Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.2001, Az.: 10 Sa 1753/00

Verjährung von Abfindungen, die als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
26.01.2001
Aktenzeichen
10 Sa 1753/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 10918
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2001:0126.10SA1753.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Osnabrück - 23.08.2000 - AZ: 4 Ca 311/00
nachfolgend
BAG - 24.04.2002 - AZ: 10 AZR 154/01

Fundstellen

  • NZA-RR 2001, 240-243 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZI 2001, 330-333
  • NZI 2001, 52-53

Amtlicher Leitsatz

Abfindungen, die als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes gezahlt werden, unterliegen der regelmäßigen Verjährungsfrist von 30 Jahren gemäß § 195 BGB. Sie sind kein Äquivalent für die erbrachte Arbeitsleistung des Arbeitnehmers und daher kein Gehalt bzw. Lohn im Sinne des § 196 Abs. 1 Ziff. 8 BGB bzw. § 196 Abs. 1 Ziff. 9 BGB (Abweichung vom BAG, 07.05.1986, 4 AZR 556/83, AP Nr. 12 zu § 4 BAT).

In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2001
durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 23.08.2000 - 4 Ca 311/00 - teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass dem Kläger eine Abfindung von 17.852,96 DM im Range des § 61 I Nr. 1 KO zusteht, die unter dem Vorbehalt steht, dass zur Befriedigung aller Forderungen der Arbeitnehmer aus der Vereinbarung vom 29.04.1994 mit dem Beklagten insgesamt nicht mehr als 1/3 der für die Verteilung an die Konkursgläubiger zur Verfügung stehenden Konkursmasse verwendet werden dürfen.

    Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten werden zu je 1/2 dem Kläger und dem Beklagten auf erlegt.

  3. 3.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um den Anspruch auf Zahlung einer Abfindung.

2

Der Kläger war gewerblicher Arbeitnehmer der

3

die regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigte. Ein Betriebsrat bestand nicht. Über das Vermögen der wurde am 1. Februar 1994 das Konkursverfahren eröffnet und der Beklagte zum Konkursverwalter bestellt. Dieser kündigte sämtliche Arbeitsverhältnisse und legte den Betrieb still.

4

Am 29. April 1994 schlossen der Beklagte einerseits und die am 1. Februar 1994 beschäftigten Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin andererseits eine als "Interessenausgleich und Sozialplan" überschriebene Vereinbarung, auf deren Inhalt (Bl. 28-30 d.A.) Bezug genommen wird. Darin ist unter anderem geregelt:

II. (Sozialplan):
...

2.
Grundsätze

Für den Ausgleich beziehungsweise zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern, die unter den persönlichen Geltungsbereich dieses Sozialplans fallen, infolge der Insolvenz der oben angeführten Firma und der Betriebsschließung entstanden sind oder entstehen, wird auf der Grundlage des Gesetzes über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren vom 20.01.1985 die Zahlung folgender Leistungen vereinbart.

3.
Sozialplanvolumen

Das Volumen des Sozialplanes wird gemäß § 2 Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren zunächst auf das 2,5fache der Monatsverdienste der Arbeitnehmer im Abrechnungsmonat Januar 1994 in Höhe von 219.866,13 DM festgelegt.

Dieses Sozialplanvolumen gilt vorbehaltlich der noch zu ermittelnden Konkursmasse und wird gegebenenfalls entsprechend § 4 Gesetz über den Sozialplan im Konkurs- und Vergleichsverfahren nach unten korrigiert. Sollte eine Korrektur des Sozialplanvolumens nach Abschluß des Konkurses notwendig werden, erfolgt die Zahlung der ermittelten Abfindungen im gleichen Verhältnis.

4.
Individuelle Leistungen aus diesem Sozialplan

Das oben angeführte Sozialplanvolumen wird gemäß Anlage auf die Arbeitnehmer verteilt.

...

