Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.10.1998, Az.: 3 Sa 561/98

Feststellung einer Sozialplanforderung zur Konkurstabelle; Möglichkeit im betriebsratslosen Betrieb einen Sozialplan zwischen der Gesamtbelegschaft und dem Konkursverwalter abzuschließen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
09.10.1998
Aktenzeichen
3 Sa 561/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 16984
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1998:1009.3SA561.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Osnabrück - 27.01.1998 - 1 Ca 554/97

In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 09.10.1998
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ...
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 27.01.1998 - 1 Ca 554/97 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Feststellung einer Sozialplanforderung zur Konkurstabelle im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO, hilfsweise § 59 Abs. 1 S. 1 KO.

2

Der Kläger war langjähriger Arbeitnehmer der Firma Durch Beschluß vom 01.02.1994 eröffnete das Amtsgericht Osnabrück zum Aktenzeichen 28 N 201/94 das Konkursverfahren und ernannte den Beklagten zum Konkursverwalter.

3

Am 29.04.1994 schloß der Beklagte mit allen bei der Gemeinschuldnerin beschäftigten Mitarbeitern einen "Interessenausgleich und Sozialplan". Mit Rücksicht auf das Nichtbestehen eines Betriebsrates in der Firma akzeptierte der Beklagte den Interessenausgleich und Sozialplan unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen Bestätigung. In dem Sozialplan ist u. a. folgendes geregelt:

"II. ...

3.
Sozialplanvolumen

Das Volumen des Sozialplanes wird gemäß § 2, Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren zunächst auf das 2,5fache der Monatsverdienste der Arbeitnehmer im Abrechnungsmonat Januar 1994 in Höhe von 219.866,13 DM festgelegt.

Dieses Sozialplanvolumen gilt vorbehaltlich der noch zu ermittelnden Konkursmasse und wird gegebenenfalls entsprechend § 4, Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren nach unten korrigiert. Sollte eine Korrektur des Sozialplanvolumens nach Abschluß des Konkurses notwendig werden, erfolgt die Zahlung der ermittelten Abfindungen im gleichen Verhältnis."

4

Wegen des weiteren Inhalts des Interessenausgleichs und Sozialplans wird auf die mit der Klage überreichte Kopie (Bl. 3 bis 6 d. A.) Bezug genommen.

5

Der Kläger meldete seinen Sozialplananspruch in Höhe von 17.852,96 DM zur Konkurstabelle an. Der Beklagte verweigerte die Anerkennung des Anspruchs.

6

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es sei rechtlich durchaus möglich, in einem betriebsratslosen Betrieb einen Sozialplan zwischen der Gesamtbelegschaft und dem Konkursverwalter abzuschließen. Wenn man allerdings demgegenüber annehme, in einem Betrieb ohne Betriebsrat könne keine Betriebsvereinbarung mit normativer Wirkung im Sinne des BetrVG geschlossen werden, sei die mit der Belegschaft geschlossene Vereinbarung dahingehend auszulegen, daß der Beklagte mit allen bei Abschluß anwesenden Arbeitnehmern eine einzelvertragliche Regelung getroffen habe.

7

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    seine Forderung in Höhe von 17.852,96 DM aus dem Sozialplan der Gemeinschuldnerin zur Konkurstabelle des Amtsgerichts Osnabrück, Aktenzeichen 28 N 201/94 im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO festzustellen mit der Maßgabe, daß die Feststellung unter dem Vorbehalt der Korrektur gemäß § 4 Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren erfolgt;

    hilfweise,

  2. 2.

    zu erkennen, daß die Forderung aus der vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin und ihm in Höhe von 17.852,96 DM zur Konkurstabelle des Amtsgerichts Osnabrück, Aktenzeichen 28 N 201/94, im Range einer Masseschuld des§ 59 Abs. 1 KO festgestellt wird.

8

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, nach den gesetzlichen Bestimmungen könne ein Sozialplan nur mit einem Betriebsrat abgeschlossen werden. Die Vereinbarung vom 29.04.1994 könne auch nicht in einzelvertragliche Vereinbarungen umgedeutet werden. Er (der Beklagte) sowie sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesamtbelegschaft hätten den Willen gehabt, einen Sozialplan abzuschließen und nicht etwa vertragliche Einheitsregelungen. Dies ergebe sich auch aus dem Inhalt des Sozialplans, der auf die Bestimmungen des SozPlG verweise. Wenn man allerdings annähme, es handele sich bei der geltend gemachten Forderung um einen Masseschuldanspruch gemäß § 59 KO, bestünde ein Anspruch des Klägers nicht mehr, da er gemäß § 196 Ziff. 8 BGB seit dem 31.12.1996 verjährt wäre.

10

Durch Urteil vom 27.01.1998 hat das Arbeitsgericht dem Hauptantrag des Klägers stattgegeben, dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt und den Streitwert auf 17.852,00 DM festgesetzt.

