber habe sicherlich auch eine solange Verfahrensdauer nicht in seine Überlegungen einbezogen. Werde sie nicht von der Weiterbeschäftigungspflicht entbunden, dann könne sie in Zukunft nur noch soviel Auszubildende ausbilden, wie auch freie Plätze anschließend vorhanden wären. Eine Ausbildung über den Bedarf hinaus, die arbeitsmarktpolitisch und auch sonst wünschenswert sei, könne dann nicht mehr erfolgen.
Die Verfügungsklägerung und Berufungsklägerin beantragt,
Das Urteil des Arbeitsgerichts Lingen vom 19.02.1998 - 1 Ga 1/98 - abzuändern und die Verfügungsklägerin von ihrer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Verfügungsbeklagten sowie von ihrer Verpflichtung zur Vergütungszahlung an den Verfügungsbeklagten bis zum rechtskräftigen Abschluß des derzeit zwischen den Parteien schwebenden Rechtsstreits vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Lüneburg 18 L 5194/97 zu entbinden.
Der Verfügungsbeklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 13. Mai 1998 (Bl. 113-121 d. A.).
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch insgesamt zulässige Berufung konnte keinen Erfolg haben.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO Bezug genommen.
Das Landesarbeitsgericht schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an und macht sie sich zu eigen. Die Berufung ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen.
Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung setzt sets voraus, daß dem Antragsteller ein Verfügungsanspruch zusteht, und daß auch ein Verfügungsgrund gegeben ist, wobei die tatsächlichen Voraussetzungen beider Merkmale glaubhaft gemacht werden müssen. Eine einstweilige Verfügung kann nur dann ergehen, wenn neben dem Verfügungsgrund auch ein Verfügungsanspruch besteht (vgl. BAG in EzA § 113 Nr. 21).
Nach § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen zu Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dementsprechend kann eine einstweilige Verfügung nur erlassen werden, wenn eine einstweilige Regelung notwendig erscheint. Die Regelung muß so dringend sein, daß ein ordentliches Verfahren nicht abgewartet werden kann, ohne unverhältnismäßig großen oder nicht mehr reparablen Schaden zu verursachsen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 21. Aufl., § 940 Rnd.-Nr. 6 mit weiteren Nachweisen). Zwar kann unter Umständen auch ein Anspruch bestehen von der Weiterbeschäftigungspflicht entbunden zu werden (z. B. wenn die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 BetrVG vorliegen). Zu Recht hat aber das Arbeitsgericht ausgeführt, daß eine einseitige Suspendierung eines Arbeitnehmers von der Arbeit nur zulässig ist, wenn unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber Gründe vorliegen, die ihm eine Weiterbeschäftigung unzumutbar erscheinen lassen und die eine sofortige Reaktion des Arbeitgebers erfordert. Dies setzt eine erhebliche Gefährdung für die Ordnung des Betriebes oder die Gefahr einer schweren Vertragsverletzung voraus.
All dies hat die Verfügungsklägerin nicht vorgetragen.
Die Auffassung der Verfügungsklägerin, die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 78 a BetrVG bedürfe der Korrektur, weil wegen der kurzen Zeit von drei Monaten zwischen Antragstellung und Beendigung des Ausbildungsverhältnisses eine gerichtliche Entscheidung über den Feststellungsantrag, daß ein Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Ausbildung trotz Antrag des Auszubildenden gemäß § 78 a BetrVG nicht begründet werde, nie entschieden werden könne, kann den Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht rechtfertigen. Einstweilige Verfügungsverfahren, die in arbeitsgerichtlichen Streitigkeiten letztinstanzlich bei den Landesarbeitsgerichten enden und bei denen eine Revisionsmöglichkeit nicht besteht, sind grundsätzlich nicht geeignet, die Rechtsprechung des Bundearbeitsgerichts abzuändern. Dies ist nur in einem Hauptsacheverfahren möglich, in dem dann auch die Möglichkeit der Revisionzulassung und damit die Revision zum Bundesarbeitsgericht bestehen würde.
Die Notwendigkeit einer Regelungsverfügung ergibt sich auch nicht aus einer möglicherweise langen Verfahrensdauer bei den Verwaltungsgerichten.