III.
Inkrafttreten und Laufzeit

Dieser Interessenausgleich und Sozialplan tritt mit Unterzeichnung in Kraft. Er endet mit der vollständigen Durchführung der Betriebsänderung, spätestens mit Abschluss des Konkursverfahrens.

5

Unter dieser Vereinbarung befinden sich die Unterschrift des Beklagten, die mit dem Zusatz "unter Vorbehalt der gerichtlichen Bestätigung" versehen ist, sowie die Unterschrift sämtlicher Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin, darunter auch die des Klägers. In der Anlage zu dieser Vereinbarung (Bl. 31 d.A.) war für den Kläger eine Abfindung von 17.852,96 DM vorgesehen.

6

Auf einem vom Beklagten vorgefertigten und ihm am 2. Mai 1994 zugeleiteten Formular meldete der Kläger seine "noch ausstehenden Ansprüche nach § 61 Abs. 1 Ziff. 1 aus Sozialplan, DM 17.852,96" zur Konkurstabelle an. Der Beklagte bestritt den Anspruch. Mit Schreiben vom 28. April 1997 (Bl. 43 d.A.) teilte der Beklagte dem jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers auf dessen Anfrage mit, die Rechtmäßigkeit des Sozialplans werde in einem Musterprozess gerichtlich geklärt. Sollte obergerichtlich geklärt sein, dass die Belegschaft mit dem Konkursverwalter auch ohne Betriebsrat einen Sozialplan im Konkurs schließen könne, so werde er sämtliche angemeldeten Sozialplanansprüche zur Konkurstabelle anerkennen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 26. Januar 2001 hat der Beklagte erklärt, das zunächst als Musterprozess begonnene Verfahren sei durch rechtskräftiges Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück beendet worden, weil infolge eines Büroversehens der Prozessbevollmächtigten des Beklagten die Berufung nicht fristgerecht eingelegt worden sei.

7

Im September 1997 erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Osnabrück - 1 Ca 554/97 - Klage mit dem Antrag, eine Forderung von 17.852,96 DM aus dem Sozialplan zur Konkurstabelle festzustellen, hilfsweise, die Forderung aus der Vereinbarung vom 29. April 1994 im Rang einer Masseschuld zur Konkurstabelle festzustellen. Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage durch Urteil vom 21. September 1999 (9 AZR 912/98, AP Nr. 1 zu § 1 SozplKonkG) ab.

8

Mit der vorliegenden, am 30. Mai 2000 erhobenen Klage verlangt der Kläger Zahlung der Abfindung von 17.852,96 DM als Masseschuld vom Beklagten. Das Konkursverfahren ist nach wie vor nicht beendet, die Höhe der Konkursquote steht noch nicht fest. Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.

9

Durch das dem Kläger am 4. September 2000 zugestellte Urteil vom 23. August 2000 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die Vereinbarung vom 29. April 1994 könne nicht als einzelvertragliche Vereinbarung zwischen dem Beklagten und jedem einzelnen Arbeitnehmer ausgelegt werden. Der Wille der Beteiligten sei dahin gegangen, eine kollektivrechtliche Regelung zu treffen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, die am 28. September 2000 eingelegt und am Montag, den 30. Oktober 2000, begründet worden ist.

10

Der Kläger behauptet, die Parteien hätten die Zahlung einer Abfindung im Wege einer einzelvertraglichen Abrede vereinbart, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, dass ein Sozialplan ohne Betriebsrat auch im Konkurs nicht geschlossen werden könne. Die Arbeitnehmer hätten für ihre langjährige Mitarbeit und für den Verlust des Arbeitsplatzes entschädigt werden sollen. Er ist der Ansicht, der Abfindungsanspruch sei nicht verjährt. Jedenfalls handele der Beklagte treuwidrig, wenn er sich auf die Einrede der Verjährung berufe.