11

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der am 29.04.1994 abgeschlossene "Interessenausgleich und Sozialplan" stelle keine wirksame Betriebsvereinbarung gemäß § 77 BetrVG dar, weil im Betrieb der Gemeinschuldnerin ein Betriebsrat nicht bestanden habe. Vielmehr liege eine arbeitsvertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien vor, die die Bestimmungen des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs zugrunde lege. Die Vereinbarung sei auch wirksam getroffen worden. Zwar habe der Beklagte seine Unterschrift unter dem "Vorbehalt der gerichtlichen Bestätigung" geleistet. Eine individualvertragliche Abfindungsvereinbarung auch im Konkurs sei jedoch jederzeit zulässig. Die Sozialplanregelung habe dabei Rechtswirksamkeit im Rang von § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO erlangt. Aus einer Auslegung der Vereinbarung zwischen den Parteien ergebe sich, daß sie nur im Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 a KO habe wirksam sein solle. Eine derartige Rangvereinbarung zwischen dem Konkursverwalter und den Konkursgläubigem sei zulässig.

12

Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 31 bis 33 d. A.) Bezug genommen.

13

Das Urteil ist dem Beklagten am 03.03.1998 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 09.03.1998 Berufung eingelegt und diese am 08.04.1998 begründet.

14

Der Beklagte ist der Ansicht, eine Gesamtbelegschaft sei auch ohne gewählten Betriebsrat berechtigt, in Anlehnung an die§§ 1, 111 BetrVG und § 4 SozPlG einen Sozialplan abzuschließen. Ein einzelvertraglicher Anspruch des Klägers bestehe jedoch nicht. Die die Entscheidung des Arbeitsgerichts tragenden Gründe seien zwar nachvollziehbar, jedoch nicht haltbar.

15

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 27.01.1998 - 1 Ca 554/97 - abzuändern und nach seinen Schlußanträgen erster Instanz zu erkennen.

16

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

17

Der Kläger ist der Ansicht, es sei offensichtlich, daß der Beklagte der Belegschaft in jedem Fall Entschädigungsansprüche habe zukommen lassen wollen.

Gründe

18

I.

Die Berufung des Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG).

19

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, da das Arbeitsgericht den Rechtsstreit zutreffend entschieden hat. Der Kläger hat einen einzelvertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung (1.) im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 1, KO (2.), der auch nicht etwa verjährt ist (3.).

20

1.

a)

Bei der als Interessenausgleich und Sozialplan überschriebenen Vereinbarung handelt es sich um eine arbeitsvertragliche Regelung zwischen dem Beklagten und den Arbeitnehmern der Gemeinschuldnerin, u. a. dem Kläger. Entgegen der gewählten Bezeichnung liegt hierin keine Sozialplanvereinbarung. Der Begriff und die Wirkung eines Sozialplans sind in § 112 Abs. 1 BetrVG beschrieben. Gemäß § 112 Abs. 1 S. 3 BetrVG hat der Sozialplan die Wirkung einer Betriebsvereinbarung. Betriebsvereinbarungen können aber gemäß § 77 Abs. 2 BetrVG nur von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam geschlossen werden. Die gesamten Regelungen im 2. Unterabschnitt des 5. Abschnitts des BetrVG (§§ 111 bis 113 BetrVG) setzen das Bestehen eines Betriebsrates als Ansprechpartner des Arbeitgebers und "Repräsentant" der Belegschaft voraus. Kollektive Regelungen können auf Betriebsebene nach den Regelungen des BetrVG nur durch den Arbeitgeber und Betriebsrat geschaffen werden. Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und einzelnen Mitarbeitern - auch wenn es sich dabei um alle Mitarbeiter handelt - sind jedoch individuelle, vertragliche Vereinbarungen. Kollektivrechtlichen Charakter haben Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Belegschaft nur in den Fällen, in denen das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht (so in § 1 Abs. 4 S. 2 KSchG).

21

b)

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die arbeitsvertragliche Vereinbarung mit dem Kläger auch rechtswirksam. Der Beklagte macht insoweit geltend, er habe den "Interessenausgleich und Sozialplan" unter dem "Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung" unterzeichnet. Damit wollte er die Regelung nur dann anerkennen, falls sie von einem Gericht als rechtswirksam angesehen wird. Dieser "Vorbehalt" ist letztlich jeder rechtlichen Vereinbarung immanent, sie kann nur dann Wirksamkeit erlangen, wenn sie nicht gegen bestehende Rechtsnormen verstößt. Ein derartiger Gesetzesverstoß ist im vorliegenden Fall aber nicht ersichtlich. Den Vertragsparteien ging es offenbar darum, Abfindungsansprüche zu begründen, dies aber nur im konkursrechtlichen Rang, der nach dem Gesetzüber den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren (SozPlG) für Sozialplanforderungen gilt.

22

2.

