Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.04.1998, Az.: 16 Sa 1599/97

Höhe der Entgeltzahlung im Krankheitsfall; Deklaratorische oder konstitutive Regelung im Tarifvertrag; Voraussetzung für die Annahme einer eigenständigen tariflichen Regelung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
24.04.1998
Aktenzeichen
16 Sa 1599/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 16001
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1998:0424.16SA1599.97.0A

In dem Rechtsstreit
hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 24.04.1998
durch
den Vorsitzenden ... und
die ehrenamtlichen Richter
fürRecht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 15.07.1997, AZ: 1 Ca 1251/97, abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 963,00 DM brutto nebst 4% Zinsen seit dem 20.04.1997 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt mit der Klage die Zahlung einer 100%igen Entgeltfortzahlung.

2

Der am 07.03.1935 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit Oktober 1970 als Klempner und Installateur zu einer Bruttovergütung von zuletzt 23,50 DM beschäftigt.

3

Sowohl der Kläger wie auch der Beklagte sind tarifgebunden, da der Kläger Mitglied der IG-Metall ist, der Beklagte Mitglied im Fachverband Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik in Niedersachsen. Der Kläger war in den Monaten Februar und März 1997 arbeitsunfähig krank. Der Beklagte zahlte an den Kläger Entgelt fort Zahlung im Krankheitsfalle für diese Zeiträume nur in Höhe von 80% der Arbeitsvergütung des Klägers, so daß sich zu der 100%igen Vergütung Differenzbeträge für den Monat Februar 1997 in Höhe von 606,00 DM brutto ergeben, im März 1997 in Höhe von 357,20 DM.

4

Der Kläger ist der Auffassung, daß aufgrund des anzuwendenden Tarifvertrages ihm eine 100%ige Entgeltfortzahlung zusteht. Er hat seine Ansprüche mit Schreiben vom 17.04.1997 (Bl. 9/10 d.A.) geltend gemacht.

5

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, § 10 des anzuwendenden Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden der Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik Niedersachsen vom 03.09.1993, gültig ab 01.08.1993, (MTV) sehe aufgrund einer eigenständigen Regelung die Zahlung einer 100%igen Entgeltfortzahlung vor.

6

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 963,00 DM brutto nebst 4% Zinsen seit dem 20.04.1997 zu zahlen.

7

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, der Tarifvertrag regele hinsichtlich der Entgeltfortzahlung nicht deren Höhe. Die Regelung des Tarifvertrages sei nur deklaratorisch. Letztlich werde nur die Bemessungsgrundlage für die Höhe der Entgeltfortzahlung festgelegt.

9

Durch Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 15.07.1997 wurde die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und der Streitwert auf 963,00 DM festgesetzt. Wegen der Begründung des erstinstanzlichen Urteiles wird auf die Entscheidungsgründe (Bl. 34-36 d.A.) Bezug genommen.

10

Das Urteil des ersten Rechtszuges wurde dem Kläger am 27.07.1997 zugestellt. Hiergegen legte dieser am 22.08.1997 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 24.11.1997 am 24.11.1997.

11

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, es handele sich entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichtes bei den Regelungen der §§ 6, 10 MTV nicht um eine deklaratorische Verweisung. Vielmehr werde die Berechnung eigenständig und abweichend von der gesetzlichen Lage geregelt. Das damals geltende Lohnfortzahlungsgesetz bzw. die Regelungen für die Entgeltfortzahlung würden nur hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen in Bezug genommen, nicht aber hinsichtlich der Berechnung. Zwar werde nicht ausdrücklich eine Prozentzahl hinsichtlich der Entgeltfortzahlung erwähnt. Bei Abschluß des MTV hätten die Tarifvertragsparteien aber aufgrund der gesetzlichen Lage nichts anderes regeln können, als eine 100%ige Entgeltfortzahlung, so daß dieses auch entbehrlich gewesen sei. Der Begriff der Lohnfortzahlung beinhalte aber inhaltlich das fortzuzahlende Arbeitsentgelt in vollem Umfange, wobei zu berücksichtigen sei, daß der Gesetzgeber im Lohnfortzahlungsgesetz ebenfalls eine Prozentzahl nicht genannt habe.

12

Der Kläger vertritt darüber hinaus hilfsweise die Auffassung, daß es sich jedenfalls bei den Regelungen der§§ 6, 10 MTV nicht um eine dynamische Verweisung handele, so daß auch insoweit die Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes für das vorliegende Arbeitsverhältnis keine Bedeutung hätten.

13

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 15.07.1997, AZ 1 Ca 1251/97, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger DM 963,- brutto nebst 4% Zinsen seit dem 20.04.1997 zu zahlen.