11

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 23. August 2000 - 4 Ca 311/00 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 17.842,96 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 2. Mai 2000 zu zahlen,
  • hilfsweise festzustellen, dass dem Kläger eine Abfindung von 17.852,96 DM im Range des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO zusteht, die unter dem Vorbehalt des § 4 SozPlG steht.

12

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Er behauptet, die Parteien hätten ausschließlich einen Sozialplan abschließen wollen. Dies ergebe sich daraus, dass er die Vereinbarung vom 29. April 1994 nur unter dem "Vorbehalt der gerichtlichen Bestätigung" unterzeichnet habe. Sozialplanansprüche würden im Konkurs anders als allgemeine Abfindungsansprüche behandelt. An eine individualrechtliche Vereinbarung hätten die Parteien daher nicht gedacht. Er ist der Ansicht, das Berufen auf die Einrede der Verjährung sei nicht treuwidrig.

Gründe

14

A.

Die Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO).

15

B.

Die Berufung ist zum Teil begründet. Dem Kläger steht ein einzelvertraglich vereinbarter Abfindungsanspruch als Masseanspruch (§ 59 Abs. 1 Nr. 1 KO) über 17.852,96 DM zu. Infolge des zugleich vereinbarten Rangrücktritts steht die Forderung im Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO und weiter unter dem Vorbehalt des 4 SozPlG. Da das Konkursverfahren noch nicht abgeschlossen und die Konkursquote noch nicht absehbar ist, kann insoweit der Anspruch jedoch nur festgestellt werden. Daher war lediglich dem Hilfsantrag des Klägers zu entsprechen. Dieser Anspruch ist nicht verjährt.

16

I.

Die Klage ist zulässig. Die Rechtskraft der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 1999 (9 AZR 912/98, AP Nr. 1 zu § 1 SozplKonkG) steht der vorliegenden Klage aus einer Masseschuld nicht entgegen.

17

Ein Urteil ist insoweit der Rechtskraft fähig, als darin über den erhobenen Anspruch entschieden ist (§ 322 Abs. 1 ZPO). Eine erneute Klage mit identischem Streitgegenstand ist unzulässig (BGH, stRspr, vgl. nur 17.03.1995, V ZR 178/93, NJW 1995, S. 1757 <II 1 a d.Gr.>).

18

Der Streitgegenstand des vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Rechtsstreits und der des vorliegenden Rechtsstreits sind nicht identisch. Der Streitgegenstand wird durch den prozessualen Anspruch und den ihm zugrundeliegenden Lebenssachverhalt bestimmt (BGH, a.a.O. <II 1 b d.Gr.>, stRspr). Im vorliegenden Rechtsstreit verfolgt der Kläger nicht mehr die Feststellung einer Konkursforderung zur Konkurstabelle, sondern den Anspruch auf Zahlung einer Masseschuld und somit einen anderen prozessualen Anspruch.

19

II.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 1999 (9 AZR 912/98, AP Nr. 1 zu § 1 SozplKonkG) entfaltet für den vorliegenden Rechtsstreit keine Bindungswirkung.

20

1.

Hat ein Gericht in einem Rechtsstreit den Streitgegenstand eines rechtskräftig entschiedenen Vorprozesses erneut zu prüfen, dann hat es den Inhalt der rechtskräftigen Entscheidung seinem Urteil zugrunde zu legen. Insoweit ist der Streitgegenstand aus dem Erstprozess präjudiziell. Dabei erwächst nur der Entscheidungssatz in Rechtskraft. Ist im Erstprozess die Klage abgewiesen worden, ist unter Heranziehung von Tatbestand und Entscheidungsgründen des im Vorprozess ergangenen Urteils einschließlich des Parteienvorbringens der ausschlaggebende Abweisungsgrund und damit der Umfang der Rechtskraft zu ermitteln (BGH, 24.06.1993, III ZR 43/92, NJW 1993, S. 3204 <III 1 d.Gr.>). Diese Feststellung ist auch dann bindend, wenn im Zweitprozess der Ausspruch des kontradiktorischen Gegenteils des Erstprozesses begehrt wird (BGH, NJW 1995, S. 1757 <II 1 a d.Gr.>), wenn also durch das erste Urteil das Gegenteil dessen, was nunmehr begehrt wird, bereits entschieden worden ist, weil die erste Entscheidung nur ergehen konnte, wenn der Anspruch, der jetzt eingeklagt wird, nicht bestand.