Daß der Abfindungsanspruch des Klägers konkursrechtlich im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO steht, ergibt sich aus der Auslegung der Vereinbarung vom 29.04.1994. Die Parteien haben unter 11.3. ausdrücklich auf die Regelungen des SozPlG, dort insbesondere § 4, verwiesen, der für Sozialplanansprüche den konkursrechtlichen Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO vorsieht. In Ziff. 11.2. heißt es zudem, daß die Vereinbarung auf der Grundlage des SozPlG abgeschlossen wird. Damit haben die Parteien eine Rangvereinbarung geschlossen. Derartige Rangvereinbarungen zwischen Konkursverwalter und Konkursgläubigern sind zulässig (Kilger, K. Schmidt, § 60 KO, Rn. 1; Kuhn, Uhlenbruck, § 60 KO, Rn. 4 a; Hess, § 60 KO, Rn. 15). Wenn dabei Gläubiger einem Rangrücktritt zustimmen, werden hierdurch Rechte anderer Gläubiger nicht beeinträchtigt, im Gegenteil: Sie profitieren von einer solchen Regelung.

23

3.

Dem Anspruch des Klägers steht auch nicht gemäß § 222 Abs. 1 BGB die Einrede der Verjährung entgegen. Einschlägig ist nämlich nicht die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB, sondern vielmehr die 30-jährige Frist des § 195 BGB. Von§ 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB werden alle Ansprüche erfaßt, die Entgelt für geleistete Dienste darstellen. Nach einhelliger Auffassung in der Kommentarliteratur sollen hierunter allerdings auch Abfindungsansprüche fallen (Palandt, Heinrichs,§ 196 BGB, Rn. 24; MüKo, v. Feldmann,§ 196 BGB, Rn. 28; Staudinger, Peters, § 196 BGB, Rn. 50; Erman, Hefermehl, § 196 BGB, Rn. 17). Durchweg wird dabei eine Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts aus dem Jahre 1931 zitiert (Urteil vom 14.10.1931, ArbRspr. 32, 52 (53)). In dem zugrunde liegenden Fall war das Reichsarbeitsgericht jedoch von der Annahme ausgegangen, daß es sich bei dem betreffenden Abfindungsanspruch um einen solchen handelte, der aus Umwandlung eines Zahlungsanspruchs gemäß § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB entstanden war. Der Abfindungsanspruch war also an die Stelle des Gehaltsanspruchs getreten. Vorliegend kann dahinstehen, ob die genannte Verjährungsbestimmung auf solche Abfindungsansprüche anzuwenden ist, mit denen tatsächlich Entgeltansprüche ausgeglichen werden sollen, wenn also eine Abfindung anstelle des Arbeitsentgelts gezahlt wird. In diesen Fällen ist sie dann möglicherweise Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistung, in den übrigen Fallkonstellationen gilt dies jedoch nicht. Dann ist sie vielmehr ein Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes. Die Abfindung soll den Arbeitnehmer dafür entschädigen, daß er seine Arbeitsstelle und damit eine künftige Einkommensquelle verliert. Es entspricht im übrigen auch nicht dem gesetzgeberischen Zweck des § 196 Abs. 1 BGB, hiermit Abfindungsansprüche zu erfassen. Die Einführung einer kurzen Verjährungsfrist beruht auf dem Gedanken, daß Leistungen aus Geschäften des täglichen Lebens in der Regel bald bezahlt, Belege oft nicht erteilt oder bald vernichtet werden. Es soll verhindert werden, daß über derartige Leistungen des täglichen Lebens tatsächliche Unklarheiten bestehen, die die Rechtssicherheit gefährden könnten (vgl. Palandt, Heinrichs, § 196 BGB Rn. 1; MüKo, v. Feldmann, § 196 BGB, Rn. 1; vgl. auch BAG, Urteil vom 28.03.1968 - 3 AZR 54/67 - AP Nr. 4 zu § 195 BGB). Diese Gesichtspunkte treffen jedoch auf Abfindungsansprüche gerade nicht zu. Abfindungen werden vielmehr anläßlich der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses vereinbart und entstehen nicht aufgrund einer laufenden Vertragsbeziehung. Insoweit schließt sich die Kammer der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 23.11.1982 (4 Sa 152/82 - EzA § 9 n.F. KSchG Nr. 12) an. Zutreffend weist das Landesarbeitsgericht Bremen darauf hin, daß eine Anwendung des§ 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB auf Abfindungsansprüche auch nicht deshalb geboten ist, weil diese als Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 ZPO angesehen werden. Dies ergibt sich schon aus der unterschiedlichen Formulierung beider genannten Bestimmungen. In § 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB sind regelmäßig wiederkehrende Leistungen aufgeführt, während§ 850 ZPO den Begriff "Arbeitseinkommen" verwendet, der in Abs. 4 sehr weit gefaßt definiert wird.

24

Somit kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob die Anmeldung zur Konkurstabelle die Verjährung gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2. BGB unterbrochen hat.

25

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

26

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.