Eine solche lange Verfahrensdauer hat die Verfügungskläger weder ausreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Die Verfügungsklägerin hat unter dem 11.07.1997 beim Verwaltungsgericht Osnabrüch gemäß § 58 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 1 Nds. Personalvertretungsgesetz den Antrag auf Feststellung gestellt, daß ein Arbeitsverhältnis mit dem Verfügungsbeklagten nicht begründet worden ist. Wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Beendung der Ausbildung ist der Antrag umgestellt worden auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Osnabrück bereits 2 1/2 Monate später, am. 24.09.1997, zugunsten der Verfügungsklägerin entschieden. Die Behauptung der Verfügungsklägerin, die Entbindung von Bezahlungs- und Beschäftigungspflicht sei notwendig, da beim Oberverwaltungsgericht Niedersachsen in Lüneburg mit einer Verfahrensdauer von 2 1/2 Jahren zu rechnen sei, ist dies nicht schlüssig.
Die Verfügungsklägerin hat zwar Ausführungen zur allgemeinen Verfahrensdauer bei dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg und auch speziell des Senats, der für die Berufung gegen Auflösungsanträge zuständig ist, gemacht. Sie hat auch ausgeführt, daß nach der Auskunft des Senatsvorsitzenden auch hier mit einer längeren Dauer zu rechnen ist. Die Verfügungsklägerin hat aber offensichtlich weder einen Antrag auf bevorzugte Behandlung wegen der Eilbedürftigkeit der Sache beim zuständigen Senat des Oberverwaltungsgericht Lüneburg gestellt, noch hat sie sonstige Maßnahmen ergriffen (zum Beispiel Dienstaufsichtsbeschwerde oder ähnliches) um eine Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und damit auch ihrer eventuellen Belastung zu erreichen. Schon dieses Unterlassen schließt den Erlaß einer einstweiligen Verfügung aus, da gegebenenfalls auch mit anderen, milderen Mittel eine Minderung eventueller Schäden hätte erreicht werden können.
Der Verfügungsklägerin kann auch nicht dahin gefolgt werden, daß die von ihr nach § 78 a Abs. 2 u. 3 BetrVG verlangte Weiterbeschäftigung und damit auch der Gehaltszahlungsanspruch für den Verfügungsbeklagten zu einer unzulässigen Begünstigung des Verfügungsbeklagten gegenüber anderen Auszubildenden führt. Die Verfügungsklägerin übersieht nämlich, daß § 9 Bundespersonalvertretungsgesetz und damit § 58 Abs. 2 Nds. Personalvertretungsgesetz den Zweck haben, die Benachteiligung eines Mitglieds oder früheren Mitglieds einer Personalvertretung oder einer Jugendvertretung zu verhindern (BVerwG in AP Nr. 5 zu § 9 Bundespersonalvertretungsgesetz). Dieser Schutz von Mitgliedern der Personalverwaltung bzw. der Jugendvertretung, denen der Gesetzgeber konzipiert hat, ist keine Bevorzugung, sondern notwendig, damit das Mitglied der Betriebsvertretung ohne fürchten zu müssen, wegen seiner Tätigkeit in der Betriebs Vertretung später nicht übernommen zu werden, sein Amt als Jugendvertreter oder Personalrat leisten kann.
Daß es sich dabei um keine Begünstigung, sondern nur um eine Vorsorge gegen Benachteiligungen handelt, ergibt sich auch aus dem sonstigen Schutz, die der Gesetzgeber Mitgliedern der Jugendvertretung und des Betriebsrats zum Beispiel in § 15 Abs. 1 u. 2 KSchG, § 103 BetrVG angedeihen läßt. Die dadurch für den Arbeitgeber entstehenden zusätzlichen Kosten sind hinzunehmen. Das Vorbringen der Verfügungsklägerin, sie werde wegen des hohen Zahlungsrisikos bei Nichtmöglichkeit von Weiterbeschäftigung der Jugendvertreter in Zukunft ihre Ausbildungskapazität reduzieren, ist zwar bedauerlich, jedoch mit rechtlichen Mitteln nicht zu verhindern.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 72 Abs. 4 ArbGG).