21

2.

a)

Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 21. September 1959 die Klage nur insoweit als unbegründet abgewiesen, als der Kläger die Feststellung einer Sozialplanforderung von 17.852/96,00 DM im Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO zur Konkurstabelle eingeklagt hatte. Der Anspruch scheitere schon daran, dass es keinen Sozialplan gebe, an dessen Zustandekommen ein gewählter Betriebsrat mitgewirkt habe. Soweit die Vorinstanzen angenommen hatten, der Kläger habe eine Individualforderung mit Rangrücktritt mit dem Beklagten vereinbart und diesen Anspruch zur Konkurstabelle festgestellt hatten, hat es den Hauptantrag als unzulässig abgewiesen. Die übrigen Gläubiger hätten der Anmeldung der Forderung zur Konkurstabelle durch den Kläger nicht entnehmen können, dass dieser einen auf einer Individualvereinbarung beruhenden Masseanspruch mit Rangrücktritt zur Tabelle anmelden wollte. Die konkursrechtliche Feststellungsklage könne daher nicht auf diesen Individualanspruch gestützt werden. Den Hilfsantrag auf Feststellung der Forderung im Range einer Masseschuld zur Konkurstabelle hat das Bundesarbeitsgericht als unzulässig abgewiesen, weil Masseschulden nicht zur Konkurstabelle festzustellen seien.

22

b)

Durch das Urteil vom 21. September 1999 ist damit lediglich bindend festgestellt, dass die begehrte Rechtsfolge, nämlich die Feststellung einer Sozialplanforderung zur Konkurstabelle, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt hergeleitet werden kann (vgl. BGH, NJW 1995, S. 1757 <II 1 b d.Gr.>). Hinsichtlich der nunmehr eingeklagten Masseschuld entfaltet das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 1999 als Prozessurteil materielle Rechtskraft nur dahin, dass eine nochmalige Verhandlung und Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Rechtsfolge, über die im Vorprozess durch Prozessurteil entschieden worden ist, unzulässig ist (BGH, 06.03.1985, IVb ZR 76/83, NJW 1985, S. 580 <1 d.Gr.>). Tragende Grundlage der Prozessabweisung war die Erwägung, aus Gründen des Gläubigerschutzes sei es dem Kläger verwehrt, einen einzelvertraglichen Anspruch zur Konkurstabelle anzumelden, weil er diese Rechtsgrundlage in seiner Anmeldung nicht hinreichend deutlich gemacht habe. Lediglich die nochmalige Geltendmachung des Masseanspruchs zur Konkurstabelle war damit dem Kläger verwehrt.

23

Die Geltendmachung der Abfindung als Masseschuld gegen den Beklagten ist auch nicht das kontradiktorische Gegenteil der früher festgestellten Rechtsfolge der Unzulässigkeit der Feststellung eines solchen Anspruchs zur Konkurstabelle. Es handelt sich nicht um einen Streit um dieselbe Rechtsfolge aus demselben Sachverhalt in abgewandelter Form. Das Bundesarbeitsgericht hat mit seiner Entscheidung vom 21. September 1999 weder positiv noch negativ darüber entschieden, ob es eine Masseschuld gegen den Beklagten gibt. Es hat vielmehr allein auf Gläubigerschutzgesichtspunkte abgestellt und deshalb eine Konkursforderung verneint. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts beruhte daher nicht auf dem Fehlen einer Masseschuld, sondern allein auf der Verneinung der formalen Voraussetzungen einer Konkursforderung. Die Klagabweisung als unzulässig umfasste daher nicht die Aussage, dass dem Kläger keine Masseschuld zustand.