14

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

15

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 22.12.1997. Hierauf wird verwiesen (Bl. 62/63 d.A.).

Gründe

16

Die Berufung des Klägers ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beschwerdegegenstand in dieser Vermögensrechtlichen Streitigkeit übersteigt 800,00 DM. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).

17

Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Dem Kläger steht aufgrund des Arbeitsvertrages in Verbindung mit dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer, Angestellten und Auszubildenden der Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik Niedersachsen vom 03.09.1993 eine 100%ige Entgeltfortzahlung zu. Die Anspruchsgrundlage aus dem anzuwendenden Tarifvertrag ergibt sich aus§ 10 i.V.m. § 6 MTV, die wie folgt lauten:

§ 10
Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfall

1)
Für gewerbliche Arbeitnehmer, die einen Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 1 und/oder § 7 des Lohnfortzahlungsgesetzes haben, berechnet sich die Lohnfortzahlung gemäß § 2 Ziffer 3 des Lohnfortzahlungsgesetzes wie folgt:

a)
Die Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgeltes richtet sich für Zeitlohnarbeiter nach § 6 Ziffer 1 a).

b)
Bei regelmäßiger Arbeitszeit ist für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit die Stundenzahl zugrunde zu legen, die der Arbeitnehmer bei Arbeitsfähigkeit hätte arbeiten müssen.

Im Falle der Arbeitszeitmodelle 1 c) und 1 d) sind

ab 1. Januar 19947,3 Stunden
ab 1. Januar 19987,3 Stunden
ab 1. Juli 19987,2 Stunden

täglich zu vergüten.

c)
Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldetem Arbeitsversäumnis eintreten, bleiben für die Berechnung des fortzuzahlenden Entgelts außer Betracht.

d)
Liegt keine dieser Berechnungsgrundlagen für den erkrankten Arbeitnehmer vor, so ist der Verdienst eines vergleichbaren Arbeitnehmers als Maßstab heranzuziehen.

Tarifänderung

e)
Im Falle einer Tarifänderung während der Arbeitsunfähigkeit gilt eine entsprechende Umrechnung vom Tage des Inkrafttretens der Tarifänderung für die restliche Zeit der Arbeitsunfähigkeit.

f)
Wird in dem Betrieb verkürzt gearbeitet und würde deshalb das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers im Falle seiner Arbeitsfähigkeit gemindert, so ist die verkürzte Arbeitszeit für ihre Dauer als die für den Arbeitnehmer maßgebende regelmäßige Arbeitszeit anzusehen.

2)
Für Angestellte richtet sich die Berechnungsgrundlage nach § 6 Ziffer 1 c) dieses Vertrages. Dem Angestellten ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen während der Krankheit, während eines von einem Träger der Sozialversicherung, einer Verwaltungsbehörde der Kriegsopferversorgung oder einem sonstigen Sozialleistungsträger ärztlich verordneten Kur- oder Heilverfahren einschließlich der Schonungszeiten das Monatseinkommen bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen.

§ 6
Berechnungsgrundlage für Durchschnitts Verdienste

1)
In Fällen, in denen der Durchschnittsverdienst als Berechnungsgrundlage für die geleistete Arbeit berechnet werden muß, wird der Stundenverdienst wie folgt definiert:

a)
Effektiver Stundenverdienst ist der regelmäßige tatsächliche Arbeitsverdienst.

b)
Wird in Betrieb im Leistungslohn gearbeitet, gilt die Regelung gemäß Ziffer 2.

c)
Bei Angestellten wird der Durchschnittsstundenverdienst errechnet wie bei gewerblichen Arbeitnehmern bei Zeitlohnarbeit.

2)
Durchschnittlicher Stundenverdienst für Leistungslohnarbeit ist der Durchschnittsstundenverdienst des letzten Abrechnungsjahres. Bei kürzerer Betriebszugehörigkeit wird der Durchschnittsstundenverdienst der Beschäftigungsmonate zugrunde gelegt.

Beider Berechnung des durchschnittlichen Stundenverdienstes werden Akkordüberschüsse mit den Akkordunterschüssen des Vorjahres verrechnet, wobei dem Arbeitnehmer der Tariflohn als Jahresdurchschnittsstundenverdienst garantiert wird.

Diese Leistungslohnregelung gilt auch bei Infragekommen von § 4 Ziffer 2, § 8 Ziffer 4, § 9 Ziffer 4,§ 14 und § 17.

3)
Bei der Berechnung des Durchschnittsstundenverdienstes sind ausgenommen:

Auslösungen, Schmutz- und Erschwerniszulagen, Zuschläge für Mehr-, Macht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, Sonderzahlungen sowie betriebliche Einmalzahlungen, die nicht Bestandteil des regelmäßigen Verdienstes sind, zusätzliches Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen.

4.
Bei zwischenzeitlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen sind diese entsprechend zu berücksichtigen.

18

Die Regelung des § 10 Nr. 1 stellt eine eigenständige Regelung und damit eigenständige Anspruchsgrundlage für den Anspruch des Klägers dar.

19

Das Bundesarbeitsgericht hat zu den Fällen, in denen streitig ist, ob die in einem Tarifvertrag geregelte Kündigungsfrist konstitutiv ist oder nur deklaratorischen Charakter hat, ausgeführt, daß eine eigenständige tarifliche Regelung regelmäßig anzunehmen ist, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die sonst nicht für die betroffenen Arbeitsverhältnisse gelten würde. Für einen rein deklaratorischen Charakter der Übernahme spreche hingegen, wenn einschlägigegesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert übernommen werden. In einem derartigen Fall sei bei Fehlen gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, daß es den Tarifvertragsparteien bei der Übernahme des Gesetzestextes darum gegangen sei, im Tarifvertrag eine unvollständige Darstellung der Rechtslage zu vermeiden. Sie hätten dann die unveränderte gesetzliche Regelung im Interesse der Klarheit und Übersichtlichkeit deklaratorisch in den Tarifvertrag aufgenommen, um die an den Tarifvertrag gebundenen Arbeitsvertragsparteien möglichst umfassend über die zu beachtenden Rechtsvorschriften zu unterrichten (so Urteil des BAG vom 05.10.1995 in BB 96, 220 [BAG 05.10.1995 - 2 AZR 1028/94], vgl. auch Urteile des BAG vom 28.01.1988 in AP Nr. 24 zu§ 622 BGB sowie vom 14.02.1996 in EzA Nr. 54 zu§ 622 n.F. m.w.N.).

20

Vorliegend ist, wie sich aus dem oben zitierten Text des Tarifvertrages ergibt, weder der Gesetzestext des Lohnfortzahlungsgesetzes noch der des zum Zeitpunkt des Abschlusses des Tarifvertrages geltenden § 616 BGB übernommen worden, noch entspricht der Text des Tarifvertrages den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes in den unterschiedlichen Fassungen.

21

Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr in der genannten Vorschrift eigenständig formuliert und eine von der Regelung des Gesetzes erheblich abweichende Formulierung verwandt. Lediglich in bezug auf die Anspruchgrundlage ist in § 10 Nr. 1 MTV auf das Lohnfortzahlungsgesetz verwiesen. Da die Höhe der Entgeltfortzahlung aber in § 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes geregelt war, ist diese nicht in Bezug genommen worden, sondern selbständig geregelt.

22

In diesen Fällen ist jedoch stets davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien eine eigenständige Regelung wollten. Diese Tarifregelung sollte vom Bestand und Inhalt der gesetzlichen Regelung unabhängig sein.

23

Allein die Tatsache, daß die Tarifvertragsparteien eine Regelung in der Höhe der Entgeltfortzahlung in den Tarifvertrag aufnehmen und diese eigenständig und in Abweichung von der gesetzlichen Regelung formulieren, belegt der Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, ohne daß dieser erneut gesondert dokumentiert werden muß. Es ist regelmäßig davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien mit ihren Formulierungen des Tarifvertrages auch entsprechendes Tarif recht setzen wollen, wie es ihnen über die Koalitionsfreiheit des Artikel 9 Grundgesetz zugestanden ist. Es ist deshalb nicht als Regelfall davon auszugehen, daß ein Verweis auf gesetzliche Vorschriften erfolgt, vielmehr im Gegenteil davon, daß entsprechend den Besonderheiten der zu regelnden Sparte eigenständige Regelungen erfolgen, die verbindlich für die dem Tarifvertrag unterliegenden Arbeitsvertragsparteien gelten sollen. Nur ausnahmsweise dann, wenn ein ausdrücklicher Verweis auf die gesetzlichen Regelungen erfolgt, kann davon ausgegangen werden, daß die dort vorhandenen Regelungen die Arbeitsverhältnisse inhaltlich bestimmen sollen, weil diese nach Ansicht der Tarifvertragsparteien bereits die Besonderheiten der entsprechenden Sparte ausreichend berücksichtigen. Nur in diesen Fällen kann davon ausgegangen werden, daß die Regelungen des Tarifvertrages nicht eigenständig sind und nur einen Hinweis an die Arbeitsvertragsparteien bedeuten, daß eine eigenständige Regelung nicht erforderlich ist und damit das Gesetz gilt.