24

III.

Die Parteien haben am 29. April 1994 einen einzelvertraglichen Abfindungsanspruch mit Rangrücktritt vereinbart. Diese Vereinbarung ist wirksam. Weil der Konkurs aber noch nicht abgeschlossen ist und die Höhe der Konkursquote noch nicht feststeht, konnte kein Leistungsurteil ergehen.

25

1.

Der Kläger hat einen einzelvertraglichen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus der Vereinbarung vom 29. April 1994 gegen den Beklagten.

26

Der Beklagte wollte durch die Vereinbarung vom 29. April 1994 den von der Betriebsstillegung des Betriebs der Gemeinschuldnerin betroffenen Arbeitnehmern Anspruch auf finanzielle Leistungen aus der Konkursmasse als Ausgleich für die wirtschaftlichen Nachteile aus der Betriebsschließung und der Insolvenz gewähren (II 2 der Vereinbarung vom 29.04.1994). Die Konkursmasse sollte durch diese Ansprüche aber nicht im Wege der Vorabbefriedigung belastet werden. Vielmehr sollte erst nach Abschluss des Konkursverfahrens Begleichung der Forderungen der Arbeitnehmer erfolgen. Zugleich sollte zur Vermeidung von Nachteilen für andere Gläubiger maximal ein Drittel der zur Verteilung an die Konkursgläubiger zur Verfügung stehenden Konkursmasse an die Gesamtheit der Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin zur Auszahlung gelangen. Um diese Ziele zu erreichen, haben die Parteien die Bezeichnung "Interessenausgleich und Sozialplan" für die Vereinbarung gewählt, auf das Gesetz über den Sozialplan im Konkurs und Vergleichsverfahren sowohl hinsichtlich der Höhe der Gesamtforderung der Arbeitnehmer als auch hinsichtlich der konkursrechtlichen Behandlung der Abfindungsansprüche abgestellt und den Weg der Anmeldung dieser Ansprüche zur Konkurstabelle beschritten.

27

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 21. September 1999, mit der festgestellt worden ist, dass dieser Weg aus Gründen des Gläubigerschutzes nicht möglich war, ist die Vereinbarung auf den Kern des von den Parteien Gewollten zurückzuführen: Diese wollten letztlich individualrechtliche Ansprüche der einzelnen Arbeitnehmer gegenüber dem Beklagten, die aber nur nach den für Sozialplanansprüche im Konkurs geltenden Grundsätzen befriedigt werden, also mit einem Rangrücktritt belastet sein sollten (so schon LAG Niedersachsen, 09.10.1998, 3 Sa 561/98<II 1 b d.Gr.>).

28

2.

Diese Vereinbarung ist wirksam.

29

a)

Der einzelvertraglich vereinbarte Abfindungsanspruch nimmt grundsätzlich als Masseanspruch nach § 59 Abs. 1 KO am Konkursverfahren nicht teil, sondern ist nach § 57 KO vorweg aus der Konkursmasse zu befriedigen. Rangvereinbarungen zwischen Konkursverwalter und Konkursgläubigern wie die vorliegende sind jedoch wirksam (vgl. Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., 1994, § 60, Rz. 4 a m.w.N., s. auch BAG, 21.09.1999, AP Nr. 1 zu § 1 SozplKonkG <B II 3 b bb d.Gr.>). Es steht dem Konkursverwalter frei, mit den Arbeitnehmern einerseits aus sozialen Gründen und zur Vermeidung der Belastung der Konkursmasse mit den Kosten und Risiken von Kündigungsschutzprozessen einzelvertraglich Abfindungen zu vereinbaren und andererseits die Belastung der Konkursmasse und sein Haftungsrisiko nach § 82 KO durch Vereinbarung von Rangrücktritten zu beschränken.