24

Die Eigenständigkeit der vorliegenden Regelung ergibt sich daraus, daß auf der Grundlage des Gesetzes eine gesonderte Berechnung erfolgen soll, wobei von dem Arbeitsentgelt, wie es üblicherweise gezahlt wird, ausgegangen wird, wobei gleichzeitig Besonderheiten berücksichtigt werden bei monatlich unterschiedlicher Vergütung, indem Durchschnittsverdienste berechnet werden. Zwar regelt § 10 Nr. 1 MTV keine eigenständige Anspruchsgrundlage, sondern verweist insoweit auf das Lohnfortzahlungsgesetz, jedoch regelt § 10 Nr. 2 MTV für Angestellte, daß das Monatseinkommen bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen ist. § 10 Nr. 2 MTV verweist nicht auf § 616 BGB, sondern regelt eigenständig die Anspruchsvoraussetzungen für die Gehaltsfortzahlung und bestimmt, daß das Monatseinkommen bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen ist. Für Angestellte ist deshalb ohne weiteres davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien der Vorschrift einen Regelungsinhalt geben wollten, und zwar nicht nur von der Anspruchsgrundlage her, sondern auch von der Höhe her, da ausdrücklich das Monatseinkommen ohne Einschränkungen benannt ist.

25

Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß hinsichtlich der Höhe der Entgeltfortzahlungen die Tarifvertragsparteien gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte unterschiedlich behandeln wollten. Dieses ist bereits aus der Geschichte der Entstehung des Lohnfortzahlungsgesetzes ersichtlich, da die gewerblichen Arbeitnehmer ausdrücklich nach diesem Gesetz den Angestellten gleichgestellt werden sollten. Da ein Tarifvertrag, sofern er unklare Regelungen beinhaltet, insbesondere auch danach auszulegen ist, in welchem Gesamtzusammenhang die Regelung besteht, so ergibt sich gerade aus dem Zusammenhang der Regelungen des § 10 Nr. 1 und § 10 Nr. 2 MTV die Schlußfolgerung, daß auch an die gewerblichen Arbeitnehmer das Monatseinkommen ohne Einschränkungen weiterzuzahlen ist. Lediglich bei der Höhe ist für gewerbliche Arbeitnehmer eine besondere Regelung erforderlich, da entgegen der Zahlung eines gleichbleibenden monatlichen Entgeltes bei Angestellten für gewerbliche Arbeitnehmer unterschiedliche Monatsentgelte gezahlt werden und deshalb Besonderheiten bezüglich der Höhe geregelt werden müssen.

26

Wenn die Tarifvertragsparteien aber wie vorliegend auch die Höhe des Monatseinkommens anders als das Gesetz bestimmen, in dem ausdrücklich das Lohnausfallprinzip geregelt ist, so ist erst recht von einer eigenständigen Regelung des MTV auszugehen, da die Tarifvertragsparteien regelmäßig speziell bezogen auf den fachlichen Geltungsbereich einen Ausgleich zwischen den Interessen der Arbeitnehmer - wie auch der Arbeitgeberseite herstellen wollen. Wird anders als im Gesetz von einer Durchschnitts Vergütung ausgegangen und sodann auf dieser Grundlage einerseits eine Anspruchsgrundlage formuliert andererseits die Durchschnittsvergütung speziell bestimmt, so würde das Gericht bei einer anderen Auslegung des Tarifvertrages einen Eingriff in diesen ausgehandelten Ausgleich vornehmen, was dem Gericht nicht zusteht. Es ist vielmehr Sache der Tarifvertragsparteien, im einzelnen zu regeln, von welcher Höhe der Entgeltfortzahlung ausgegangen werden soll oder ob lediglich die gesetzliche Regelung gelten soll.

27

Aus dem neu abgeschlossenen Tarifvertrag, der eine 100%ige Entgeltfortzahlung vorzieht, kann ein Rückschluß auf vorherige Regelungen nicht gezogen werden. Dieses bereits deshalb nicht, weil die Tarifvertragsparteien bei Abschluß des Tarifvertrages vom 03.09.1993 nicht vorhersehen konnten, daß ab dem 01.10.1996 eine gesetzliche Absenkung der Entgeltfortzahlung erfolgte. Diese gesetzliche Regelung macht es erforderlich, bei dem Streit der Tarifvertragsparteien über die Höhe der Entgeltfortzahlung nach dem Tarifvertrag, eine klarere Regelung für die Zukunft zu treffen. Da die Tarifvertragsparteien insoweit unterschiedlicher Auffassung über die bisherige Regelung waren, ist jedenfalls ein Schluß nicht berechtigt, daß die Neuregelung des Tarifvertrages ein Indiz dafür sei, daß bisher keine 100%ige Entgeltfortzahlung geregelt war.

28

Nach alledem war auf die Berufung des Klägers das erstinstanzliche Urteil abzuändern und der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

29

Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus§ 288 BGB.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG.

31

Die Zulassung der Revision erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.