30

b)

Der Vorbehalt einer "gerichtlichen Überprüfung" steht der Wirksamkeit der Vereinbarung vom 29. April 1994 nicht entgegen. Er ist bedeutungslos (BAG, AP Nr. 1 zu § 1 SozplKonkG <B II 3 b cc d.Gr.>).

31

3.

Der Geltendmachung der Abfindung als Masseanspruch steht nicht entgegen, dass der Kläger diesen Anspruch zunächst als Konkursforderung verfolgt hat. Darin liegt kein Verzicht auf die Masseschuld (RG, 10.02.1920, II 210/15, RGZ 98, S. 136 <137>). Der Masseanspruch ist auch vor Beendigung des Schlusstermins dem Beklagten bekannt geworden (§ 172 KO).

32

4.

Durch den Rangrücktritt ist der Anspruch des Klägers auf die sich aus der einzelvertraglich vereinbarten Abfindung von 17.852,96 DM ergebenden Konkursquote beschränkt, wobei eine weitere Absenkung des auszuzahlenden Betrages eintreten kann, wenn die Gesamtsumme der so errechneten Forderungen aller Arbeitnehmer, die die Vereinbarung vom 29. April 1994 unterzeichnet haben, mehr als ein Drittel der für die Verteilung an alle Konkursgläubiger zur Verfügung stehenden Konkursmasse erreicht. Dies ergibt sich aus dem einzelvertraglich vereinbarten Vorbehalt des § 4 SozPlG. In welcher Höhe letztlich eine Zahlung an den Kläger zu erfolgen hat, stand damit im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht fest. Durch die Vereinbarung eines Rangrücktritts hat der Kläger die Realisierbarkeit seiner Forderung nach den Maßgaben des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO und des § 4 SozPlG eingeschränkt. Damit kann eine uneingeschränkte Verurteilung des Beklagten zur Leistung der vereinbarten Abfindung in der zunächst bezifferten Höhe nicht erfolgen, weil der Kläger den die endgültige Höhe der Forderung übersteigenden Betrag alsbald wieder herausgeben müsste. Daher konnte kein Leistungsurteil, sondern nur ein Feststellungsurteil ergehen, mit dem der Anspruch und die sich aus dem einzelvertraglich vereinbarten Rangrücktritt ergebenden Einschränkungen festgestellt werden. Da der Beklagte sich der Haftung des § 82 KO aussetzt, wenn er pflichtwidrig nicht zahlt, kann davon ausgegangen werden, dass er bereits auf das Feststellungsurteil leisten wird, sobald feststeht, in welcher Höhe die Forderung beglichen werden kann (vgl. BAG, 31.01.1979, 5 AZR 749/77, AP Nr. 1 zu § 60 KO <II 3 b und c d.Gr.> für das Verfahren bei Massearmut).

33

IV.

Der Beklagte ist nicht zur Verweigerung der Leistung berechtigt (§ 222 Abs. 1 BGB). Der Anspruch des Klägers ist nicht verjährt. Es gilt nicht die 2jährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB, sondern die regelmäßige Verjährungsfrist von 30 Jahren gemäß § 195 BGB. Es kann daher dahinstehen, ob das Erheben der Verjährungseinrede durch den Beklagten rechtsmissbräuchlich wäre.

34

1.

Die Verjährung ist durch die Anmeldung der "Forderung aus Sozialplan" im Jahr 1994 nicht gemäß § 209 Abs. 2 Nr. 2 BGB unterbrochen worden. Der Kläger hat den nunmehr verfolgten einzelvertraglichen Anspruch gerade nicht zur Konkurstabelle angemeldet (BAG, AP Nr. 1 zu § 1 SozplKonkG <B II 3 d.Gr.>). Die Verjährung ist auch nicht durch die im September 1997 vor dem Arbeitsgericht Osnabrück - 1 Ca 554/97 - erhobene Klage gemäß § 209 Abs. 1 BGB unterbrochen worden. Die verjährungsunterbrechende Wirkung der Klage erstreckt sich nur auf den Streitgegenstand der erhobenen Klage, andere Ansprüche werden von der Unterbrechungswirkung nicht erfasst (BGH, 23.03.1999, VI ZR 101/98, NJW 1999, S. 2110 <II 2 d.Gr.>). Der Streitgegenstand des im Jahr 1997 eingeleiteten Verfahrens war nicht derselbe wie der vorliegende (s.o., B I der Entscheidungsgründe).

35

2.

Nach der herrschenden, in Rechtsprechung (BAG, 07.05.1986, 4 AZR 556/83, AP Nr. 12 zu § 4 BAT <3 d.Gr.> m. w. N.; LAG Hamm, 15.01.1990, 19 Sa 1148/89, LAGE Nr. 18 zu § 9 KSchG) und Literatur (MüKo/v. Feldmann, BGB, § 196, Rn. 29; Staudinger-Peters, BGB, 13. Aufl., 1995, § 196, Rz. 50; Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Aufl., 2001, § 196, Rz. 24) vertretenen Auffassung gilt die kurze Verjährungsfrist der §§ 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB auch für Abfindungen. Dem folgt die Kammer nicht. Vielmehr ergibt die Auslegung des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB, dass die zwischen den Parteien am 29. April 1994 vereinbarte Abfindung keinen Lohn im Sinne dieser Vorschrift darstellt, weil sie kein Äquivalent für die erbrachte Arbeitsleistung des Klägers war (i.E. ebenso LAG Niedersachsen, 09.10.1998, 3 Sa 561/98<II 3 d.Gr.>; LAG Bremen, 23.11.1982, EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 12; KR-Spilger, 5. Aufl., 1998, § 10 KSchG, Rz. 22 b a.E.).

36

a)

Gesetze sind zunächst von ihrem Wortlaut her auszulegen. Zur Ermittlung des tatsächlichen Sinngehalts einer Vorschrift ist ergänzend auf den Willen des Gesetzgebers, den systematischen Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Norm abzustellen. Da Verjährungsvorschriften dazu dienen, im Rechtsverkehr klare Verhältnisse zu schaffen, ist es grundsätzlich geboten, sich bei ihrer Auslegung eng an den Wortlaut zu halten (BAG, 15.03.2000, 10 AZR 101/99, AP Nr. 24 zu §§ 22, 23 BAT - Zuwendungs-TV <II B 3 a d.Gr.>).

37

b)

§§ 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB erfassen die Ansprüche der Arbeitnehmer "wegen des Gehalts" beziehungsweise "wegen des Lohnes" mit Einschluss der Auslagen und somit sämtliche Entgeltansprüche im weiten Sinn (vgl. BAG, AP 12 zu § 4 BAT<3 d.Gr.> m.w.N.). Ist dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt, dann gilt die kurze Verjährungsfrist ungeachtet des gesetzgeberischen Motivs, kurze Verjährungsfristen gerade für Geschäfte des täglichen Lebens einzuführen, weil diese zu zahlreich und unbedeutend seien, als dass sie dem Gedächtnis der Beteiligten längere Zeit gegenwärtig blieben (Motive zu dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 2. Aufl., 1896, Bd. I, S. 291 <297>), auch für solche Geschäfte, die diese Beweggründe des Gesetzgebers nicht erfüllen. Auch wirtschaftlich bedeutende Rechte, die Entgeltansprüche im Sinne der §§ 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB darstellen, unterfallen daher der kurzen Verjährungsfrist (BAG, AP Nr. 24 zu §§ 22, 23 BAT - Zuwendungs-TV <II B 3 e>; BGH, 22.06.1967, VII ZR 181/65, BGHZ 48, 125 <I 2 a d.Gr.>).

38

c)

Auch wenn damit die Höhe und Bedeutung der Abfindung für den Kläger die Anwendbarkeit der kurzen Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB nicht hindert, so stellt die am 29. April 1994 vereinbarte Abfindung kein Entgelt i. S. dieser Vorschrift dar.

39

aa)

Die Entgeltpflicht ist Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers, die mit der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung als Hauptpflicht korrespondiert. Dieses das Arbeitsverhältnis bestimmende Wechselseitigkeitsprinzip ist für die Ermittlung des vom Gesetzgeber gewollten Regelungsinhalts der §§ 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB entscheidend. Ansprüche von Arbeitnehmern sind daher nur dann Entgeltansprüche im Sinne der §§ 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB, wenn sie für eine erbrachte Arbeitsleistung geschuldet werden, wenn sie also im Gegenseitigkeitsverhältnis zur Arbeitspflicht stehen, wenn sie das Äquivalent gerade der erbrachten Arbeitsleistung sind (vgl. für § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB: BGH, 26.09.1980, I ZR 119/78, BGHZ 79, 89 <II 2 a d.Gr.>; für §§ 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB: BAG, 17.09.1991, 1 AZR 26/91, AP Nr. 120 zu Art 9 GG Arbeitskampf <II 1 d.Gr.> unter Berufung auf vorgenannte Entscheidung). Auch Einmalzahlungen stellen damit Entgelt im Sinne der §§ 196 Abs. 1 Nr. 8 und 9 BGB dar, wenn sie laufende Bezüge zu einem Betrag zusammenfassen (Staudinger-Peters, a.a.O. m.w.N.) oder wenn sie wie Gratifikationen zumindest auch eine Gegenleistung für erbrachte Arbeitsleistungen sind. Dagegen ist es mit dem Wortsinn nicht mehr zu vereinbaren, alle aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung geschuldeten Geldleistungen oder alle geldwerten Leistungen, die der Arbeitgeber mit Rücksicht auf das Arbeitsverhältnis zahlt, als Entgelt anzusehen (so aber BAG, AP Nr. 12 zu § 4 BAT <3 d.Gr.>; BAG, AP Nr. 120 zu Art 9 GG Arbeitskampf <II 2 a d.Gr.>).

40

bb)

Die zwischen den Parteien am 29. April 1994 vereinbarte Abfindung ist kein Äquivalent für erbrachte Arbeitsleistung. Die Abfindung soll die Nachteile, die der Kläger infolge der Insolvenz der Gemeinschuldnerin und der Betriebsstillegung erlitten hat und erleidet, ausgleichen beziehungsweise mildern (II 2 der Vereinbarung). Die hier vereinbarte Abfindung ist damit eine echte Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes, die den Verlustkünftiger Einnahmen ausgleichen oder zumindest mildern soll. Sie ist damit keine Gegenleistung für erbrachte Leistungen und wird nach dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck des § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB nicht von der kurzen Verjährungsfrist erfasst.

41

Dem steht die pfändungsrechtliche Behandlung von Abfindungen als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 ZPO, die als nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung nach § 850 i ZPO gepfändet werden können (BAG, 13.11.1991, 4 AZR 20/91, AP Nr. 13 zu § 850 ZPO), nicht entgegen. Aus § 850 Abs. 4 ZPO, wonach die Pfändung des Arbeitseinkommens alle Vergütungen, die dem Schuldner aus dem Arbeitsverhältnis zustehen ohne Rücksicht auf ihre Benennung erfasst, und § 832 ZPO, wonach das Pfandrecht sich auch auf künftig fällig werdende Bezüge erstreckt, lässt sich vielmehr das Bestreben des Gesetzgebers entnehmen, aus Gründen des Gläubigerschutzes mit einem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der sich auf Arbeitseinkommen bezieht, möglichst umfassend alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu erfassen (BAG, a.a.O.). Der Regelungszweck der §§ 850, 850 i ZPO ist also ein völlig anderer und weitergehender als der des § 196 Nr. 9 BGB.

42

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.